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Ausgabe:

März/2002

Spalte:

290 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kollmann, Hanjo-Christoph

Titel/Untertitel:

Die Kreuzigung Jesu nach Joh 19,16-22. Ein Beitrag zur Kreuzestheologie des Johannes im Vergleich mit den Synoptikern.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2000. VIII, 392 S. 8 = Europäische Hochschulschriften, Reihe 23: Theologie, 710. Kart. ¬ 50,10. ISBN 3-631-37132-2.

Rezensent:

Manfred Lang

Die vorzustellende Arbeit hat sich folgendes Ziel gesteckt: "Wie hat sich die Kreuzestheologie von Paulus bis hin zum letzten Evangelisten im ersten Jahrhundert entwickelt?" (10) Mittels Textvergleich will der Vf. zeigen, dass das JohEv literarisch unabhängig von den Synoptikern den Gedanken der Kreuzestheologie entwickelt habe. Der Ausgangspunkt für diese jüngsten Ausprägungen sei in 1Kor 15,3-5 zu sehen. Als Textbasis für diese Frage wählt der Vf. Joh 19,16-22, "denn sie [die Verse 16-22; M. L.] bilden eine thematische Einheit, die das eigentliche Anbringen Jesu am Kreuz und die Verleihung des Kreuzestitulus" (12) schildern.

Der Vf. wählt zur Realisierung seiner Aufgabe im Einzelnen folgendes Vorgehen: Nachdem er das Thema "Kreuzigung zur Zeit Jesu und ihr Ansehen" in der Antike (19-27) abgeschritten hat, erhellt er das urchristliche Kerygma vom Kreuz Jesu unter besonderer Berücksichtigung von 1Kor 15,3-5, um dann die kerygmatische Entwicklung im Überblick zu schildern (29-49).

Im zweiten Kapitel werden alle vier Passionsgeschichten miteinander sehr skizzenhaft verglichen und in ihrem Gehalt an Gemeinsamkeiten und Differenzen bestimmt (51-96). Auffällig sei dabei die besondere Nähe des JohEv zum LkEv sowie zum MkEv. Diese Nähe sei nur durch die Annahme erklärlich, "daß Joh Zugang zu sehr alten Traditionen hatte" (Joh 21,20. 24; 18,15 f.; 19,35; 18,28; 19,13 u. ö.). Die sehr früh festliegende Form der Passionsgeschichte habe insgesamt ihre Rezeption ermöglicht. Die trotzdem erkennbaren Differenzen zwischen Mk gegen Joh und Lk seien dadurch zu erklären, dass die Passionsgeschichte als Kultbericht verlesen wurde und zur "Osterbegehung der ältesten Gemeinde" (93) Anlass bot: Während zuvor die Passahaggada verlesen worden sei, habe man nun die Passion und Auferstehung Jesu erzählt. Dem möglichen Einwand, dass Johannes die Synoptiker gekannt habe, begegnet der Vf. mit einem doppelten Hinweis: Johannes habe zu selbständig geschrieben, als dass das aus den Synoptikern bekannte literarische Verfahren auch hier anwendbar wäre; nirgends sei erkennbar, dass Johannes die Synoptiker verbessern oder verdrängen wolle (95 f.).

Im dritten Kapitel (97-203) stellt der Vf. die Kreuzestheologie der vier Evangelien vor und kann gerade in der Analyse des JohEv auf wesentliche, strukturbildende Aspekte hinweisen, etwa: das Motiv des (Hin-)Gehens (poreuomai, ypago, metabaino pros ton patera); die Vorbereitungen auf die Passion (3,14; 8,28; 12,32); der direkte Bezug auf Jesu Tod (2,19-22; 6,51; 12,7); Voranstellen der Abschiedsreden: Jesu Tod ist für die Jünger "zum großen Nutzen" (150), da der Paraklet geschickt wird; vor allem aber die Fußwaschung (13,1-20), die als Heils- und Liebestat gedeutet wird. Die Darstellung der Würde und Hoheit Jesu sei besonders im Motiv der Erhöhung und Verherrlichung Jesu erkennbar und bilde das prägnante joh Profil. Der Vf. fügt weitere thematische Analysen gleichen Inhalts hinzu, um die joh Kreuzestheologie zu erheben: die Passion als eschatologisches Ereignis, der Tod Jesu als Sühnetod sowie der Schriftbeweis in der Passionsgeschichte. Zu dieser Deutung trete als wesentlicher Zug joh Theologie das Sterben des Königs der Juden in den Blick, was sich wie ein roter Faden durch die gesamte Passionsgeschichte erstrecke und seit Joh 1,49 vorbereitet sei.

