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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

112–122

Kategorie:

Literatur- und Forschungsberichte

Autor/Hrsg.:

Haendler, Gert

Titel/Untertitel:

Zwischen Irenäus und Abaelard

Neue Bände der Reihe "Fontes Christiani" 1999/2001

Seit dem Sammelbericht in ThLZ 125, 2000, 1210-1214, brachte die Reihe Fontes Christiani am Ende des Jahres 1999 noch zwei Bände heraus. Im Jahre 2000 erschienen fünf Bände, dazu kommen am Anfang des Jahres 2001 zwei weitere Bände, so dass insgesamt neun Bände in den letzten 18 Monaten auf den Markt kamen,- also im Schnitt in jedem zweiten Monat ein Band! Dieses erfreuliche Ergebnis ist umso höher zu werten, als offenbar einige Mitarbeiter ihre geplanten Termine nicht eingehalten haben. 6 Titel fehlen: 30-32 sowie 34-36. Laut Prospekt sind in Kürze als Bände 39,1 und 39,2 Cassiodors Institutiones zu erwarten. Ein für Mai 2001 angekündigter Band 34 mit Tertullians Schrift gegen Praxeas soll wohl erst später folgen. So bleibt das Problem einer geplanten Zählung, die dann mit der Reihenfolge des tatsächlichen Erscheinens nicht übereinstimmt. Nachfolgend sollen die letzten neun Bände nach ihrem Alter behandelt werden, also von Irenäus bis Abaelard. Band 8/5 (Irenäus) stammt noch aus der ersten Reihe, die damit zum Abschluss kommt. Aus der zweiten Reihe erschienen als Bände 37/1-2 die Werke des Abtes Dorotheus von Gaza sowie Band 40 mit einem Kommentar von Beda. Zwei Bände 33/3-4 beenden die Schrift des Abtes Rupert von Deutz. In drei Bänden 26/1-3 erschien Abaelards Römerbriefkommentar. Auf jeden Fall sollte bei einer so reichen Ernte die Freude einzelne Verzögerungen überwiegen.

1. Band 8/5: Irenäus1

Die Werke des Bischofs Irenäus von Lyon liegen nach 8 Jahren in 5 Bänden abgeschlossen vor. Die ThLZ hatte berichtet: 119, 1994, 956 f. über die Epideixis und Buch 1 von adversus haereses, 122, 1997, 969 über die Bücher 2 und 3 sowie zuletzt 124, 1999, 846 f. über Buch 4 der Schrift gegen die Häretiker. Auch der abschließende Band 5 folgt dem Text der Sources Chrétiennes: 1969 war dort Buch 5 von adversus haereses als Bände 152/53 erschienen, übers. und hrsg. von A. Rousseau, L. Doutrelau und C. Mercier. Die griechischen Fragmente werden in Fußnoten geboten, die auch sonst hilfreich sind: Die in Klammern hinzugefügten Bibelstellen sowie die deutschen Zwischenüberschriften erleichtern die Lektüre der mitunter etwas schwierigen Schrift.

Die Vorrede zu Buch 5 lässt einmal mehr das Selbstbewusstsein und die Absicht des Bischofs Irenäus erkennen: "Die Wahrheit habe ich demonstriert. Die Predigt der Kirche habe ich klar erwiesen. Zwar hatten die Propheten sie schon gepredigt, wie ich dargelegt habe, aber vollendet hat sie erst Christus; die Apostel aber haben sie überliefert, und von ihnen hat sie die Kirche überall auf der Welt übernommen; sie allein bewahrt sie treu und überliefert sie ihren Kindern. So löste ich alle Probleme, die wir mit den Gnostikern haben, erklärte die Lehre der Apostel und verdeutlichte so mancherlei, was vom Herrn in Parabeln gesagt und verwirklicht worden war" (21).

