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Ausgabe:

Oktober/1998

Spalte:

929–942

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pöttner, Martin

Titel/Untertitel:

Sprachwissenschaft und neutestamentliche Exegese

Neutestamentliche Exegese als wissenschaftliche Disziplin erforscht das Entstehen einer eigenständigen frühchristlichen Öffentlichkeit im spätantiken Kontext, die sich nicht zuletzt in selektiven und normierenden Kanonisierungsprozessen ("Altes Testament", "Neues Testament") manifestiert. Dabei hat neutestamentliche Exegese ein intimes Verhältnis zu allen Bemühungen um ein Verständnis von Sprache, weil der allergrößte Teil ihrer Untersuchungsgegenstände den Charakter schriftlicher Zeichen trägt. Schon F. D. E. Schleiermacher markierte diesen Sachverhalt sehr scharf. Darin liegt eine Ambiguität beschlossen, die in Wellenbewegungen und ungleichzeitigen Gleichzeitigkeiten ein Muster der Orientierungsversuche neutestamentlicher Exegese im Wissenschaftssystem abgibt:

"Hermeneutik und Kritik, beide philologische Disziplinen, beide Kunstlehren, gehören zusammen, weil die Ausübung einer jeden die andere voraussetzt. Jene ist im allgemeinen die Kunst, die Rede eines andern, vornehmlich die schriftliche, richtig zu verstehen, diese die Kunst, die Echtheit der Schriften und Schriftstellen richtig zu beurteilen und aus genügenden Zeugnissen und Datis zu konstatieren. ... Die Hermeneutik wird [sc. in der Darstellung] billig vorangestellt, weil sie auch da nötig ist, wo die Kritik fast gar nicht stattfindet, überhaupt weil Kritik aufhören soll, ausgeübt zu werden, Hermeneutik aber nicht".1

Nicht zuletzt Schleiermachers eigene dogmatische Arbeit mit ihrer historisierenden christologischen Zentrierung leistete dabei jenem Trend Vorschub, der die "Kritik" in den Vordergrund der exegetischen Aufmerksamkeit stellte. Für eine relativ kurze Zeitspanne schien neutestamentliche Exegese in akzeptierter Weise ihre wissenschaftliche Aufgabe durch "historische Kritik" erfüllen zu können, weil den historischen Disziplinen im (west-) europäischen Wissenschaftssystem eine Leitfunktion zugeschrieben wurde. Eine hervorragende Rolle kommt in diesem Prozeß dem neukantianischen "Natur"/"Kultur"- bzw. "Geschichte"-Dual zu. Noch R. Bultmanns subtile Konzeption von "Hermeneutik" als "Wissenschaft, die nichts ist, als die klare und methodische Ausbildung des mit der Existenz selbst gegebenen Existenzverständnisses",2 ist dieser Sichtweise verpflichtet.

Gleichwohl bildete gerade Bultmanns Hermeneutik zumindest en passant Ansätze aus, die eine stärker sprachorientierte hermeneutische Reflexion erfordern: "Es gibt doch wohl eine Sprache, in der sich Existenz naiv ausspricht, und es gibt entsprechend eine Wissenschaft, die ohne die Existenz zum welthaften Sein zu objektivieren, von der Existenz redet".3 Exegetisch und systematisch wurde diese Anregung in der "hermeneutischen Theologie" fruchtbar weiter verfolgt. Dabei ist aufschlußreich, daß sich in dieser Konzeption immer stärker das Erfahrungsproblem aufdrängte, so daß ein zweifellos drohender Sprachmonismus vermieden und der hermeneutische Diskurs für das Gespräch mit den Einsichten der Semiotik, der analytischen Philosophie, den unterschiedlichen Spielarten der Linguistik und nicht zuletzt der Erfahrungswissenschaften geöffnet werden konnte.4 - Schleiermacher hatte den in einer derartigen Gesprächssituation entstehenden Problemhorizont in gewisser Weise schon vorweggenommen:

"Jede Rede kann ... nur verstanden werden durch die Kenntnis des geschichtlichen Gesamtlebens, wozu sie gehört, oder durch die Kenntnis der sie angehenden Geschichte. Die Wissenschaft der Geschichte aber ist die Ethik. Nun aber hat auch die Sprache ihre Naturseite; die Differenzen des menschlichen Geistes sind auch bedingt durch das Physische des Menschen und des Erdkörpers. Und so wurzelt die Hermeneutik nicht bloß in der Ethik, sondern auch in der Physik. Ethik aber und Physik führen wieder zurück auf die Dialektik als die Wissenschaft von der Einheit des Wissens".5

Die Realität unserer Erfahrung ist folglich durch die Etablierung scharfer Schnitte wissenschaftlich nicht angemessen beschreibbar. Stattdessen muß in ihr mit fließenden Übergängen gerechnet werden. Schleiermacher verfolgt in Bezug auf "Sprache" keine Reduktions-, sondern eine Einbettungsstrategie, die zugleich empirisch-induktiv und spekulativ-abduktiv verfahren soll.6 Wissenschaftliche Arbeit wird dadurch schwieriger und anspruchsvoller, weil sie versuchen muß, differenzierte Perspektiven kopräsent zu halten. Insofern kommen in dieser Sammelrezension Beiträge zu Wort, die das Phänomen "Sprache" aus unterschiedlichen Perspektiven "wissenschaftlich" beleuchten - also nicht ausschließlich aus einer im engeren Sinn "sprachwissenschaftlich-linguistischen" Perspektive. Mir scheint zu diesem Zweck eine Gruppierung der Arbeiten in drei Fragehinsichten sinnvoll zu sein.

Zunächst werden vier Werke vorgestellt, die in unterschiedlicher Weise das Problem von "Sprache und Realität" aufwerfen. Sodann bespreche ich drei "kulturwissenschaftliche" Beiträge. Hinter dem umbrella-term "Kulturwissenschaft" verbirgt sich das alte Problem der philologischen und historischen Disziplinen. Schließlich sollen drei exegetische Arbeiten erörtert werden, die an Sprachproblemen arbeiten.

1. Sprache und Realität

Das Realitätsproblem im Blick auf "Sprache" ist aus der gegenwärtigen Diskussion nicht wegzudenken. Indirekt wird es aufgeworfen, wenn "Sprache" in ihrem referentiell-indexikalischen und inhaltssemantischen Aspekt als handlungstheoretisch rekonstruierbar und folglich als in eine allgemeine Theorie sozialen Handelns integrierbar erscheint.7 Zugespitzt zeigt sich das Problem, wenn der irreduzible Differenzaspekt von Zeichenprozessen in Ansätzen unterschiedlicher Provenienz als vor allem selbstreferentielles Muster thematisiert wird.8 Demgegenüber werden neuerdings offensiv philosophische9 und theologisch-philosophische10 Gegenstrategien entworfen.

Thomas Gloning entwickelt in seiner im Forschungskontext der "Praktischen Semantik und Linguistischen Kommunikationsanalyse"11 erstellten Dissertation eine gebrauchstheoretische Bedeutungstheorie vor allem für Phänomene der deutschen Sprache. Unter den Ausdruck "Bedeutung" faßt er referentiell-indexikalische (z. B. Namen, bestimmte Artikel, Verbalmorpheme, Pronomina), synsemantische (z.B. "und", "oder", "denn" usf.) und inhaltssemantische Phänomene (Sinn von Verben, Sätzen, Begriffen usf.). Die Arbeit interessiert sich dabei vorrangig für das Verständnis von "Sätzen", deren syntaktisch organisierte Elemente freilich im Rahmen einer Sprache durchaus unabhängig vom Vorkommen in "Sätzen" eine eigenständige "Bedeutung" haben. Dabei lassen sich "Bedeutungen" als regelhaftes Phänomen erfassen: Sie "sind Regeln, mit denen man die in einer Sprachgemeinschaft üblichen Handlungsmöglichkeiten angeben kann" (249 u. ö.). Die Arbeit führt detailliert und instruktiv in gebrauchstheoretische Bedeutungsauffassungen vor und nach L. Wittgenstein ein. Wer an Problemstellungen dieser Art interessiert ist, findet eine überaus lohnende Lektüre. Für neutestamentliche Exegese erweisen sich G.s durchgehende Analysen von Handlungssituationen und Dialogsequenzen als besonders aufschlußreich, da sie sich fruchtbar mit den Einsichten der antiken Rhetorik und Brieftheorie verbinden lassen.

