Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2002

Spalte:

284–286

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fuß, Barbara

Titel/Untertitel:

"Dies ist die Zeit, von der geschrieben ist ...". Die expliziten Zitate aus dem Buch Hosea in den Handschriften von Qumran und im Neuen Testament.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2000. XIII, 299 S. gr.8 = Neutestamentliche Abhandlungen, N.F. 37. Kart. ¬ 45,00. ISBN 3-402-04785-3.

Rezensent:

Florian Wilk

In ihrer bei J. Gnilka angefertigten, 1999/2000 in München angenommen Dissertation analysiert F. die Verwendung von Hos-Zitaten in den "qumranischen" Schriften und im NT. Die doppelte Eingrenzung auf das "Buch Hosea" und auf "explizite Zitate" erlaube, eine zugleich brauchbare und überschaubare Zahl von recht eindeutigen, da mit einer Einleitung oder Erklärung versehenen Schriftbezügen vergleichend zu bearbeiten (3f.). Dabei sucht F. für jedes Zitat das Verhältnis zur "Textvorlage", die Einbettung in den "neuen Kontext", den "Aussagegehalt im Vergleich zur ursprünglichen Aussage", die "Funktion" und den vom Autor verfolgten "Zweck" zu erheben (6 f.).

Im Hauptteil zu Qumran beschreibt F. vorab (9-43) die Eigenart des Hos-Textes in den Handschriften 4Q 78.79.82; er weise orthographische und morphologische Variationen sowie spätere Korrekturen, aber keine tendenziösen Änderungen auf. In den Pescharim 4Q 166.167 (44-113) werde relativ wortgetreu, aber nicht lückenlos aus Hos 2,8-14 bzw. 5,13 ff.; 6,4-11; 8,6-14 zitiert. Die eingefügten Deutungen gäben in biblisch geprägter Sprache an, welche für die Qumrangemeinde relevanten Ereignisse oder Personen der als Endzeit verstandenen Zeitgeschichte Hosea ansage; typisch seien Kritik an den Hasmonäern, Pharisäer-Polemik, Ablehnung des Lunisolarkalenders - und Orientierung am Lehrer der Gerechtigkeit. Im Jes-Pescher 4Q 163, im Midrasch zur Eschatologie 4Q 174+177 und in der Damaskus-Schrift (114-148) würden kurze - im Wortlaut z. T. (geringfügig bis massiv) ergänzte bzw. veränderte - Hos-Worte auf Konflikte der Qumrangemeinde mit ihren Gegnern bezogen. So dienten alle Hos-Zitate (149-153) in "originär qumranischen Schriften" zur "Geschichtsinterpretation", und diesem Zweck sei ihr Wortlaut, anders als der Text jener Bibelhandschriften, angepasst.

Der Hauptteil zum NT behandelt zuerst (156-192) die Zitate in 1Kor 15,55 und Röm 9,25 f.27: Hier wie dort habe Paulus sie mit Jes-Zitaten verknüpft und ihren Wortlaut sowie Sinngehalt stark verändert; dabei zitiere er Hos-Worte als "Verheißungen, deren Erfüllung sich in seiner ... Gegenwart (zumindest anfanghaft) ereignet", "um die Schriftgemäßheit ... seiner Argumentation" - sei es im Blick auf den "Erfolg der Heidenmission" oder auf Gottes "Sieg über den Tod" - "zu beweisen". Sodann (193-238) untersucht F. die kurzen, wohl unverändert aus der Vorlage übernommenen Zitate in Mt 2,15 und 9,13; 12,7: Ersteres sei "als Verheißung verstanden, die sich im Leben Jesu erfüllt", die anderen "als Halacha, die Jesus lehrt und in seinem Handeln erfüllt". Hinter diesem doppelten Begriff von Schrifterfüllung stehe als Grundgedanke "die Wechselbeziehung zwischen Jesus und der Schrift", denn beide seien zugleich zentrale Größen im Plan und Vermittlungsinstanzen des Willens Gottes. So gelte für Paulus wie Matthäus (239-243) "die Person Jesu Christi als Basis, Zentrum und Ziel" ihrer argumentativen, dem "Schema ,Verheißung und Erfüllung'" verpflichteten Zitation von Hos-Worten, wobei deren Sinngehalt z. T. drastisch verändert werde.

Im Vergleich (245-275) sieht F. Gemeinsamkeiten im formalen Bereich (Umgang mit Textvorlagen, Gestalt von Einleitungen und Erklärungen, Kontext-Einbindung) und in der Absicht, die erlebte Gegenwart aus der Schrift als gottgewollt zu erweisen. Unterschiede bestünden jedoch auf der inhaltlichen Seite: bei der Auswahl und thematischen Zuordnung der Zitate, ihrer Erweisfunktion, ihrer Beziehung zur Zeitgeschichte. Diese Unterschiede seien Ausdruck tiefer Gegensätze zwischen Qumrangemeinde und frühem Christentum in der Sicht der Gegenwart (unheilvolle Zeit vor dem Endgericht/heilvoller Anbruch des neuen Äons), im Schriftverständnis (exklusiver Gemeinde-/inklusiver Gegenwarts-Bezug) und im Zugang zur Umwelt (Verfassung als exklusiver Kreis/missionarisch geprägte Offenheit).

Die referierten Ergebnisse verdienen Beachtung; F. legt auf schlüssige Weise dar, wie sich in der Verwendung von Hos-Zitaten durch bestimmte (!) "qumranische" und neutestamentliche Autoren bei aller methodischen Konvergenz ihr je anderes Selbstverständnis niederschlägt. Andererseits gibt die Untersuchung in mehrfacher Hinsicht Anlass zu kritischen Rückfragen:

1. Die eng gesteckten Grenzen des Themas erschweren eine sinnvolle Auswertung des bearbeiteten Stoffes.

Allein auf Grund weniger Zitate kann man Fragen wie die nach der Aufnahme spezifisch hoseanischer Themen nicht klären; und wenn im Vergleich zwischen Qumran und NT bei fast jedem Gesichtspunkt aus formalen Gründen noch einige Zitate ausgeklammert werden, wird er insgesamt fragwürdig.

