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Ausgabe:

März/2002

Spalte:

300–302

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Rau, Eckhard

Titel/Untertitel:

Jesus - Freund von Zöllnern und Sündern. Eine methodenkritische Untersuchung.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2000. 181 S. 8. Kart. ¬ 25,00. ISBN 3-17-016608-5.

Rezensent:

Peter Fiedler

Der Untertitel zeigt den Schwerpunkt des Buches an: "I. Das kriteriologische Modell" (10-40) geht zentral auf die in der "neuen" Frage nach dem historischen Jesus enthaltenen Schwierigkeiten ein und erörtert Weiterführungen und Alternativen. Als "II. Ein neuer Versuch" (41-95) ist das methodologische Konzept des Vf.s präsentiert. Dieses wird schließlich in "III. Jesu Auseinandersetzung mit Pharisäern über seine Zuwendung zu Sünderinnen und Sündern" als einem wichtigen Beispiel vorgeführt (96-166). Ein Ausblick (167-169) fasst von da aus "die These dieses Buches" knapp zusammen: "Es ist möglich, von einem einzelnen Wort Jesu aus einen zentralen Aspekt seines Wirkens zu erschließen und zugleich Schneisen zu anderen, nicht weniger zentralen Aspekten der Gestalt Jesu zu schlagen." Dabei werde "auf jede kriteriologische Absicherung verzichtet ..., aber auch auf andere Weise nicht an der Authentizitätsdebatte" teilgenommen. Vielmehr sei "alle Aufmerksamkeit auf den Inhalt der nicht als unecht erweisbaren Worte Jesu" gelenkt. Dabei belasse "eine bestimmte Art des Vergleichs ... jedem Wort sein unverwechselbares individuelles Profil". Gleichzeitig bemühe sie sich aber "um den Nachweis der Beziehungen zu anderen Worten, wie sie in Berührungen, Überschneidungen und Entsprechungen zum Ausdruck kommen."

Dieses induktive Vorgehen stoße "allerdings bereits dort an seine Grenzen, wo es um die Auswahl der Worte geht, um die Reihenfolge" ihrer Behandlung oder um das ihnen darin zugebilligte "Gewicht". Für das hier letztlich entscheidende "Wechselspiel von Einzelanalyse und Gesamtentwurf" nennt der Vf. unter Berufung auf A. Schweitzer historische "Intuition, Phantasie und fortgesetztes Experimentieren" (167 f.). Damit will er "die Subjektivität als einen produktiven Faktor der Forschung" bewusst nutzen im Unterschied zu den Vertretern der "neuen" Frage, die den "hohen heuristischen Wert" der Subjektivität für jede Jesusdarstellung "weithin geleugnet oder doch verschwiegen" hätten. Ob berechtigt oder nicht - dieser Vorwurf soll jedenfalls den eigenen Anspruch profilieren, wie es auch das Prädikat "Irrweg" für das Unternehmen tut, "mit Hilfe von Kriterien die Authentizität von Worten Jesu unter Beweis zu stellen" (74; vgl. 41: Ziel der "Destruktion des kriteriologischen Modells"). Dabei kann der Kritik am Kriterium "der doppelten Unähnlichkeit" durchaus zugestimmt werden (aus Jesus werde ein "beziehungsloses Original", hinzu komme ein "antijüdischer Affekt": 14). Nur ist das alles nichts Neues, wie der Vf. selbst in I. referiert. Das gilt auch im Blick darauf, dass die Kritik immer wieder abgeschwächt wird. So wenn bereits in der Einleitung (8 f.) die "Überzeugung" geäußert wird, dass die bei der "neuen Frage" nach dem historischen Jesus gewonnenen "Einsichten nicht ungestraft beiseite geschoben werden dürfen." Oder: "Aus alledem folgt nun freilich keineswegs, daß die Kriterien ohne Wert sind ... . Sie setzen ununterschreitbare Maßstäbe" für die Interpretation der Jesusüberlieferung, auch wenn sie keine "Unterscheidung von echt und unecht" ermöglichten; so verstanden, seien sie "auf eine Reihe von elementaren Gesichtspunkten allgemein historiografischer Art" zurückzuführen (29). Auch dürfte die "Kategorie des ,Sitzes im Leben' ..., in welcher veränderten Form auch immer, weiterhin eine hilfreiche, Sinn erschließende Funktion haben" (25). Auf diese Weise verschwimmen die Konturen des neuen Versuchs des Vf.s. Daher kündigt er für II. nur an: "Die Bausteine selber werden ... nicht geliefert." Vielmehr gäbe es "in erster Linie Beispiele für das Arbeitsverfahren" (41).