Meines Erachtens sind zwei wichtige Fragen an G. zu richten. Zum einen bleibt der fragmentarische Aufbau einer Textsemantik der sehr fragwürdigen Ansicht verpflichtet, daß "Texte" als eine Art Verknüpfung von "Sätzen" zu betrachten seien. So gelingt es G. zwar, über den Begriff der regelhaften bzw. konventionellen Handlungsmöglichkeit die spätestens seit Schleiermacher entwickelten strukturalen Semantiken für die Wort- und Satzebene tatsächlich zu integrieren. Zumindest mir ist aber nicht deutlich geworden, wie dies für recht komplexe textsemantische Muster glücken soll, die von A. Greimas, C. Lévi-Strauss, U. Eco u. a. analysiert wurden. Hier dürfte wohl nicht nur eine noch zu leistende Explikationsaufgabe, sondern eine deutliche Grenze von G.s Theorie sichtbar werden. Das gilt auch für die - trotz eingestandener Schwierigkeiten - handlungstheoretisch präzisierte "schwächere" Variante der vor allem seit G. Frege vertretenen Ansicht, daß auch Satzbedeutungen sich aus ihren Elementen im Rahmen ihrer syntaktischen Organisation aufbauten.12 G. sieht zumindest en passant, daß sich hier Alter
nativen ergeben könnten, wenn eine semantische Theorie aus der Perspektive einer hinreichend komplexen Theorie des Verstehens entwickelt würde. Eine solche liegt in der Theorie der abduktiven, deduktiven und induktiven Schlußfolgerungen detailliert ausgearbeitet vor.13 Wird diese mit einem relationenlogisch operierenden Beschreibungsmodell der Art von Peirce14 verbunden, dann dürfte sich zuverlässig zeigen lassen, daß "Einzelelemente" immer nur eine vereinfachende Abstraktion aus einem relational konstituierten, holistisch verfaßten Zusammenhang darstellen.

Zum anderen aber bleibt bei G. unerörtert, ob eine Kommunikationstheorie überhaupt durchgängig als Theorie von Handlungen durchgeführt werden kann. G. setzt dies schlicht voraus, obgleich daran eine scharfsinnige Kritik vorliegt.15 Doch ein Handlungsmodell asymmetrisiert Kommunikation in problematischer Weise, selbst wenn dies wie bei G. besonnen geschieht. Auch hier ist aus der Perspektive einer Theorie des Verstehens zu fragen, ob damit schon der fragile Sachverhalt hinreichend gewürdigt ist, daß jedes Verstehen immer auch Mißverstehen einschließt.16 Gerade aufgrund der unbestreitbaren Gleichzeitigkeit von "Kommunikation" gilt dies wohlgemerkt für die Autor- und die Rezeptionsinstanz.

Insbesondere mit der Provokation, die das imposante wissenschaftliche Werk N. Luhmanns ausgelöst hat,17 beschäftigt sich der von Henk de Berg und Matthias Prangel unter dem programmatischen Titel "Differenzen" hrsg. Sammelband,18 der dem Gespräch zwischen dieser Variante der Systemtheorie und dekonstruktiven und radikal konstruktivistischen Perspektiven dienen soll. Der Band dokumentiert breit nicht zuletzt die entsprechende literaturwissenschaftliche, hermeneutische und kunstwissenschaftliche Debatte. Ich beschränke die Besprechung auf die m. E. beiden aufschlußreichsten Beiträge.

Armin Nassehi untersucht die Differenz der Differenzen in den verschiedenen Diskurstypen. F. Lyotards Lob der irreduziblen Pluralität von Sprachspielen bzw. Satz-Regelsystemen und insofern des "Widerstreits" dürfte selbst G. W. F. Hegel nicht erschüttert haben. Tiefer geht J. Derridas im Anschluß an M. Heidegger formulierte Kritik an der abendländischen Präsenzmetaphysik, die den dyadischen Zeichenbegriff ("Signifikant"/"Signifikat") der strukturalen Analyse als Medium der unaufhebbaren Zeitverschiebungen verwendet. Im Spiel der Differenzen gibt es keine Gegenwärtigkeit des "Grundes" o. ä, auch kein "unmittelbares Selbstbewußtsein" und keine "Evidenz". Am weitesten reicht aber G. Spencer Browns Formenkalkül, der mit der unaufhörlichen, wohl lautlosen imperativen Anrede arbeitet: "Draw a distinction!" Jede Bezeichnung ist zugleich eine Unterscheidung.19 Alle Unterscheidungen spalten etwas: die Einheit des Unterschiedenen, in dieser Semantik als "Form" bezeichnet. Diese Einheit der Differenz ist nicht als Einheit thematisierbar, sondern nur wieder mittels Unterscheidung usf. Da es unabschließbar viele Differenzen gibt, gibt es
auch nicht nur eine Einheit. Eine beachtliche Schwäche von N.s lehrreichem Aufsatz liegt darin, daß er die räumliche Metaphorik bzw. Symbolik Spencer Browns, Luhmanns und seines eigenen Sprechens nicht mitthematisiert. So haben "spaltende" Differenzen zwei "Seiten", von denen eine aktuell, die andere nicht aktuell ist. "Von" der einen zur anderen "Seite" "gelangt" man nur durch "crossing" der "gezogenen" "Grenze" und anderes mehr.20

Eine Apologie seiner "empirischen Literaturwissenschaft" in einer scharfen Auseinandersetzung mit Luhmanns Ansatz bietet Siegfried J. Schmidt. Kenntnisreich und schonungslos legt er bei Luhmann immer wieder rhetorisch abgedunkelte theoretische Schwächen offen. Vor allem Luhmanns scharfe Schnitte zwischen "Systemen" sowie zwischen "System" und "Umwelt" ("Grenzen") werden auch als systemtheoretisch willkürlich geleugnet.21 Ironischerweise übersieht Sch., daß jene Grenzziehungen erst die eigene, "radikal konstruktivistische" Position plausibel machen. Sch.s Aufsatz ist nicht zuletzt deswegen der fruchtbarste des Bandes, weil zumindest am Rande aufscheint, daß die Gnome "Alles ist konstruiert" auch in diesem Diskurs ihren paradoxen Reiz22 zu verlieren beginnt. So läßt sich sehen, daß vor allem Sch.s Position große Ähnlichkeiten mit der eingangs dargestellten hermeneutischen Auffassung Schleiermachers aufweist. Aus dieser Perspektive wird schließlich deutlich, daß Luhmanns Kommunikationstheorie trotz Dauerrekurs auf "Verstehen" gerade hier ganz theorielos verfährt. Luhmann thematisiert unter "Verstehen" nur Irritationsphänomene. Und dies ist erheblich zu wenig. Andererseits ist mit Luhmann gegen Sch. daran festzuhalten, daß Kommunikation sich allenfalls perspektivisch in Handlungen auflösen läßt, auch wenn dies z. T. erheblich genauer begründet werden muß.23

Am exemplarischen Fall der Sprachphilosophie Heideggers untersucht die Frankfurter Dissertation von Cristina Lafont die Herkunft und systematische Geltung derartiger und verwandter Denkweisen.24 Zerstören diese doch nicht nur Auffassungen, die partikulare Orientierungen fälschlich als universal ausgeben, sondern universale Orientierungen überhaupt.

