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Ausgabe:

März/2002

Spalte:

273–275

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Raj, Anthony Savari

Titel/Untertitel:

A New Hermeneutic of Reality. Raimon Panikkar's Cosmotheandric Vision.

Verlag:

Bern-Berlin-Frankfurt am Main-New York-Paris-Wien: Lang 1998 193 S. 8 = Studien zur interkulturellen Geschichte des Christentums, 111. Kart. ¬ 27,10. ISBN 3-906760-31-6.

Rezensent:

Horst Bürkle

Unter dem Begriff einer "kosmostheantrischen Vision" der Wirklichkeit versucht der Vf. eine systematisierende Darstellung des Gesamtwerkes von Raimundo Panikkar. Mit dieser übliche Methoden wissenschaftlicher Erfassung sprengenden "visionären" Vorstellung soll das multi-dimensionale Denken R. Pannikars erfasst werden. Sie will:

- mehr als das Wissen bieten, das wissenschaftlicher Analyse entspringt,

- zugleich tiefer greifen als die Weisheit, die sich "philosophischen Sondierungen" verdankt,

- jenseits der "heiligen Scheu" liegen, die theologischer Wertschätzung entspringt, "angereichert, und sie zugleich übersteigend, durch unermeßliche multi-kulturelle Reflektionen aus allen diesen Disziplinen". Solche "Intuition" will "schöpferisch den einzigartigen Rahmen" abgeben für die "Erhöhung allen Schrifttums und aller Reflektionen Panikkars" (17).

Die Aufforderung zu einer "radikalen Revision", einer "inneren Transformation" (sachfremd mit dem neutestamentlichen metanoia-Begriff belegt), wird mit dem Szenarium einer dreifachen Krise begründet: den "ökologischen Zukunftsperspektiven", der "humanistischen Krise" und einem "theologischen Dilemma". Pannikars "Wissenschaftlichkeit" ist "weithin ein Produkt der Umsetzung seiner mystischen Aspirationen in methodologische Objekte" (19). - Solchermaßen einleitend vorbereitet ist man gespannt auf die inhaltliche Wiedergabe dessen, was sich mit dem Anspruch einer kosmotheantrischen Wirklichkeitsbeschreibung verbindet.

In einem 1. Teil wird die "globale Situation" als Ergebnis einer interkulturellen gesamtmenschheitlichen Lage beschrieben. Als die eigentliche Identität des Menschen erscheint dabei die trans-kulturelle, für die es keine einzelne Beziehung mehr geben kann. Pannikars eigenes Bekenntnis wird als allgemein gültig erachtet und in den Anspruch einer Orientierung für jeden erhoben ("Als ,Christ' ging ich fort, fand mich selber als ,Hindu' wieder und kam zurück als ,Buddhist', ohne aufgehört zu haben ein Christ zu sein". - 27).

Mit Recht verweist der Vf. auf die hinduistische advaita-Philosophie, die als die tragende Denkweise für diese kosmotheantrische Denkweise im Hintergrund steht. Shankaras nachepischer Hinduismus hat vor allem in modernen Deutungen des Hinduismus immer schon die Rolle einer die realen religiösen Inhalte und Bekenntnisse relativierende Funktion ausgeübt. Das galt zunächst für die innerhinduistischen Richtungen und Schulen, wurde aber in der Neuzeit am Maßstab der universalen Bedeutung der christlichen Botschaft angewendet auf alle anderen Religionen.

In einem ersten Kapitel ("Kontext") wird die gegenwärtige Geisteslage skizziert, auf die sich die Panikkar zuerkannten Antworten beziehen. Sein "pluralistischer" Ansatz ergibt sich aus einer Analyse einer vernetzten, multikulturellen Situation. Er wird begründet als eine aktuelle Form der hinduistischen advaita-Lehre. Ihr entsprechend gilt das Pluralismus-Konzept jetzt als eine "harmonische Beziehung". Alle unterschiedlichen religiösen und kulturellen Identitäten erscheinen aufgehoben in eine höhere ,Wahrheit' ("Wahrheit ist weder eine einzige noch besteht sie in vielen" - 38). Für diesen in das Beliebige sich verflüchtigenden Wahrheitsbegriff wird die Kategorie des Mythos in Anspruch genommen. Erfahren wird dieser Pluralismus als "kosmisches Vertrauen", das dem Menschen eine "polare und spannungsvolle Koexistenz zwischen den letzten menschlichen Einstellungen, zwischen Kosmologien, Religionen und Kulturen erlaubt" (39). Die Beschreibung der "globalen Situation" mündet letztendlich im "theologischen Dilemma" als Ausdruck der "Bedeutungslosigkeit des Göttlichen". Das Ergebnis ist, "dass Gott und Religion alle Glaubwürdkeit verloren haben und zu Zufluchten für Leichtgläubige und Dogmatiker" (49 f.) geworden sind.