Dabei sind erneut Erkenntnisse, die eine ernsthafte Erörterung verdienen, durch Behauptungen in ihrem Wert beeinträchtigt, die diesen Erkenntnissen nicht gerecht werden. So wird betont, dass die Entstehung von nachösterlichen Jesusworten primär "nicht exogen, sondern endogen zu erklären" sei und "daß sich das Neue weithin als Explikation von Vorgegebenem versteht" (49). Die damit verknüpfte Zurückweisung der- durchaus diskutablen! - These, dass urchristliche Propheten die Quelle solcher Jesusworte seien, übersieht nur, dass der Vf. an die Stelle der Propheten urchristliche Exegeten setzt. Wo ist da der große Unterschied? Dass für jedes Wort "Rechenschaft über den Weg seiner je individuellen Entstehung abzulegen" ist (67), sollte selbstverständlich sein. Aber nicht auch ebenso, dass die Explikation und Applikation von Jesusworten zu durchaus unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Ergebnissen führen konnte? Das ist doch wohl aus dem "vielstimmigen Rezeptionsprozeß" (71) zu folgern. Demnach kann das "Postulat der Notwendigkeit eines positiven Nachweises der Unechtheit" (68) keine größere Plausibilität als das gegenteilige beanspruchen (vgl. den Rückzug des Vf.s an seinen Beispielen, verbunden mit einer Warnung vor dem "Laissez-faire"! 68 f.). Als Fazit wird die Kritik an (den) Vertretern der "neuen" Frage wiederholt und unterstrichen, dass von der "Eigenart der Überlieferung" aus der "Subjektivität" der Ausleger "ein weiter Spielraum zur Verfügung steht." Ob er "sachgemäß genutzt worden ist", lässt sich für den Vf. nur mit Hilfe des "Kohärenzkriteriums" überprüfen (79 f.).

Nachdem das EvThom als eigenständige Quelle für Jesusüberlieferungen abgewiesen ist (80-95), beginnt III. mit der Auslegung von Lk 15,11-32. Dabei geht der Blick auf das "Beziehungsgeflecht": "Es lassen sich Linien ausziehen zu einer größeren Anzahl von Worten aus allen Überlieferungsschichten" (96; insgesamt 27 solcher Worte: 100-143). Bei der Exegese von Lk 15,11-32 (96-100) fällt mir eine teilweise starke Nähe zu der Auslegung in meinem Buch "Jesus und die Sünder" (BET 3, 1976) auf - leider fehlt ein Hinweis darauf. Freilich weist der Vf. nicht der Parabel, die einen Jesus zeigt, der um Pharisäer wirbt, sondern Lk 18,10-14a die "Schlüsselfunktion" zu (96; 114-121). Denn nur so kann er das Ziel erreichen, sein "Beziehungsgeflecht" auf eine Gerichtsdrohung Jesu gegenüber Pharisäern "und den ihnen zuarbeitenden Gesetzeslehrern" wegen ihrer "Toraobservanz" auszurichten (142 f.).

Der Weg dahin wird unter "Methodologisches" (149-154) offen gelegt: "Wenn Jesusworte auf eine Auseinandersetzung mit Pharisäern bezogen sind, versteht es sich von selbst, dass dies in Kontakt gebracht werden muss mit allem, was wir sonst vom Pharisäismus wissen. Dieses In-Kontakt-Bringen hat für mich keineswegs zum Ziel, ein möglichst vollständiges, neutrales Bild des Pharisäismus zu gewinnen und mit dem Bild Jesu zu vergleichen" (153). Ein solches Verständnis von "Subjektivität" - immer unter dem Stichwort "Historiografie"! (s. o.) - muss sich begreiflicher Weise gegen den Vorwurf des Antijudaismus zur Wehr setzen (154-159). Das ist auf seine Art allerdings eine keineswegs leichter zu verwirklichende Zielsetzung als das Plädoyer für eine im Anschluss an die Leben-Jesu-Forschung des 19. Jh.s zu vollziehende Neubeschäftigung mit der "Hypothese zweier Phasen des Wirkens Jesu" (159-166). Da hängt das Eine am Anderen.