Der Vf. hält abschließend fest: Es gab also keine völlig einheitliche frühe christliche "Kreuzestheologie", sondern ein langsames Heranreifen des Verständnisses des Kreuzes und seiner Heilsbedeutung. Das soll allerdings nicht heißen, dass es innerhalb der christlichen "Kreuzespredigt" keine übereinstimmende Linie gegeben hätte: "Sühnetod, Verwendung des AT und allgemein die positive Deutung des Kreuzestodes sind als Beispiele festzuhalten" (202).

Mit dem vierten Kapitel ist nun das Kernstück der Arbeit erreicht, die Detailanalyse von Joh 19,16-22 im Vergleich mit den Synoptikern (205-339). Nach Gliederung und Einordnung, einem ersten Vergleich des JohEv mit den Synoptikern und der textkritischen Untersuchung folgen sprachliche und theologische Analysen, die einzelnen Sequenzen gelten. Dabei fällt auf, dass das umstrittene eauto (Joh 19,17) mittels der Isaak-Typologie (Gen 22,6) erklärt wird. Diese in der Passa-Nacht verlesene Passage sei übernommen worden: "Das Gedenken seiner ,Bindung' und seines Opfers musste in der ,Osternacht' erfolgen. Es kann also von einer Integration der cAqedah des Isaaks und des Opferfestes gesprochen werden. Damit wurde zur Zeit Jesu am Paschafest nicht nur des Auszugs aus Ägypten gedacht, sondern auch des Opfers Isaaks" (290; vgl. 337). Insgesamt wird die Kreuzigung Jesu zu einem königlichen Ereignis, zum "triumphalen Heimgang des gottgleichen Logos zu seinem Vater" (339). Mit diesem theologischen Gehalt steht Johannes am Ende einer längeren Entwicklung, die ihren Ausgangspunkt u. a. in 1Kor 15,3-5 genommen hat und sich über die mk und lk Passion bildete.

Dem Vf. wird man sicherlich zustimmen können, das JohEv kreuzestheologisch lesen zu wollen, wobei die bekannten Motive im MkEv und LkEv in erster Linie vorgeprägt sind und durch joh Theologumena ergänzt wurden. Damit wird auch der Passion im JohEv ein unübersehbares theologisches Gewicht zugeschrieben, das Kreuz hat Heilsbedeutung.

Demgegenüber ist folgendes einzuwenden: Eine forschungsgeschichtliche Verankerung - Methodendiskussion fehlt ebenfalls - hätte eine entscheidende Unschärfe des Begriffs "Kreuzestheologie" verhindert: Meint der Vf. Kreuzigungstheologie, Rede vom Tod am Kreuz oder theologisch qualifizierte Rede im Sinne der Heilsbedeutung des Kreuzestodes? Ist der zweite Aspekt gemeint, darf man wenigstens die Zitation der wesentlichen Stellen aus der Antike erwarten, die im Übrigen vor der historischen Fehleinschätzung bewahrt hätte, dass einer Kreuzigung "immer ein Prozeß und die Gefangennahme" (348, kursiv M. L.) vorausgehe (vgl. Jos Bell 2,241 et par.; 2,306.308; Charit Kall IV 2,7; 3,6 sowie etwa Cic Verr II 5,161-163 u. ö.). Ist der dritte Gedanke gemeint, hätte diese Systemreferenz gerade in ihrem joh Profil schärfer erhoben werden müssen: Die joh Inkarnationschristologie prägt die Kreuzestheologie im vierten Evangelium, während etwa die Messiasgeheimnistheorie dies für das MkEv darstellt.

Daneben hätte die Einzeltextreferenz exakter unter der Maßgabe schriftstellerischer Eigenart des Johannes vorgenommen werden müssen, ist es doch fraglich, ob das Verhältnis "Johannes und die Synoptiker" mit dem Verhältnis "MkEv und MtEv/LkEv" methodisch gleichzusetzen ist. Ein solcher Aufweis schriftstellerischer Eigenart hätte auch die Einsicht problematisiert, dass "die Syn häufig unbemerkt Psalmstellen" einfließen lassen, um die Passion Jesu zu deuten" (195, kursiv M. L.).

Zu monieren ist die Literaturverarbeitung, die faktisch 1994 endet. - Abgesehen von Interpunktions-, Trenn- und Akzentfehlern sind mancherlei Tippfehler zu notieren, die hier nicht aufgeführt, bei Bedarf aber dem Vf. mitgeteilt werden können.

Dem Rez. ist fraglich, ob der Weg zu diesem Ergebnis überzeugend ist.