L. führt dabei Heideggers Position auf die "Hamann-Herder-Humboldt-Tradition" zurück, die die "Welterschließungsfunktion" der Sprache im Unterschied zu ihrer instrumentalistischen Fehlinterpretation als Bezeichnungswerkzeug sprachunabhängiger Entitäten in den Fokus philosophischer Aufmerksamkeit stellte. Da es mehrere nicht aufeinander reduzierbare Sprachen gibt, führt dies zu einer gründlichen Detranszendentalisierung des "Bewußtseins", das sprachlich geprägt und partikular ist. L. zeigt überzeugend, daß eine ähnliche Auffassung schon hinter "Sein und Zeit" steht, aber nicht zum Zuge kommt, insofern Heidegger hier die ontologische Differenz "ontologisch"/"ontisch" im begründungstheoretischen Sinn der überholten Leitunterscheidung "transzendental"/"empirisch" verwenden will, dies aber wegen seiner Analyse des "In-der-Welt-Seins" nicht mehr kann, weil sie apriorische Argumentationen (wie den Rekurs auf "Existenzialien") faktisch nicht zuläßt. Insbesondere die Erschlossenheitsanalyse, die auch "vorprädikativ" "etwas" immer schon hermeneutisch "als etwas" auffaßt, belegt die Fruchtbarkeit von L.s Hypothese.

Heidegger versteht sinnliche Wahrnehmung als sprachlich-inhaltssemantisch determinierten Interpretationsvorgang. Diese Struktur wäre existenzial im Phänomen der "Rede" als "gegliedertem Bedeutungsganzen" fundiert. Die sogenannte "Kehre" mit ihrer expliziten Sprachphilosophie ("Die Sprache spricht"; "Sprache" als "Haus des Seins" und "ursprüngliches Wesen der Wahrheit"; Unmöglichkeit einer "wissenschaftlichen" Sprachtheorie u. ä.) markiert zumindest in dieser Hinsicht keinen markanten Bruch in Heideggers Philosophie, sondern verdeutlicht nur Heideggers philosophisches Grundproblem: das Verhältnis von "Sprache" und "Sein". Es wird so "gelöst", daß "die Sprache" an die fundierende Stelle von "Subjekt" bzw. "Dasein" tritt. L. verfolgt die - ruinösen und extremistischen - Konsequenzen dieser Position an Heideggers Auffassungen des Wahrheitsproblems.

L.s Gegenargument wird im Kontakt zu den Referenztheorien S. A. Kripkes, K. S. Donnellans, H. Putnams u. a. ausgearbeitet. Demzufolge gibt es trotz der unbestreitbaren sprachlichen, inhaltssemantischen ("intensionalen") Vermitteltheit unseres Realitätszugangs aufgrund der referentiell-indexikalischen Zeichenfunktion einen direkten Realitätsbezug, der nicht von der holistischen inhaltssemantischen Verfassung unserer Sprachen determiniert werden kann. Mit Recht wendet L. zudem gegen Heideggers Wissenschaftskritik den fallibilistischen Konsens weiter Bereiche der Wissenschaftstheorie ein. So sehr Heideggers Rede vom "Gestell" die organisierte Gestalt des Wissenschaftssystems treffen mag, so wenig trifft Heideggers Kritik auf dasjenige zu, was eine konsequent fallibilistisch durchgeführte Wissenschaft als kritisch-selbstkritisches und lernfähiges Verfahren sein könnte.

Stärker als L. würde ich betonen, daß Heideggers "hermeneutische Phänomenologie" "Verstehen" tendenziell als "Immer-schon-mit-etwas-einverstanden-sein" begreift. Darauf beruht die Unfähigkeit Heideggers, "Lernen" und die prinzipielle Fallibität von "Wissen" angemessen zu würdigen. Ähnlich wie Luhmann hat auch der exemplarisch "hermeneutische" Denker dieses Jahrhunderts gerade keine Theorie des "Verstehens", sondern nur eine des "Sich-verstehens-auf" bzw. des "Einverständnisses" entwickelt.

Einen sehr ähnlichen Weg beschreitet in theologischer Absicht die Tübinger Dissertation von Hans-Peter Großhans.25 Sie nimmt explizit im Gefolge entsprechender philosophischer Versuche in der analytischen Philosophie (Kripke, Putnam, Wittgenstein) metaphysische Grundfragen erneut auf. Ziel ist dabei, eine "deskriptive Metaphysik" (P. Strawson) zu entfalten, die "die Sprache des christlichen Glaubens" (passim; m. Hv.) beschreiben will.

G. stellt Kripkes und Putnams Theorie der "direkten" (bzw. "kausalen") Referenz ausführlich und instruktiv vor. Diese bleibt vor allem theologisch unbefriedigend. Sie erlaubt zwar zwischen "Gott" und den variierenden Sprachmustern, mittels derer "Gott" dargestellt wird, deutlich zu unterscheiden. Gleichwohl zeigen sich theologische Rezeptionen dieser Theorie als Varianten der apophatischen Theologie. Damit kann "Gott" zum einen nicht eindeutig identifiziert werden. Zum andern aber läßt sich so die dem christlichen Glauben eigentümliche Gewißheit nicht beschreiben. Mit den Wandlungen der Philosophie Putnams versucht G. daher, dessen Konzeption des "internen Realismus" fruchtbar zu machen. Sprachen weisen - inhaltssemantisch - je verschiedene Begriffsschemata auf, die entsprechend sehr unterschiedliche Ontologien entwerfen. Ohne daß ein Realitätsbezug prinzipiell geleugnet werden müßte, macht es daher nur Sinn, in Bezug auf die interne Struktur der jeweiligen Sprache metaphysische Fragen zu stellen. "Die Sprache des Glaubens" ist dabei asymmetrisch strukturiert. In ihrem Zentrum steht der trinitarisch entfaltete "Gottesname". Dies wird durch die Rezeption von Wittgensteins Grammatikbegriff und lebensformorientiertem Gewißheitsverständnis weitergeführt.

G.s Arbeit versucht zwei Sachverhalten Rechnung zu tragen: Einerseits betont er offensiv die irreduzible Pluralität der Sprachen und damit die Vielfalt "metaphysischer" Konzepte. Andererseits aber entwirft er Theologie als sich metaphysisch entfaltende realistische Theologie. Wie der abschließende Essay über das Problem einer Theologie der Religionen zeigt (263 f.), bleibt diese Position aporetisch. Da es keinen neutralen Standpunkt gibt, folglich auch keine neutrale Metasprache, läßt sich allenfalls die Möglichkeit behaupten, "daß Menschen auch in anderen Religionen zumindest approximativ dieselbe Erkenntnis Gottes und seiner Wirklichkeit haben können" (264).26

Anders als Lafont leugnet G. vor allem mit dem späten Wittgenstein konsequent die Möglichkeit universalistischer Konzepte, ohne daß dies ernste Konsequenzen für Realitätsbezug und Gewißheitsproblematik haben soll. Damit scheint er in der Tat über die latente Erosion des Realitätsbezugs hinaus zu sein, die im Begriff der "Sprachgemeinschaft" (Gloning) angelegt ist und in den dekonstruktiven, radikal konstruktivistischen und systemtheoretischen Positionen der Art Luhmanns durchschlägt. G. zufolge kann sich der christliche Glaube damit beruhigen, daß in anderen Sprachgemeinschaften andere Begriffsschemata und Gewissheiten gepflegt werden. Dies stellt die eigene Gewißheit nicht mehr in Frage.