Irenäus beruft sich an einer Stelle der Vorrede auf die Vernunft: "ex ratione". Brox stellt dazu in Anm. 1 fest, dass dem lateinischen Begriff ratio das griechische Wort logos zu Grunde liege, das hier jedoch nur im Sinne von Diskurs, Traktat oder Bericht zu verstehen sei (20). Bei der Zielsetzung des Irenäus spielt die Tradition eine große Rolle. Dabei stützt sich Irenäus in 5,33,4 einmal mehr auf Papias, den Bischof von Hierapolis, mit den Worten: "Das bezeugt auch Papias, der noch Johannes gehört hat und ein Freund Polykarps war, ein Mann der alten Zeit, schriftlich im vierten seiner Bücher - fünf Bücher hat er nämlich geschrieben. Und in einem Zusatz sagt er: ,Wer gläubig ist, der glaubt das'" (249). Fußnote 115 verweist auf die Mitteilung in der Kirchengeschichte des Euseb (3,39,2), nach der Papias von sich selbst gesagt hatte, er habe die heiligen Apostel nicht gehört und nicht gesehen. Zu den Worten des Papias "Haec autem credibilia sunt credentibus" sagt Anmerkung 116: "Dieser kleine Satz über den Glauben ist von unerhörter Bedeutung und bezeichnender als vieles Spektakuläre bei Irenäus, sozusagen das Passepartout, der Hauptschlüssel zur Wirklichkeit" (249).

Die Bedeutung der Berufung auf den älteren Papias für Irenäus hob Brox in der Einleitung klar hervor: "Dieses auch emotionale Interesse des Irenäus an den frühen Presbytern und Aposteln ist für seine Mentalität und Theologie bezeichnend, die sich in der Aura des Konservativen bewegen" (10).

Die gleichbleibende Zielsetzung des Irenäus kommt immer wieder deutlich zum Ausdruck, sie lässt sich auch im vorliegenden Buch 5 zeigen. In 20,1 heißt es: "Der Pfad derer, die aus der Kirche kommen, führt um die ganze Welt; er hat nämlich von den Aposteln her eine feste Tradition, und er lässt bei allen ein und denselben Glauben sehen, indem alle den einen und selben Gott Vater annehmen und dieselbe Heilsordnung der Menschwerdung des Sohnes Gottes glauben; sie kennen dieselbe Schenkung des Geistes und bedenken dieselben Gebote und bewahren dieselbe Form der kirchlichen Verfassung; sie warten auf dieselbe Ankunft des Herrn und halten am selben Heil für den ganzen Menschen fest, das heißt für Seele und Leib. Die Predigt der Kirche ist demnach wahr und fest; bei ihr findet sich ein und derselbe Heilsweg in der ganzen Welt".

Die Register bieten zunächst die Bibelstellen (289-293), deren Fülle eindrucksvoll zeigt, dass Irenäus immer wieder direkt aus der Bibel zitiert und sich auf deren Aussagen stützen will. Dabei ist freilich festzustellen, dass diese Auslegungen dem modernen Bibelverständnis manchmal schwer zugänglich sind. Auch das Personenregister zeigt ein ziemlich deutliches Übergewicht der biblischen Namen (294 f.). Insgesamt ist dem Hg. zu danken für die Erschließung einer wichtigen Schrift aus der ältesten Zeit der Kirche, die durch diese zweisprachige Textgestaltung für breitere Kreise im deutschsprachigen Raum gut nutzbar wird. Auch für den Lehrbetrieb an den Theologischen Fakultäten dürfte mit diesen Bänden ein sehr brauchbares neues Arbeitsmittel vorliegen, das zumal die Kirchenhistoriker beider Konfessionen nutzen sollten.

2. Band 37, 1-2: Dorotheus von Gaza2

Es gehört zu den Verdiensten der Reihe Fontes Christiani, dass sie mitunter auch ganz unbekannte Texte aufnimmt. Über Dorotheus von Gaza teilte 1978 die Patrologie von Altaner-Stuiber nur mit: "Dorotheus, Abt eines Klosters bei Gaza (560/ 80), Schüler der hll. Barsanuphius und Johannes, hinterließ hochgeschätzte Lehrvorträge (Didaskalia); davon sind 17 erhalten, ferner 16 Briefe und eine kleine Sentenzensammlung" (519). Die damals genannte Textausgabe "Oeuvres spirituelles" in der Reihe Sources Chrétiennes (Bd. 92, 1963) von L. Régnault und J. de Préville bildet auch für die neue Ausgabe die Grundlage. In der Serias Graeca des Corpus Christianorum taucht Dorotheus ebenso wenig auf wie in der in Berlin erscheinenden Reihe Griechische Christliche Schriftsteller. So muss sich die Bearbeiterin manchmal auf die alte Ausgabe stützen, die bei Migne (PG 88) steht. Andererseits kann sie aber gelegentlich auch zwei neuere Ausgaben von S. Schoinas (Volos 1975) und K. Chrestou (Thessalonike 1981) mit heranziehen.

