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Ausgabe:

März/2002

Spalte:

247–262

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Löhr, Winrich A.

Titel/Untertitel:

Das antike Christentum im zweiten Jahrhundert - neue Perspektiven seiner Erforschung

1.

Für die Rekonstruktion der Geschichte des antiken Christentums spielt das zweite Jahrhundert immer noch die prekäre Rolle einer Schlüsselepoche.1 So besteht Konsens darüber, dass im zweiten Jh. wesentliche Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, dass das Christentum zu einer tradierbaren, mit einer institutionellen Struktur, einem Schriftkanon und einer Reflexion ihrer Glaubensinhalte versehenen Religion wurde. Man könnte daher das zweite Jh. zugespitzt als die Epoche der ,Religionswerdung' des Christentums bezeichnen, wenn man sich zugleich klar macht, dass das Christentum im antiken Kontext einen neuen Typus von Religion definiert. In den konventionellen Erzählungen der Christentumsgeschichte wird in diesem Zusammenhang auf 1.1 die Entwicklung einer Ämterhierarchie, 1.2 die Entstehung des biblischen Kanons und 1.3 die Herauskristallisierung eines Kernes verbindlicher Glaubenswahrheiten inGestalt des Glaubensbekenntnisses/der Glaubensregel verwiesen.

Die Fokussierung der Geschichtserzählung auf diese drei Aspekte war traditionellerweise deutlich theologischen Interessen geschuldet. Erzählt werden sollten die legitimatorischen Ursprungsgeschichten von christlicher Bibel, Kirchenverfassung und Glaubensbekenntnis; diese Ursprungsgeschichten sind aber immer auch relevant für den aktuellen Bibelgebrauch, die aktuellen Probleme der Kirchenordnung und der Unterscheidung zwischen Häresie und Orthodoxie. In dem Maße aber, wie diese Probleme (wahrscheinlich nur vorübergehend) ihre Aktualität und Dringlichkeit eingebüßt haben, wird der historische Blick frei für Differenzierungen und Ambivalenzen. Das Bild einer mehr oder weniger zielgerichteten Entwicklung verliert an Plausibilität, und so kann sich die Perspektive weiten für die Vielfalt und Unabgeschlossenheit der Geschichte des antiken Christentums.

1.1 Das mit argumentativer Subtilität von Hans v. Campenhausen in seiner klassischen Monographie ,Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht in den ersten drei Jahrhunderten' (Tübingen 1953) entworfene Bild von der Entwicklung des altkirchlichen Amtsgedankens hat bislang keine umfassende Revision erfahren. V. Campenhausens Monographie ist auch als eine engagierte Stellungnahme in der durch den Kirchenkampf ausgelösten Kirchenordnungsdebatte in den evangelischen Kirchen Deutschlands zu verstehen; zeitweise meint man, bei ihm eine Pathologie des evangelischen Kirchenchristentums zu lesen. Der rote Faden seiner Darstellung ist die "richtige Verhältnisbestimmung von rechtlich geordnetem Amt und freier geistlicher Vollmacht." (324) Ausgehend vom historischen Jesus, bei dem als
Zeugen der Forderung und Verheißung Gottes Amt und Charisma in einmaliger Weise eins sind (10-11), zeichnet v. Campenhausen die Linie einer Dekadenzgeschichte nach: Im Laufe der Zeit kam es zu einer unevangelischen Dominanz der Amtsautorität, das Amt verlor seinen Zeugnischarakter. Die darin eingeschlossene Missachtung der geistlichen Gabe der Laienchristen führte zu einer Privatisierung des Glaubens. Diese diagnostiziert v. Campenhausen vor allem bei Clemens von Alexandrien und Origenes, wo sich eine Elite von christlichen Philosophen von den Normalchristen zu unterscheiden versucht (331). Letztlich ist für v. Campenhausen die Veränderung in der Auffassung des Amtes eine Änderung im christlichen Glauben selber: Die Christen leben nicht mehr radikal von der Vergebung Christi her, das christliche Leben wird zur menschlichen Aufgabe (329).

Der große, bis ins historische Detail theologisch durchdachte Entwurf v. Campenhausens hat keine Nachfolger gefunden. Verhandelt werden vielmehr historische Detailfragen, wobei die Forscher z. T. mit Problemen konfrontiert werden, die schon ihre Vorgänger im 19. Jh. bewegten. Anlass zur Diskussion bietet vor allem immer wieder die Frage nach der Entstehung des Monepiskopates. Strittig sind hier zunächst die Quellen: Der wichtigste Beleg für den Monepiskopat an der Spitze einer ausgebildeten Ämterhierarchie war die seit den Voten von T. Zahn und J. B. Lightfoot im 19. Jh. als echt angenommene Rezension der Ignatiusbriefe. Unumstritten war diese Echtheitshypothese nie; nach dem Vorgang des belgischen Gelehrten Robert Joly2 hat in jüngster Zeit Reinhard Hübner in mittlerweile zahlreichen Veröffentlichungen gegen sie argumentiert. Hübner versucht zu erweisen, dass es sich bei den Ignatianen um eine in das spätere 2. Jh. zu datierende Fälschung handelt.3 Er trägt dabei eine Fülle von Beobachtungen und Belegen für seine These zusammen; eine wichtige Rolle spielt das theologie-geschichtliche Argument, dass bestimmte christologische Formeln bei (Ps.)-Ignatius nur als Rezeption der antivalentinianisch ausgerichteten, monarchianischen Christologie des Noet von Smyrna zu verstehen seien. Hat Hübner Recht, so wäre der These von einem Monepiskopat als Spitze einer entwickelten Ämterhierarchie schon am Anfang des 2. Jh.s die Quellen-grundlage entzogen. Trotz bereits vorliegender beachtlicher kritischer Reaktionen hat Hübner bis dato keinen Grund, sich als widerlegt zu betrachten.4

Selbst wenn man aber die Ignatiusbriefe als echt anerkennt, so gilt es doch in differenzierender Perspektive zu beachten, dass der dort sichtbar werdende Monepiskopat von einer Art bischöflicher ,Alleinherrschaft' weit entfernt ist. Ernst Dassmann und Georg Schöllgen haben darauf hingewiesen, dass der ignatianische Monepiskopat das Bischofsamt in die Gemeindestruktur einbindet; der Bischof bleibt auf die Unterstützung der Gemeinde, der Diakone und Presbyter angewiesen.5 Weiterhin ist der spezifische Kontext, den die Ignatianen suggerieren, zu beachten: Sie sind - mit Ausnahme des Römerbriefes - Empfehlungsbriefe, die Ignatius von Antiochien denjenigen Gemeindedelegationen mitgab, die ihn, den Gefangenen, während seiner Aufenthalte in Smyrna und Troas besuchten. Schon aus dieser Situation heraus ist es verständlich, dass Ignatius den jeweiligen Gemeinden ihren Bischof, d. h. den Leiter der Delegation, empfahl. Im Römerbrief, den Ignatius an eine ihm unbekannte Gemeinde vorausschickte, fehlen ekklesiologische Ausführungen bezeichnenderweise fast völlig, hier ist umso mehr vom zukünftigen Martyrium des Ignatius die Rede.

Auch abgesehen von den Ignatianen und den durch sie aufgeworfenen Problemen wird man bei der Entstehung des Monepiskopats (bei unveränderter Quellenlage) schwerlich über mehr oder weniger plausible Vermutungen hinausgelangen. In jüngerer Zeit zeichnete sich die Tendenz ab, die Hypothese von frühchristlichen Hauskirchen oder Hausgemeinden für die Frage nach der Entstehung des Monepiskopates fruchtbar zu machen. Wie G. Schöllgen in seiner kritischen Bestandsaufnahme der Forschung zu Recht festgestellt hatte, ist das ,Oikos-Modell' als Erklärungsmuster deshalb attraktiv, weil es auf schlüssige Weise eine theologische Konzeption (Kirche als Familie Gottes) mit einer sozialen Organisationsstruktur (die antike Hausgemeinschaft) zu kombinieren versprach. Mit der ,Leitmetapher' (G. Schöllgen) des oikos kann man - so scheint es - die theologische Sprache der Quellen des 2. Jh.s auf eine dahinter liegende soziale Realität hin entschlüsseln. Ernst Dassmann hatte seinerseits zunächst in sorgfältiger Diskussion und in bewusster Abgrenzung von anderen (sozialgeschichtlichen) Erklärungsansätzen die theologische Begründung des Monepiskopats aus dem politisch gefärbten Monotheismus in den Ignatianen für eine Erklärung der Entstehung des Monepiskopats fruchtbar machen wollen. Sein (vorläufiges) Fazit lautete: Der Monepiskopat ist ausschließlich aus theologischen Gründen entstanden, er war institutionengeschichtlich nicht irgendwie ,zwingend'.6 In einer zweiten Studie ergänzte und modifizierte Dassmann seine Auffassung: Nunmehr versuchte er zu zeigen, wie die Organisation der frühchristlichen Hausgemeinden nach dem Vorbild des antiken oikos mehr oder minder folgerichtig auf die Installierung einer einzigen Leitperson, eben des monarchischen Bischofs, an der Spitze des christlichen ,Gemeindeoikos' zulief.7