Mit Lafont wären demgegenüber zunächst Lernfähigkeit und konsequenter Fallibilismus geltend zu machen. Da Großhans metaphysische Ansprüche erhebt, muß er sich der empirischen Bewährung der im christlichen Glauben erhobenen Wahrheitsansprüche stellen, will er den Vorwurf der Selbstimmunisierung auf hohem Niveau vermeiden. Aus der Perspektive des konstruktivistischen Diskurses wird ohnehin nicht mehr als ein "so what?" zu hören sein. Behaupteter Realitätsbezug hin oder her: dies ist eben nur die christliche "Konstruktion" der "Wirklichkeit", genauer: eine christliche "Konstruktion" der "Wirklichkeit". Will man hier weiterkommen, dann ist m. E. das auch von Lafont und Großhans im Gefolge von Kripke und Putnam geteilte Dogma weiter Bereiche abendländischer Selbstauslegung in Frage zu stellen, daß das Zentrum der Proposition das "grammatische Subjekt" sei. Sieht man mit Peirce’ syntaxorientierter und relationenlogisch ausgearbeiteter Analyse von Propositionen, daß etwa in der altgriechischen, lateinischen, deutschen und englischen Sprache das Prädikat die syntaktische Struktur von Propositionen erzeugt und ikonisch bezeichnet, dann wird die Rolle der referentiell-indexikalischen Zeichen deutlich. Denn jedes Prädikat erzeugt syntaktisch offene Stellen, in die Indices wie Namen, Pronomina usf. (bzw. mittels Konjunktion auch weitere Prädikate) eingesetzt werden können. Semiotisch primär ist folglich die syntaktische Rolle des Prädikates, nicht die der Indices. Dann aber geben Indices an, in welcher konkreten (tatsächlichen) Wahrnehmungs- und Erfahrungssituation Prädikate loziert sind. Prädikate bezeichnen demgegenüber mögliche Wahrnehmungs- und Erfahrungssituationen.27 Der von Lafont gegen Heidegger geltend gemachte Fallibilismus läßt sich also nicht durch das hohe Lied der Indices rechtfertigen. Er muß stattdessen über eine stichhaltige Theorie des Verstehens entfaltet werden, die auch die fragile Möglichkeit des abduktiven, "divinatorischen" Verstehens von fremden, anderen und neuen Orientierungen bzw. "Weltansichten" einschließt.

Das hohe Lied der Indices singen auch die differenzzentrierten Ansätze im Gefolge Spencer Browns. Die im Aufsatz Nassehis dominierende räumliche Metaphorik bzw. Symbolik erklärt sich so, daß hier (Leit-)Differenzen nach dem Modell der grenzziehenden Indices begriffen werden. Doch dies ist nachweislich falsch, denn die von Luhmann ausgemachten Leitdifferenzen, die gesellschaftliche Kommunikationsbereiche unterscheiden, stellen Prädikate dar. Sie verweisen daher auf durch sie orientierte Typen von Kommunikationssituationen, die jeweils Wahrnehmung und Erfahrung einschließen. Daß derartige gesellschaftliche Situationen nicht aufeinander reduzierbar sind, bedeutet keineswegs einen prinzipiellen gesell schaftlichen Autismus solcher Situationstypen. Auch hier zeigt die Theorie des Verstehens, daß Fremdheit wahrgenommen, hypothetisch verstanden und möglicherweise kommunikativ fruchtbar bearbeitet werden kann.

Für neutestamentliche Exegese ergibt sich aus diesen Erwägungen, daß sie unter der Perspektive "Sprache und Realität" auf die textkonstituierenden Prädikate zu achten hat. Die inhaltssemantische Dimension der neutestamentlichen Texte privilegiert bestimmte Prädikate (z. B. pistis/pisteuein), die zusammen mit ihren entsprechenden negativen Pendants (z. B. phobos/phobeisthai) Leitdifferenzen darstellen. Diese verweisen auf Typen von Kommunikationssituationen, die Wahrnehmung und Erfahrung einschließen. Es läßt sich dann leicht sehen, daß die schriftlichen Texte allein nicht ihren Realitätsbezug garantieren. Der an Heidegger exemplarisch sichtbare Sprachmonismus führt also noch nicht zum Realitätsmodell neutestamentlicher Texte.

Ausgelöst ist dieser Sprachmonismus durch die philosophische Leitthese der "Hamann-Herder-Humboldt-Schleiermacher-Tradition", "Denken" sei ein ausschließlich sprachlicher Vorgang. Sogar Schleiermacher, der in Bezug auf die christliche Religion wußte, daß "Denken" nicht alles oder auch nur entscheidend ist, stimmte dieser falschen These zumindest weitgehend zu. Doch "Denken" ist gleichursprünglich bildlich.28 In entsprechenden Kommunikationssituationen treten jeweils komplexe Wahrnehmungen, Gefühle und Handlungen hinzu. Schriftliche neutestamentliche Texte orientieren auf solche Kommunikationssituationen. In diesen Situationen bilden sich möglicherweise einverständliche Lebensorientierungen aus. Dann zeigt sich in fallibilistischer Offenheit, in den Konflikten der geschichtlichen Erfahrung, in der Konfrontation mit anderen, neuen und fremden Orientierungen, ob sie einer irreduzibel pluralistisch verfaßten, oft schwer erträglichen Realität Stich halten. Jedenfalls bietet die Perspektive "Sprache und Realität" die Möglichkeit, Derartiges in neutestamentlichen Texten zu entdecken und sie nicht bloß als Dokumente einer zunehmend starrer und bornierter werdenden Gruppenidentität zu lesen.

2. Kulturwissenschaftliche Beiträge

Um was geht es in "religiösen" Zeichengebilden und wie wird dies in welchem Kontext dargestellt? Auf diese Fragen versuchen philologische und historische Disziplinen mit mehr oder weniger starken systematischen Akzenten eine Antwort zu geben. Unter dem Titel "Kulturwissenschaft" scheint diese unverwüstliche Fragestellung mit ihren kontroversen Antworten auch der Hochschule der Zukunft erhalten zu bleiben.

Guglielmo F. Rosa29 antwortet aus einer gemäßigt konservativen römisch-katholischen Position. In einer essayistischen Auseinandersetzung mit A. Sabatier, A. v. Harnack, E. Troeltsch, A. Loisy und M. Blondel affirmiert R. gegen die Verheerungen des liberalen "German Protestantism" ("the individualistic, sentimental pulverisation typical of ’democratic’ modernity" [2]) im Blick auf das Christentum den kirchlichen, sich selbst Kontext gebenden, selbstverifizierenden, "objektiven" und metaphysisch entfaltbaren Lehrcharakter der inhaltssemantischen Dimension christlich-religiöser Äußerungen. Doch das ist eine "dogmatic fallacy". Selbst wenn Texte wie 1Kor 15,12 ff. als Ausdruck des Behauptungsmodus verstanden werden können, so gilt schon hier, daß etwa die "Auferstehung von den Toten" mit guten Gründen nur behauptet werden darf, wenn sie sich in möglichen Erfahrungssituationen zeigt (vgl. z. B. 1Kor 15,14 mit 9,1 f.; 2Kor 12,6; Gal 3,1-5). Der konsequente Bezug christlicher Äußerungen auf je eigene Erfahrung ist folglich nicht erst eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Daß man diesem Zug vieler neutestamentlicher Texte nur schwer folgen kann, wenn ausschließlich die Differenz von infallibilitas und indefectibilitas (Vaticanum I) und nicht das hier empfohlene Konzept fallibilistischer Offenheit zur Verfügung steht, belegen R.s Essays eindrucksvoll.

Aus der Perspektive des abgründigen mythos/logos-Diskurses antwortet Johannes Sloek30. Für ihn gilt: En arche estin ho mythos. Die Gebrechen der wissenschaftlich-technisch zentrierten abendländischen Selbstauslegung (logos; "rational language") resultieren daraus, daß dieser Satz in der Regel als en arche e n ho mythos variiert und damit die fundamentale, welterschließende Rolle "mythischer" Sprache reduktiv verkannt wird. Gegenüber dem fallibilistischen wissenschaftlichen Diskurstyp versucht "devotional language" die welterschließende, autopoietische, tautegorische, sich selbst Kontext gebende "mythische" Sprache im individuellen und sozialen Leben zur Sprache zu bringen (z. B. in "rituals, poetry, prayers, invocations, thanksgivings, forgiveness, and conversation" [68]). Unschwer ist hier eine Variante des "romantischen" Typs des mythos/logos-Diskurses zu erkennen.31 Sie ist im Gefolge Kierkegaards an der Behauptung der "Absurdität der Existenz" orientiert, die als geworfene Sehnsucht (ambivalenter "Mythos der Schöpfung und des Falls") zugleich entlastet (nicht vollständig "erlöst") ist (ambivalenter "Mythos der Vergebung der Sünden"). So sind auch die Evangelien keine Biographien, sondern "mythische" Texte, die erzählte Ereignisse mit welterschließender Bedeutung verbinden.