Die Briefe des Dorotheus stehen in einem weitaus größeren, 850 Briefe umfassenden Briefcorpus. Über diesen Zusammenhang geben die 1997/ 98 erschienenen Bände 426 und 427 der Sources Chrétiennes Auskünfte: Barsanuphe et Jean de Gaza, Correspondance, hrsg. von F. Neyt/P. de Angelis-Noah/L. Regnault. Gelegentlich wird auf eine unveröffentlichte Dissertation von J. Wijnen verwiesen: Dorotheus von Gaza. Prolegomena tot een tekstuitgave (Louvain 1954). Wijnen hat Teile der Didaskalia in 150 griechischen Handschriften gefunden (18). Neben der griechischen existiert auch noch eine arabische und eine georgische handschriftliche Überlieferung, die sich großenteils im Katharinenkloster auf dem Sinai befindet (21). In den Wirren um 600 ist das Kloster des Dorotheus wohl zerstört worden, seine Werke tauchen erst wieder bei Theodor von Studion am Ende des 8. Jh.s auf. "Für die studitische Rezension darf das Skriptorium des Studitenklosters in Konstantinopel verantwortlich gemacht werden" (23).

Ein Problem ist die Häufigkeit des Namens Dorotheus. Am Beginn des Textes steht die warnende Vorbemerkung eines anonymen Editors, der verschiedene Träger des Namens Dorotheus nennt und feststellt: "Theodor von Studion, der überaus weise Hegumenos", hat sich dazu klar geäußert (85).

Die Lehre des hier folgenden Dorotheus von Gaza wird jedoch empfohlen mit der Begründung: "Wer sie für sein eigenes Leben sorgsam befolgt, wird zum vollendeten Maß der Tugend in Christus gelangen, und wenn er das Ziel erreicht hat, wird er mit dem Kranz der Freiheit von Leidenschaft geschmückt und des ewigen Lebens mit den Heiligen gewürdigt werden" (87). "Die Übersetzung möchte den lebendigen Stil des mündlichen Vortrags wiedergeben; daher wird auch der relativ häufige Wechsel in der Erzählzeit (Imperfekt/Präsens) nicht geglättet". Die Übersetzerin bleibt bei der "Schmucklosigkeit der Rede" des Dorotheus (51). Sie bietet die erste vollständige deutsche Übersetzung seiner Werke.

Die Ausgabe bringt mehr als der Buchtitel verheißt: Die doctrinae diversae füllen Band I, 122 bis Band II, 461. Es folgen aber noch die Epistulae (Bd. II, 462-497) sowie die Sententiae (Bd. II, 498-503). Bibliographie und Register erschließen die Bände. Die Textausgabe wurde 1996 als Teil einer katholisch-theologischen Dissertation "Menschsein und Menschwerden nach der geistlichen Lehre des Dorotheus von Gaza" in München angenommen.

Dorotheus wurde in Antiochien geboren, er hat die klassische antike Bildung aufgenommen und war 15 Jahre lang Mönch im
Kloster des Abbas Seridus bei Gaza. Dann gründete er ein eigenes Kloster bei Gaza, das er als Abt leitete. Er kam wohl aus begüterten Verhältnissen, denn gelegentlich geht es um sein Vermögen, Bücher und Kleidung sowie ein kleines Landstück im Privatbesitz (9). Für das 5./6. Jh. kann man "von einer Blütezeit der Rhetorenschule von Gaza sprechen ... Die Nähe zur Stadt Gaza prägt das Mönchtum in der Umgebung. Wie die Briefe des Barsanuphius und Johannes zeigen, stehen die Mönche durchaus im Kontakt mit Gelehrten aus der Stadt" (12). Im Gegensatz zu den Wüstenvätern ist man nicht bildungsfeindlich eingestellt. Der Abschnitt über seine Quellen zeigt das deutlich (35-43).

