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Ausgabe:

Februar/2002

Spalte:

168–170

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Taschner, Johannes

Titel/Untertitel:

Verheißung und Erfüllung in der Jakobserzählung (Gen 25,19-33,17). Eine Analyse ihres Spannungsbogens.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 2000. IX, 268 S. gr.8 = Herders Biblische Studien, 27. Geb. ¬ 40,00. ISBN 3-451-27341-1.

Rezensent:

Harald Wahl

Die Erforschung der Genesis ist für die moderne Bibelwissenschaft symbiotisch mit den Grundfragen der Pentateuchkritik verknüpft. H. Gunkel und A. Alt haben für mehrere Generationen überzeugend erklärt, wie sich die frühen Erfahrungen Israels zu den Vätererzählungen verdichtet haben. Diese Sicht hat sich über G. v. Rad und M. Noth vertieft bis in die späten 70er Jahre perpetuiert. Gleichzeitig machten sich Exegeten ans Werk, die mit jeder Generation modifizierten Pentateuchhypothesen grundlegend zu verändern (J. Van Seters, Chr. Levin) oder sogar alternative Erklärungsversuche anzubieten (R. Rendtorff, E. Blum). Neuerdings mehren sich die Stimmen, die ihren Blick vornehmlich auf die Endgestalt der Texte richten und einem theologisch eigenständigen Endredaktor erhebliches Gewicht an der Kompilation, Fortschreibung und Redaktion der Texte zusprechen (J. Ch. Gertz, K. Schmid, M. Witte).

Bei diesen Versuchen sind die Texte nicht nur gründlich segmentiert, ja sie sind vielfach seziert, bisweilen sogar gegen ihre Aussage atomisiert worden. Das Ganze der Komposition, ihre möglicherweise von späten Händen beabsichtigte theologische Intention schien in der Tiefe der Schichten verloren zu gehen. Es kann daher keineswegs verwundern, wenn bei diesem Koordinatensystem vor allem der deutschsprachigen Forschung nun wieder eine Monographie erschienen ist, die sich vornehmlich der synchronen Dynamik der vorfindlichen Erzählstruktur widmet (M. Fishbane, J. P. Fokkelman).

Johannes Taschner versucht in seiner von Frank Crüsemann, Bethel, betreuten Dissertation den Spannungsbogen der Jakobserzählung (Gen 25,19-33,17) mit dem von M. Noth vorgetragenen geschichtstheologischen Motiv von "Verheißung und Erfüllung" freizulegen. Lange schon ist die literarische und theologische Eigenart der Verheißungstexte bekannt, die sich wie auf einer Schnur aufgereihte Perlen durch die Vätererzählungen ziehen (Gen 12,1-3.7; 13,14-17; 15,1-6.18; 18,10; 22,16-18; 26,2-5.24; 28,13-15; 35,9-13). Als "Gelenkpunkte" (1) bieten diese Verheißungen einen Ausgangspunkt zur Erschließung der Vätererzählungen (G. v. Rad, C. Westermann).

T. untersucht nun den Text als gewachsene leserleitende Struktur, um "die einzelnen Segmente in ihrer Funktion innerhalb ihres jetzigen literarischen Kontextes zu beschreiben" (14). Er fährt fort: "Konkret bedeutet dies für die Vorgehensweise bei der Auslegung in der vorliegenden Arbeit, dass wir dem Erzählgang der Jakobserzählung folgen und dabei abschnittweise vorgehen. Auf diese Weise soll versucht werden, einen Lektüreprozess der Jakobserzählungen nachzuzeichnen" (19-20).

Die hermeneutischen Voraussetzungen bestimmen dann den methodischen Duktus. "Die vorliegende Arbeit nutzt einen leserorientierten Textzugang, um die Jakobserzählung in ihrer uns heute vorliegenden Gestalt insgesamt in den Blick zu bekommen. Dabei folgt die Analyse der Handlung und versucht dabei, auf deren Hinter- und Abgründe zu achten, die sich dabei immer wieder auftun" (234). Allerdings folgt T. seinen eigenen Vorgaben nicht ganz konsequent, unterscheidet er doch weitgehend im Anschluss an E. Blum bei der Komposition zwischen den eigentlichen Jakobserzählungen (25,21-34; 27,1-45; 28,10-22; 29,1-32,2a; 32,2b-33,17), deren Anfänge noch in die Königszeit reichen (196-197), und ihren späteren Erweiterungen (26,1-33; 27,46-28,9; 33,18-35,7; 35,9-15; 35,16-20; 35,27-29) aus nachexilischer Zeit (215-218). Die gründliche kontextuelle Analyse wird von der wiederkehrenden Frage nach den literarischen Vorformen einzelner Texte und ihrem historischen Ort unterbrochen und so die traditionsgeschichtliche Genese der Komposition entsprechend gewürdigt (49-54; 68-72; 102-107; 168-178).