Eine Stärke von S.s Buch ist, daß diese illusionsarme Position mit einer recht genauen - situationsbezogenen - Analyse des Realitätsproblems verbunden wird, die an Peirce’ Position erinnert. Gleichwohl bleibt S. dem Sprachmonismus verhaftet und ist durch die unhaltbare Konstruktion einer kontinuierlichen, sichselbst verändernden "mythischen" Ursprungssprache schwer belastet. So vermag er zwar z. B. die Dynamik des Realitätsprozesses und seine Geschichtlichkeit eindrucksvoll anzuerkennen, aber m. E. zu dem viel zu hohen Preis, daß der Fallibilismus allein dem überdies einseitig negativ akzentuierten Wissenschaftssystem überlassen wird. Als Movens des geschichtlichen Prozesses müssen aber viel stärker die Konflikte der geschichtlichen Erfahrung verstanden werden, die auch - fallibel - in "devotional language" ihren spezifischen Ausdruck finden. Wegen seines unbestreitbaren philosophisch-theologischen Tiefsinns halte ich das Buch dennoch für sehr empfehlenswert.

Eine identitätszentrierte Antwort gibt schließlich Jan Assmann32 Er überträgt sozialpsychologische Modelle personaler Identitätsbildung auf gesellschaftliche Prozesse. Demzufolge wäre eine qualitativ bestimmte Identität an ein Sich-Selbst-Wissen gebunden. Solches Sich-Selbst-Wissen ist stark archäologisch orientiert. Entsprechend wird für Gesellschaften der identitätsgarantierende Begriff des "kulturellen Gedächtnisses" ausgebildet, sodaß A.s Interesse vor allem Phänomenen der Identitätsbildung durch Vergangenheitsbezug ("Erinnerung") und Traditionsbildungsprozessen gilt.

Gerade in Phasen von Traditionsbrüchen ergibt sich die Notwendigkeit der Stabilisierung gesellschaftlichen Sich-Selbst-Wissens, das an dauerhafte Zeichen gebunden ist. So zeigen sich im ägyptischen Tempel der Spätzeit monumentale Kanonisierungsprozesse. Für Israel läßt sich mit dem nucleus des Dtn eine schriftzentrierte, "transportable" Form des kanonisierten Sich-Selbst-Wissens ausmachen. Nach der Zerstörung des herodianischen Tempels wird zudem im rabbinischen Kontext die rituelle Erhaltung der Schöpfung durch Textauslegung der heiligen Schriften in der Form des Kommentars ersetzt. In der hethitischen Kultur findet A. darüber hinaus eine "Semiotisierung der Geschichte", die mittels des Tun-Ergehens-Zusammenhangs gegenwärtiges Erleben und Handeln an die Erinnerung stiftender Rechtsereignisse bindet, eine Perspektive, die auch dem deuteronomistischen Geschichtswerk zugrundeliegt und das Schuldphänomen in den Vordergrund der Aufmerksamkeit stellt. Die komplexe griechische Schriftkultur schließlich kennt keine scharfe Abgrenzung mündlicher Tradierung und schriftlicher Fixierung. Entscheidend - m. E. auch für das Verständnis neutestamentlicher Texte- ist A.s Feststellung, daß sich hier ein Typ durchaus auch agonistischer Intertextualität ausbildet, den er treffend mit dem rhetorischen Begriff der "Hypolepse" als "kontrollierte Variation" bezeichnet.

Die Einzelheiten dieses großartigen und reichen Werkes können hier nicht dargestellt und kritisch beleuchtet werden.33 Zumindest erwägenswert dürfte A.s Annahme sein, daß sich "Religion" - oder dasjenige, was wir dafür zu halten geneigt sind34 - als eigenständiger Kommunikationsbereich in Israel ausgebildet habe (im Anschluß an M. Smith). Damit tritt aber - dies bleibt bei A. unklar - gesellschaftlich neben den stratifikatorischen Differenzierungstyp eine andere, stärker kommunikationszentrierte Differenzierungsart. "Religiöse" Kommunikation erhält folglich einen hohen Grad an Eigenkontingenz. Es scheint, daß A.s Betonung des Identitätsproblems in der israelitisch-jüdischen Religion in Abgrenzung zu "Ägypten" und der Ausbildung von konkurrierenden Orientierungen innerhalb des Frühjudentums übersieht, daß starke Identitätsfiguren nur eine Reaktionsform auf das mit der Eigenkontingenz von Kommunikation gegebene Problem sind. Eine andere Reaktionsform könnte sein, die Kontingenz von Kommunikation und ihre prinzipielle Unbeherrschbarkeit selbst in den Vordergrund "religiöser" Kommunikation zu stellen. Das ist im Anschluß an Einsichten der antiken Rhetorik schon bei Paulus, Mk und - gegen den Augenschein - m. E. auch bei Joh geschehen. Und es wäre zu fragen, ob die Abschiedsrede des Mose in A.s Paradigma des Dtn nicht symbolisch Ähnliches im Blick hat. Sieht doch der Redner "das Land" nur, ohne hineinzukommen.

Eine grundsätzliche Anfrage ist auch an A.s Reduktion der Zeitmodi auf das Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit zu richten. So dürften weder das Pessach noch gar das Abendmahl einseitig durch den Modus der "Erinnerung" ausgezeichnet sein. Für das Abendmahl - jedenfalls in den einschlägigen neutestamentlichen Texten - ist der Modus der "Erwartung" und folglich der Zukunftsbezug gleichursprünglich. Denn das Abendmahl ist ein Übergangsritual. Und dies dürfte doch wohl auch für das Pessach gelten. - Mit der Privilegierung des Zeitmodus der Vergangenheit hängt schließlich A.s Auffassung vom "Mythos" als "fundierender Geschichte" zusammen. Auch A. verfängt sich hier m. E. im mythos/logos-Diskurs.35 Anders als Sloek übersieht er darüber hinaus wegen der starken Identitätszentrierung seiner analytischen Perspektive die unaufhebbare Ambivalenz vieler Zeichengebilde, die gemeinhin für "Mythen" gehalten werden. Das gilt auch für das den Ägyptologen A. faszinierende israelitisch-jüdische "Ägypten"/"Israel"-Syndrom, von Gen 2-3 ganz zu schweigen.

Diese Einwände können nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier ein sehr starkes kulturtheoretisches Konzept vorliegt - und wohl noch weiter entwickelt werden wird -, das die ungeteilte Aufmerksamkeit auch der neutestamentlichen Wissenschaft verdient. Insbesondere die Ausführungen zur Ausdifferenzierung von "Religion" als eigenständigem Kommunikationsbereich und zum Schriftproblem sind außerordentlich anregend und m. E. weiterführend. Dies gilt vor allem dann, wenn mit Sloek das Realitätsproblem auch in die religionswissenschaftliche Reflexion stärker einbezogen wird. Die aufschlußreichen Erwägungen A.s zu "Fest" und "Alltag", zu "Ritualen" usf. bekommen dann eine phänomenadäquatere Zuspitzung.36 Jedenfalls für neutestamentliche Texte gilt, daß ihre metaphorische, symbolische und "mythische" inhaltssemantische Dimension einschließlich der (z.T. ritualisierten) Wahrnehmungs- und Erfahrungssituationen, auf die sie verweisen (s. o. Sp. 936), als eine spezifische Auseinandersetzung mit dem Realitätsproblem zu betrachten sind.

3. Exegetische Beiträge

Abschließend werden Arbeiten besprochen, die konstituentengrammatische37, narrative38 und kommunikationsbezogen-rhetorische39 Erkundungen neutestamentlicher Texte vorstellen.