Neben der Bibel und mehreren Kirchenvätern (Athanasius, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa, Johannes Chrysostomos u. a.) zitiert Dorotheus auch Epiktet und Aristoteles, er kennt Seneca und Plutarch (41). Mehrfach greift Dorotheus auf Kenntnisse antiker Medizin zurück und "folgt dabei dem Medizinkonzept des Hippokrates" (42). In XI,113 zieht Dorotheus aus einem konkreten Krankheitsfall grundsätzliche Folgerungen: "Für die körperliche Schwäche finden wir verschiedene Ursachen, sei es, daß die Arzneien alt sind und nicht mehr wirken, sei es, daß der Arzt unerfahren ist und statt einer bestimmten Arznei eine andere gibt, oder daß der Kranke ungehorsm ist und nicht befolgt, was vom Arzt angeordnet ist. Bei der Seele aber ist es nicht so, denn wir können nicht sagen, daß der Arzt unerfahren ist und nicht das passende Heilmittel gibt. Denn Christus ist der Arzt unserer Seelen; er weiß alles und gibt für jedes Leiden das passende Heilmittel, zum Beispiel gegen die Ruhmsucht die Gebote über die Demut, gegen die Genußsucht die über die Enthaltsamkeit, gegen die Habsucht die über die Barmherzigkeit, - mit einem Wort: Jede Leidenschaft hat als Heilmittel ein ihr entsprechendes Gebot" (II, 331).

Die Wirkungsgeschichte betrifft vor allem die Ostkirche seit Theodor von Studion: In Psalmen- und Evangelienkatenen, in Schriften auf dem Berg Athos. Nils Sorskij fertigte um 1500 eine kirchenslawische Übersetzung an. Erste lateinische Übersetzungen von Teilen der doctrinae sind im 11. Jh. in Montecassino nachgewiesen, im 16. Jh. erscheinen vollständige Ausgaben in Venedig. 1597 brachte Paul Dumont eine erste französische Übersetzung heraus (47). Aus der Fülle der Namen seien die fast gleichzeitigen französischen Klosterreformer De Rancé von La Trappe und Jean Mabillon genannt.

Im deutschen Sprachraum brachte der junge Michael Sailer - "als erster deutscher Autor?" - im dritten Band seiner "Briefe aus allen Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung" (1801) drei Briefe des Dorotheus heraus. Auch Maurus Wolter, der erste Erzabt von Beuron, griff auf Dorotheus zurück in seinen in Brügge 1888 erschienenen Praecipua Ordinis monastici Elementa (49).

Für die Denkart des Dorotheus mit seiner seelsorgerlichen Absicht und zugleich als weiteres Beispiel für die gelungene Übersetzung sei ein Abschnitt über das Gewissen zitiert: "Laßt uns also eifrig bemüht sein, Brüder, auf unser Gewissen zu achten, solange wir in dieser Welt sind! Lassen wir nicht zu, daß es uns in irgendeiner Sache überführt; treten wir es nicht mit Füßen, auch wenn es nur um etwas völlig Geringes geht! Denn ihr wißt: Von diesen kleinen und sogenannten geringen Dingen kommen wir dazu, auch die großen zu verachten. Denn man beginnt damit zu sagen: ,Was ist das schon, wenn ich dieses Wort sage! Was ist das schon, wenn ich dieses kleine bißchen esse! Was ist das schon, wenn ich mich mit dieser kleinen Sache beschäftige!' Aus dem ,was ist schon dieses' und ,was ist schon jenes' wächst einem ein böses und tückisches Geschwür, und man beginnt, auch größere und gewichtigere Dinge gering zu schätzen und sein eigenes Gewissen mit Füßen zu treten. So gerät man schließlich in die Gefahr, in eine völlige Abgestumpftheit hineinzufallen" (doctr. div. III,42, 187-89). Mit solchen Beobachtungen, Vergleichen und Ermahnungen kann Dorotheus von Gaza auch eine aktuelle Bedeutung haben.

3. Band 40: Beda Venerabilis3

Ganz im Gegensatz zu Dorotheus von Gaza ist der angelsächsische Mönch Beda eine bekannte Persönlichkeit. Seine Werke sind vielfach herausgegeben worden, sie erscheinen im Corpus Christianorum in der Serias Latina, die Teilbände 118 A-123 C liegen vor. Die Fontes Christiani bringen einen ganz kleinen Ausschnitt aus seinem Schaffen: Bedas Kommentar zum Jakobusbrief ist im Rahmen seines Kommentars zu den Katholischen Briefen überliefert. In CCL 121 hatte D. Hurst diesen Text 1983 ediert (183-224). Hurst hatte 1985 noch eine englische Übersetzung gebracht: "Hinweise zu Text und zum textkritischen Apparat der CCL-Ausgabe sowie zur amerikanischen Übersetzung werden, sofern als nötig erachtet, in den Anmerkungen gegeben" (60). Der Band von Karsten ist aus einer Paderborner Dissertation von 1998 hervorgegangen.

