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Ausgabe:

März/2002

Spalte:

286–288

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hultgren, Arland J.

Titel/Untertitel:

The Parables of Jesus. A Commentary.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2000. XXIX, 522 S. gr.8 = The Bible in Its World. Lw. $ 35,00. ISBN 0-8028-4475-8.

Rezensent:

Ulrich Mell

Das Buch möchte eine Lücke in der umfangreichen Literatur zu den Gleichnissen des Neuen Testaments schließen. Als besprechender Kommentar zu insgesamt 38 urchristlichen Gleichnissen angelegt, bietet es "a study of the parables that is comprehensive, drawing upon the wealth of parable research, and that is at the same time exegetical and theological" (XI). Nach einer kurzen Einführung (1-19) werden ausschließlich synoptische Jesusgleichnisse in sieben Abteilungen vorgestellt. Sie werden unterteilt nach "Parables of the Revelation of God" (20-91), "Parables of Exemplary Behavior" (92-128), "Parables of Wisdom" (129-179), "Parables of Life before God" (180-291), "Parables of Final Judgment" (292-330), "Allegorical Parables" (331-382) und "Parables of the Kingdom" (383-423).

Die Zahl von 38 Gleichnissen - warum die Bildreden Joh 10,1-18; 15,1-17 von der Besprechung ausgenommen sind, wird nicht erklärt - kommt u. a. dadurch zustande, dass Mt 25,14-30 und Lk 19,11-27 sowie Lk 14,16-24 und Mt 22,1-14 als jeweils eigenständige Gleichnisse betrachtet werden. Damit lehnt H. ab, dass diese Texte im Sinne der Zwei-Quellen-Hypothese als mt bzw. lk Bearbeitungen von zwei verschiedenen Q-Gleichnissen zu beurteilen sind.

Im Stil eines exegetischen Kommentars beginnt die jeweilige Besprechung eines Gleichnisses mit Bemerkungen zur Textkritik und zur englischen Übersetzung des griechischen Textes. Darauf folgt eine versweise vorgehende Einzelexegese ("Exegetical Commentary"), die auch die jeweils verschiedenen Textüberlieferungen des Gleichnisses bespricht, sowie eine gegenwartsbezogene Auslegung ("Exposition"). Abgeschlossen wird eine Gleichnisauslegung mit einer Liste von ausgewählter Literatur. Darüber hinaus führt das Gleichnisbuch am Ende eine allgemeine Gleichnisbibliographie (477-485) und schließt mit einem Textstellen- sowie Personenregister. Die konsultierte Literatur bemüht sich um einen internationalen Standard, versäumt es jedoch, die neuere deutschsprachige monographische Gleichnisliteratur (z. B. E. Rau, Reden in Vollmacht, 1990; W. Pöhlmann, Der Verlorene Sohn und das Haus, 1993; U. Mell, Die Zeit der Gottesherrschaft, 1998) zu berücksichtigen.

Obgleich die neutestamentlichen Gleichnisse als wichtiger Teil der mündlichen Verkündigung von Jesus von Nazaret ausgegeben werden (vgl. 1), wendet sich die Studie nur der "exegesis and theological reflection on the parables of Jesus as transmitted within the Synoptic Gospels" (19) zu. Als dezidiert kirchlicher Ausleger der Jesusgleichnisse schließt sich H. damit den Grundsätzen von Exegeten wie J. Kingsbury, J. Drury u. a. an, "that the parables of Jesus should be interpreted within the contexts of ... the canonical texts" (16). Das für die Moderne der neutestamentlichen Gleichnisauslegung bahnbrechende Programm von A. Jülicher (Die Gleichnisreden Jesu, I2 + II, 1899), literarkritisch zwischen den ursprünglichen Gleichnissen des historischen Jesus und den späteren Allegorien der urchristlichen Evangelienschriften zu differenzieren, ist bekannt. Es wird aber abgelehnt, weil es sich in der Durchführung als zu problemgeladen und zu umfangreich erweise (vgl. 15 f.). Da der Studie diese wichtige literaturhistorische Unterscheidung fehlt, wird der dogmatische Inhalt der synoptischen Gleichnisse als angebliche Verkündigung des historischen Jesus behauptet.

