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Ausgabe:

Februar/2002

Spalte:

218–220

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Leiner, Martin

Titel/Untertitel:

Gottes Gegenwart. Martin Bubers Philosophie des Dialogs und der Ansatz ihrer theologischen Rezeption bei Friedrich Gogarten und Emil Brunner.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/ Gütersloher Verlagshaus 2000. 301 S. 8. Kart. ¬ 34,95. ISBN 3-579-02666-6.

Rezensent:

Michael Weinrich

Der Untertitel dieser Mainzer Habilitationsschrift klingt nicht besonders vielversprechend, denn weder im Blick auf den Personalismus von Friedrich Gogarten noch auf den von Emil Brunner kann Martin Buber als die zentrale Bezugsquelle angesehen werden. Auch der Versuch, nun noch einmal neu die Diskussion über Martin Buber zu eröffnen, anstatt den Personalismus als Ganzen in wissenssoziologischer Perspektive im Horizont der allseits empfundenen Grundlagenkrise anlässlich des katastrophalen Ausgangs des Ersten Weltkriegs kritisch zu würdigen, erscheint als Forschungsgegenstand (zumal für eine Habilitationsschrift) zunächst ein wenig provinziell. Und um schließlich noch einen dritten Vorbehalt zu benennen: Die selbstverständliche methodische Beschränkung auf geistesgeschichtliche Rekonstruktionen repräsentiert einen recht traditionellen Zugang, dessen enge Begrenzungen auch längst für die systematische Theologie als problematisiert gelten sollten.

Doch diese drei fundamentalen Einwände werden weitgehend zerstreut, sobald man beginnt, nicht nur dem Titel und dem Inhaltsverzeichnis, sondern den Darlegungen selbst seine Aufmerksamkeit zu widmen. Indem Leiner seinen Analysen von vornherein eine fundamentaltheologische Perspektive unterlegt, wird das erkenntnisleitende Interesse erkennbar, das ihn veranlasst hat, mit den bisherigen Ergebnissen der Buberrezeption sowohl im Blick auf das Verständnis des Buberschen Werkes selbst als auch seiner Rezeption im Rahmen der christlichen Theologie nicht einfach zufrieden zu sein. L. sieht in den ontologischen Implikaten insbesondere des Buberschen Personalismus bisher nicht realisierte systematisch weiterführende Anregungen zu einem anspruchsvollen Wirklichkeitsverständnis für eine phänomenologisch orientierte Dogmatik, die sich nicht ihrer Aufgabe entzieht, in begründeter Weise von der Gegenwart Gottes zu reden. Damit verbindet sich insofern ein ,vermittlungs-theologisches' Interesse, als L. aufzuzeigen versucht, dass der Personalismus Bubers keineswegs einen radikalen Bruch mit dem Denken des 19. Jh.s vollzieht, sondern vielmehr als eine spezifische kritische Fortführung und somit Brücke dorthin anzusehen ist, mit deren Hilfe besser als bisher Einsichten des 19. Jh.s für das gegenwärtige Selbstverständnis der Systematischen Theologie nutzbar gehalten werden können. Das sind die beiden Grundimpulse, mit denen L. das bereits häufig gepflügte Feld erneut betritt und dabei auch für diejenigen bedenkenswerte Ergebnisse zu Tage fördert, die sich - wie der Rez. - weder von einer wie auch immer zu gestaltenden Phänomenologie noch von irgendwelchen philosophischen Grundierungen oder gar Synthesen tatsächlich Wegweisendes für die Theologie erwarten.

Im ersten Teil der Untersuchung weist L. auf, warum er die bisherige Buberforschung - insbesondere im Gefolge der viel beachteten Ergebnisse der Studie von Michael Theunissen - für defizitär hält. Die Teile II bis IV wenden sich der Interpretation des Werkes von Martin Buber zu, wobei sein Hauptwerk Ich und Du im Mittelpunkt steht. L. legt zunächst die geistesgeschichtlichen Voraussetzungen dar und stellt auf deren Hintergrund grundsätzliche Überlegungen zur Methode seiner Buberinterpretation an, aus denen sich dann die sachliche Konzentration auf die Hauptschrift Bubers plausibel ergibt, die ihn vor allem als eine sowohl begrifflich stringente als auch argumentativ konsistente Konstitutionstheorie von Wirklichkeit interessiert. In dieser Interpretation werden immer wieder mit Hilfe von begrifflichen Brücken Anknüpfungen bzw. Auseinandersetzungen mit geschichtlich zurückliegenden und zeitgenössischen Gesprächspartnern rekonstruiert, die Buber in seinen Darlegungen nur implizit zu erkennen gibt, und deshalb bisher weithin übersehen bzw. unterschätzt wurden. Das Ergebnis dieser Analyse ließe sich pointiert zusammenfassen in der These, dass Buber nicht über den Bruch mit der am Individuum orientierten Philosophie des 19. Jh.s angemessen verstanden werden könne, sondern sich dieser durchaus verpflichtet wusste, indem er sie mit seinem Konzept der Ich-Konstitution in einer Wirklichkeit, die ihrerseits erst in ihren gegenseitigen Beziehungen die Tiefe ihrer tatsächlichen Bestimmung aufscheinen lässt, ausgeweitet und realitätsnäher gemacht habe. In seiner Zusammenfassung ganz am Ende seiner Untersuchung formuliert L.: "Bubers Philosophie ist darauf bedacht und bis zu einem gewissen Grade auch dazu imstande, auf den Grundlagen der idealistischen Philosophie Auswege aus den Engführungen zu formulieren, die der Philosophie und Theologie seit Kant Schwierigkeiten bereiten." (279) Die Interpretation endet mit einem kurzen Ausblick auf die systematische Verhältnisbestimmung des Buberschen Personalismus zu anderen personalistischen Konzeptionen (Cohen, Rosenzweig, Ebner, Grisebach), der im Detail gewiss weiter präzisiert werden könnte, was aber das Resultat im Blick auf den besonderen Charakter der Konzeption von Martin Buber nicht wesentlich modifizieren würde.