Wolfgang Schenk hat eine umfassende und lehrreiche Untersuchung zum Johev vorgelegt, die intertextuell jeweils die Johbriefe und die synoptischen Parallelen - diachron differenziert- mitnotiert.40 Innerhalb des Johev unterscheidet Sch. die Kommunikationsebene der Autor- und Rezeptionsinstanz des schriftlichen Textes und die eingebetteten kommunikativen Initiativen im Text. So ergeben sich innertextuelle und intertextuelle Differenzierungsmuster der einzelnen Lexeme, die instruktiv zu Wortfeldern zusammengefaßt sind und deren syntagmatisch-relationale Gestalt erhellt wird. Der Beobachtungsreichtum des Buches macht vor allem die inzwischen wieder häufiger vertretene Abduktion wahrscheinlicher, daß zumindest ein wesentliches Element der johanneischen Textwelt ihr kritisch-weiterführender Relektürecharakter in Bezug auf die synoptischen Evangelien darstellt. Bei der Beschreibung der Lexeme berücksichtigt Sch. auch rhetorische Beziehungen, freilich vor allem inhaltssemantische, weniger syntaktische und kaum durch Klangfiguren erzeugte. Gleichwohl stößt er zur sinnlichen Medialität des "Buches" Johev vor. Die johanneische Rede vom "Sehen" konnotiert "Lesen": ",Wer mich sieht’ meint in den narrativ eingebetteten Relationen ... primär: ,Wer dies liest’" (416). Allerdings liebt Sch. Joh nicht sehr. Zudem neigt er stark zu positivistischen Auffassungen von Textverstehen und Realität überhaupt. Obwohl Letzteres mit Gründen nicht mehr im Trend liegt41, ist dies sein gutes Recht. Mir scheint freilich, daß positivistisches Realitätsverständnis und große Reserve gegenüber Joh dem Autor das Verstehen erheblich erschweren. So bleibt es trotz elaborierter textwissenschaftlicher Arbeit bei einer am Dualismusproblem orientierten Joh-Interpretation. Wir haben es mit den Texten einer In-group zu tun, die - narzistisch aufgeladen und "gleichschaltend" - eine kalte und mitleidlose agape pflegt (vgl. 3.5 u. ö.). So nimmt es nicht Wunder, daß Sch. glaubt, Joh propagiere einen "vertikalen Analogieschluß", "der von den (im Buch literar[isch]) sichtbaren Effekten (die er als ,bezeugt’ und ,geschehen’ ausgibt) auf die unsichtbare reine Lebenskraft, die alle wesentlichen Bewegungen bewirkt ..., zurückzuschließen anleitet" (415; gemeint ist die zoe).

Daß dies wenig mit Joh 3,16 und der - textuell imaginierten - sinnlich präsenten und als solche zugunsten des kosmos geschehenden agape der "Jünger" (Joh 17) zu tun hat, sei hier wenigstens angemerkt. Eine Interpretation, die sich an derartigen Textsignalen orientiert, kann viel stärker die metaphorische, symbolische und "mythische" Dimension einschließlich der reich entwickelten narrativen Zeitlichkeit des johanneischen Sprechens einbeziehen. So dürfte sich zeigen lassen, daß Joh gegen den Augenschein eine recht fragile Innenperspektive kommuniziert. Daher ist nach Sch.s beeindruckendem Werk noch viel und auch anderes zu tun.

Die neuere narrativ und/oder rhetorisch orientierte Exegese stellt das MkEv als ein lange abgedunkeltes, fein geschliffenes Juwel ins Licht. Paul L. Danove verbindet in einer vorbildlich klaren Arbeit narrative Ansätze in der hebräischen Bibel bzw. LXX und der aristotelischen Poetik mit kasus- bzw. konstruktionsgrammatischen und phänomenologisch-hermeneutischen Ansätzen der Rezeptionsanalyse, um das narrative Rätsel des Markusschlusses nachvollziehbar aufzuklären.42 Das MkEv endete planvoll mit 16,8 und fordert so heraus, die narrative Provokation "outside of the story world and in the life of the reader" (1) zu lösen. Die Arbeit ist gut dazu geeignet, sich in diesen Typ narrativer Analyse einführen zu lassen, der mit einem hohen Formalisierungsgrad das Problem textueller Ambiguität durch PlotAnalyse und Aufmerksamkeit für (z. T. enzyklopädisch kodierte) Steuerungssignale in Bezug auf die textuell imaginierte Rezeptionsinstanz zu bearbeiten sucht.43 Der ohnehin im "Narrative Criticism" stark verbreitete Glaube an symmetrische Gliederungsformen wird bei D. freilich auf die Spitze getrieben. Der Grund dürfte darin zu finden sein, daß er zwar zutreffend das relative Zentrum von propositionalen Strukturen in den Prädikaten des Textes sucht, die Gliederungsarbeit im Detail aber an Binnendifferenzierungen der in die offenen Stellen einzusetzenden Indices (bzw. mittels Konjunktion: weiteren Prädikate) bindet (s. zum Modell o. Sp. 935), um so ein redundantes Muster zu erhalten.

So mag es zwar richtig sein, D.s exemplarischen Referenztext Mk 6,14-29 in 6,14-16.17-29 zu gliedern. Doch schon die weitere Unterteilung von 6,14-16 in 6,14a.14b-15.16 ist einigermaßen willkürlich, wie die syntaktisch-rhetorischen Marker des Segments zeigen. Aus seinem problematischen Modell von Propositionen entwickelt D. dann eine Variation der aristotelischen Erzählgrammatik: Die vier Erzählmomente "introduction", "movement", "climax" und "denouement" etablieren Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Notwendigkeiten (im Sinne von "so und nicht anders") und schließlich Konsequenzen der narrativ erzielten Notwendigkeiten "within the story world" (43 u. ö.). Das gesamte MkEv läßt sich durch Selbstanwendung dieses Schemas fortlaufend gliedern. So tritt - etwas vereinfacht ausgedrückt - am Schluß eine Art von Leerstelle auf, die es eben "im Leben der Lesenden" aufzufüllen gilt: "The implied reader’s growing awareness of the failure of the disciples, however, engenders a readerly estimation that the disciples are outsiders. This provides a negative impetus for the implied reader to accept both the explicit teaching of Jesus and the implicit narrative model of discipleship as a means of avoiding a similar self-estimation as an outsider" (203) - also nicht zu schweigen und sich nicht zu fürchten.

So richtig dies ist, so sehr dürfte es sich hier allenfalls um die halbe Wahrheit handeln. Denn der Plot des MkEv ist in einem mehr als aristotelischen Sinn "tragisch" und handelt von Problemen, die menschlich nicht lösbar sind (vgl. nur die Sequenz Mk 10,26-30; 14,31.50.54.66-72). D.s Gliederungsmodell übersieht, daß in Mk 1,14 f. das textkonstituierende Prädikat der markinischen Erzählung loziert wird. Es läßt sich als "Evangeliumskommunikation" umschreiben und verweist auf die Fragilitäten der entsprechenden wahrnehmungs- und erfahrungsbezogenen Kommunikationssituationen, die sich menschlich nicht hinreichend kontrollieren und beherrschen lassen. Auf diesem Hintergrund wird D.s Arbeit zu einem hilfreichen Beitrag zur Erforschung des MkEv.

Hans-Michael Wünsch hat sich in einer Marburger Dissertation zum Ziel gesetzt, 2Kor 1-9 im enzyklopädischen Kontext hellenistischer Großstädte zu verstehen.44 Neben sozialem Wissen und antiker Brieftheorie bietet sich als Regelsystem in dieser Enzyklopädie vor allem die im Bildungssystem verankerte, aber auch zum (mehr oder weniger expliziten) Alltagswissen vieler Menschen gehörende antike Rhetorik an. Kontrolliert werden die exegetischen Erwägungen W.s durch diffizile und kenntnisreiche textwissenschaftliche Arbeit. So zeigt er schon durch elementare textsyntaktische Beobachtungen, daß 2Kor 2,14-7,4 schwerlich von 2,1-13; 7,5 ff getrennt werden kann. Mit Ausnahme von 6,13-7,1, das W. dem "Vorbrief" im 1Kor zuweisen möchte, hält er 1-9 für integer. Der Text ist auf eine Kommunikationssituation bezogen und planvoll gestaltet. W. begeht dabei nicht den Fehler, aus dem Text sicher auf eine Kommunikationssituation zurückzuschließen, sondern betont durchgehend, daß wir nicht zuletzt die korinthische Gemeinde und die Gegner des Paulus nur aus der Perspektive der briefstellerisch-rhetorisch inspirierten Inszenierung des Textes kennen.