Dem setzt der Vf. die von Panikkar benannte "kosmotheandrische Wirklichkeit" entgegen. Inhaltlich wird diese monströse Begriffsschöpfung auf ihre Grundlagen in den klassischen nichtdualistischen Systemen des Hinduismus zurückgeführt. Für die inter- und multi-phänomenale Weltanschauungsvielfalt, wie sie der Menschheit verallgemeinernd heute attestiert wird, liegt in dieser auch für Indien speziellen Denktradition der Schlüssel zur "kosmischen Vision". Der Vf. will nachweisen, dass hinter Panikkars "Vision der Wirklichkeit" eben das liegt, was "Annäherung an das Herzstück des Seins" genannt wird. Gemeint ist das, was einem indischen rsi (Seher) möglich ist: der Ausgriff, der "weit über manas und logos hinausreicht, indem er den Raum des Unaussprechlichen enthüllt, in dem Harmonie uttama (das Vollkommene) darstellt" (53).

Die weiteren Kapitel enthalten unter verschiedenen Aspekten Variationen dieses Themas einer "holistischen Schau der Wirklichkeit". Die Grundlage des "Pluralismus der Wahrheit" ist eine Hermeneutik eines "dialogikalen Dialog[es]". Gemeint ist damit der den Logos "durchstoßende" und sich ausschließlich im Mythos erschließende Symbolcharakter der Wirklichkeit (73). Von Wahrheit müsste konsequenterweise nur noch im Plural gesprochen werden. Sie erscheint als "relativ" und ausschließlich in wechselnden Beziehungen erfahrbar. Die je unterschiedlichen Annäherungsmöglichkeiten an den wechselnden Erscheinungscharakter der Realität entspricht durch und durch dem monistischen hinduistischen advaita-Prinzip. Konsequenterweise wird auch das Zeitverständnis aus diesem dem Zyklus ewiger Wiederkehr entsprechenden Bewusstseinshorizont unterworfen. Es geht um eine "Wiederentdeckung einer ganzheitlichen Erfahrung von Zeit". Das auf das Ende der Zeit ausgerichtete linearzeitliche Zeitverständnis, wie es christlicher Orientierung entspricht, muss einer Art "Verinnerlichung" der Zeit weichen, die nichts anderes beinhaltet als das traditionelle "Erkenne dich selbst" oder die "Selbsterkenntnis". Zeiterfahrung wird zur Erfahrung des Lebensrythmus' selber. Ohne es im Einzelnen namhaft zu machen, wird hier zum großen Reigen nach den durch dharma bestimten zyklisch wiederkehrenden Zeitfolgen eingeladen, wie sie östlichen Weltanschauungssystemen eigen sind. Dem Ganzen fehlt auch nicht die Aktualisierung im Blick auf die "ökologische Krise" und die "Offenbarung eines ökologischen Bewußtseins" (117). Gegen Descartes und Galilei wird eine "neue Entdeckung des Lebens der Erde" unter Berufung auf den "alten Mythos von der anima mundi" (125) gefordert. Der Kosmos wird zum "Symbol unseres wesentlichen Selbst", er ist die "symbolisierte Realität des Göttlichen" (130).

Hinter dieser kunstvoll konstruierten neuen Begrifflichkeit - sie wäre hier anhand weiterer Beispiele zu belegen, die das Verstehen nicht gerade erleichtern - begegnen wir in dieser "kosmotheantrischen Schau" den für den advaita-Hinduismus grundlegenden Anschauungen. Es ist jene für das Selbstverständnis des neueren Hinduismus kennzeichnende integrierende Einbeziehung auch jedes personalen Gottesverständnisses in die zeitlose Allgegenwart eines vergöttlichenden brahman, an dem alles Sein in je unterschiedlicher Weise immer schon partizipiert. Dass in dieser "holistischen" Schau die in geschichtlicher Gestalt geoffenbarte und in der Person Jesu Christi dem Glaubenden sich erschließende Wahrheit als eine unter anderen, wechselnden Manifestationsweisen dieses göttlichen Alleinen ihre Einmaligkeit und Einzigartigkeit verliert, versteht sich von selber. Dem zeitläufigen Bedürfnis nach individuell wechselnden, wahlweisen oder sich ergänzenden Optionen mag diese Eröffnung der "kosmotheantrischen Schau" als die der geistigen Situation entsprechende neue Weltanschauung erscheinen: eine umfassende Harmoniebotschaft, die beinhaltet, "daß wir die verschiedenen religiösen Traditionen der Welt sammeln, auf daß diese Innenansichten sich gegenseitig befördern und vervollständigen bei unserer Aufgabe, zu der Welt des Seins zurückzukehren" (141). Eine solche "vision" hat in neuerer Zeit Sri Aurobindo in dem Angebot seines integralen Yoga klarer und verständlicher auf den Markt der Weltanschauungen gebracht. Nach ihm ist die phänomenale Welt in sich die Selbstmanifestation des Ewigen. Jede Seele wird zu einer "Wiederholung der endlosen Wahrheit, ein Relativum, das - wenn wir durch die äußerliche Form hindurchschauen - das Absolute selbst ist" (Jan Gonda).

Diese vom Radhakrishnan-Institut der Universität von Ma-dras angenommene Dissertation erhebt den Anspruch einer gültigen Zusammenfassung und Deutung des Denkens von Raimon Panikkar. Ihm, dem katholischen Theologen und Priester, wird hier nicht weniger als die Beheimatung im Geisteserbe des Hinduismus attestiert. Auf seine Reaktion wird man gespannt sein dürfen.