Gleichnistheoretisch geht das Buch von einer kirchlichen Definition des Gleichnisses aus, dass "a parable is a figure of speech in which a comparison is made between God's kingdom, actions, or expectations and something in this world, real or imagined" (3). Es unterscheidet zwischen zwei Parabeltypen, nämlich den "narrative parables" (z. B. Mt 18,23-35; 20,1-16) und den "similitudes" (z. B. 13,31.33.44 f.). Die von Jülicher eingeführte Gattung der "Beispielerzählungen" findet keine Zustimmung. Die betreffenden lk Texte (z. B. Lk 10,30-35) werden als Untergattung zu den "Narrativen Gleichnissen" geführt (vgl. 4).

Die allegorische Methode der Gleichnisinterpretation wird mit dem Verweis auf Jülichers Theorie des einen Tertium comparationis abgelehnt (vgl. 13). Mit dem Hinweis auf die im NT vorliegenden, sich an einen Gleichnistext anschließenden allegorischen Interpretationen (vgl. Mk 4,13-20parr. zu 3-9parr.) wird jedoch behauptet, "that parable and allegory were not sharply differentiated in the world of Jesus and his contemporaries" (13). Die Folge der fehlenden methodischen Unterscheidung zwischen Gleichnis/Parabel auf der einen und Allegorie auf der anderen Seite sowie der Allegorese ist, dass nach H. neutestamentliche Gleichnisse hintergründige Allegorien sind, die sich nur im Grad der allegorischen Perfektion voneinander unterscheiden. Aus diesem Grund werden Gleichnistexte, die wie Lk 14,16-24; Mt 22,1-14 und Mk 12,1-12parr. "allegorical through and through" sind (14), einem eigenen, thematisch isolierten Abschnitt der Auslegung, dem der "Allegorical Parables", zugewiesen.

Über die inhaltliche Konzeption der Gleichnisauslegung gibt H.s Sortierung der Gleichnistexte Auskunft. Entgegen seiner Absicht, das Gleichnis entsprechend seinem jeweiligen literarischen Vorkommen in dem Evangelientext zu interpretieren, werden die Gleichnisse den urchristlichen Texten entnommen und modernen theologischen Stichworten zugeordnet. So erscheint die Interpretation des sog. "Gleichnisses vom Schalksknecht" (Mt 18,23-35) und des "Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg" (20,1-16) unter dem Titel: "Parables of God's Extraordinary Forgiveness and Grace" (21). Zusammen mit den drei Gleichnissen aus Lk 15, die unter dem Stichwort "Parables of God's Extraordinary Love for the Lost" (46) firmieren, stehen sie am Anfang von H.s Besprechung. Markieren Königreichsgleichnisse wie Mk 4,26-29; 4,30-32par.; Mt 13, 33, die noch am deutlichsten eine Beziehung zur Gottesherrschaftsverkündigung von Jesus besitzen, das Ende der Darstellung, so folgt H.s Gleichnisinterpretation einem respektablen lutherischen Theologiemuster: Auf die theologische Erkenntnis von Gottes Gnade folgt der ethische Appell zur Gestaltung des Christenlebens, damit der Christ mit Weisheit ein Leben im Angesicht Gottes führe, um postmortal auf das Gericht zuzugehen. Dass das im Prinzip individualistisch vorgestellte Christsein auch eine universale Perspektive besitzt, erläutern die an den Schluss gestellten "Parables on the Growth of the Kingdom" bzw. "on the Joy of Discovering the Kingdom" (385 ff.).

Werden bereits bei der Exegese von synoptischen Gleichnissen Paralleltexte aus dem gnostischen EvVeritatis (31 f. zu Mt 18,12-14par.) sowie aus dem EvThom (9; 20; 57; 63-66; 76; 96; 109) berücksichtigt, so widmet die materialreiche Gleichnismonographie den singulären Gleichnissen des EvThom 8; 21; 97 f. einen eigenen Abschnitt (430-452). Das EvThom wird auf die Mitte des 2. Jh.s n. Chr. datiert (vgl. 437), und seine Gleichnisse werden der altkirchlichen Gnosis zugeschrieben.

Summa: Der Gleichniskommentar von H. lässt schmerzlich ein gleichnistheoretisches, literarkritisches und theologiegeschichtliches Interesse an den urchristlichen Texten vermissen. Sein Anliegen ist die geschichtliche Erläuterung von synoptischen Gleichnistexten, die im Sinne der kirchlichen Evangelien als Allegorien von Jesus auf das christliche Leben und seine Probleme ausgelegt werden. Damit vermittelt das Gleichnisbuch aus amerikanischer Perspektive einen informativen Überblick über eine die neutestamentlichen Texte harmonisierend auslegende lutherische Gleichnistheologie.