Besondere Aufmerksamkeit hat seit jeher die Entstehung des römischen Bischofsamtes beansprucht. Peter Lampe hat eine Theorie über die relativ späte Entstehung des römischen Monepiskopates ausgearbeitet.8 Er nimmt noch für die Mitte des 2.Jh.s eine Fraktionierung der römischen Gemeinde in Hauskirchen an. Diese Hauskirchen wurden von Presbytern geleitet, die, sofern sie bestimmte Aufgaben in der Armenversorgung wahrnahmen, auch episkopoi genannt werden konnten. Nach Lampe muss es aber zwischen diesen verschiedenen römischen Hauskirchen eine gemeinsame Ebene, einen Konvent der Presbyter gegeben haben. Außerdem war ein Presbyter für die Außenbeziehungen zuständig, z. B. für die auswärtigen Gästen gewährte Gastfreundschaft oder auch für die finanzielle Unterstützung auswärtiger Gemeinden aus einer gemeinsamen Kasse. Dieses Amt eines ,Außenministers' entwickelte sich laut Lampe zum Bischofsamt: "Aus dem Presbyter mit Außen-Aufgaben wurde der monarchische Episkopat."9 Lampe weist ausdrücklich daraufhin, dass die Tatsache, dass die römische Kirche viele Arme zu versorgen hatte, das Bischofsamt gefestigt habe; umgekehrt habe das bestehende Bischofsamt zu einer Zentralisierung des der Gemeinde vermachten Immobilienbesitzes schon im 3. Jh. geführt.10

Lampe präsentiert somit eine ausgearbeitete, institutionengeschichtliche und sozialgeschichtliche Theorie zur Entstehung des monarchischen Episkopats in Rom. Dennoch bleibt sein Versuch, aus einer angeblich in Hausgemeinden verfassten frühen Christenheit die Entwicklung zum Monepiskopat zu erklären, mit Problemen belastet. So haben wir - wie Marlies Gielen11 und Georg Schöllgen12 einschränkend festgestellt haben- keinerlei sicheren Beleg für von Presbytern/Episkopen geleitete, liturgisch selbständige Hausgemeinden neben der Ortsgemeinde.13 Überhaupt ist nach den Analysen Schöllgens oikos nicht als theologische Begründung und organisatorische Verfasstheit integrierende Leitmetapher anzusehen. Die Verbindung von oikos-Metaphorik und monarchischem Episkopat ist konsequent eigentlich nur in der in das 3. Jh. zu datierenden Syrischen Didaskalie festzustellen.14 Schließlich scheint Lampes Theorie zunächst nur die Entstehung des Monepiskopats in Rom zu erklären - andere Gegenden der altchristlichen Ökumene wie Antiochien (Ignatius) oder Kleinasien (Polykarp v. Smyrna) sind nicht in den Blick genommen. Ist die von Lampe skizzierte Entwicklung ein römisches Sonderphänomen? Oder hat sich die Entstehung des Monepiskopats in anderen Gegenden und Städten in analoger Weise vollzogen?

Die Hypothese einer Entwicklung von einer durch die lockere Verbindung von Hausgemeinden geprägten Gemeindestruktur zu einer zentralisierten, durch eine feste Ämterhierarchie geordneten Gemeindeordnung wurde auch für einen weiteren Themenkomplex fruchtbar gemacht, nämlich der Frage, inwieweit Frauen mehr und mehr aus gemeindlichen Leitungsämtern verdrängt wurden. Nach Karen Jo Torjesen15 vollzog sich diese Verdrängung dadurch, dass das Christentum sich in den öffentlichen Raum hinein ausbreitete: Konnten zunächst Frauen in der Privatheit der Hausgemeinden Leitungsfunktionen beanspruchen (da sie traditionellerweise wichtige Funktionen in der Familie hatten), so änderte sich das in dem Maße, als die Kirche öffentliches Profil gewann, eine öffentliche Größe wurde: Nunmehr wurden - von häretischen oder schismatischen Randgruppen abgesehen - die kirchlichen Leitungsfunktionen in den Händen eines männlichen Klerus zentralisiert.

Freilich bleiben auch bei dieser Hypothese Probleme: Abgesehen von der schon berührten Frage, ob es Hauskirchen mit Frauen in liturgischen Leitungsfunktionen in der hier vorgestellten Form überhaupt gegeben hat, so wird aus den Ausführungen Torjesens doch auch klar, dass selbst die Führungsrolle der Frauen im Haushalt wesentlich als Unterstützung des übergeordneten Mannes und pater familias konstruiert wurde, dem auf diese Weise der Rücken für die öffentliche Sphäre freigehalten werden sollte. Weiterhin ist nicht klar, ob der u. a. in den Pastoralbriefen durchgeführte Vergleich zwischen Familie und Gemeinde und zwischen der Rolle eines Hauhaltsvorstandes und derjenigen eines Bischofs wirklich die Selbstdefinition der frühesten christlichen Gemeinden reflektiert. Es könnte sich auch um ein späteres Ideologem handeln, dass gerade den Verlust der früheren Intimität der Kleingruppe kompensieren will.16 Unbezweifelbar ist aber die zunehmende Professionalisierung des männlichen Klerus17 und eine damit einhergehende stärkere Abgrenzung zwischen Klerus und Laien am Ausgang des zweiten Jh.s; die Frauen blieben - von wenigen Ausnahmen abgesehen - Laien. Die Geschichte der Frauen in der Alten Kirche muss ganz wesentlich als Teil der Geschichte des antiken Laienchristentums gesehen und gedeutet werden.

1.2 Auch im Hinblick auf die Geschichte des Bibelkanons lässt sich feststellen, dass eine durchgreifende Revision des von Hans v. Campenhausen in seiner Monographie ,Die Entstehung der christlichen Bibel'18 vorgelegten Synthese noch nicht geglückt ist. Durchaus im Hinblick auf die hermeneutischen Debatten der 50er und 60er Jahre des vorigen Jh.s hatte v.Campenhausen ein Bild des Kanonisierungsprozesses gezeichnet, von dem er sich Klärung und Beruhigung erhoffen
durfte: "Denn es wäre gewiß nicht ,legitim', den überlieferten
Kanon mit Argumenten zu stützen, die bei seiner Bildung gar keine Rolle gespielt haben. Eine vorurteilslose Erforschung seiner Geschichte überhebt uns dieser Gefahr und weist auf den richtigen Weg."19 V. Campenhausen betont, dass das Christuszeugnis der Mittelpunkt des entstehenden Kanons sei, der niemals kirchlicherseits offiziell sanktioniert wurde. Die Schrift bleibt immer eingebettet in die lebendige mündliche Predigt der Kirche, die sich an der ,regula veritatis' (Richtschnur der Wahrheit) orientiert.

Diese Richtschnur aber ist nicht eigenständige hermeneutische Norm neben der Schrift, sondern wurzelt mit ihr in der apostolischen Verkündigung. Die Schrift ist vielmehr die einzige Norm für Ethik und Theologie (379-380). Wenn auch die Kriterien für Kanonizität, so wie sie sich im 2. Jh. ausgebildet hatten, nicht durchweg den Maßstäben heutiger kritischer Forschung standhalten können, so darf man nach v. Campenhausen hier nicht einen zu starken Gegensatz markieren: Das NT trägt mit seiner Frontstellung gegen die Verfälschung der ursprünglichen Tradition "urkundlich-historischen Charakter" (378), und: "Besonders beim Ausschluss aus dem Kanon spielen neben den sachlich-theologischen Bedenken auch historische und philologische Erwägungen eine Rolle." (382) Schließlich: "Auch ein kritisch gelesenes Altes Testament bleibt das Buch einer auf Christus hinausführenden und wohl auch vorausweisenden Geschichte, ohne die er selbst nicht zu verstehen ist." (384) Alles in allem kann man ,Die Entstehung der christlichen Bibel' als den großangelegten Versuch lesen, die moderne evangelische Bibelkritik mit dem überlieferten Kanon zu versöhnen, ohne irgendwelche Abstriche am Ethos und Pathos historischer Wahrhaftigkeit konzedieren zu müssen.

