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Ausgabe:

Februar/2002

Spalte:

220–222

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Böhnke, Michael

Titel/Untertitel:

Einheit in Mehrursprünglichkeit. Eine kritische Analyse des trinitarischen Ansatzes im Werk von Klaus Hemmerle.

Verlag:

Würzburg: Echter 2000. 296 S. gr.8 = Bonner dogmatische Studien, 33. Kart. ¬ 19,90. ISBN 3-429-02266-5.

Rezensent:

Barbara Hallensleben

Als Klaus Hemmerle während der Vorbereitung seiner Habilitation über Schelling gefragt wurde, weshalb er vormittags beim Spazieren gehen statt an seinem Schreibtisch anzutreffen sei, antwortete er: "Weißt du, ich schaue mir morgens das Inhaltsverzeichnis an. Dann gehe ich spazieren und überlege mir, was der Schelling wohl geschrieben hat, und abends schaue ich, ob das auch stimmt" (Hagemann, Biografische Notizen ..., Münster 2000, 67). In dieser Hinsicht ist Böhnke seinem Gesprächspartner kongenial: In seiner Habilitationsschrift, die im Wintersemester 1999/2000 von der Kath.-Theol. Fakultät Münster angenommen und von Thomas Pröpper und Jürgen Werbick begutachtet wurde, zeichnet der jetzige Abteilungsleiter für Grundsatzfragen im Bischöflichen Generalvikariat Aachen die Gedanken Hemmerles nicht nur nach. Er versucht zu denken, was Hemmerle denkt, ja er will es besser und konsequenter denken. Zu bedenken gilt es die "Thesen zu einer trinitarischen Ontologie", die Hemmerle anhand des von ihm geprägten Begriffs der "Mehrursprünglichkeit" 1976 "aus Anlaß des 70. Geburtstages des Theologen Hans Urs von Balthasar und von ihm mit inspiriert" (12 f.) entwarf. Balthasar sorgte für die Veröffentlichung der Thesen und knüpfte in seiner Theodramatik (IV, 53-95) zustimmend daran an. Die kleine Schrift wurde innerhalb von zwei Tagen während eines Migräneanfalls "auf dem Sofa liegend" diktiert (53, Anm. 107), um - mit Erfolg! - die Kopfschmerzen des Autors zu vertreiben. Sie gilt als ",Kernstück' der religionsphilosophischen und fundamentaltheologischen Schriften von Klaus Hemmerle" (14). Dieser verbindet damit den selbstbewussten Anspruch, das neuzeitliche Subjektverständnis zu revidieren, die Zeichen der Zeit als Epochenumbruch zu deuten und ein neues Denken "mit epochebildender Kraft" (35) bereitzustellen.

Hemmerle entwickelt seine trinitarische Ontologie als Phänomenologie der Liebe. Sie setzt an "beim dreifaltigen Geheimnis Gottes, das uns im Glauben offenbar ist. Das Geheimnis dieses Geheimnisses heißt Liebe, Sich-Geben. Von hier aus aber schließt sich alles Sein, alles Denken, alles Geschehen in seiner Struktur auf ... Das Denken selbst lernt sich bei dieser ,Phänomenologie' neu, es wird verwandelt, indem es Mitgang mit dem Gang des Sich-Gebens, mit dem Gang der Liebe wird. Das Denken entdeckt dabei, daß gerade diese seine Ursprünglichkeit, seine Unmittelbarkeit, sein Eigenes ist" (Thesen, 54). Dieses Denken gibt dem unableitbar Neuen Raum und steht unter dem "Primat der Begegnung" (66 f.). Es gewährt dem Anderen unbedingt den Vorrang und erschöpft sich nicht in der Gegenseitigkeit des Ich und Du, sondern vollzieht sich "als gemeinsame Öffnung und Zuwendung zu einem Dritten" (75). So spekulativ diese Gedanken entfaltet werden, so liegt das eigentliche Interesse Hemmerles doch in der Frage, "wie das trinitarische Leben Gottes im Leben des Menschen geht" (5). Die Bewährung ist nicht der Gedanke, sondern die gelebte Nachfolge als Weggemeinschaft.

