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Ausgabe:

Februar/2002

Spalte:

173 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Böttrich, Christfried

Titel/Untertitel:

Petrus. Fischer, Fels und Funktionär.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2001. 288 S. m. 20 Abb. 8 = Biblische Gestalten, 2. Kart. ¬ 14,50. ISBN 3-374-01849-1.

Rezensent:

Rudolf Pesch

Christfried Böttrich legt in diesem ausgezeichnet lesbarenTaschenbuch das Ergebnis eines "Abenteuers" vor, auf das er sich im WS 1999/2000 mit seinem Hauptseminar an der Theologischen Fakultät Leipzig eingelassen hatte. Er hat es herausragend bestanden! Es gibt kein vergleichbar zuverlässiges Petrusbuch aus der Feder eines evangelischen Theologen. Die konfessionellen Scheuklappen sind - bis auf einen inkonsequenten Rest - fast ganz abgelegt. Ein begründetes Zutrauen zur historischen Überlieferungsqualität neutestamentlicher Berichte ist wiedergewonnen.

Petrus tritt "als Anhänger Jesu von Nazaret" (Teil 1) und "als Gestalt der frühen Christenheit" (Teil 2) deutlich in das Licht einer nuancierten Schilderung - und seine "Wirkung" (Teil 3) ist auch angemessen ausführlich zur Darstellung gekommen. Mit Recht stellt B. fest: "Der Schlüsselmann ist zur Schlüsselfigur für kirchliche Autorität überhaupt geworden" (9) - und dies nicht erst in der Wirkungsgeschichte seines Lebens, sondern in seinem Leben selbst. Die neutestamentlichen Texte ermöglichen zwar "keine zusammenhängende Biographie", bieten jedoch "wichtige Mosaiksteine für ein ausreichend differenziertes Bild des Fischers Simon vom See Gennesaret" (15), für ein "Porträt in seinen wichtigsten Konturen" (26). B. veranschlagt nicht nur den Quellenwert der Evangelien, sondern auch den der Apostelgeschichte "höher als in früheren Zeiten" (22) - und das wirkt sich z. B. in folgenden wichtigen Urteilen aus: Petrus stößt zusammen mit seinem Bruder Andreas und seinem Landsmann Philippus aus dem Kreis um Johannes den Täufer zu Jesus; "diese Konstellation hat viel an historischer Wahrscheinlichkeit für sich" (51). Petrus ist der erste im Zwölferkreis; und die "Wahl eines Kreises mit der Symbolzahl Zwölf läßt sich am einleuchtendsten als Zeichenhandlung Jesu verstehen, der sich bewußt an das Zwölfstämmevolk Israel gesandt wusste" (61). "Die Autorität des Petrus im Zwölferkreis hat also ihre Wurzeln bereits in der Anfangsphase seiner Jesusnachfolge" (62). Petrus ist als "Mann der ersten Stunde der geborene Garant der Jesusüberlieferung" (71), und auf Grund seiner bisherigen Stellung "fiel ihm auch nach Ostern zentrale Leitungsverantwortung zu" (81), die freilich eingebunden ist "in das kollegiale Miteinander der anderen Jünger Jesu" (87). Es wäre deshalb "sicher falsch, die exponierte Stellung des Petrus nur als eine Rückprojektion seiner Leitungsfunktionen nach Ostern in die Geschichte der Jesusbewegung zu verstehen" (96) oder Jesu Auftreten, seinen Taten und Worten, "messianische Züge" abzusprechen: "Ohne Frage prägten messianische Züge sein Selbstverständnis insofern, als er mit der Botschaft von der Gottesherrschaft eine grundsätzliche Wende ansagte, die Gegenwart als Zeit der Freude und des Heils für die Armen propagierte und für die Sammlung des Gottesvolkes Israel warb" (105). Und entsprechend ist Petrus "in der Nachfolge bereits eine tiefere Wahrnehmung der Person Jesu zuteil geworden" (111), und zu Ostern gewann er "entscheidenden Anteil an der Bewältigung der neuen Situation" (129), aus der "Wucht einer Anfangserfahrung" (140), seiner Ostererfahrung, welche "die Gestalt einer individuellen Beauftragung hatte" (143). Auch wäre es falsch, die Petruspredigten der Apostelgeschichte "rundheraus als freie Erfindungen abzutun" (153), ebenso seine Initiativen bei der Eröffnung der Heidenmission (171). Er steht "mit seinen eigenen missionarischen Erfahrungen den Antiochenern sehr viel näher" (201) als den Jerusalemern unter Jakobus. Und auch im Konflikt mit Paulus liegen sie "näher beieinander, als es scheint ... Petrus ist in dieser Situation gerade nicht der wankelmütige Charakter, der nicht weiß, was er will, der Umfaller, Leugner und Kleingläubige. Er unternimmt vielmehr - an seine Verpflichtung erinnert - den schwierigen Versuch einer Vermittlung zwischen jüdischer Identität und dem neuen Status des Glaubens an Christus" (207). Auch ",Krafttaten' sind als Teil seiner Tätigkeit von Anfang an überliefert worden" (183).

Angesichts dieser konsequenten und stimmigen Zeichnung der Petrusfigur überrascht am Ende - nach der Herausarbeitung der Petrusbilder, die den Typus des Jüngers und Apostels prägen- die rasche Konstatierung eines "Negativbefund[s]: Die Überordnung des Petrus im Sinne einer besonderen Jurisdiktions- oder Lehrvollmacht findet im Neuen Testament keinen Haftpunkt" (275 f.). War doch zuvor von seiner "Leitungsverantwortung" (81, 143), seiner "organisatorischen Hauptverantwortung" (145), seiner "Visitationsverantwortung" (157), seiner "Amtsautorität" (79) u. a. m. die Rede, sogar davon: In Mt 16,16 ff. "wird Petrus deutlich ausgezeichnet - sei es als Offenbarungsträger, als Gründergestalt oder als Inhaber besonderer Befugnisse" (66).

Neben historischen Einzelfragen (warum gehört Mt 16,16 ff. nicht nach Antiochien? Warum wird der Weggang Petri aus Jerusalem auf 44 statt 41, sein Martyrium auf 64 statt 67 angesetzt? usw.) bleibt ein kontroverser Rest, wo die Weitergabe des Petrus zuerkannten "Primats" unbegründet aus dem Blickfeld des NT gerückt wird. - Ganz wichtig ist hingegen das Schlusswort der Studie: "Der Dienst an der Einheit aller Christen schließt das Bemühen um die Gemeinschaft mit Israel ein. In Petrus finden beide zusammen" (277).