In der Einleitung schildert K. Beda Venerabilis und sein Wirken. Er beginnt mit der angelsächsischen Missionsgeschichte, es folgen die Abschnitte "Beda - der Schüler", "Beda - der Lehrer" und "Beda - der Schriftsteller". Für "sehr unwahrscheinlich" hält K. einen Aufenthalt Bedas in Canterbury oder gar eine Lehrtätigkeit dort, ebenso bezweifelt er "den angeblichen Romaufenthalt Bedas im Jahre 701" (14). Erzbischof Theodor von Canterbury "ist wohl der Schlüssel dafür, daß Beda die Bibel später nicht nur allegorisch gelesen hat, sondern sich mit Liebe und Perfektion auch dem Literalsinn zugewandt und hierbei zum Teil bis heute nicht überbotene Lösungen gefunden hat" (17).

Beda blieb sein Leben lang im Doppelkloster Wearmouth-Jarrow, wo mehr als 600 Mönche lebten. Aber "Beda wird wohl auch etliche von weit Gereiste zu seinen Schülern gezählt haben" (21). Weltliche und geistliche Wissensgebiete waren für ihn eine Einheit. Es bedeutete für ihn kein Problem, "Fragen der Grammatik und Metrik und mathematische Grundlagen mit Hilfe von bibelkundlichem Material zu erörtern. Besonders in seinen komputistischen Forschungen sind Kalenderfragen, Theologie - Rede von Gott- und Eschatologie nicht zu trennen" (22). Auch der spätere Einfluss
der angelsächsischen Klosterbildung auf den Kontinent kommt kurz in den Blick. Der gelehrte Alkuin und Karl d. Gr. werden genannt, aus Karls d. Gr. admonitio generalis werden zwei Sätze zitiert (23). K. zählt Bedas Werke in zeitlicher Abfolge auf, soweit eine Datierung möglich ist. Bedas Kommentar zu den Katholischen Briefen gehört in die Jahre 706-719.

Schließlich wiederholt K. die schon mehrfach gestellte und recht verschieden beantwortete Frage: "War der angelsächsische Mönch und Universalgelehrte Beda Venerabilis (672/73-735) ein bedeutender, vielleicht sogar der bedeutendste Bibelexeget seiner Zeit?" (29). Zur Beantwortung dieser Frage soll die Untersuchung von Bedas Kommentar zum Jakobusbrief beitragen. Zunächst muss K. begründen, warum er sich gerade diesem einen und zudem kurzen Kommentar Bedas zugewendet hat. Dazu sagt K., "daß wir in diesem Werk in höchstem Maße Bedas eigenen Gedanken begegnen. Schon ein Blick auf den lateinischen Text und die Übersetzung des Jakobuskommentars macht deutlich, dass Beda nur selten Gewährsleute zitiert, daß heißt äußerst selbständig arbeitet und daß er fast ausschließlich den Literalsinn des Jakobusbriefes erhebt, also philologisch vorgeht, weil er auf entsprechende allegorisch angelegte Vorläuferkommentare keine Rücksicht nehmen mußte" (34 f.).

Zur Begründung seiner Wahl gerade dieses Kommentars verweist K. sodann auf eine weitere Beobachtung: "Auch die zahlreichen Anspielungen auf konkrete Situationen und Verhaltensweisen machen deutlich, daß
diese seine Antworten wesentlich bestimmt haben" (36). Das Zentrum
sieht K. in der Forderung von Jak 3,1: "Ihr sollt nicht in so großer Zahl Lehrer werden, meine Brüder" (38). Dieses Thema klingt schon an in Jak 1,19 "Es sei aber jeder Mensch schnell (sc. bereit) zum Hören, langsam aber zum Sprechen und langsam zum Zorn". Beda kommentiert: "Von hier an unterweist er den Hörer mit moralischen Vorschriften. Und zu Recht fordert er zunächst, daß jeder recht schnell das Ohr dem Lehrenden zuneige, aber spät den Mund zum Lehren öffne, da es töricht ist, anderen die Dinge predigen zu wollen, die man selbst nicht vorher gelernt hat" (91). Aufschlussreich ist die Begründung, denn Beda zitiert sowohl das Alte Testament wie auch die Antike: "Daher sagt Salomo, wenn er aus der Entfernung der Zeiten schreibt ,Es gibt eine Zeit des Schweigens und eine Zeit des Redens' (Koh. 3,7). Deshalb schreiben die mit den Lehren der Naturwissenschaft befaßten Pythagoräer vor, daß ihre Hörer fünf Jahre lang schweigen, bevor sie erlauben, daß sie lehren" (93).