B. ist nicht ohne Respekt für seinen Gesprächspartner - doch in zweierlei Hinsicht fällt seine Kritik radikal aus: 1. Das vermeintlich epochale Denkmodell sei nicht schlechthin neu, sondern in Anknüpfung an Martin Heidegger, Bernhard Welte, Richard von Sankt-Viktor, Bonaventura und von Balthasar, vor allem aber an die Strukturontologie von Heinrich Rombach entwickelt. 2. Schärfer wird der Einspruch, wo Hemmerles Gedanken "neuzeitlich bewährt" (102), d. h. als "mit der Selbstbestimmung des Denkens vereinbar" (110) erwiesen werden sollen. Nach B. sind bei Hemmerle Freiheit und Denken in ihrer Reflexivität unterbestimmt (184 f., 201). "Die Frage nach der Instanz, von der her dieses Denkmodell formuliert worden ist, bleibt bei Hemmerle philosophisch unbeantwortet". Kurz: Die "Letztbegründung" fehlt (184)! Was genetisch aus der Offenbarung hergeleitet werde, könne seinen Geltungsanspruch rational nicht einlösen.

B. bietet großzügig Abhilfe an: Am Leitfaden von Hermann Krings, Thomas Pröpper und Johannes Heinrichs versucht er eine "diskursive Einlösung des programmatischen Anspruchs hinsichtlich neuzeitlicher Rationalität in der paradigmatisch geführten Freiheitsdiskussion" (269): Das Denkmodell der Mehrursprünglichkeit lasse sich in einer "transzendentalen Dialogik" vermitteln (207), die im Medium des "Zwischen" Subjektivität und Intersubjektivität versöhne. Das Denken aus dem Glauben an das Offenbarungsgeschehen müsse eingestehen, dass es seinen Gegenstand nicht "anders als in kritischer Exegese" empfange (170), da "der Gott Jesu nur durch diesen historischen Menschen zugänglich" sei (241). Der Vorteil des letztbegründenden Hemmerle liegt auf der Hand: Der Exodus aus der Neuzeit bleibt uns erspart. "Die Notwendigkeit, Freiheit epochal neu zu denken, mußte verneint werden" (269). Das Angebot ist mit einer Sanktion verbunden: Bleibt Hemmerle bei seinem "naiven" Ansatz bei der Offenbarung, "müßte ihm - in letzter Konsequenz - die Theoriefähigkeit abgesprochen werden" (274).

Für B. behält die Reflexivität das letzte Wort: Selbstverwirklichung bleibt das Ziel, auch im Zugeständnis, dass der Weg über den Anderen führt. Für Hemmerle bleibt auch denkerisch die Kenose als "das Geschehen der Identität mit sich in der Weggabe von sich" (147) leitend und widersetzt sich jeder Letztbegründung als reflexivem Identitätsmodell. Hemmerle zeigt sich durchaus nicht als "naiv" in Bezug auf die radikalen Herausforderungen der Moderne. Durch Kant hat er sich bereits als Jugendlicher in Frage stellen lassen, und er selbst formuliert: "Der Geist setzt die Wahrheit, registriert sie nicht nur" (182). Sollte es am Ende so sein, dass Hemmerle nicht aus mangelnder Einsicht, sondern in der Konsequenz seines eigenen Denkens gar nicht in die Schule der "Letztbegründer" aufgenommen werden will? Dann würde sich gerade im Angebot der Rettung Hemmerles Kritik bewahrheiten: Die Andersheit des Anderen wäre aufgehoben. Das Denken ausgerechnet der "Mehrursprünglichkeit" wäre ein Monolog geworden.