Einer der exegetischen Höhepunkte ist in diesem Sinne W.s Auslegung der Passage 2,16c-3,18, in der Paulus eine direkte sygkrisis mit den "Gegnern" ablehnt, ersatzweise aber eine sygkrisis mit "Mose" durchführt. Insgesamt erscheint W.s Versuch, ausgehend vom prooemium (1,3-11) und der propositio (1,12-14) den Brief zu gliedern, gelungen. So unterstellt er, daß die kayche sis-Semantik der propositio ausschlaggebend ist und den Brief in zwei große Teile gliedert: "Der Apostel als Ruhm der Gemeinde" (1,15-7,3[!]) und "Die Gemeinde als Ruhm des Apostels" (7,4-9,15). Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß W. 8,16-9,5 als Briefpassage "apostolische Parusie" und 9,6-15 als peroratio zu 7,4 ff sowie als Briefschluß des gesamten Briefes zu verstehen vorschlägt. Auf diese Weise werden der eher "apologetisch" inszenierte erste mit dem eher "deliberativ" ausgelegten zweiten Briefteil "verklammert". Im Einzelnen wird man bei der rhetorischen Zuordnung der Textsegmente anderer Meinung sein können. Überzeugend ist freilich der gesamte Wurf, der die Komplexität des paulinischen Sprechens subtil nachzeichnet. Paulus war, wenn er überhaupt als "Theologe" bezeichnet werden darf, nicht bloß ein "Dogmatiker" oder "Ethiker", sondern darüber hinaus - W.s Analyse legt es implizit nahe - vor allem ein "praktischer" Theologe Schleiermacherscher Provenienz. Die sprachliche techne des Apostels besteht nicht zuletzt darin, situationsbezogen unterschiedliche Felder briefstellerisch-rhetorisch souverän kopräsent halten zu können: z. B. die eigene "apologetische" Selbstthematisierung, die "Gemeinde", das "Evangelium", die "Gegner", den Bezug zu "Israel" und zu den "Jerusalemern". Das alles ist nicht bloß gut gemeint, sondern durchaus mit allen Wassern gewaschen.

Die zuletzt besprochenen drei Arbeiten zeigen je auf ihre Weise, daß die neutestamentliche Exegese nach ihrer Glanzzeit in der religionsgeschichtlichen Schule und der existentialen Interpretation in den Wellenbewegungen und gleichzeitigen Ungleichzeitigkeiten ihrer Orientierung im Wissenschaftssystem allmählich wieder Fuß zu fassen beginnt. Die Konzentration auf das perspektivenreiche Sprachproblem zeitigt neue Aufmerksamkeit auf die Eigenart dieser spätantiken Texte. Die Fülle der sozial- und religionsgeschichtlichen Untersuchungen der letzten drei Jahrzehnte erhält so ihre Bedeutung. Sie erhellt die Enzyklopädie der Texte, aus der diese z. T. sehr eigenwillig seligieren. In der Spätantike entsteht zumindest für einen geschichtlichen Augenblick eine Öffentlichkeit, die sich dem stratifikatorischen gesellschaftlichen Differenzierungsmuster auf kommunikationszentrierte und schriftgestützte Weise wenigstens partiell entzieht. Bekanntlich ging dieser geschichtliche Augenblick schon bald zu Ende.

Als theologische Disziplin vermag neutestamentliche Exegese von derartigen Einsichten her durchaus Pointiertes zum kirchen- bzw. gesellschaftsbezogenen theologischen Gegenwartsdiskurs beizusteuern: In einer Phase des Christentums ohne kulturelle Dominanz, eher fern von stratifikatorischen Steuerungsphantasmagorien, sind seine bedeutendsten Symbolbestände entstanden, wie exemplarisch an Paulus, Mk und Joh gezeigt werden kann. Bleiben heute wahrnehmungs- und erfahrungsbezogene christlich-religiöse Äußerungen ähnlich fallibilistisch offen gegenüber Enzyklopädien und spielen mit ihnen offensiv ironisch-gelassen wie vielfach im Neuen Testament, dann könnte unser leicht melancholisch-depressives und hilflos-gereiztes Klima alsbald der Vergangenheit angehören.

Fussnoten:

1 F. D. E. Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, 1977 (stw 211), 71.

2 R. Bultmann, Zum Problem der Entmythologisierung, in: H. W. Bartsch [Hrsg.], Kerygma und Mythos. II. Band. Diskussionen und Stimmen zum Problem der Entmythologisierung, 1952 (ThF 2), 179-208, 189.

3 Bultmann (s. Anm. 2), 187.

4 Vgl. I. U. Dalferth, Religiöse Rede von Gott, 1981 (BEvTh 87). Exegetisch sind vor allem die Arbeiten E. Güttgemanns’ zu nennen, die freilich mit mancherlei Resonanzproblemen belastet waren. Vgl. ders., fragmenta semiotico-hermeneutica. Eine Texthermeneutik für den Umgang mit der Hl. Schrift, 1983 (FThL 9). Vgl. auch W. Egger, Methodenlehre zum Neuen Testament. Einführung in linguistische und historisch-kritische Methoden, Freiburg u. a. 21990.

5 Schleiermacher (s. Anm. 1), 77.

6 Schleiermacher hat für diese Fragestellung in der Regel den schwer belasteten Begriff der "Spekulation" verwendet. Tatsächlich läßt sich seine Intention aber durch Ch. S. Peirce’ Ausarbeitung einer Theorie des abduktiven Schließens rekonstruieren. Vgl. Ders., Phänomen und Logik der Zeichen, 21993 (stw 425), 89 ff. Damit ist gemeint, daß für ein relativ zu einem Erfahrungshorizont fremdes Phänomen hypothetisch eine verstehende Regel aufgestellt wird, die dann deduktiv auf konkrete Erfahrungssituationen zu beziehen und in der Folge kontinuierlich induktiv zu überprüfen ist. Da Schleiermachers Ansatz holistisch ist, also den irreduzibel relational verfaßten Gesamtzusammenhang von "Erfahrung" immer mitzuthematisieren versucht, legt sich für das Gemeinte die Kombination "spekulativ-abduktiv" m. E. sehr nahe.

7 Gloning, Thomas: Bedeutung, Gebrauch und sprachliche Handlung. Ansätze und Probleme einer handlungstheoretischen Semantik aus linguistischer Sicht. Tübingen: Niemeyer 1996 XII, 401 S. 8 = Germanistische Linguistik, 170. Kart. DM 184,-. ISBN 3-484-31170-3.

8 Berg, Henk de, u. Matthias Prangel [Hrsg.]: Differenzen. Systemtheorie zwischen Dekonstruktion und Konstruktivismus. Tübingen-Basel: Francke 1995. 306 S. 8. Kart. DM 86,-. ISBN 3-7720-2154-9.

9 Lafont, Cristina: Sprache und Welterschließung. Zur linguistischen Wende der Hermeneutik Heideggers. Frankfurt/M: Suhrkamp 1994. 392 S. 8. Kart. DM 48,-. ISBN 3-518-58173-2.

10 Großhans, Hans-Peter: Theologischer Realismus. Ein sprachphilosophischer Beitrag zu einer theologischen Sprachlehre. Tübingen: Mohr 1996. IX, 298 S. gr.8 = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 34. Lw. DM 198,-. ISBN 3-16-146591-1.

11 Vgl. Gloning (s. Anm. 7), 193 ff.

12 Vgl. dagegen schon Schleiermacher (s. Anm. 1), 71.116 ff.

13 Peirce (s. Anm. 6).

14 Vgl. Ch. S. Peirce, Semiotische Schriften I. Frankfurt/M. 1986, 269ff.; Ders., Semiotische Schriften III. Frankfurt/M. 1993, 75 ff.

15 Vgl. N. Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt 21985, 191 ff.; Ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft. Erster Teilband, Frankfurt/M. 1997, 16 ff. Vgl. schon die Erörterung bei Aristoteles, Ars Rhetorica, hrsg. v. W. D. Ross, Oxford 1959, II.9, zur epideiktischen Rede.