Einer der tragenden Pfeiler der Synthese v. Campenhausens war seine Betonung der Rolle Markions: Wie bekannt, folgte v.Campenhausen Adolf v. Harnack mit seiner Theorie, dass der Kanon des Theologen Markion den wesentlichen Anstoß zur Entstehung einer christlichen Bibel gab: Sowohl der großkirchliche Gesamtkanon als auch der Vier-Evangelien-Kanon sind demnach eine Antwort auf die Bibel Markions.20 Für diese Hypothese gibt es keinerlei direkten Beweis. Vielleicht liegt es in der Natur der Sache, dass es diesen Beweis nicht geben kann- immerhin handelt es sich bei der Entstehung der christlichen Bibel um die Art allmählicher Erfindung, die weder mit einem festen Datum noch mit einem konkreten Anlass verknüpft werden könnte. Doch dürfte dies allein noch keinen ernsthaften Einwand gegen v. Campenhausen darstellen, der wohl wusste, dass sich das Nachzeichnen eines historischen Prozesses nicht auf das sorgfältige Beschreiben einzelner, durch Quellenbelege gedeckter ,Punkte' beschränken kann - man braucht auch die Imagination und den Mut, die Linien zwischen den Punkten zu zeichnen.21 Immerhin könnte man eine Studie von Wolfram Kinzig zur Verstärkung der Hypothese v. Campenhausens benutzen: Kinzig hat Argumente für die These gesammelt, dass die Bezeichnung ,Neues Testament' (kaine diatheke) als Buchtitel ursprünglich auf Markion zurückgeht.22

V. Campenhausen, so könnte man vielleicht sagen, hatte nicht so sehr die Geschichte der Entstehung der christlichen
Bibel als einer Buchausgabe geschrieben, als vielmehr die Geschichte der Entstehung der Idee oder Konzeption der christlichen Bibel (sowie er zuvor schon eine Geschichte der Idee des Martyriums sowie eine Geschichte der christlichen Amtskonzeptionen in den ersten drei Jahrhunderten vorgelegt hatte).

Es ist also nur konsequent, dass auch der jüngste Beitrag zu einer wesentlich ideen- und theologiegeschichtlichen Rekonstruktion der Kanonsgeschichte, die Erlanger Habilitationsschrift von Theo K. Heckel, eben auch eine konzentrierte Auseinandersetzung mit der Theorie v. Campenhausens darstellt.23 Heckel versucht zu zeigen, wie es zu der Entwicklung eines Vier-Evangelien-Kanons kommen konnte. Sorgfältig zeichnet er die Ansätze zu einer Reflexion über den Kanon im NT selbst nach: Für ihn ist Joh 21 ein zentraler Text, der im Kontext der johanneischen Schule um etwa 110 n. Chr. formuliert wurde und erstmals diejenige Kanonskonzeption aufblitzen lässt, die sich dann mit den vier Evangelienüberschriften durchsetzt. Nach Heckel konnte nur in der johanneischen Schule die ,hohe Perspektive' entwickelt werden, die es erlaubte, die vier Evangelien ohne gegenseitige Harmonisierung zusammenzustellen. Leitend war dabei die Idee, dass es eine übergreifende Einheit der Evangelien gibt, oder mit der ,Theologie der Evangelienüberschriften' formuliert: Das eine Evangelium ist mit menschlichen Worten nicht zu erfassen, es bildet sich als Urbild in den vier Evangelien ab. Heckel widmet sich besonders einer sorgfältigen Auslegung des bei Eusebius v. Cäsarea, h. e. 3,39,1-7 erhaltenen Fragmentes aus dem Prolog der von Papias v. Hierapolis verfassten fünf Bücher von Auslegungen der Worte Jesu. Leider hat Heckel zu Papias nicht mehr den sehr wichtigen Aufsatz von Charles E. Hill berücksichtigen können, der bedenkenswerte Gründe für die bereits von J. E. L. Oulton geäußerte Annahme vorbringt, dass Eusebius v. Cäsarea in h. e. 3,24,6 ff. anonym eben Papias v. Hierapolis zitiert. Hat Hill recht, so ist es keine Frage, dass sich Papias in seinem epochalen Werk zur Entstehung aller vier Evangelien äußerte; Johannes war für ihn das letzte abschließende Evangelium, das die drei anderen um das ergänzte, was Jesus am Anfang seines Lehrens tat. Papias würde sich damit exegetisch auf einen bereits vorhandenen Vier-Evangelien-Kanon beziehen.24

Weitere Anfragen an die Kanonsgeschichte v. Campenhausens (die bei unveränderter Quellenlage auf Grund ihrer Umsicht und Sorgfalt noch lange ihren Wert behalten wird) dürften sich dort ergeben, wo die Grenzen seiner wesentlich ideengeschichtlichen Methode mehr und mehr bewusst werden. Die ideengeschichtliche Kanonsgeschichte kann dann fruchtbar durch eine Geschichte frühgeschichtlicher Texte ergänzt werden, die auch die Geschichte und Vorgeschichte des kanonischen NT-Textes erforscht. Wichtige Beiträge zu einer derarti-
gen frühchristlichen Textgeschichte finden sich in den Arbeiten von Barbara Aland.25

Weiterhin hat ein Schüler von Barbara Aland, Ulrich Schmid, an Markion selbst die Fruchtbarkeit einer Differenzierung zwischen antiker christlicher Theologie und antiker christlicher Philologie eindrucksvoll demonstriert26: Schmid zufolge war Markion ein eher behutsamer Philologe, der an der von ihm benutzten vormarkionitischen Paulusausgabe nur behutsame Streichungen (Gal 3,6-9. 14-18.29; Röm 2,3-11; 4,1 ff. [?]; 10,5ff. [?]; 11,1-32; Kol 1,15b-16; Eph 2,14 [?]; Kol 1,22 [?]) vorgenommen hat. Folgt man den Analysen Schmids, so sind also keineswegs alle die Passagen konsequent gestrichen, von denen man dies angesichts der Theologie Markions (Differenzierung zwischen dem Richter- und Schöpfergott des Alten Testamentes und dem obersten, guten und geduldigen Gott, dem Vater des Erlösers) erwarten konnte. Es gibt bei Markion also einen gewissen ,theologischen Überschuß', der nicht textkritisch eingelöst wird, oder um mit Schmid zu formulieren: "Die marcionitische Hermeneutik muß an dieser Stelle sehr viel flexibler und textimmanenter gewesen sein, als es die schroffe und holzschnittartige Darstellung der Antithesen nahelegt."27

Unverzichtbar für eine Geschichte frühchristlicher Texte ist die Papyrologie: Exemplarisch erwähnt seien hier nur die Arbeiten von C. H. Roberts und T. C. Skeat. Beide Gelehrten haben z. B. immer wieder versucht, die Implikationen der Tatsache auszuloten, dass die Christen die Kodexform der Rollenform bei weitem vorzogen. Skeat insbesondere vermutet einen engen Zusammenhang zwischen der Präferierung der Kodexform und der Entstehung des Vier-Evangelien-Kanons.28 In seinem jüngsten Beitrag rekonstruiert er aus den Papyri P6, P47 und P4 einen Codex vom Ende des 2. Jh.s, der bereits die drei Synoptiker und das Johannesevangelium enthielt.29

David Trobisch seinerseits versucht zu beweisen, dass unser heutiges kanonisches Neues Testament letztlich auf eine antike Buchausgabe in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s zurückgeht.30 H.Y. Gamble wagt eine erste, lesenswerte und weit über das 2.Jh. hinausgreifende Synthese der Geschichte frühchristlicher Texte.31 Bart D. Ehrman schließlich versucht den Bogen von christlicher Philologie und Textkritik zur christlichen Theologie- und Ketzergeschichte zu schlagen - ein ebenso ambitioniertes wie risikoreiches Unterfangen.32



Eine sorgfältig ausgearbeitete Hypothese zur Entstehung des ,Vier-Evangelien-Kanons' schlägt Graham Stanton vor.33 Ihr besonderer Vorzug besteht darin, dass sie dem papyrologischen Befund konsequent Rechnung zu tragen versucht, ohne den weiteren kirchen- und theologiegeschichtlichen Horizont aus den Augen zu verlieren. Stanton betont, was oft aus dem Blick gerät, nämlich die erstaunliche Tatsache, dass das von Irenäus v.Lyon repräsentierte Christentum des 2. Jh.s allen Versuchen widerstand, entweder ein Evangelium für kanonisch zu erklären oder aus den vier Evangelien eine Evangelienharmonie zu erstellen und verbindlich zu machen. Stanton setzt die Entstehung eines (vormarcionitischen) Vier-Evangelien-Kanons kurz vor 150 v. Chr. an; um diese Zeit, so meint er, muss es einen Übergang von Kodizes mit einem Evangelium zu Kodizes mit den vier Evangelien gegeben haben.34

Stanton erwägt ausdrücklich die Möglichkeit, dass bereits Justin der Märtyrer einen ,Vier-Evangelien-Kodex' bei seinem Unterricht in Rom verwendete. Weiterhin ist er sich mit M. Hengel35 und anderen Gelehrten darin einig, dass die Bezeichnung der Evangelien als ,Evangelium nach ...' früh ist: "The use of this title facilitated both acceptance of the fourfold Gospel and the use of the codex for four gospels." Stanton vermutet auch einen Zusammenhang zwischen der Präferierung der Kodex-Form und der christlichen Selbstdefinition als eines tertium genus gegenüber Heidentum und Judentum im Gefolge des Bar-Kochba-Aufstandes. Er schließt seinen Aufsatz mit bedenkenswerten Überlegungen, die zeigen, dass es ebenso nötig ist, die durch Irenäus von Lyon verteidigte kanonische Vielfalt theologisch zu reflektieren, wie darüber nachzudenken, was gegebenenfalls durch den Kanonisierungsprozess ,wegzensiert' wurde.36