T. bestimmt das von Rebekka eingeholte Orakel (25,23) und den Segen Isaaks (27,27-29) als die für die Komposition basalen Verheißungen (22-29; 37-54). "Nach der Verkündigung dieses Orakels kann es lediglich darum gehen, wie und auf welche Art und Weise sich diese Weissagung erfüllen wird" (29). Die Gottesrede Jahwes, die Rechtskaufgeschichte (25,29-34) und das Vermächtnis des sterbenden Patriarchen Isaak markieren also den Ausgangspunkt für den Konflikt zwischen den beiden sich durch den Betrug Jakobs verfeindenden Brüdern (31-37; 54-56). "Es stellt sich heraus, dass eben jener Konflikt, der aus den Betrügereien Jakobs erwächst, im weiteren Verlauf auf höchstem literarischem Niveau gelöst und damit verarbeitet wird. Die Verheißungen von Bethel (Gen 28,10-22) lassen sich als Kontrast zu den in 25,19-27,45* gemachten Aussagen über die Zukunft Jakobs verstehen. Diese Widersprüche üben auf der Ebene des uns vorliegenden Textes eine erzählerische Funktion aus, von der aus sich die theologische Tiefendimension der Jakobserzählung erschließt" (234).

Die an Jakob ergangene Land-, Mehrungs- und Segensverheißung ist nach T. an die Versöhnung mit dem erbrechtlich betrogenen Zwillingsbruder Esau gebunden (155-159). Ausdruck dieser Versöhnung ist der dem Erzvater Jakob erst bei seinem Gotteskampf am Jabbok gegebene (Volks-)Name Israel, der seine neue Identität als Ahnherr des Gottesvolkes beschreibt (49; 158-159). So läuft der Erzählbogen über den Kampf am Jabbok (32,31) auf die versöhnende Begegnung der beiden Zwillingsbrüder hinaus (33,10-11), beide Szenen sind über das Stichwort des "Angesichtes Gottes" verknüpft (163-168; 186). "Gottes Angesicht ist in dem Angesicht dessen zu finden, an dem Jakob sich vergangen hat und mit dem er sich versöhnt, Gott ist in diesem Konflikt in dieser Sequenz der Erzählung keine von Esau unabhängige Person oder Größe. Mit anderen Worten: Segen bleibt ein Gnadenerweis Gottes, der nicht auf Kosten anderer zu erlangen ist, sondern der an die Versöhnung mit dem Feind gebunden ist. ... Von der Versöhnung mit ihm hängt der in der Erwählung zugesagte Segen ab" (240).

T.s anregende Studie erinnert den Ausleger daran, sich nicht in den zahlreichen Schichten der literarischen Strata zu verirren. Gleichzeitig macht sie den Blick für die überlieferte Komposition mit ihrer genuinen Aussage einer narrativen Ethik frei, ohne die kohärente Mehrdimensionalität des Textes zu übergehen. Mit ihren weitreichenden Analysen wirft sie ferner die bislang ungeklärte Frage der alttestamentlichen Ethik auf, wie das zweifellos anklingende Ethos der Versöhnung der beiden Brüder als paradigmatisches Exempel mit der deuteronomistischen Gesetzgebung zusammenspielt oder sogar einen in den legislativen Texten nicht reflektierten eigenständigen Entwurf des Völkerrechtes im Kleide des Familienrechtes darstellt (F. Crüsemann, E. Otto).

Allerdings bildet das von T. beschriebene Ethos der narrativ entwickelten Versöhnung der beiden Zwillingsbrüder (32,2b-33,17) nun aber keineswegs das Finale der Jakobserzählungen. Einige genealogische Notizen (25,19-20; 35,21-26) und die genealogische Legitimation Edoms (36,1-43) klammert T. ganz aus. Allein in diesen Vorentscheidungen deuten sich literarhistorische Probleme an, die eine lückenlose Beschreibung des textlichen Reliefs erschweren. Nehmen wir nun die genealogische Legitimation Edoms (36,1-43) hinzu, erhält die Komposition in ihrer intentionalen Aussage einen anderen Schwerpunkt. Dann nämlich erfüllt sich das an die Ahnfrau Rebekka ergangene Orakel (25,23) und der Sterbesegen Isaaks (27,27-29): Aus den sich im Mutterleib stoßenden Kindern gehen die beiden Völker Jakob-Israel und Esau-Edom hervor. Ihre auch archäologisch greifbare, bis in die spätnachexilische Epoche andauernde Rivalität wird aus der Sicht des erwählten Gottesvolkes und seiner kompilierenden und redigierenden Theologen trotz der (literarisch stilisierten!) Versöhnung der beiden Brüder als eine von Jahwe selbst legitimierte Herrschaft Israels über Edom gedeutet (J. R. Bartlett, P. Bienkowski, B. Dicou, U. Kellermann, M. Weippert).

T.s schnörkelloses Buch liest sich mit Gewinn. Allerdings vermisst der Leser gelegentlich die üblichen Register, was einen bequemen Zugang zur diachronen Relektüre der Stellen, Begriffe und Autoren zweifellos erschwert. Ein über W. Iser hinausgehendes interdisziplinäres Gespräch über Fragen der Erzähltheorie hätte der Studie sicherlich nicht geschadet und dem alttestamentlichen Diskurs eher genützt.