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Ausgabe:

Februar/2002

Spalte:

215–217

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Lehtonen, Tommi, and Timo Koistinen [Eds.]

Titel/Untertitel:

Perspectives in Contemporary Philosophy of Religion.

Verlag:

Helsinki: Luther-Agricola-Society 2000. 255 S. 8 = Schriften der Luther-Agricola-Gesellschaft, 46. Pb. FM 120,00. ISBN 951-9047-53-0.

Rezensent:

Hans-Peter Großhans

Der Aufsatzband dokumentiert die Vorträge einer internationalen Tagung, die eine Forschungsgruppe der finnischen Akademie der Wissenschaften unter Leitung von Simo Knuuttila 1998 in Helsinki zum Thema "Philosophy of Religion: What It Is and What It Should Be" organisiert hatte.

Die Beschreibung des Ist-Zustands der angloamerikanischen Religionsphilosophie steht im Vordergrund der Beiträge von Peter Byrne (London) über "Contemporary Philosophy of Religion in Britain" (9-30), von Nicholas Wolterstorff (Yale) über "Analytic Philosophy of Religion: Retrospect and Prospect" (152-170) und von Timo Koistinen (Helsinki) über "The Aims and Methods of Analytically Oriented Philosophy of Religion" (220-230). Insbesondere Koistinen präsentiert einen gelungenen Überblick über die bedeutendsten Ansätze und Strömungen der angloamerikanischen analytischen Religionsphilosophie der letzten zwanzig Jahre. Byrne beschreibt vor allem die faktische Situation der Religionsphilosophie an den britischen Universitäten, während Wolterstorff philosophiegeschichtlich zu erläutern versucht, warum die Religionsphilosophie in den USA sich zu dem entwickelt hat, was sie in der Gegenwart nach seiner Überzeugung sinnvollerweise nur sein kann: nämlich eine auf den Einsichten der reformierten Epistemologie, wie sie vor allem von ihm, Alvin Plantinga und William P. Alston entwickelt wurde, gegründete Religionsphilosophie.

Aus einer ganz anderen Perspektive wird der Ist-Zustand der Religionsphilosophie von Simo Knuuttila (Helsinki) beschrieben, der in seinem Text über "Philosophers Dealing with Religious Matters" (211-219) den faktischen Umgang von Philosophen mit theologischen und religiösen Fragen zu charakterisieren versucht, indem er zum einen Philosophen, die sich mit mittelalterlicher Philosophie beschäftigen und zum andern Religionsphilosophen, die theologische oder religiöse Themen als solche untersuchen, in den Blick fasst.

In einer zweiten Gruppe von Texten steht die Frage nach der Aufgabe und dem Zweck der Religionsphilosophie im Mittelpunkt. So fragt Lars Hertzberg (Åbo) in "On the Difference that Faith Makes" (114-135) - mit Bezug vor allem auf Wittgenstein - nach dem Beitrag, den die Religionsphilosophie für die jeweilige konkrete Religion erbringen kann. Insbesondere diskutiert er die Frage, ob die Religionsphilosophie der einzelnen Religion zu einem kritischen Instrumentarium verhelfen kann, um Wahres und Falsches, Glaube und Aberglaube, Klares und Verwirrtes unterscheiden zu können.

Ein Beispiel für einen Beitrag der Religionsphilosophie zur kritischen Erörterung theologischer Konzeptionen stellt der Beitrag von Mikael Stenmark (Uppsala) dar zum Thema: "How should one do Religious Epistemology?" (136-151). Stenmark untersucht an vier Beispielen die für die jeweilige theologische Konzeption in Anspruch genommene Erkenntnistheorie und das dabei zu Grunde gelegte Verständnis von Rationalität, um zu zeigen, inwiefern eine religionsphilosophische Reflexion zur Präzisierung und Kritik der theologischen Arbeit beitragen kann. Auch Eberhard Herrmann (Uppsala) sieht in seinem Beitrag über "What Kind of Philosophy is Philosophy of Religion?" (171-186) die Aufgabe der Religionsphilosophie vor allem darin, zu einer kritischen Klärung der Begriffe der einzelnen Religionen bzw. der Lebensanschauungen ("views of life") beizutragen.