Bedas Auslegung zu Jak. 3,1 "Ihr sollt nicht in so großer Zahl Lehrer werden, meine Brüder" verweist auf die Apostelgeschichte. Insbesondere das Apostelkonzil in Acta 15 zeigt, wie viele falsche Lehrer schon damals gelehrt haben und wieviel Mühe es gekostet hat, die Reinheit der Lehre wiederherzustellen. "Diese und Lehrer dieser Art hält der selige Jakobus folglich vom Dienst am Wort ab, damit sie nicht denen ein Hindernis bereiten, die jenen (sc. Dienst) auf rechte Weise erfüllen konnten. Denn ihr wißt, sagt er (sc. Jakobus), daß ihr ein strengeres Urteil zu erwarten habt" (129). Die folgenden Verse unterstützen Bedas Anliegen: "Wenn wir nämlich den Pferden Zügel in die Mäuler legen, damit sie mit uns übereinstimmen, zügeln wir auch ihren ganzen Körper" (Jak 3,3, 133). "Schaut her, auch die Schiffe werden, obwohl sie groß sind und von kräftigen Winden getrieben werden, (sc. nur) von einem kleinen Steuerruder gewendet, sobald der Entschluß des Lenkenden es gewollt hat" (Jak 3,4, 135). Ebenso passen die Verse 3,5 und 3,6 zu Bedas Anliegen: "So ist auch die Zunge nur ein kleiner Körperteil und bringt große Dinge hervor" (135) und "Auch die Zunge ist ein Feuer, eine Welt der Ungerechtigkeit" (137). Beda kommentiert: "Ein Feuer ist die Zunge, weil sie den Wald der Tugenden durch üble Reden verschlingt. Daher sagt der weise Mann (sc. Sirach) über den Toren: ,Und das Öffnen seines Mundes ist eine Brandstiftung'" (Sir. 20,15 Vg.).

Bei manchen Erörterungen verweist Beda auf Verschiedenheiten der Überlieferungen des biblischen Textes. Am deutlichsten geschieht das zu dem bekannten Vers 4,6: "Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er seine Gnade". Jakobus zitiert diesen Vers aus Sprüche 3,34 nach der Überlieferung der Septuaginta. Beda fügt hinzu: "Es ist aber anzumerken, daß diesen Satz über die Hochmütigen und Demütigen der selige Jakobus aus den Gleichnissen Salomos gemäß einer alten Übersetzung (sc. genommen hat), wie ihn auch Petrus in seinem Brief gesetzt hat (1Petr 5,5). Stattdessen heißt es in unserer Ausgabe, die von der richtigen hebräischen Ausgabe herrührt, so: ,Mit den Spöttern wird er selbst sein Spiel treiben, und den Sanften wird er seine Gnade geben'". Bei Beda steht wörtlich "in nostra editione quae de Hebraica veritate descendit" (164). Es gab damals aber nur wenige Gelehrte, die hinter die griechische Übersetzung des Alten Testaments auf den hebräischen Urtext blicken konnten. Der Begriff "Hebraica veritas" geht auf Hieronymus zurück (164, Anm. 73).

Der vorliegende Band ist wohlgelungen. Man bekommt einen Überblick und man wird an einem Text in die Tiefe geführt. Für die Reihe Fontes Christiani legt sich freilich die Frage nahe, ob nicht noch andere Werke Bedas das Bild dieses Gelehrten abrunden sollten. Bedas Kirchengeschichte des englischen Volkes liegt in einer zweisprachigen Ausgabe vor; aber auch seine Historia abbatum oder seine Vita sancti Cuthberti sind von historischem Wert. Die in CCL 121 edierte Arbeit "Nomina regionum atque locorum de actibus apostolorum" könnte im Zeitalter des Tourismus Leser finden.

