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Ausgabe:

Februar/2002

Spalte:

165–168

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Otto, Eckart

Titel/Untertitel:

Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch. Studien zur Literaturgeschichte von Pentateuch und Hexateuch im Lichte des Deuteronomiumrahmens.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. X, 326 S. gr.8 = Forschungen zum Alten Testament, 30. Lw. ¬ 74,00. ISBN 3-16-147388-4.

Rezensent:

Henning Graf Reventlow

E. Otto hat in letzter Zeit zwei Monographien veröffentlicht, die, wie er bemerkt (VII f.), als Vorbereitung zu dem projektierten Deuteronomium-Kommentar in der Reihe "Alttestamentliche Kommentare" (ATK) dienen sollen. Auf den Band über das eigentliche Rechtskorpus ("Das Deuteronomium. Politische Theologie und Rechtsformen in Juda und Assyrien" = BZAW 284, 1999) folgt nun die Untersuchung des Rahmenwerks. Wie bereits der Titel des Werkes andeutet, geht es ihm dabei vor allem um die Stellung des im Rahmenwerk mehrfach redaktionell bearbeiteten Deuteronomiums (Dtn) bei der Entstehung des Pentateuchs. Wie schon W. M. L. de Wette ("Beiträge zur Einleitung in das Alte Testament", 1806/1807) sucht er im Dtn den Schlüssel für das Verständnis dieses im Mittelpunkt der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments stehenden Problems. "Das Deuteronomium ist die Wiege des Pentateuch" (265). Dabei bekämpft er vor allem (als Methode der Einzeltextanalyse) die klassische Quellenscheidung ("neuere Urkundenhypothese") und als Theorie über die Stellung des Dtn zwischen Tetrateuch und Jos-Kön M. Noths These ("Überlieferungsgeschichtliche Studien I", 19572) von einem mit Dtn 1-3 beginnenden "deuteronomistischen Geschichtswerk". Über Noth zurück will O. wieder an C. Steuernagels Kommentar anknüpfen (vgl. 241, Anm. 28).

O.s eigene Theorie, die er zwischen einem einführenden (I; 1-11) und einem abschließenden (V; 234-273) Kapitel in drei einzelexegetischen Kapiteln entfaltet, ist inzwischen durch eine Reihe von Publikationen bereits bekannt: Innerhalb des Dtn rechnet O. mit einem spätvorexilischen Grundtext (Dtn 6, 4 f.; 12, 13-28,44*), den er als subversives, gegen die spätassyrische Herrschaftsideologie gerichtetes Reformprogramm deutet (vgl. BZAW 284). Hierauf folgt die exilische Bearbeitung durch die dtr Hauptredaktion (DtrD), die durch die Voranstellung von Kap. 5; 9-10 das Dtn in eine am Gottesberg Horeb lokalisierte Moserede umwandelt, wobei dem Gesetz im Dtn der Dekalog vorangestellt wird. Der nächste Bearbeiter (DtrL) stellt Dtn 1-3, die Erzählung von der Wanderung vom Horeb zum Gefilde Moabs, voran, fügt die Kapitel über den Moabbund (29-30*) ein und verbindet das Dtn mit einer von ihm verfassten Grundschicht im Josuabuch (Jos 1-11*; 23): Damit verlegt er die Promulgation des Dtn vom Horeb nach Moab, betont Moses Rolle als Offenbarungsmittler, schränkt seine Bedeutung aber zugleich ein, indem er Josua als seinen Nachfolger in den Vordergrund rückt.

