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Ausgabe:

Februar/2002

Spalte:

214 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Johannes Duns Scotus

Titel/Untertitel:

Über die Erkennbarkeit Gottes. Texte zur Philosophie und Theologie. Lateinisch-Deutsch. Hrsg. und übers. von K. Kraml, G. Leibold, V. Richter.

Verlag:

Hamburg: Meiner 2000. XXXII, 232 S. 8 = Philosophische Bibliothek, 529. Geb. ¬ 36,00. ISBN 3-7873-1544-6.

Rezensent:

Wolfhart Pannenberg

Duns Scotus ist durch seinen frühen Tod (1308), im Alter von knapp über vierzig Jahren, daran gehindert worden, seine Vorlesungen über die Sentenzensammlung des Petrus Lombardus, die er in Oxford und in Paris gehalten hat, zu einem regelrechten Kommentar (Ordinatio) auszubauen und zu veröffentlichen. Der von ihm hinterlassene, aber nicht in seiner eigenen Handschrift erhaltene Text (Opus Oxoniense) ist durch viele Zusätze und Erweiterungen sowohl von der Hand des Autors selbst als auch von Schülern sehr unübersichtlich. Darüber wird auch nach der seit 1950 von einer Kommission des Franziskanerordens veranstalteten kritischen Textausgabe (Editio Vaticana) weiter geklagt, obwohl diese Ausgabe viele sekundäre Erweiterungen ausgeschieden und als zusätzliche Texte dargeboten hat. Die Unübersichtlichkeit des Textes behindert bis heute im Lehrbetrieb der Universität die Beschäftigung mit dem Hauptwerk des franziskanischen Ordenslehrers, der durch seine Thesen die Folgezeit im Für und Wider tief und nachhaltig beeinflusst hat. Daher ist es sehr zu begrüßen, dass die Autoren des vorliegenden Bandes den Versuch gemacht haben, einige der wichtigsten Quaestionen aus den Vorlesungen zum ersten der vier Sentenzenbücher in einer lateinischen Textauswahl zusammen mit einer deutschen Übersetzung zugänglich zu machen. Die ausgewählten Textabschnitte betreffen - bis auf den letzten zum Begriff des freien Willens - durchweg Aspekte des Theologiebegriffs und der Gotteserkenntnis. Charakteristische und unumstrittene Positionen des Franziskanerlehrers können dadurch in seinen eigenen Worten studiert werden: die Lehre von der univoken, nicht nur analogen Anwendung unserer Begriffe in der Gotteserkennntis, die grundlegende Bedeutung der (unmittelbar aus der Erstursächlichkeit gefolgerten) Unendlichkeit Gottes für die Gotteslehre, die Lehre vom Primat des Willens gegenüber dem Intellekt, die Auffassung, dass der Begriff der Person in der Trinität nicht allein auf die Relationen begründet ist, durch die die Personen voneinander unterschieden sind. Vorangestellt sind Texte zum Theologiebegriff, nämlich zur Notwendigkeit einer übernatürlichen Lehre und zum Charakter der Theologie als praktischer Wissenschaft (im Gegensatz zur Auffassung Thomas von Aquins). Die Auswahl dieser Texte ist geeignet, eine gute Einführung in das Denken des doctor subtilis zu vermitteln.

Zur Beurteilung der Textgestaltung empfehlen die Autoren selbst, frühere Textausgaben und besonders die kritische Ausgabe der Editio Vaticana zum Vergleich heranzuziehen. Deren numerierte Textabschnitte (ebenso wie die der älteren Editionen von Wadding und Garcia) sind zu jeder Seite unter dem Text angegeben. Es ist allerdings nicht immer einfach, die Gründe für die nicht seltenen Abweichungen vom Wortlaut der Vatikanischen Ausgabe zu erkennen. Dass weite Passagen bei der Wiedergabe in diesem Band übergangen werden, vor allem bei der Diskussion der Einleitungsargumente der jeweiligen Quaestion und bei der oft sehr ausführlichen Darstellung und Kritik fremder Positionen zur jeweiligen Themafrage, ist angesichts der Zweckbestimmung der vorliegenden Publikation unvermeidlich, überdies an Hand der Verweise auf die Textnummern der Vatikanischen Edition leicht kontrollierbar. Die deutsche Übersetzung ist gut lesbar und gibt dabei den Gehalt des lateinischen Textes sorgfältig wieder. Unter dem lateinischen Text der jeweiligen Seite werden die im Text gegebenen Zitate aus Aristoteles, den Vätern und scholastischen Autoren, auch aus Avicenna und Averroes in einem kleinen Apparat identifiziert. Die sparsam bemessenen Anmerkungen der Herausgeber (201-213), vor allem zur Terminologie, sind hilfreich und könnten gern etwas zahlreicher sein. Am Schluss sind ein Stichwortverzeichnis sowie Wortindex und Namensindex beigefügt.

Den Autoren ist eine gute und vielseitige Textauswahl mit vorzüglicher Übersetzung gelungen, die zum Gebrauch im akademischen Unterricht hervorragend geeignet ist und dazu beitragen sollte, die Begegnung mit dem Denken des großen Franziskanerlehrers in seiner authentischen Gestalt zu erleichtern.