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Ausgabe:

März/2002

Spalte:

266–269

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Freiberger, Oliver

Titel/Untertitel:

Der Orden in der Lehre. Zur religiösen Deutung des Sangha im frühen Buddhismus.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2000. 278 S. gr.8 = Studies in Oriental Religions, 47. Kart. ¬ 49,00. ISBN 3-447-04284-2.

Rezensent:

Martin Kraatz

Diese Publikation ist die überarbeitete und erweiterte Fassung einer indologischen Dissertation (Göttingen 1999) mit dem trockenen Titel: "Der buddhistische Orden in den Lehrtexten der vier großen Nikayas im Suttapitaka der Theravada-Schule." Der Vf. dankt im Vorwort seinem indologischen Lehrer dafür, dass er ihn dazu angeleitet habe, "wie ich in dieser Arbeit meinen religionsgeschichtlichen Interessen nachgehen kann, ohne dabei den indologischen Rahmen zu verlassen" (11). Darin liegt die besondere Qualität der Arbeit. Sie ist philologisch kompetent verantwortet, verliert sich aber nie in sprachlichen Finessen, sondern verfolgt konsequent und mit scharfsinnigem Gespür die Spuren, die zu einer Antwort auf die religionsgeschichtliche Fragestellung führen.

Die hier auf den Buddhismus fokussierten und an ihm exemplifizierten Probleme sind für Religionen generell von hoher Brisanz, sowohl bei deren religionsgeschichtlicher Betrachtung wie auch im eigenen Bemühen der Religionen um ihr Selbstverständnis. Der Vf. hält dieses Allgemeine zurück, doch es ist ihm bewusst. Zum Beispiel nennt er in Anm. 693 als mögliche Erklärungsversuche Untersuchungen, die den buddhistischen Orden mit dem christlichen Ordenswesen in Verbindung bringen, und im Literaturverzeichnis führt er einen eigenen Aufsatz zu diesem Thema auf (ZfR 4, 1996, 83-104). Auch die gegenüber der Dissertation neutrale Formulierung des Titels der Buchfassung deutet auf die generelle und prinzipielle Dimension, zu der seine Studie einen Beitrag leistet. Die im Einzelnen durchaus komplizierten Probleme, um die es dabei geht, lassen sich zu zwei Fragen zusammenfassen: Wie finden neu entstehende Religionen zu einer Identität? Und: Wieweit und in welcher Weise sind interne institutionelle Strukturen einer Religion mit dem von ihr verkündeten Heilsweg verzahnt?

Auf diese Fragen findet der Religionshistoriker beim Studium einer Religion niemals nur eine Antwort. Religionsintern zeigen sich Differenzen schon in den verschiedenen Konfessionen einer Religion, aber auch in, grob gesagt, drei unterschiedlichen Sichtweisen: der legalen, der lehrgemäßen und der emotionalen (in christlicher Terminologie wären das die Bereiche Kirchenrecht, Theologie und Frömmigkeit). F. konzentriert seine Untersuchung auf die Lehre und darum auf den zweiten Teil des theravâda-buddhistischen Kanons, auf das Suttapit.aka, die Sammlung von Lehrreden des Buddha. Diese spiegeln aber, wie der Kanon insgesamt in seinem dem Religionshistoriker heute vorliegenden Bestand, die Zeit, in der die Reden gehalten wurden, nicht unmittelbar wider, sondern einen viel später redigierten Rückblick auf diese Zeit, mit dem sich eine bereits konstituierte buddhistische Gemeinschaft ihrer Grundlagen zu versichern suchte. Doch diese Redaktion vereinheitlichte die Texte nicht rigoros. Sie berücksichtigte einerseits die im Buddhismus schon früh erkennbaren und sich dann ausweitenden Unterschiede von Deutungsansätzen. Andererseits bewahrte sie aus den Lehrreden offenbar vieles auf, was von dem Buddha ad hoc, in bestimmte Lebenssituationen hinein gesprochen worden war und dem jeweiligen Gegenüber gerecht werden sollte, aber nicht als Baustein eines in sich fest gefügten Lehrgebäudes gedacht war.

Aus dieser Gemengelage arbeitet der Vf. nun die "Bedeutung" heraus, die dem buddhistischen Orden (Pali: sangha) "für die Lehre des Buddha zugesprochen wird". Er untersucht, "inwieweit die Verfasser der Texte dem Sangha als Institution ein bestimmtes Profil geben und ob ein solches Profil mit dem Weg zur Erlösung verknüpft wird", ob man "ausschließlich als Mitglied des Sangha Erlösung erlangen kann" (14).

In einer auch dem indologisch unvorbereiteten Leser verständlichen Form führt er in einer "Einleitung" (13-32) die Fragestellung und die Quellen vor, sowie die Probleme und die Praxis seiner Methode. Dabei begründet er auch die Verwendung der originalen Pali-Begriffe und seine Entscheidung für bestimmte deutsche Entsprechungen: sangha - (idealer) Orden, bhikkhu und das Femininum bhikkhuni - Ordensmitglied(er), samana - Asket, upasaka/upasika - Laienanhänger, schließlich Erlösung für die verschiedenen Benennungen der Aspekte des Heilsziels, nibbana etc.