16 Vgl. Schleiermacher (s. Anm. 1), 80 ff. und passim.

17 Vgl. oben Anm. 15. Dazu: Ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft. Zweiter Teilband, Frankfurt/M. 1997.

18 Vgl. oben Anm. 8.

19 Nach der alten Regel omnis determinatio est negatio. Daß Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft I (s. Anm. 15), 48 , Anm. 51, dies befremdlicherweise relativiert, scheint auf einem Mißverständnis der Regel zu beruhen.

20 Vgl. unten Sp. 9.

21 Mit Bezug auf die Leipziger phil. Diss. von B. Meyer, Analyse und Kritik der Grundlagen der Luhmannschen Theorie sozialer Systeme aus der Sicht der allgemeinen Systemtheorie, 1993.

22 Wenn alles konstruiert ist, ist auch das konstruiert, "daß alles konstruiert ist".

23 Vgl. M. Pöttner, Realität als Kommunikation. Ansätze zur Beschreibung der Grammatik des paulinischen Sprechens in 1Kor 1,4-4,21 im Blick auf literarische Problematik und Situationsbezug des 1. Korintherbriefs, 1995 (Theologie 2), 179 ff.

24 Lafont (s. Anm. 9).

25 Großhans (s. Anm. 10).

26 Großhans (s. Anm. 10), 74 ff.263 ("Gottheit[en]"), berücksichtigt übrigens nicht, daß in anderen Religionen nicht in jedem Fall von "Gott" bzw. "Göttinnen" oder "Göttern" die Rede ist.

27 Es ist also m. E. ganz irreführend, wenn Lafont (s. Anm. 9) durchgehend den Ausdruck "Bezeichnungsrelation" auf Indices einschränken will. Insgesamt ist es eine große Schwäche der Theorie der "direkten Referenz", daß sie faktisch mit einem dyadischen Zeichenbegriff ("referierender Index"/"referierte Sache") arbeitet. Aber Zeichenprozesse sind genuin triadisch, weil die Bezeichnungsrelation die Relata "Zeichen", "dynamisches Objekt" und "Interpretant" konstituiert. Daher sind referierende Indices nicht nur mit dem "dynamischen Objekt", sondern immer auch mit "Interpretanten" als Selbstreferenz der Bezeichnungsrelation verbunden. Vermutlich ist die große Prominenz der Theorie der "direkten Referenz" darauf zurückzuführen, daß dieser elementare Sachverhalt nicht hinreichend berücksichtigt wird. Richtig und fruchtbar bleibt, daß eine bestimmte inhaltssemantische Konstellation ("Intension" als Aspekt des "Interpretanten") nicht das "dynamische Objekt" erzeugt, wie etwa Heidegger behauptet hat. Denn innerhalb der genuin triadischen Bezeichnungsrelation verweist das Zeichen (welcher Art auch immer) auf das "dynamische Objekt", sofern dieses das Zeichen in Bezug auf einen Interpretanten bestimmt. Das ist auch der Fall, wenn irreführende Interpretanten gebildet werden. So ist der biologisch-dynamische Landbau immer noch eine realitätsgerechte Anbaumethode, wenn die anthroposophischen Interpretanten als unzutreffend eingesehen sind.

28 Vgl. Peirce, Semiotische Schriften III (s. Anm. 14). Peirce zeigt, daß selbst sehr abstrakte mathematische und logische Operationen zeichenhaft sind, aber keineswegs notwendig sprachlich, sondern bildlich. Diese Bildlichkeit ist keine Form der Veranschaulichung, sondern genuiner Vollzug von "Denken". Damit wird der abendländische Dual von "Sinnlichkeit"/ "Verstand" hintergehbar. Denn semiotisch ist es viel genauer und auch attraktiver, schon das Wahrnehmungsphänomen mit jener hermeneutisch-holistischen "Als-Struktur" ausgestattet zu sehen und folglich eine fragile Kontinuität zwischen Wahrnehmung, Erfahrung und Erkennen annehmen zu können.

29 Rosa, Forni Guglielmo: The "Essence of Christianity". The Hermeneutical Question in the Protestant and Modernist Debate (1897-1904). Translated from the Italian by M. Luciani and J. Stevenson. Atlanta: Scholars Press 1995. V, 138 S. gr.8 = University of South Florida International Studies in formative Christianity and Judaism, 3. ISBN 0-7885-0138-0.

30 Sloek, Johannes: Devotional Language. Translated from the Danish by H. Mossin. Berlin-New York: de Gruyter 1996. XIX, 155 S. gr.8 = Theologische Bibliothek Töpelmann, 77. Lw. DM 78,-. ISBN 3-11-015228-2. - Die Einleitung von Mossin in Sloek, a. a. O., V ff., versucht erfolglos dem Eindruck entgegenzutreten, daß Sloeks Ansatz durch die Beschreibung der Grammatik des mythos/logos-Diskurses überholt ist (vgl. M. Detienne, Mythologie ohne Illusion, in: C. Lévi-Strauss u. a., Mythos ohne Illusion, 1984 [es 1220], 12-46).

31 Vgl. Pöttner (s. Anm. 23), 231 ff.

32 Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. 2. durchges. Aufl. München: Beck 1997. 344 S. gr.8. Kart. DM 38,-. ISBN 3-406-42375-2.

33 So muß das freilich auf der Hand liegende Problem der starken religionsgeschichtlichen Typisierung bei Assmann, der offenbar das Modell eines porphyrischen Baums zugrundeliegt, hier außer Betracht bleiben.

34 Vgl. G. Ahn, Art. Religion I (Religionsgeschichtlich), TRE XXVIII, 1997, 513-522.

35 Vgl. zur Kritik an ähnlichen Modellen wie der "traditionellen Erzählung" in religionswissenschaftlichen Positionen Pöttner (s. Anm. 23), 237 ff.

36 Vgl. auch R. C. Neville, A Pragmatic Semiotic Theory of Religious Symbolism, Working paper in preparation for L.A.U.D. Symposion No. 398, Duisburg 1996.

37 Schenk, Wolfgang: Kommentiertes Lexikon zum vierten Evangelium. Seine Textkonstituenten in ihren Syntagmen und Wortfeldern. Lewiston-Queenston-Lampeter: Mellen Biblical Press 1993. IX, 489 S. gr.8 = Text-theoretical Studies of the New Testament, 1. ISBN 0-7734-2394-X.

38 Danove, Paul L.: The End of Mark’s Story. A Methodological Study. Leiden-New York-Köln: Brill 1993. .X, 293 S. gr.8 = Biblical Interpretation Series, 3. Lw. hfl 120.75. ISBN 90-04-09717-1.

39 Wünsch, Hans-Michael: Der paulinische Brief 2Kor 1-9 als kommunikative Handlung. Eine rhetorisch-literaturwissenschaftliche Untersuchung. Münster: Lit 1996. VIII, 349 S. gr.8 = Theologie, 4. Kart. DM 58,80. ISBN 3-8258-2603-1.

40 Schenk (s. Anm. 37).

41 Vgl. nur H. Putnam, Für eine Erneuerung der Philosophie, 1997 (Universal Bibliothek 9660), und die Diskussion oben im ersten und zweiten Abschnitt.

42 Danove (s. Anm. 38).

43 Einfacher und weniger technisch ist U. Eco, Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten, 1990 (dtv 4531); zur auch von Danove berücksichtigten Position von W. Iser vgl. ders., Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt/M. 1993; dazu die hermeneutisch produktiven Anwendungen auf das Johev und Hiob von A. Kendel und I. Pieper, in: S. Brandt/B. Oberdorfer [Hrsg.], Resonanzen. Theologische Beiträge, 1997 (FS M. Welker), 115 ff.132 ff. Zum Enzyklopädiekonzept cf. auch Pöttner (s. Anm. 23), 187 f.; Wünsch (s. Anm. ), 10 ff. mit Anm. 14.

44 Wünsch (s. Anm. 39).