Eine Blüte erlebt auch die Rezeptionsgeschichte des NT: Nachdem Wolf-Dietrich Köhler gründlich und übersichtlich die Rezeption des Matthäusevangeliums nachzeichnete,37 folgt Titus Nagel auf gleich hohem Niveau mit einer entsprechenden Studie zum Johannesevangelium.38 Im weiteren Sinne in den Kreis dieser Arbeiten gehört auch Rolf Noormanns große Studie über die Paulusinterpretation des Irenäus v. Lyon.39 Die weitgehende40 Konzentration auf Mt, Joh und Paulus hat natürlich Gründe: Mt galt im 2. Jh. als das ,kirchliche' Evangelium schlechthin, eine Studie seiner Rezeption hat also exemplarischen Charakter auch im Hinblick auf die Kanonsgeschichte. Joh galt als das z. T. verdächtige, möglicherweise erst spät rezipierte Evangelium der Gnostiker - hier schwingen neben kanonsgeschichtlichen auch theologiegeschichtliche Fragen mit. Die Paulusrezeption des 2. Jh.s schließlich ist von traditionell großem Interesse besonders für die evangelische Forschung- meinte man doch hier Kriterien für die Legitimität oder Illegitimität antiker christlicher Theologie erarbeiten zu können.41 Ähnliche rezeptionsgeschichtliche Studien wären nun auch zumindest für Mk und Lk wünschenswert. Weiterhin wäre zu fragen, ob man nach den notwendigen Einzelstudien zu einer übergreifenden Klassifizierung und Typisierung von Rezeptionsphänomenen vordringen könnte, die Vergleiche mit außerchristlichen Rezeptionsgeschichten ermöglichen könnten. Gibt es z. B. eine definierbare gnostische Weise der Rezeption? Wie wäre diese zu beschreiben? Gibt es ein Bewusstsein für den ,Eigensinn' der rezipierten Texte? Wie entsteht der Kommentar?

1.3 Im Hinblick auf die Entstehung von Glaubensregel und Glaubensbekenntnis zeichnen sich ebenfalls Tendenzen zur Revision des rezipierten Bildes ab. Nachdem J. N. D. Kelly und H. v. Campenhausen bestritten, dass der ursprüngliche Sitz im Leben von regula fidei und Glaubensbekenntnis die Taufe sei, hat nun Wolfram Kinzig im Gegenzug eine Hypothese ausgearbeitet, derzufolge das römische Glaubensbekenntnis (der Vorläufer des ,Apostolischen Glaubensbekenntnisses') vermutlich aus den schon in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s formulierten römischen Tauffragen entstanden sei.42 Markus Vinzent verlagert seinerseits die Entstehungsgeschichte des Romanums wesentlich in das 4. Jh.: Ihm zufolge wurde das Romanum von Markell von Ankyra in Auseinandersetzung mit Asterius dem Sophisten um ca. 341 in Rom formuliert; die Verbreitung dieses markellischen Bekenntnisses erfolgte dann von Rom aus.43 Mit seiner Hypothese, die das Romanum als Produkt einer theologischen Diskussion im 4. Jh. liest und damit aus der Anonymität liturgiegeschichtlicher Entwicklungen herausheben will, arbeitet Vinzent eine Forschungstendenz zu letzter Konsequenz aus, die wichtige Impulse durch die Forschungen von H. v. Campenhausen und Martin Tetz erhalten hatte.

2.

Die zu konstatierende Hinwendung zur Detailforschung zeigt sich auch an der neuerdings erblühten Kommentarliteratur; als herausragendes Beispiel seien die Kommentarprojekte zu den Apostolischen Kirchenvätern genannt: Hier sei nur auf den inzwischen stattlich angewachsenen ,Kommentar zu den Apo-
stolischen Kirchenvätern' verwiesen.44 Der einheitliche Titel der Reihe verbirgt eine recht große Vielfalt der Herangehensweise: Neben ambitionierter formgeschichtlicher Analyse (Buschmann), detaillierter Erhebung von rhetorischen und literarischen Strukturen (Lona), findet sich auch der allzu knappe und unambitionierte philologische Kommentar (Bauer). Angesichts des Umfangs (und des Preises!) mancher Bände würde man sich die regelmäßige Beigabe des griechischen Originaltextes wünschen.

Neben den Problemen der Entstehung von Ämterhierarchie, Kanon und Bekenntnis, sind nun noch zwei weitere Gebiete zu nennen, die im Mittelpunkt der jüngsten Forschung standen und deren Erforschung geeignet ist, das Bild vom 2. Jh. zu modifizieren. Dabei handelt es sich um 1. die Ausbildung einer christlichen Häresiologie sowie 2. die Entstehung einer christlichen Theologie in den christlichen Schulen, dem ,Labor' der christlichen Theologie.

Bei der Erforschung beider Gebiete geht es darum, eine teleologisch konzipierte Christentumsgeschichte so zu unterbrechen, dass man die Vielfalt und Komplexität des Christentums im 2.Jh. zur Geltung bringt. Während die Geschichte der christlichen Häresiologie uns hilft zu verstehen, wie das antike Christentum selbst Vielfalt und Dissens beschrieb und konzeptualisierte, breitet eine Darstellung der christlichen Schulen und ihrer verschiedenen Theologien diese Vielfalt aus - die Geschichte der christlichen Theologie wird zur prinzipiell unabgeschlossenen Geschichte theologischer Debatten.

2.1 Die Entstehung der christlichen Häresiologie vollzieht sich im 2. Jh. wesentlich als der Übergang von der Polemik gegen anonyme Ketzer zu einer antihäretischen Doxographie. Das Neue Testament ist voll von Kritik an Irrlehrern;45 sie werden als Verräter gebrandmarkt (vgl. Apg 20,30; 1Joh 2,18 f.) und mit dem Antichristen in Verbindung gebracht (1Joh 4,3), ihr Auftreten wird dämonologisch erklärt (Jud 13). Doch werden die Lehren dieser Irrlehrer nur selten angedeutet, es bleibt bei vagen und pauschalen Vorwürfen und Verdächtigungen, aus denen die moderne Forschung mit einiger Mühe Schlüsse zu ziehen versucht. Justin der Märtyrer, freier christlicher Lehrer in Rom, kennt und vertritt ebenfalls die dämonologische Deutung der Häresie; aber er ist auch der erste, von dem wir wissen, dass er ein ,Syntagma' gegen die ,Häresien' geschrieben hat, in dem er offenbar verschiedene ,Häresien' beschrieb und widerlegte.
Justin wäre damit der erste Häresiologe des antiken Christentums - er sollte berühmte Nachfolger in Irenäus v. Lyon, Tertullian v. Karthago, Hippolyt v. Rom und Epiphanius v. Salamis erhalten. Justins Häresiebegriff verbindet Motive jüdischer und
christlicher Ketzerpolemik mit dem Häresiebegriff der antiken philosophischen Doxographie.46 Alain Le Boulluec hat in seiner großen Monographie zum christlichen Häresiebegriff im 2.und 3. Jh. die Entstehung und Entwicklung der Kategorien und Diskursstrategien einer christlichen Häresiologie minutiös beschrieben.47 Le Boulluec setzt damit auf seine, an den Analysen Michel Foucaults geschulte Weise die auf die Ideologie fokussierte Historiographie v. Campenhausens fort; er zeigt in seiner Monographie, wie die theologische Vielfalt des Christentums im 2. Jh. häresiologisch konzeptualisiert wird. Nach Le Boulluec besteht die Dialektik der christlichen Häresiologie eben darin, auf der einen Seite den in den eigenen Reihen entstandenen Dissens als fremd und äußerlich zu bestimmen, auf der anderen Seite aber durch die fortdauernde häresiologische Bearbeitung eben dieser Fremdheit im Zentrum der eigenen theologischen Arbeit Raum zu geben.48 Mit Le Boulluecs Studie hat die Entstehung der christlichen Häresiologie, die sonst von den Historikern eher vernachlässigt wird, die gebührende Aufmerksamkeit gefunden.

Die Häresiologie ist im Kontext der Spätantike eine neue Art des Wissens. Sie hat überragende Bedeutung für die Selbstdefinition des antiken Christentums; sie ist die Matrix der altkirchlichen Theologie, ihre problematische Erbschaft ist bis in ideologische Ausgrenzungsprozesse der Neuzeit hinein wirksam.