O. nimmt anschließend die Entstehung des Gesamtpentateuchs in den Blick. Dazu rechnet er mit zwei weiteren Redaktionsvorgängen. Diese beiden Redaktionsschichten sind durch die Einbeziehung des (aaronidischen) priesterschriftlichen Programms der Kultgründung durch die Sinaioffenbarung bestimmt, dem das dtr Dtn (DtrD) noch konkurrierend entgegentrat und DtrL durch Gewichtsverlagerung in die "Gefilde Moabs" den Rang streitig zu machen versuchte. Bereits für den Hexateuchredaktor (eher: eine Schule) ist ein umfassendes Programm charakteristisch: Er verklammert P mit DtrL, fügt Num 10-14*; 20-21*; (22-25*); 32*; (34*) ein, erweitert P in Gen und Ex und das Buch Jos und schafft dadurch einen Spannungsbogen von Gen 1 bis Jos 24 (108) mit den beiden Hauptpfeilern Gen 15 und Jos 24 (244). Hier steht der Landbesitz als Heilsgabe JHWHs im Mittelpunkt - was O. mit der frühnachexilischen Situation in Verbindung bringt, in der das Hauptproblem die Motivierung der Exulanten zur Rückkehr in die Heimat bildete. Eine letzte (teilweise aber auch mit der Hexateuchredaktion gleichzeitige und als Parallelversion umlaufende, 244) Redaktionsstufe vollzieht dann wieder einen Schritt rückwärts: Im Anschluss an die Konzeption von DtrD und unter Aufnahme seiner Quellen verlagert sie Bundesschluss und Gesetzespromulgation erneut an den Sinai. In die Sinaiperikope, so O.s Theorie, fügt der Pentateuchredaktor das Bundesbuch (die im Dtn verarbeitete Gesetzesvorlage) und den Dekalog in einer Fassung ein, die DtrD in Dtn 5 vorgegeben war und von ihm seinerseits bearbeitet wurde (vgl. dazu 245, Anm. 34). Außerdem trennt er das Buch Josua wieder ab und schafft so den Pentateuch. Terminus ad quem für diese Redaktion ist das 5. Jh. (206).

Diese hier knapp wiedergegebene Gesamthypothese - die am besten in dem zusammenfassenden Kapitel V nachzuvollziehen ist - entfaltet er in den mittleren Kapiteln im Einzelnen. Eine gewisse Redundanz, die z. B. in sich wiederholenden gleichen Anmerkungen sichtbar wird, scheint darauf hinzudeuten, dass diese ursprünglich gesondert entstanden sind. Im Einzelnen geht es dabei in Kap. II ("Die Kundschaftererzählung Dtn 1,19-46 zwischen Tetrateuch und Hexateuch", 12-109) unter Einbezug literarkritischer Analysen dieses und anderer behandelter Abschnitte um eine literarische "Vernetzung" durch "Interdependenzen" zwischen voneinander entfernten Abschnitten: Von der Kundschaftererzählung in Dtn 1,19-46 werden wir zu dem das gleiche Thema behandelnden Abschnitt Num 13,1-14,45 geführt, wo jeweils die oben erwähnten Redaktionsschichten aufgespürt werden.

Durch ihre Aufeinanderfolge ergeben sich literarische Interdependenzen und anschließend auch eine "Verklammerung" mit den Kaleberzählungen in Jos 14,6-15 und Jos 15,13-19 durch die Hexateuchredaktion. Dtn 9,1-8.22-24 ist dagegen eine Interpretation der Kundschaftererzählung durch die Pentateuchredaktion. Kap. III (110-155) behandelt das Verhältnis zwischen der deuteronomistischen Redaktion in Dtn 1-3 und 29-30 und der vorangegangenen dtr Hauptredaktion in 5; 9-10*: Hier handelt es sich um die Korrektur eines von DtrD noch in der Schwebe gehaltenen Verhältnisses zwischen der Offenbarung am Horeb, die durch "Historisierung" in ihrer Bedeutung relativiert wird, und dem Bundesschluss in Moab, auf dem jetzt das Gewicht liegt. Kap. IV "Das Deuteronomium zwischen Tetrateuch und Hexateuch" (156-233) untersucht die Spuren der postulierten Pentateuch- (und Hexateuch-)Redaktion in Dtn 1,5; 4,1-40, gegliedert in die Aspekte einer Korrektur des Moabbundes und des Horebbundes im Sinne einer weiteren Differenzierung. Auf dieser Stufe wird die Rolle Moses uminterpretiert: Er wird jetzt zum Gesetzeslehrer, "der im Gesetz des Deuteronomiums die Sinaigesetzgebung für das Volk auslegt." Damit ändere sich auch der Charakter des Gesetzes im Deuteronomium (165). Weitere Abschnitte behandeln Dtn 31-34 und sogar die Auslegung von Dtn 31 in Neh 8.

