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Ausgabe:

Februar/2002

Spalte:

180 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pate, C. Marvin

Titel/Untertitel:

The Reverse of the Curse. Paul, Wisdom and the Law.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. XXII, 536 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 114. Kart. ¬ 64,00. ISBN 3-16-147286-1.

Rezensent:

Friedrich Wilhelm Horn

Die Besprechung dieses umfangreichen und stark systematisierenden Werks muss sich auf die Hauptthese konzentrieren. Ein knapper Überblick über die Paragraphen des Inhaltsverzeichnisses mag anzeigen, was Pate zusätzlich behandelt und wie er das Material einordnet:

Chapter I: Wisdom, Law, and the Deuteronomistic Tradition: Theocratic Interpretations; Chapter II: Wisdom and Law in Diaspora Judaism: Apologetic Interpretations; Chapter III: Wisdom and Law in Jewish Apocalypticism; Chapter IV: Apocalyptic, Sectarian Interpretations of Wisdom and Law: 1 Enoch and the Dead Sea Scrolls; Chapter V: Wisdom and Law according to the Pre-Christian Paul: A Theocratic Interpretation; Chapter VI: The Apostle Paul's Disassociation of Wisdom and Law in Galatians: An Apocalyptic, Sectarian Interpretation; Chapter VII: The Reverse of the Curse: Wisdom Versus Law in Other Pauline Letters; Chapter VIII: Christian Apocalyptic Interpretations of Wisdom and Law: The Judaizers and Matthew; Chapter IX: Christian Apologetic Interpretations of Wisdom and Law: Luke-Acts and James. Zusätzlich bietet P. noch drei Appendices: a) A Critique of Craig C. Hill's, Hellenists and Hebrews; b) Covenantal Nomism and Paul's Qualitative Critique of the Law; c) The Tübingen School Revisited. Eine umfangreiche Bibliographie (445-479) und Indices schließen den Band ab.

P. sucht folgenden Nachweis zu erbringen: Die negative Sicht des Gesetzes in den paulinischen Briefen und die positive Hinwendung des Apostels zu den Heiden sind direkte Folgen der Entscheidung, gegen die bislang bestimmende jüdische Tradition die Identifikation der Weisheit Gottes mit der Thora aufzugeben und die Weisheit Gottes nun exklusiv mit dem Kreuz Christi zu verbinden. Jegliche positive Wertung der Thora ist daher im paulinischen Denken an ein Ende gekommen, die deuteronomischen Zuordnungen von Fluch und Segen sind aufgehoben bzw. auf die Heiden ausgeweitet, folglich ist mit dem Ende der auf Israel bezogenen Thora zugleich ein Heilsuniversalismus eröffnet.

Man muss anerkennen, dass die Zuordnung der Größen Weisheit - Thora - Christus in der Forschung bislang vernachlässigt worden ist, sehen wir einmal von dem Werk E. J. Schnabels, 'Law and Wisdom from Ben Sira to Paul', 1985, ab. P. hat nicht nur die Quellenlage ausgehend von der jüdischen Literatur erneut abgeschritten, sondern auch die gegenwärtige Paulusforschung umfassend wahrgenommen, sie in Seiten überschreitenden, langen Anmerkungen ausführlich zu Wort kommen lassen und sich in fairer und auch Nuancen beachtender Weise mit ihr auseinander gesetzt. Gleichwohl führen seine Ausführungen in eine Zeit der Paulusinterpretation zurück, die durch eine strikte Antithese zum Judentum gekennzeichnet ist. Der Rez. hat den Eindruck, dass diese Antithese für P. systematisch-theologisch vorgegeben war, nicht aber notwendig Folge der exegetischen Arbeit gewesen ist. Schon im Vorwort wird die Berufung des Paulus als Bekehrung angesprochen, und mit dieser wiederum werden theologische Sachentscheidungen unmittelbar und notwendig verbunden: "His Damascus Road conversion could lead him to do no other" (VII). P. bündelt seine exegetische Arbeit stets in prägnante, systematisierende Alternativen: nomism - fideism, particularism - universalism. Und er findet einen Widerhall der urchristlichen Debatten in der Kirchengeschichte: "Melanchthon and his proposed tertiary usage of the law is to Luther what Luke was to Paul" (407). "What Werner Elert proclaims about Luther we believe could be just as well said of Paul" (419).