4. Band 33/3-4: Rupert von Deutz4

Der Mönch Rupert im Lütticher Kloster St. Laurentius, der 1120/21 Abt in Deutz wurde, ist bekannt geworden unter dem Namen Rupert von Deutz (Rupertus Tutiensis). Sein Leben war im ersten Teilband beschrieben worden. Es zeigte eindrucksvoll, dass Rupert auf Seiten der päpstlichen Partei gegen die Vertreter der Reichskirche stand: Vgl. ThLZ 125, 2000, 1212-1214. Das Werk De divinis officiis entstand zwischen 1108 und 1111 und wurde die am meisten verbreitete Arbeit von Rupert; sie wird in zahlreichen Bibliothekskatalogen des Mittelalters genannt. Als lateinischer Text liegt der von Hrbanus Haacke zu Grunde, dessen kritische Ausgabe im Corpus Christianorum, Continuatio mediaevalis (CCCM 7), 1967 erschienen ist. Die Übersetzer Helmut und Ilse Deutz bieten einen gut lesbaren Text, H. Deutz ist durch das Buch "Geistliches und geistiges Leben im Regularstift Klosterrath im 12. und 13. Jahrhundert" (Siegburg 1990) als Kenner des mittelalterlichen Klosterwesens ausgewiesen.

Teilband II begann mit dem dritten Buch "Über die Ordnungen des Kirchenjahres von der Adventszeit an", mit dem fünften Buch wurde die Passionszeit erreicht. Im neu vorliegenden dritten Teilband wird die Darlegung fortgesetzt. Das sechste Buch beginnt mit Karfreitag: "Vom Rüsttag". Einige Einzelheiten zeigen die Art, in der Rupert schildert und lassen zugleich die gelungene Übersetzung erkennen. Buch 6,4 fragt: "Warum wir uns zur neunten Stunde zur Verehrung des Kreuzes versammeln" (III, 789). Auch hier sind einschlägige Bibelstellen in den deutschen Text eingefügt, die das Verständnis erleichtern. Mitunter werden liturgische Abschnitte im Wortlaut gebracht, z. B.
zum Osterfest (6,28 = III, 840-847). Gerade die Übertragung der kurzen und herb erscheinenden lateinischen Verse in die deutsche Sprache ist gut gelungen. Danach wird erklärt, "Warum Ostern nicht vor dem Vollmond nach der Frühlings-Tagesundnachtgleiche gefeiert wird" (6,27 = III, 847).

Als Leseprobe sei die Erklärung der Osterkerze geboten: "Eine gewiß eigene Zierde dieser so erhabenen Festfeier ist die Kerze, deren Segnung Papst
Zosimus, der neununddreißigste Bischof der römischen Kirche, angeordnet hat, mit deren Segnung der süßtönende Lobpreis der Auferstehung Christi beginnt. Die Kerze aber stellt zeichenhaft diesen unseren Herrn dar, der durch sein Auferstehen die Trauer seiner Jünger, ja die ganze Welt mit dem Glanz der ihm eigenen Freude aufheitert. Dies trifft wahrhaft zu, und die Kraft dieses Sinnzeichens verlangt selbst eindringlich danach, daß in gleicher Weise, wie die ausgelöschten Lichter in den vergangenen Nächten das Antlitz der Kirche traurig gestimmt haben, die entzündete Kerze diese Nacht mit dem fortdauernd strahlenden Licht ihrer frohlockenden Flamme erfreue" (6,28 = III, 853). Buch 7 setzt mit der Taufe zu Ostern ein und schildert Prozessionen (III, 898-1007). Im achten Buch folgen die Messen an den Tagen nach Ostern (III, 1008-1139). Das neunte Buch setzt diese Beschreibungen bis zum Sonntag nach Himmelfahrt fort (III, 1140-1236).