O. hat an anderer Stelle (Art. Bibelwissenschaft I. Altes Testament: RGG4, [1527-1528], 1527) bemerkt, mit der neueren Umkehr des Interesses von den Überlieferungs- zu den Rezeptionsprozessen rücke "wieder verstärkt die literarische Geschichte verschrifteter Texte in Fortschreibungen, Revisionen und Redaktionen in den Blickpunkt, wobei methodisch vielfach wieder an die literarkritische Forschung der Wellhausen-Schule angeknüpft werden kann." Als Konsequenz nennt er "eine starke Divergenz der Forschungsansätze und Ergebnisse, die bes. in der Pentateuchforschung zu Buche schlägt." In der vorliegenden Arbeit zeigt sich das an dem erheblichen Umfang von Polemik gegen andere Auffassungen, denen in zahlreichen, oft ausführlichen Anmerkungen jeweils aufgezeigt wird, weshalb sie aus diesem oder jenem Grund unzulänglich seien. Methodisch auffällig ist an O.s eigener Position die Annahme, dass wir es durchweg mit schriftlich vorliegenden Texten zu tun haben und davon auszugehen ist, dass diese sich gegenseitig, auch über innerkanonische Grenzen hinweg, zitieren, beispielsweise das Heiligkeitsgesetz aus Ez 40-48. Hier, und etwa auch für Jer mit Rückgriff auf K.-F. Pohlmann, bevorzugt O. oft die radikalsten literarkritischen Positionen. Wie man sieht, führt dieser methodische Ansatz aber zu recht weitgehenden und stark hypothetisch wirkenden Theorien.

Wo es sich (wie häufig) um geprägte Formeln handelt, ist jedoch der Zitatcharakter keineswegs so eindeutig. Und: Gibt es überhaupt eine derart einlinige chronologisierbare Entwicklung (kritisch dazu schon J. Pedersen, ZAW 1931, 161-181)? Der vollständige methodische Umschlag führt zu einer Einseitigkeit, die sich möglicherweise ebenso festlaufen wird wie die alte Literarkritik. O. rechnet selbst mit teilweise mündlicher Überlieferung auf einer früheren Stufe, so zu den alten Erzählungen in Jos 2-9 (242), und sogar einer "vordtr-spätvorexilische(n) Mose-Exodus-Erzählung" (127) sowie Sinaierzählung (vgl. 239, Anm. 24). Wie steht es aber mit den dahinter stehenden Vorgängen? Hier spricht O. von "Fiktionen" (der "Gottesberg- und Mosefiktion", 167, vgl. 185; der "Sinai-/Horebfiktion", 149) oder "Ursprungsmythen" (121 f.; 183, Anm. 133 - das erinnert an de Wettes Mythentheorie) und erweckt den Eindruck, es handele sich um von den jeweiligen Redaktionen geschickt eingesetzte Projektionen, hinter denen offenbar keine wirklichen Vorgänge stehen. Der "Sitz im Leben" für den Pentateuch sei "zunächst rein literarischer Natur" und habe erst später (nach Neh 8!) "kultische Realisierung erfahren" (185). Das erinnert nun allerdings stark an Wellhausen!

Am überzeugendsten sind die Ausführungen, wenn sich O. eng am Text hält und das Deuteronomium oder andere Passagen analysiert. Andernorts (BEThL CXXVI, 63) hat O. die Pentateuchforschung aufgefordert, sie solle "ihre Fundamente in den Rechtskorpora des Pentateuch zurückgewinnen und die Reduktion auf die erzählenden Überlieferungen überwinden". Damit macht er hier Ernst, und das ist vielversprechend. Allerdings geschieht es nicht konsequent genug, wenn andererseits die Wellhausensche Aufteilung der Priesterschrift auf PG und PS unhinterfragt übernommen wird. Auch zwischen den Kultvorschriften in P und der umrahmenden Erzählung wäre das Verhältnis neu zu bestimmen.

Sieht man die Arbeit im Zusammenhang des eindrucksvollen Gesamtwerks O.s, kann man erneut feststellen, dass er zahlreiche Anregungen zur Weiterarbeit an den Pentateuch- (und Hexateuch-) Problemen geboten hat. Er rechnet selbst damit, dass die Diskussion darüber fortgeführt wird.