Die Frage, wie denn eine religionsphilosophische Untersuchung konkreter Lehren des Christentums oder anderer Religionen durchgeführt werden kann, steht im Mittelpunkt des Beitrags von Tommi Lehtonen (Helsinki) über "Punishment, Atonement and Merit in Modern Philosophy of Religion" (231-238). Dass über diese Frage große Unklarheit herrscht, zeigt L. an verschiedenen religionsphilosophischen - z. T. apologetischen, z. T. kritischen - Arbeiten zu den im Aufsatztitel genannten dogmatischen Themen, die nach seinem Urteil alle unter einer beträchtlichen methodologischen Blindheit leiden. Der Näherbestimmung eines religionsphilosophischen Grundbegriffs dienen "Some Remarks on Religious Emotions" (239-250) von Petri Järveläinen, der eine differenzierte Charakterisierung religiöser Affekte ausarbeitet, um den in der Religionsphilosophie häufig verwendeten Erfahrungsbegriff besser bestimmen zu können.

Ein sehr gelungener religionsphilosophischer Beitrag zur interreligiösen Problematik ist der Text von John Clayton (Boston) über "Religious Diversity and Public Reason" (187-210). Im Mittelpunkt von Claytons Erörterung steht das häufig gebrauchte Bild eines gemeinsamen Grundes, der im Verhältnis der Religionen zueinander zu identifizieren sei. Neben dem Hinweis auf die (unlösbare) Schwierigkeit, solch gemeinsamen Grund auszumachen und auf das (kaum zu bewältigende) Problem, für einen gemeinsamen Grund der verschiedenen Religionen auch gemeinsame Regeln etc. entwerfen zu müssen, zieht Clayton aus der liberalen Tradition der USA die Folgerung, dass es im Verhältnis der Religionen zueinander nicht um die Identifizierung eines gemeinsamen Grundes gehen kann, sondern um eine Klärung von zu verteidigender Differenz, mit der Absicht, zu einer Kooperation unterschiedlicher religiöser Interessen zur Erreichung pragmatisch definierter Ziele zu gelangen.

Die konzeptionelle Frage, was die Religionsphilosophie sein sollte, steht leider nur in zwei Texten des Sammelbandes im Vordergrund, die sich zudem nicht nur in den Bahnen analytischer Religionsphilosophie bewegen: nämlich in den Aufsätzen von Ingolf Dalferth über "Erkundungen des Möglichen. Perspektiven hermeneutischer Religionsphilosophie" (31-87) und von Eleonore Stump (St. Louis) über "Second-Person Accounts and the Problem of Evil" (88-113). Stump möchte die Alternative zwischen dem Standpunkt der ersten und der dritten Person bei der Erörterung religiöser Themen durch einen "second-person account" überwinden. Den von ihr in groben Zügen charakterisierten Standpunkt der zweiten Person verdeutlicht sie ausführlich an Texten des Hiob-Buches und durch eine Erörterung der Theodizeeproblematik.

Was religionsphilosophische Arbeit sein sollte und was sie im besten Sinne sein kann, das führt Ingolf Dalferth in dem mit Abstand anspruchvollsten Beitrag des Sammelbandes vor. Dalferth stellt unter dem Schlagwort einer hermeneutischen Religionsphilosophie einen ausführlichen programmatischen Vorschlag vor, wie Religionsphilosophie - auch in Abgrenzung zu Theologie und Religionswissenschaft - sinnvoll konzipiert und praktiziert werden kann. Was darunter genau zu verstehen ist, arbeitet Dalferth zum einen durch einen Vergleich mit dem theologischen Zugang zum Themenfeld Religion und zum andern durch eine Reflexion auf den Gottesbegriff im Horizont des "philosophischen Möglichkeitsdenkens" differenziert aus.

Wer sich über die analytisch orientierte Religionsphilosophie der Gegenwart, über ihre Themen, ihre Methode und die Bestimmung ihrer Aufgaben informieren will, findet in den meisten Texten des Sammelbandes reichlich Material und Stoff für Auseinandersetzungen.

Darüber hinaus verdienen unter konzeptionellen Gesichtspunkten ein oder vielleicht zwei Aufsätze besondere Beachtung, da sie programmatisch nach vorne weisen und in der Tat Perspektiven für die weitere religionsphilosophische Forschung eröffnen.