Man würde sich wünschen, dass Le Boulluecs Studie in zweierlei Hinsicht ergänzt würde: Zum einen müssten auch die lateinischen Kirchenväter einbezogen werden, so ist z. B. eine Studie über die Häresiologie Tertullians v. Karthago49 ein Desiderat. Zum anderen müsste der zeitliche Rahmen des 2. und 3.Jh.s erweitert werden und so eine Geschichte des häresiologischen Wissens geschrieben werden, die von dessen Anfängen im 2. Jh. bis zu ihren späten Ausformungen in der postkonstantinischen und byzantinischen Kirche reicht.50

2.2 Die explizite, doxographische Häresiologie entstand zuerst im Kontext römischer Schuldebatten im 2. Jh. Man kann die Epoche von der ersten Hälfte des 2. Jh.s bis zur Mitte des 3.Jh.s (vor allem mit Blick auf die christlichen Gemeinden in Rom und Alexandrien) als die Epoche der freien christlichen Schulen bezeichnen. Die Debatten dieser freien christlichen Schulen mit sich selbst und untereinander bildeten ein veritables ,Labor der christlichen Theologie'; hier wurden konzeptionell und terminologisch die Grundlagen für die dogmatischen und scholastischen Auseinandersetzungen der folgenden Jahrhunderte gelegt. Die Forschung scheint hier derzeitig in einer Phase zu sein, wo erst einmal der ganze Reichtum, die Komplexität und die Differenziertheit der aus den Fragmenten zu eruierenden theologischen Diskurse zu sichten und zu rekonstruieren ist.51

Wichtig ist, bei der Sichtung und Darstellung der Diskurslandschaft des 2. Jh.s die Ausgrenzung ,häretischer' Theologien zu vermeiden. Christliche Theologie ist für den Historiker alles, was sich mit einiger Konsistenz und Kohärenz selbst als solches definiert. Daher gehören die sog. Gnostiker, d. h. Basilidianer, Valentinianer, Markioniten, Ophiten etc. unbedingt in eine christliche Theologiegeschichte hinein.52

Methodisch ist immer wieder festzuhalten, dass bei der Benutzung häresiologischer Doxographie zunächst die ,häresiologische Perspektive' der jeweiligen Quelle eruiert werden muss, bevor es zu einer sachgemäßen Auswertung kommen kann. Der moderne Historiker muss auf jeden Fall vermeiden, ungewollt zum Komplizen altchristlicher Häresiologie zu werden und diese sozusagen in moderner Perspektive fortzuschreiben. Dies kann nur vermieden werden, wenn er sich der Schemata, Topoi, Stereotypoi der altchristlichen häresiologischen Diskurse methodisch bewusst ist. Deshalb markiert das schon erwähnte Werk Le Boulluecs eine Epoche in der Erforschung des 2. Jh.s.

Wenn wir auf einzelne Schulen und Lehrer blicken, so seien aus der jüngsten Forschung53 Studien zu Apelles54, Bardesanes55, Basilides (und seiner Schule)56, Gaius57, Hermogenes58, Justin dem Märtyrer59, Kallist von Rom60, Kerinth61, den Karpokratianern62, Markion63, Markus Magus64, Melito v.Sardes65, Ptolemäus66, den beiden Theodotoi67, Valentin68 und den Valentinianern erwähnt. Der Schulcharakter dieser Gruppen muss noch intensiver problematisiert und diskutiert werden,69 bei einzelnen Schulen ist es vielleicht möglich, skizzenhaft ein Entwicklungsprofil zu entwerfen. So hat z. B. C. Markschies70 versucht, eine ,Anatomie' der valentinianischen Schule zu entwerfen, und in diesem Zusammenhang besonders die Stellung des Valentinianers Ptolemäus kritisch analysiert. Bestand bislang ein gewisser Forschungskonsens, dass Ptolemäus der Valentinianer ist, der für den in der sog. ,Großen Notiz' bei Irenäus (haer. I, 1-8) referierten Systementwurf verantwortlich zeichnet (strittig war, inwieweit er damit der eigentliche Vater des valentinianischen Systems war), so ist Markschies der Meinung, dass dieser Systementwurf nach den recht verstandenen Angaben des Irenäus auf einen von der Schule des Ptolemäus wohl zu unterscheidenden Schülerkreis Valentins zurückgehe. Freilich sind mit der detaillierten Argumentation von Markschies noch keineswegs alle Anfragen an seine Deutung erledigt; hier besteht also weiterer Diskussionsbedarf.

Weiterhin müssten die Quellenangaben über freie christliche Schulen systematisch mit den Philosophenschulen der Spätantike verglichen werden, zu denen nun nach und nach gehaltvolle und aufschlussreiche Studien vorliegen.71 Ich halte die Hypothese für fruchtbar, dass die christlichen Schulen in Konkurrenz zu den zeitgenössischen philosophischen Schulen das Christentum als Philosophie, als die objektive richtige Lebenslehre lehrten.72 Wie in den Philosophenschulen, stand auch in den christlichen Schulen im Mittelpunkt des Unterrichtes die Lektüre und Auslegung der autoritativen Schriften. In manchen von ihnen, so der Schule Justins, wurde die polemische Auseinandersetzung mit dem Gegner gepflegt, daraus entstand dann - in partieller Anlehnung an die philosophische Doxographie - eine häresiologische Doxographie. Die institutionellen und geistigen Profile der verschiedenen christlichen Schulen nachzuzeichnen (es werden wohl meist Zwergschulen gewesen sein) ist bei der fragmentarischen Überlieferung nur noch umrisshaft möglich. Vielleicht ergeben sich bei näherem Vergleich gewisse Parallelen zwischen der inneren Geschichte christlicher und paganer Schulen: So kann man z. B. in der markionitischen Schule die Entwicklung von einem textkritisch und exegetisch begründeten theologischen Dualismus bei Marcion zu einer ausgefüllten Prinzipiendialektik und Spekulation bei Schülern wie Apelles nachzeichnen - vielleicht eine Parallele zur doktrinären Entwicklung im Neuplatonismus. Die christlichen Schulen bildeten das ,Labor' der christlichen Theologie; hier wurden Kanonsdebatten geführt und christliche Hermeneutiken entwickelt, Christologien diskutiert und die Logos-Theologie entworfen (und in anderen Zirkeln wiederum deren Kritik, eine Nicht- oder Antilogos-Theologie), hier wurden schließlich mit der Zeit Versuche unternommen, die Beziehung zur paganen Kultur und Philosophie zu deuten und in Begriffe zu fassen.

Der Abschluss der Epoche der freien Schule scheint in institutioneller Hinsicht dadurch markiert zu werden, dass sich die Bischöfe immer mehr für die theologische Lehre zu interessieren begannen und deshalb versuchten, die freien theologischen Schulen entweder in die entstehende Gemeindeorganisation einzubinden oder sie auszugrenzen. Clemens Scholten hat diesen Prozess exemplarisch in einem großen Artikel zur alexandrinischen Katechetenschule beleuchtet.73 Eine vergleichbare Aufhellung der verwickelten und auch schwer aus den Quellen zu eruierenden römischen Vorgänge in der ersten Hälfte des 3.Jh.s steht noch aus.

Schluss

Wenn wir noch einmal die wesentlichen Tendenzen und Trends der Erforschung des 2. Jh.s in jüngerer Zeit zusammenfassen, so ergibt sich folgendes Bild:

Deutlich ist die Infragestellung eingefahrener Gesamtdeutungen des 2. Jh.s. Es kann heute nicht mehr darum gehen, eine legitimatorischen Interessen dienende Großerzählung des antiken Christentums im 2. Jh. vorzulegen oder zu bestätigen, vielmehr liegt nun der Akzent auf der Vielfalt und Unabgeschlossenheit der historischen Phänomene, einer Pluralität, die sich (vorläufig?) keiner theologischen Gesamtdeutung mehr fügt. Dass eine neue Großerzählung vorläufig nicht in Sicht ist, lässt sich am derzeitigen Forschungsstand zur Entstehung der charismatischen Bewegung des Montanismus im 2. Jh. demonstrieren. Alle Hypothesen, die im Laufe der Forschungsgeschichte vorgebracht worden sind, um den Montanismus in einen größeren Rahmen einzuordnen, scheinen heute fraglich: Weder ist
er einfach als Wiederaufleben des urchristlichen Enthusiasmus zu begreifen, noch als die Revitalisierung der urchristlichen Naherwartung, noch einfach als eine Protestbewegung gegen die zunehmende Institutionalisierung der Großkirche.74

Erst wenn man sich von solchen übergreifenden Deutungen befreit - so scheint es nunmehr - kann man hoffen, sich dem historischen Montanismus und seinem Selbstverständnis zu nähern.

Die Forschungslage zum Thema Montanismus ist symptomatisch, und mit ,Selbstverständnis' oder auch ,Selbstdefinition' ist ein wichtiges Stichwort gefallen. Es gehört zum Ethos des erneuerten Historismus unserer postmodernen, pluralistisch verfassten und multikulturell ambitionierten Epoche, religiöse Gruppen und Bewegungen sowie Individuen der Vergangenheit so zu beschreiben, dass deren Selbstverständnis artikuliert und respektiert wird. In diesem Sinne gilt für die Christentumsgeschichte die Maxime, dass die unbesehene Fortschreibung der altkirchlichen Häresiologie unbedingt zu vermeiden ist. Diese Maxime ist leichter zu formulieren als zu befolgen, da nicht zu bestreiten ist, dass wir für die Rekonstruktion der Theologien mancher Gruppen und Schulen auf die Informationen von Häresiologen wie Irenäus v. Lyon, Hippolyt v. Rom oder auch Epiphanius v. Salamis nicht verzichten können.