Letztlich konzentriert sich P.s Interesse auf diesen sog. tertius usus legis, den nach seiner Sicht Melanchthon und Calvin in ihrer Zeit gelehrt (408) und den die sog. 'new perspective on Paul' in mindestens vier unterschiedlichen Formen erneut in die Theologie des Paulus eingetragen hat: a) Sanders, Dunn u. a. erkennen bei Paulus einen covenantal nomism; b) Schnabel u.a. halten an einer positiven Zuordnung von Weisheit und Thora auch für die Christen fest; c) Gaston u. a. sprechen für ein Modell von zwei Bundesordnungen, für Juden in der Thora, für Christen im Glauben; d) Stuhlmacher, Hafemann u. a. erkennen die Möglichkeit der geistgewirkten Gesetzeserfüllung durch Christen. Ihnen allen gegenüber hält P. fest, dass die Thora bei Paulus ausschließlich negativ gesehen wird (11) und dass in Tod und Auferweckung Christi die Thora an ihr Ende gekommen ist (171 u. ö.).

Blicken wir auf P.s Exegese weniger paulinischer Belege, die in der Regel für die Annahme eines tertius usus legis herangezogen werden. P. interpretiert Röm 8,4 als Erfüllung des Gesetzes durch Christus, welche den Glaubenden auf Grund ihrer Christusgemeinschaft zukommt (267). In Röm 13,8-14 werde die Thora durch die Liebe ersetzt (271). Gal 5,3 zeige an, dass die Thora unteilbar sei, folglich eine Unterordnung der Christen unter ihren ethischen Teil bei gleichzeitiger Befreiung vom zeremoniellen Teil ausgeschlossen sei. In Gal 5,14; 6,2 sei das Liebesgebot bzw. das Gebot des Christus nicht Teil der Thora, sondern ihr als eschatologisches Gesetz entgegengestellt (205). Würde hier exegetisch anders argumentiert werden, "it would be damaging to our thesis that Paul believed the role of the Torah is ended" (204). Die Zitation der Dekaloggebote in Röm 13,8-10 wird von P. dahingehend paraphrasiert, dass diese Gebote eben von denjenigen, die Vertrauen auf Christus und nicht auf die Thora setzen, gehalten werden, und dass diese Gebote der Thora in neuem Kontext aufzunehmen sind, da sie in der Liebe zusammengehalten werden (270).

Die Paulus-Forschung hat bislang mehrheitlich an einer positiven, wenngleich reduzierten ethischen Funktion der Thora im Leben der Christen, auch der Heidenchristen, festgehalten, sofern die Voraussetzung im Blick war, dass für Paulus die Bindung an das Alte Testament und die Thora durch Christus dialektisch gebrochen ist. Nicht nur die sog. 'new perspective on Paul' hat dies in unterschiedlicher Weise aufgenommen, sondern auch Paulus-Forscher wie P. Stuhlmacher (vgl. 428, Anm. 90), die dieser Bewegung nicht zuzurechnen sind. P. hält ihnen vor, dass die Kontinuität zur Thora aufrecht erhalten wird. In der Paulus-Forschung war das Recht des reduktionistischen Verfahrens auf die ethische Seite der Thora strittig (vgl. einerseits Gal 5,3, andererseits aber die ethischen Akzentsetzungen im hellenistischen Judentum). Aber auch die Zuordnung des Liebesgebots zur (reduzierten) Thora verlangte nach einer theologisch plausiblen Kategorie, sei es im Sinne einer Zusammenfassung, einer Erfüllung oder einer Hauptforderung der Thora. In der gegenwärtigen Forschung ist diese Diskussion keinesfalls abgeschlossen. Karin Finsterbusch hat in ihrer Dissertation "Die Thora als Lebensweisung für Heidenchristen", Göttingen 1996, eine von P. grundsätzlich abweichende Sicht vorgelegt, wie schon der Titel ihrer Arbeit anzeigt.

In P.s Arbeit ist die systematisierende Absicht dominant und die Klärung etlicher fundamentaler Begriffe, auch des Begriffs der Weisheit Gottes, unabgeschlossen. Die Frage des tertius usus legis hingegen ist erneut angestoßen. Die Diskussion über seine biblische Grundlage, seinen Umfang und sein Verhältnis zu Glaube und Rechtfertigung wird an P.s Buch nicht vorbeigehen können.