Wenn L. schließlich auf Bubers Einfluss auf Gogarten und Brunner eingeht, konzentriert er sich vor allem darauf, dass sowohl Gogarten als auch Brunner je auf eigene Weise die von Buber unterstrichene Mutualität des Beziehungsverhältnisses zu Gunsten einer asymmetrischen Gegenseitigkeit aufgeben, um dem Motiv der Autorität einen grundlegenden Platz einräumen zu können. Damit wird aber der entscheidende Gewinn des Buberschen Personalismus, den L. in der Sache übrigens auch in anderer Weise bei Barth findet, verspielt. Bei Gogarten und Brunner spielt neben theologischen Gründen vor allem die Betonung des möglichst entschiedenen Bruchs mit dem neuzeitlichen Individualismus und somit auch der Tradition des Idealismus eine entscheidende Rolle, wodurch sie die Theologie auch von den Wahrheitsmomenten der von dieser Tradition geprägten Theologie abschneiden.

Damit ist bereits die über die Arbeit weit hinausgehende systematisch-theologische Perspektive von L. benannt, der sich für die Theologie eine Integration der beiden sich gegenseitig exklusiv zueinander verhaltenden theologischen Lehrtraditionen seit Schleiermacher erhofft. In Martin Buber sieht er einen auf Grund der in dieser Untersuchung aufgezeigten Missverständnisse nicht beachteten Weg vorgezeichnet, der diese beiden Lehrtraditionen in ein produktives Verhältnis zueinander setzen könnte, ohne zu der sachlich problematischen Möglichkeit des Kompromisses und somit der beiderseitigen Nivellierung greifen zu müssen. "Auf der Basis seiner [sc. Bubers] Ich-Du-Philosophie ist es möglich, die philosophischen Evidenzen der Schleiermacherschen Selbstbewußtseinstheorie mit einer Theologie des Wortes Gottes zu verbinden." (281) "Ist die Denkform der Zwiefältigkeit anerkannt, so kann man von der Christologie aus zu allgemeinen Aussagen über das Verhältnis einer Theologie des Wortes Gottes und einer Theologie der Frömmigkeit gelangen. ... Schleiermachers Theologie der Frömmigkeit würde dann das tendenziell zur Ich-Es-Beziehung gehörende Konstituiertsein von Glaube bedenken, während die Dialektische Theologie das als Ich-Du-Begegnung zu beschreibende Konstituiertwerden des Glaubens zu ihrem Ausgangspunkt gemacht hat." (282 f.)

Indem der damit angedeutete Weg jedoch trotz der eingeräumten Notwendigkeit seiner spezifisch christlichen Aneignung im Rahmen dieser Untersuchung zunächst nur im Horizont fundamentaltheologischer Vorüberlegungen aufscheint, bleibt die inhaltliche Durchführung mit Spannung zu erwarten. Wenn es sich um mehr als um ein integratives theologiepolitisches Konzept handeln soll, wie es mit vergleichbaren Absichten in der neuzeitlichen Theologiegeschichte bereits mehrfach aufgetreten ist, kann die Skepsis, die dieser Perspektive entgegenschlagen wird, nicht allein auf der Ebene der Fundamentaltheologie ausgeräumt werden. Zweifellos hat L. mit seiner überaus anregenden Untersuchung einen gewichtigen Stein ins Wasser geworfen, und es wird sich in der Aufnahme seiner Anregungen erweisen müssen, wie weit die von ihm aufgebrachten Wellen in der theologischen Auseinandersetzung dann tatsächlich schlagen werden.