Die Distanzierung von einer legitimatorischen Gegenwartsinteressen dienenden Großerzählung wird aber schließlich nur dann wirklich möglich sein, wenn zwischen Christentumsgeschichte und Geschichte der christlichen Theologie trotz knappen Quellenmaterials schärfer differenziert wird. Im Zuge einer solchen Differenzierung sollte klar werden, dass z. B. die Geschichte der christlichen Bibel mit der Geschichte der christlichen Kanonsidee ebenso wenig identisch ist, wie die Geschichte der christlichen Kirchenverfassungen mit der Geschichte der verschiedenen Versuche, diese theologisch zu interpretieren. Dabei bedeutet eine methodisch konsequent durchgeführte Unterscheidung von Theologiegeschichte und Christentumsgeschichte keineswegs ein Votum gegen die Rekonstruktion antiker christlicher Theologie zu Gunsten einer die Außenperspektive präferierenden Religionsgeschichte. Vielmehr dürfte erst eine solche Differenzierung eine historisch subtile Beschreibung der Formierung antiker christlicher Theologie ermöglichen, eine Beschreibung, die sowohl diese Theologie entschlossen kontextualisiert als auch aufzeigt, was an ihr als neu und widerständig zu den Kontexten oder gar als unabgegolten und über die Kontexte hinausführend verstanden werden kann.

Summary

According to the traditional consensus of scholarship the second century plays a pivotal role for the history of Christianity: In this century - so the story goes - Christianity fully developed into a religious tradition with a canon of holy scriptures, a creed and a hierarchy of offices. The scholarly reconstruction of second century Christianity became, in effect, a 'grand narrative' that was meant to legitimize or delegitimize the contemporary use of scripture, to explain the particular emphasis of various theological orthodoxies and to defend or attack the contemporary ecclesiastical settlement. The article describes how in modern research this scholarly consensus is slowly disintegrating: The 'grand narrative' suffers a loss of plausibility equally surreptious and dramatic, thus making room for the description of a rich and complex landscape of theological discourses and the discovery of the matrix and 'laboratory' of ancient Christian theology.

Fussnoten:

1) Es wäre überlegenswert, ob man nicht ein ,langes' 2. Jh. der Christentumsgeschichte definieren sollte, das bis ca. 250 reicht und das also den Höhepunkt der christlichen Schultheologie mit Origenes und der Ausbildung der Kirchenverfassung mit Cyprian einschließt. Im Übrigen strebt mein Forschungsüberblick nicht nach Vollständigkeit; so wurde z. B. das komplexe Problem der Ausdifferenzierung von antikem Judentum und antikem Christentum nicht behandelt, weil hier die Beschränkung auf das 2. Jh. unsachgemäß wäre.

2) Robert Joly, Le dossier d'Ignace d'Antioche, Brüssel 1979. Zu verweisen ist außerdem auf mehrere Aufsätze des spanischen Gelehrten J. Rius-Camps, der auch teilweise Fälschung bzw. Überarbeitung der Ignatianen zu erweisen versucht, vgl. J. Rius-Camps, The Four Authentic Letters of Ignatius, the Martyr (Pontificum Institutum Orientalium Studiorum), Rom 1979; ders., Indicios de una redacciòn muy temprana de las cartas autènticas de Ignacio (70-90 d. C.), in: Aug. 34, 1995, 199-214. Kritisch hat C. P. H. Bammel auf die Thesen von Rius-Camps reagiert: Ignatian Problems, in: JThS 33, 1982, 62-97.

3) S. R. Hübner, Thesen zur Echtheit und Datierung der sieben Briefe des Ignatius von Antiochien, in: ZAK 1, 1997, 44-72; R. Hübner/M. Vinzent, Der Paradox Eine: Antignostischer Monarchianismus im 2. Jh. (VigChr.S 50), Leiden 1999. Vgl. auch die Monographie eines Schülers von R. Hübner, T. Lechner, Ignatius adversus Valentinianos? Chronologische und theologiegeschichtliche Studien zu den Briefen des Ignatius von Antiochien (VigCh.S XLVII), Leiden/Boston/Köln 1997.

4) S. G. Schöllgen, in: ZAC 2, 1998, 16-25; H. J. Vogt, in: ZAC 3, 1999, 50-63; ThQ 180, 2000, 237-251; ThQ 181, 2001, 1-19.

5) E. Dassmann, Hausgemeinde und Bischofsamt, in: Vivarium. FS Th. Klauser (JAC.E 11, München 1984, wiederabgedruckt in: Ders., Ämter und Dienste in den frühchristlichen Gemeinden [Hereditas 8], Bonn 1994, 74-95); G. Schöllgen, Monepiskopat und monarchischer Episkopat. Eine Bemerkung zur Terminologie, in: ZNW 77, 1986, 146-151.

6) Siehe Ernst Dassmann, Zur Entstehung des Monepiskopates, in: JAC 17, 1974, 74-90 (wiederabgedruckt in: Ders., Ämter und Dienste (s.Anm. 5).

7) S. die Anm. 5 aufgeführte Studie Dassmanns.

8) Vgl. Lampe, Peter: Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten. Untersuchungen zur Sozialgeschichte. 2. überarb. u. erg. Aufl. Tübingen: Mohr 1989. XII, 457 S., 14 Abb. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 18. Kart. ¬ 59,00. ISBN 3-16-145422-7.

9) Vgl. Peter Lampe, op.cit. 345. Wichtiger Quellenbeleg für Lampes Hypothese ist Hermas Vis II, 4,3, wo von einem gewissen Clemens die Rede ist, der den komplettierten Himmelsbrief den auswärtigen Städten schicken soll, "denn das ist seine Aufgabe." Lampe kommentiert: "Ein Außenminister war in der 1. Hälfte des 2. Jh.s für den Schriftverkehr mit anderen Städten verantwortlich." Dies ist eine kühne Schlussfolgerung; immerhin wird Clemens weder als episkopos noch als presbyter bezeichnet; auch irgendeine Funktion im Hinblick auf die finanzielle Unterstützung auswärtiger Gemeinden wird nicht angedeutet. Vgl. auch die kritischen Bemerkungen von Norbert Brox, Der Hirt des Hermas (KAV 7), Göttingen 1991, 107-108.

10) Lampe, ibidem. - Lampe selbst ist freilich sehr kritisch gegenüber Theorien, die eine Kontinuität zwischen den römischen Titel-Basiliken des 4. Jh.s und vorkonstantinischen Hauskirchen postulieren (a. a. O., 302-305 sowie die ergänzenden Bemerkungen 454-455). Lampe bemerkt (455): "Dennoch wird man an der Kontinuität (wenn nicht des Versammlungslokals, so doch) der Kirchengemeinden in den jeweiligen Stadtteilen festhalten: Aus den 15-20 vorkonstantinischen Hauskirchen-Gruppen entwickelten sich die Gemeinden, die später die 25 Titel-Basiliken benutzten." - Hierzu sei angemerkt, dass die von Lampe postulierten 15-20 vorkonstantinischen Hauskirchen-Gruppen ja aus den nachkonstantinischen Tituli erschlossen sind. Dafür, dass die Tituli Gemeinden (im Unterschied zu Gebäuden) bezeichnen, fehlt jeder Beleg.

11) M. Gielen, Zur Interpretation der paulinischen Formel he kat' oikon ekklesia, in: ZNW 77, 1986, 109-125.

12) G. Schöllgen, Hausgemeinden, oikos-Ekklesiologie und monarchischer Episkopat, in: Jb AC 31, 1988, 74-90.

13) Lampe bemerkt (335): "Paulus schrieb an mehrere Hausgemeinden Roms (Röm 16; ...)." Aber gibt Röm 16 dies bei strikter Interpretation wirklich her?

14) S. G. Schöllgen, a. a. O., 89 (Anm. 12).

15) K. J. Torjesen, Als Frauen noch Priesterinnen waren, Frankfurt/M. 1995. Vgl. jetzt auch die sorgfältige und in ihren Schlüssen vorsichtige Studie von U. E. Eisen, Amtsträgerinnen im frühen Christentum. Epigraphische und literarische Studien (FKDG 61), Göttingen 1996.

16) Vgl. G. Schöllgen, a. a. O., 85 f. (Anm. 12).

17) Vgl. G. Schöllgen, Die Anfänge der Professionalisierung des Klerus und das kirchliche Amt in der Syrischen Didaskalie (Jb AC. E. 26), Münster 1998.

18) Berlin 19772.

19) H. v. Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel, Berlin 1968, 384.