In Kapitel 2, "Aufgaben und Funktionen des Ordens" (33-48), wird gezeigt, dass der Weg, der einen Menschen in den Orden hineinführt, der Weg in die "Hauslosigkeit", also die Aufgabe jeder Art von Bindung an einen Ort, an Güter und Menschen, als die ideale Voraussetzung dafür gilt, sich der Erlösung zu nähern und sie schließlich zu erlangen. Und wer sich dem Orden anschließt, übernimmt damit die Verpflichtung, die von dem Buddha gelehrte Heilsbotschaft zu bewahren, sich in ihr übend und so fortschreitend unterweisen zu lassen und sie zur Unterweisung anderer auch selber weiterzugeben.

Ein drittes Kapitel, "Der Orden und andere Asketen" (49-139), macht deutlich, dass der Buddha mit seinem Orden in seiner Zeit einerseits ein Asket und eine Asketengemeinschaft neben vielen anderen war und mit diesen anderen auch gewisse Verhaltensformen, Bräuche und Askesepraktiken gemeinsam hatte. Andererseits grenzte sich der buddhistische Orden klar von allen anderen ab, indem er beanspruchte, den einzigen richtigen Weg zur Erlösung zu lehren und zu ermöglichen, den "Mittleren Weg" zwischen der Hingabe an die Sinnesfreuden und der an die Selbstpeinigung, den Weg, der zur Freiheit vom Anhaften, vom Begehren führt. Dabei lag der Akzent zunächst wohl auf dem richtigen Vollzug des Weges durch den Einzelnen, verschob sich dann aber in Richtung auf die formale Ordenszugehörigkeit. F. diskutiert in diesem Kapitel im Detail die verschiedenen, in den Texten belegten Fälle von Auseinandersetzungen, sowohl solche seitens des Buddha, als auch solche, die gegen den Buddha gerichtet sind.

Mit Kapitel 4, "Der Orden und die Laienanhänger" (140-212), qualifiziert der Autor ein Moment, das nahezu die gesamte Buddhismus-Literatur durchzieht - die strikte Trennung von Ordensmitgliedern und Laienanhängern im Blick auf die Erlösungschancen - indem er aus den Texten herausarbeitet, wie facettenreich dieses Verhältnis tatsächlich gesehen wird und realisiert wurde.

Zwar gehen alle Texte davon aus, dass die Laienanhänger, die sich von Besitz nicht getrennt haben, den besitzlosen Mitgliedern des Ordens "Kleidung, Speise, Unterkunft und Medizin" geben - und dass die Ordensmitglieder die Laienanhänger, als Gegengabe, im Dhamma unterweisen. Im Sinne dieser Konstellation wird dem Laienhandeln als mögliches Verdienst nur die der Erlösung näherbringende Wiedergeburt in einer Himmelswelt zugeordnet, den Ordensmitgliedern aber fällt als Frucht die Erlösung selber, das Nibbana zu.

Vielfach jedoch ist, wie der Autor mit zahlreichen Textpassagen belegt, das Schema durchbrochen, und statt der formalen Unterscheidung von Laienanhängern und Ordensmitgliedern gilt für die Angehörigen beider Gruppen das Kriterium ihrer individuellen "spirituellen Qualität", wie weit sie auf dem "inneren Weg", in "Vertrauen, Tugend und Erkenntnis" vorangekommen sind. Daraus ergibt sich ein anderes, im Einzelnen durchaus differenziertes Verhältnis der Vertreter der beiden Gruppen zueinander, bis hin zur kritischen Kontrolle der Ordensmitglieder durch die Laien. Und es wird auch den Laien das Nibbana als ihnen direkt zugängliches Heilsziel zuerkannt, womit die Vollmacht, sogar die Pflicht verbunden ist, wiederum andere im Dhamma zu unterweisen.

Schließlich weist der Vf. unter dem Titel "Der Orden und der Buddha" (213-231) darauf hin, dass es zum Wesen eines Buddha gehört, ein großes Gefolge um sich zu scharen, das "Bhikkhus und Bhikkhunis, Upasakas und Upasikas, Devas, Menschen, Asuras, Nagas und Gandhabbas" umfasst, also eine alle Wesensgattungen des irdischen und des außerirdischen Kosmos einschließende Gemeinschaft bildet. Dieses weltumspannende Moment ist, wie ich meine, mitzudenken, wenn in der Entwicklung des Buddhismus die an der Spitze des Gefolges genannten Bhikkhus und Bhikkhunis sich als der Sangha formieren und dieser nach dem Buddha und dem Dhamma das dritte Zufluchtselement in jener Formel darstellt, die Menschen sprechen, wenn sie sich vertrauensvoll auf den von dem Buddha gewiesenen Weg begeben.

Die Buddhismusforschung hat F. dafür zu danken, dass er für den begrenzten Bereich des frühen Buddhismus, hier aber auf breiter Quellenlage, die bisher als exklusiv angesehene Verknüpfung von Ordenszugehörigkeit und Erlösungsmöglichkeit aufgelöst und gezeigt hat, dass das Erlösungsziel auch vom Laienanhänger direkt erreicht werden kann. Damit leistet er einen Beitrag auch für die Religionsgeschichte allgemein, zu einem Problembereich, der, mutatis mutandis, viele Religionen beschäftigt und, zum Beispiel, im Christentum als das "Priestertum aller Gläubigen" sogar entscheidender Anlass einer Kirchenspaltung geworden ist und immer neu diskutiert wird.