Problematisch ist zudem die Rede vom "Buch Hosea". Die Bibelhandschriften 4Q 76-82 sowie Röm 9,25a (vgl. C. Burchard, ZNW 84, 1993, 131) zeigen, dass man damals nur einen Hosea-Abschnitt im Zwölfprophetenbuch (vgl. Apg 7,42) kannte.

2. Mancherorts lässt F. das Ziel ihrer Arbeit aus den Augen.

Entbehrlich erscheinen z. B. die Ausführungen zu jenen drei Dodekapropheton-Handschriften (wie treu "qumranische" Autoren den Wortlaut ihrer Hos-Zitate bewahren, kann man auch ohne sie beschreiben), zum Jes-Pescher 4Q 163 (dort liegt kein explizites Hos-Zitat vor, sondern, so F. selbst, eine erläuternde Glosse; diese Stelle lässt sich dann auch nur bedingt auswerten) oder zur Historizität der untersuchten Episoden im Matthäus-Evangelium.

Andererseits fehlt innerhalb der Einleitung eine methodische Reflexion darüber, wie die Texte zu analysieren sind. - Um antik-jüdische und frühchristliche Zitierpraxis zu verstehen, muss man m. E. a) die jeweilige Funktion von Zitaten in verschiedenen Textgattungen (Pescher, Brief etc.) bestimmen, statt alle anhand desselben Fragerasters zu bearbeiten, und b) die Genese ihrer damaligen Deutung rekonstruieren, statt diese an einer (aus heutiger Sicht erhobenen!) "ursprünglichen Aussage" zu messen (dazu bedürfte es freilich einer Analyse der Rezeption des biblischen Kontextes, dessen Relevanz F. ohne nähere Prüfung pauschal bestreitet).

3. In formaler Hinsicht lässt das Buch manche Wünsche offen.

Ergänzungsbedürftig sind Register (eine Seite!) und Literaturliste (zum NT fehlen grundlegende Kommentare [HNT, ICC, NIC, RNT, Word Bibl.Comm. etc.], Monographien [A. T. Hanson, J. Munck, C. Smits, H. Vollmer u. a.] und Aufsätze [A. Bertrangs, EThL 1954; R. Morissette, RB 1972; J. A. Battle, GTJ 1981; F. W. Horn, ZNW 1991 usw.]); unbefriedigend die Querverweise mit bloßem "s. u." und der Verzicht darauf, Quellentexte und zugehörige (z. T. ungenaue) Übersetzungen in Spalten nebeneinander abzudrucken; störend etliche Druckfehler und einige Selbstwidersprüche (z. B. 49/64, 148/252).

4. Einige Textauslegungen sind wenig überzeugend.

Im Qumran-Teil gilt das u. a. für a) die Rekonstruktion von 4Q 166 II, 4 f. nach Neh 9,26 gegen den Zitat-Text in II,1 f., b) die Verknüpfung des "Zorneslöwen" in 4Q 167 Frg. 2,2 mit Gottes "Ich" aus Hos 5,12, c) die Deutung von Hos 3,4 in CD XX, 16 f. auf die Abwesenheit des "Lehrers der Gemeinde" - und manche allzu spekulative historische Zuordnung. Im NT-Teil verkennt F. a) den Bezug von 1Kor 15,55 auf die Macht des Todes über Tote und Lebende, b) Anlage und Funktion der Zitatenkette Röm 9,25-29 im Anschluss an V. 22 ff., c) den Zusammenhang der alttestamentlichen Anspielungen mit der Gottessohn-Aussage in Mt 2,(13-) 15, d) die Differenz zwischen christologischer und paränetischer Anwendung des Zitats aus Hos 6,6 in Mt 9,13 und 12,7 - sowie die Bedeutung der LXX als Heiliger Schrift der neutestamentlichen Autoren.

Im Übrigen werden Funktion und Aussage der Zitate zu stark von den Einleitungsformeln und zu wenig von ihrer jeweiligen Stellung im Gedankengang eines Autors her ermittelt.

5. Der Unterschied zwischen "qumranischer" und neutestamentlicher Sicht des Verhältnisses von Schrift und Geschichte ist überbetont.

Nach F. sollen die Hos-Zitate in Qumrantexten zeigen, "daß in der Schrift bereits geschrieben sei, was sich in der als ,Endzeit' verstandenen Gegenwart ereigne"; dazu würden Schrifttext und Geschichtsbild als statische Größen "miteinander identifiziert" (152 f.). Dagegen gilt es festzuhalten, dass auch in Qumran der Schrift heuristische, d. h. das Selbst- und Geschichtsverständnis erschließende Kraft zukam. Andererseits gehen neutestamentliche Autoren F. zufolge von einem umfassenderen Schriftsinn aus, der die "ursprüngliche" Aussage ihrer Worte einschließe, sich freilich erst in Bezug auf die christliche Gegenwart erschöpfe (201 f.). Belege für diese These muss F. jedoch schuldig bleiben; denn Matthäus und Paulus lesen die Prophetenbücher strukturell gesehen nicht anders als die Autoren von Qumrantexten - als Weissagung auf die je eigene, durch Gottes endzeitliche Offenbarung geprägte Gegenwart.

Wie man sieht, liegt eine die Fachdiskussion anregende und insofern durchaus lesenswerte Arbeit vor.