20) A. V. Harnack hingegen setzte den Vierevangelienkanon vor Markion an.

21) H. v. Campenhausen, op. cit., 1-2.

22) Vgl. W. Kinzig, The Title of the New Testament in the Second and Third Centuries, in: JThS 45, 1994, 519-544. Kinzig legt sich im Hinblick auf die Harnack-Campenhausensche Hypothese allerdings nicht fest.

23) Theo K. Heckel, Vom Evangelium des Markus zum viergestaltigen Evangelium (WUNT 120), Tübingen 1999.

24) Charles E. Hill, What Papias said about John (and Luke). A 'New' Papian Fragment, in: JThS 49, 1998, 582-629. Vgl. den knappen Verweis von T. Heckel, op.cit., 198 (Anm. 399). - Nach der einschlägigen Papiasbibliographie von Josef Kürzingen (1983) sind laut der gründlichen Bibliographie Heckels folgende neuere Arbeiten speziell zu Papias zu verzeichnen: Armin Daniel Baum, Papias und der Presbyter Johannes. Martin Hengel und die johanneische Frage, in: JETh 9, 1995, 21-42; ders. Papias als Kommentator evangelischer Aussprüche Jesu. Erwägungen zur Art seines Werkes, NT 38, 1996, 257-276; Ulrich H. J. Körtner, Papias von Hierapolis. Ein Beitrag zur Geschichte des frühen Christentums (FRLANT 133), Göttingen 1983; Idem, Papias von Hierapolis, in: TRE 25, 1995, 641-44; Michael Oberweis, Das Papiaszeugnis vom Tode des Johannes Zebedäi, in: NT 38, 1996, 277-295; William R. Schoedel, Papias, in: ANRW 2, Bd. 27, 1, Berlin/New York 1993, 235-270; Günther Zuntz, Papiana, in: ZNW 82, 1991, 242-263.

25) B. Aland, Entstehung, Charakter und Herkunft des sog. Westlichen Textes - untersucht an der Apostelgeschichte, in: Ephemerides Theologicae Lovanienses 62, 1980, 5-65; dies., Die Rezeption des neutestamentlichen Textes in den ersten Jahrhunderten, in: J.-M. Sevrin [Hrsg.], The New Testament in Early Christianity. La réception des écrits néotestamentaires dans le christianisme primitif, in: BEThL 86, 1989, 1-38.

26) Schmid, Ulrich: Marcion und sein Apostolos. Rekonstruktion und historische Einordnung der marcionitischen Paulusbriefausgabe. Berlin-New York: de Gruyter 1995. XVII, 381 S. gr.8 = Arbeiten zur neutestamentlichen Textforschung, 25. Lw. ¬ 118,00. ISBN 3-11-014695-9.

27) Ausdrücklich erinnert sei hier auch an die große Studie von B. Neuschäfer, Origenes als Philologe (SBA Heft 18, 1-2), Basel 1987, die unser Bild von Origenes um eine ganze Dimension bereichert hat.

28) T. C. Skeat, The Origin of the Christian Codex, in: ZPE 102, 1994, 263-268.

29) T. C. Skeat, The Oldest Manuscript of the Four Gospels, in: NTS 43, 1997, 1-34.

30) David Trobisch, Die Endredaktion des Neuen Testaments. Eine Untersuchung zur Entstehung der christlichen Bibel (NTAO 31), 1996. Die Forschung braucht die gründliche Stellungnahme eines Experten zu dieser Studie.

31) H. Y. Gamble, Books and Readers in the Early Church: A History of Early Christian Texts, New Haven-London 1995.

32) Bart D. Ehrman, The Orthodox Corruption of Scripture. The Effect of Early Christological Controversies on the Text of the New Testament, New York-Oxford 1993.

33) G. Stanton, The Fourfold Gospel, in: NTS 43, 1997, 317-346.

34) G. Stanton, art. cit., 340.

35) Martin Hengel, Die Evangelienüberschriften, in: SHAW.PH 3 (1984).

36) Ein wichtiges Zeugnis für die Rekonstruktion des Kanonisierungsprozesses ist traditionellerweise das sog. ,Muratorische Fragment'. Die Debatte um diese Quelle ist seit einiger Zeit durch den Versuch vorwiegend amerikanischer Forscher geprägt, das Fragment spät zu datieren, in das 4. Jh. Vgl. jetzt vor allem die Monographie von G. M. Hahnemann, The Muratorian Fragment and the Development of the Canon, Oxford 1992. Stanton, art.cit., 322-325 bietet eine kritische Diskussion der Thesen Hahnemanns und verteidigt mit guten Gründen die (traditionelle) Frühdatierung ins 2. Jh.

37) Köhler, Wolf-Dietrich: Die Rezeption des Matthäusevangeliums in der Zeit vor Irenäus. Tübingen: Mohr 1987. XVI, 605 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 24. Kart. ¬ 64,00. ISBN 3-16-145217-8.

38) T. Nagel, Die Rezeption des Johannesevangeliums im 2. Jh. Studien zur vorirenäischen Aneignung und Auslegung des vierten Evangeliums in christlicher und christlich-gnostischer Literatur (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, Bd. 2), Leipzig 2000. S. auch: M. Hengel, Die johanneische Frage (WUNT 67), Tübingen 1993, 9-95 - vgl. die Rezension zum Buch in ThLZ 119, (1994), 649.

39) Noormann, Rolf: Irenäus als Paulusinterpret. Zur Rezeption und Wirkung der paulinischen und deuteropaulinischen Briefe im Werk des Irenäus von Lyon. Tübingen: Mohr 1994. X, 585 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 66. Kart. ¬ 69,00. ISBN 3-16-146092-8.

40) Vgl. jetzt aber C. Looks, Das Anvertraute bewahren. Die Rezeption der Pastoralbriefe im 2. Jh., München 1999.

41) S. Andreas Lindemann, Paulus im ältesten Christentum. Das Bild des Apostels und die Rezeption der paulinischen Theologie in der frühchristlichen Literatur bis Marcion (BHTh 58), Tübingen 1979. - Als katholischer Beitrag aus jüngerer Zeit ist zu erwähnen: E. Dassmann, Der Stachel im Fleisch. Paulus in der frühchristlichen Literatur bis Irenäus, Münster 1979.

42) Vgl. W. Kinzig, "... natum et passum etc." Zur Geschichte der Tauffragen in der lateinischen Kirche bis zu Luther, in: W. Kinzig/C. Markschies/M. Vinzent, Tauffragen und Bekenntnis. Studien zur sogenannten ,Traditio' ,Apostolica', zu den ,Interrogationes de fide' und zum römischen Glaubensbekenntnis (AKG 74), Berlin-New York 1999, 75-183.

43) Vgl. M. Vinzent, Die Entstehung des ,Römischen Glaubensbekentnisses', in: W. Kinzig/C. Markschies/M. Vinzent, a. a. O. (s. vorige Anmerkung), 185-409. Kinzig deutet in seinem Beitrag (s. vorige Anmerkung) eine mögliche Brücke zur Vinzentschen Hypothese an.

44) Folgende Titel liegen mir vor:

Niederwimmer, Kurt: Die Didache. 2., erg. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1993. 334 S. gr.8 = Kommentar zu den Apostolischen Vätern, 1. Lw. ¬ 64,00. ISBN 3-525-51677-0.

Buschmann, Gerd: Das Martyrium des Polykarp. Übers. u. erkl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998. 452 S., 1 Falttab. gr.8 = Kommentar zu den Apostolischen Vätern, 6. Lw. ¬ 84,00. ISBN 3-525-51681-9. Vgl. auch seine Monographie: Buschmann, Gerd: Martyrium Polycarpi. Eine formkritische Studie. Ein Beitrag zur Frage nach der Entstehung der Gattung Märtyrerakte. Berlin-New York: de Gruyter 1994. XIII. 363 S., 1 Falttab. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 70. Lw. ¬ 94,00. ISBN 3-11-014199-X.

Von den jüngsten Monographien zu den Apostolischen Vätern sei besonders hervorgehoben: Carleton-Paget, James: The Epistle of Barnabas. Outlook and Background. Tübingen: Mohr 1994. XI, 319 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 64. Kart. ¬ 44,00. ISBN 3-16-14661-4.

Hinzuweisen ist weiterhin auf: Lona, H. E.: Der erste Clemensbrief (KAV 2), Göttingen 1998; Bauer, J. B.: Die Polykarpbriefe (KAV 5), Göttingen 1995, und Brox, N.: Der Hirt des Hermas (KAV 7), Göttingen 1991.

45) Ich benutze im Folgenden die geordnete Stellensammlung bei O. Böcher, Christus Exorcista, Dämonismus und Taufe im Neuen Testament, Stuttgart u. a. 1972, 63-65.

46) Zur philosophischen Doxographie, vgl. J. Mansfeld in: K. Algra/J. Barnes/J. Mansfeld/M. Schofield, The Cambridge History of Hellenistic Philosophy, Cambridge 1999, 17-25.

47) A. Le Boulluec, La notion d'hérésie dans la littérature grecque, IIe-IIIe siècle (Études Augustiniennes), Paris 1985. Vgl. weiterhin: N. Brox, Häresie, in: RAC 13, 1984, 248-297; A. Schindler, Häresie II. Kirchengeschichtlich, in: TRE 14, 1985, 318-341.

48) A. Le Boulluec (s. vorige Anmerkung), 554.

49) Vgl. Charles Munier, Les conceptions hérésiologiques de Tertullien, in: V. Saxer (Hg.), Mélanges Hamman, Rom 1980.

50) Man sollte auch nicht vergessen, dass die christliche häresiologische Doxographie von islamischen Autoren teilweise übernommen und fortgeschrieben wurde.

51) Einen Eindruck von dem überwältigenden Reichtum des Stoffes bietet z. B. Antonio Orbe, Introduccion a la teologia de los siglos II y III, Bd. I-II (AnGr 248), Rom 1987. Das Werk Orbes geht den dogmatischen Loci in heilsgeschichtlichem Aufriss entlang; es ist mehr Nachschlagewerk als erzählte Theologiegeschichte.

52) Hilfreich ist in diesem Zusammenhang die von Michael Allen Williams formulierte Kritik am Gnostizismusbegriff (Rethinking 'Gnosticism'. An Argument for Dismantling a Dubious Category, Princeton/N. J. 1996). Vgl. auch C. Scholten, Probleme der Gnosisforschung: alte Fragen - neue Zugänge, in: IKZ Communio 26, 1997, 481-501.

53) D. h. der Forschung seit ca. 1980. Natürlich bin ich nicht der Ansicht, dass damit die ältere Forschung obsolet ist.

54) K. Greschat, Apelles und Hermogenes. Zwei theologische Lehrer des 2. Jh.s (VigChr.S XLVIII), Leiden 2000.

55) J. Teixidor, Bardesane d'Edesse. La première philosophie syriaque (Patrimoines Christianisme), Paris 1992; H. J. W. Drijvers, Bardaisan's Doctrine of Free Will, the Pseudo-Clementines and Marcionism in Syria, in: G. Bedouelle/O. Fatio [Hrsg.], Liberté chrétienne et libre arbitre, Fribourg 1994, 13-330; A. Camplani, Rivisitando Bardesane, in: CRSt 19, 1998, 519-596 (methodisch umsichtig).

56) W. A. Löhr, Basilides und seine Schule (WUNT 83), Tübingen 1996; ders., Isidor I (Gnostiker), in: RAC 18, 1998, 977-982; Y. Tissot, A propos des fragments de Basilide sur le martyre, in: RHPhR 76, 1996, 35-50; B. Aland, Seele, Zeit, Eschaton bei einem frühen christlichen Theologen. Basilides zwischen Paulus und Platon, in: J. Holzhausen [Hrsg.], Psyche, Seele, Anima (FS für Karin Alt zum 7. Mai 1998), Stuttgart-Leipzig 1998, 255-278.

57) A. Camplani/E. Prinzivalli, Sul significato dei nuovi frammenti siriaci dei 'Capitula adversus Caium' attribuito a Ippolito, in: Augustinianum 38, 1998, 49-82.

58) G. May, Hermogenes - ein frühchristlicher Theologe zwischen Platonismus und Gnosis, in: StPatr 15 (Berlin 1984), 461-473; F. Chapot, Tertullien, Contre Hermogène (SC 439), Paris 1999; K. Greschat (s. Anm. 54).

59) O. Skarsaune, The Proof from Prophecy. A Study in Justin Martyr's Proof-Text Tradition: Text-Type, Provenance, Theological Profile (Supplements to NovTest LVI), Leiden 1987; M. J. Edwards, Justin's Logos and the Word of God, in: Journal of Early Christian Studies 3,3, 1995, 261-280.

60) S. Gerber, Calixt von Rom und der monarchianische Streit, in: ZAC 5, 2001, 213-239.

61) C. Markschies, Kerinth: Wer war er und was lehrte er? in: JAC 41, 1998, 48-76; C. E. Hill, Cerinthus, Gnostic Or Chiliast? A New Solution to an Old Problem, in: Journal of Early Christian Studies 8, 2000, 135-172.

62) W. A. Löhr, Epiphanes' Schrift ,Peri dikaiosynes', in: H. C. Brennecke u. a. [Hrsg.], Logos. FS Luise Abramowski (BZNW 67), Berlin-New York 1993, 12-29; ders., Karpokratianisches, in: VC 49, 1995, 23-48.

63) G. May, Marcion in Contemporary View: Results and Open Questions, in: The SecCen 6,1 (1987/1988), 129-151; ders., Der Streit zwischen Petrus und Paulus in Antiochien bei Markion, in: W. Homolka/O. Ziegelmeier, Von Wittenberg nach Memphis (FS R. Schwarz), Göttingen 1989, 204-211; ders., Markion und der Gnostiker Kerdon, in: Evangelischer Glaube und Geschichte. FS G. Mecenseffy, Wien 1989, 233-246; B. Aland, Marcion/Marcioniten, in: TRE 22, 1992, 89-101. Die Publikation der Beiträge zum Markion-Symposium, das von G. May im August 2001 in Mainz versammelt wurde, steht zu erwarten.

64) N. Förster, Marcus Magus. Kult, Lehre und Gemeindeleben einer valentinianischen Gnostikergruppe. Sammlung der Quellen und Kommentar (WUNT 114), Tübingen 1999.

65) I. Ramelli, L'apologia siriaca di Melitone ad 'Antonio Cesare': osservazioni e traduzione, in: Vetera Christianorum 36, 1999, 259-286.

66) W. A. Löhr, La doctrine de Dieu dans la lettre à Flora de Ptolémée, in: RHPhR 75, 1995, 177-191; ders., Ptolemäus, in: TRE 27, 1997, 699-702.

67) W. A. Löhr, Theodotus der Lederarbeiter und Theodotus der Bankier - ein Beitrag zur römischen Theologiegeschichte des 2. und 3. Jh.s, in: ZNW 87, 1996, 101-125.

68) C. Markschies, Valentinus Gnosticus? (WUNT 65), Tübingen 1992.

69) Vgl. C. Markschies, Valentinian Gnosticism: Toward the Anatomy of a School, in: J. D. Turner/A. McGuire, The Nag Hammadi Library after Fifty Years. Proceedings of the 1995 Society of Biblical Literature Commemoration (Nag Hammadi and Manichean Studies XLIV), Leiden 1997, 401-438. - Vgl. zum Thema auch U. Neymeyr, Die christlichen Lehrer im zweiten Jahrhundert. Ihre Lehrtätigkeit, ihr Selbstverständnis und ihre Geschichte (VigChr.S 4), Leiden-Köln 1989.

70) C. Markschies, New Research on Ptolemaeus gnosticus, in: ZAC 4, 2000, 225-254.

71) Vgl. nur P. Donini, L'anima, le scuole, l'impero, La filosofia antica da Antioco a Plotino, Turin 1982; J. Hahn, Der Philosoph und die Gesellschaft, Selbstverständis, öffentliches Auftreten und populäre Erwartungen in der hohen Kaiserzeit (Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien 7), Stuttgart 1989; M. Lakmann, Der Platoniker Tauros in der Darstellung des Aulus Gellius (Philosophia Antiqua LXIII), Leiden-New York-Köln 1995. Eine Fundgrube ist auch die jüngst erschienene französische Übersetzung des Diogenes Laertius, s. M.-O. Goulet-Cazè (u. a.), Diogène Laerce, Vies et Doctrines des Philosophes Illustres (Classiques Modernes), 1999 sowie das mittlerweile dreibändige, von R. Goulet herausgegebene ,Dictionnaire des Philosophes Antiques'.

72) S. dazu vor allem die Studien des Ehepaars Hadot, vgl. u. a.: I. Hadot, Seneca und die griechisch-römische Tradition der Seelenleitung (QSGP 13), Berlin 1969; P. Hadot, Exercices spirituels et philosophie antique, Deuxième Edition révue et augmentée (Études Augustiniennes), Paris 1987. Wichtigen Aufschluss über seine wissenschaftlichen Arbeiten gibt P. Hadot jetzt in einem als Buch veröffentlichten Interview, P. Hadot/ J. Carlier, La philosophie comme manière de vivre, Paris 2001. - Vgl. jetzt auch die für die FS Karl Hoheisel vorgesehene Studie von C. Scholten, Psychagogischer Unterricht bei Origenes. Ein Ansatz zum Verständnis des ,Sitz im Leben' der Entstehung von frühchristlichen theologischen Texten (ich danke für die Überlassung des Manuskriptes).

73) C. Scholten, Die alexandrinische Katechetenschule, in: Jb AC 38 (1995).

74) Vgl. dazu G. Schöllgen, Tempus in collecto est, in: JAC 27/28, (1984/85), 74-96; ders., Montanismus, in: LThK 7 (1998), 434-436.