Teilband IV setzt mit dem Pfingstfest ein. Zum Sprachwunder nimmt die Überschrift von Buch 10,7 in einer speziellen Frage auf den Mönch Beda Bezug: "Daß die Apostel nicht, wie einige meinen, in nur einer Sprache, das heißt in der hebräischen, gesprochen haben, in der Weise, daß sie in einem jeden Volk die eigene zu sein schien, was ein Wunder, wie Beda sagt, nicht der Sprechenden, sondern der Hörenden gewesen wäre" (IV, 1311). Das entscheidende Argument ist freilich ganz subjektiv: "Denn
von uns wissen wir sicher, daß wir die Schriften, die die Apostel in der hebräischen oder der griechischen Sprache verfaßt haben, ohne Übersetzer nicht zu lesen vermögen" (ebd.). Das klingt überzeugend, trifft aber die Problematik von Pfingsten nur bedingt. Die Gabe der Sprachen bedeutet "zeichenhaft, daß die Kirche Gott, der ihr bis dahin allein in Judäa bekannt war (vgl. Ps 76, 2VG Ps 75,2), in der Folgezeit in den Sprachen aller Völker verkündigen müßte. Daher ist es in Wahrheit ein Zeichen dafür gewesen, daß die Sprachengabe auch die Wirkursache und der Anfang der zukünftigen Entwicklung war" (10,17 = IV, 1313). Der Gedankengang wird dann ganz nüchtern fortgesetzt: "Denn wie hätten die Apostel die Lehrer der Völker werden können, wenn sie nicht durch die Kenntnis der Sprachen die Möglichkeit der Verständigung mit ihnen gefunden gehabt hätten: Wie sage ich, hätten wir auch nur ,Amen' geantwortet ,zu ihrem Segensgebet' (1Kor 14,16), wenn wir nicht verstehen könnten, was sie sagten?" (10,17 = IV, 1313). Eine Anmerkung sagt dazu, dass Rupert in dieser Frage "in Übereinstimmung mit der traditionellen Auffassung der Kirchenväter" steht (IV, 1312, Anm. 45).

Das elfte Buch handelt von der heiligen Dreifaltigkeit : "Incipit de sancta Trinitate" (IV, 1366). Buch 12 geht auf 23 Sonntage nach der Oktav von Pfingsten ein, - also auf unsere "Sonntage nach Trinitatis" (IV, 1460-1525). Am Anfang steht das jeweilige Evangelium jedes Sonntags, dazu die Epistel, die Zusammenhänge werden erörtert. Ein Abschnitt "Von den Lesungen der Nokturnen" schließt das Gesamtwerk ab (IV, 1524-1533). Es folgen zwei Verzeichnisse und acht Schemata. Ausführliche Register eröffnen Zugänge zu dem Text. Allein das Register der Bibelstellen füllt dreispaltig die Seiten 1584-1606. Aber auch das Personenregister bietet z. B. im Abschnitt "Antike und Mittelalter" interessante Hinweise: Überdeutlich ist die Vorrangstellung der Kirchenväter Augustin, Gregor d. Gr. und Hieronymus (IV, 1609-1612).

5. Band 26, 1-3: Abaelard5

Rolf Peppermüller hat seit seinem Buch über Abaelards Auslegung des Römerbriefes 1972 immer wieder Arbeiten zu dieser Thematik vorgelegt. Für die Textausgabe brachte er beste Voraussetzungen mit. Seine Einleitung beginnt mit einem Überblick über Abaelards Leben und Werk, Anmerkung 5 stellt fest: "Hier wie im folgenden wird davon ausgegangen, daß Abaelards Autobiographie, die Historia calamitatum (= epist.1), authen-
tisch ist". Heloise kommt also große Bedeutung zu; 527 literarische Darstellungen zum Thema Abaelard und Heloise wurden gezählt (13, Anm. 62).

Zum Verhältnis zwischen Bernhard von Clairvaux und Abaelard gelingen P. treffende Charakterisierungen: "In Abaelard und Bernhard trafen zwei völlig gegensätzliche Denker aufeinander: hier der Intellektuelle, der Vertreter der ,scholastischen', spekulativen Theologie, dessen Ziel es war, die überlieferten Glaubenswahrheiten mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden, insbesondere der Logik, einsichtig zu machen ... Bernhard hingegen war Mystiker und Charismatiker, dem ein Vorgehen wie das Abaelards von vornherein verdächtig war; er betrachtete derartige Neuerungen als destruktiv und bekämpfte sie mit allen Mitteln" (14 f.). Papst Innozenz II. hat Abaelard 1140 verur-
teilt, dieses Urteil aber bald zurückgenommen. Abaelard starb 1142 in Cluny.

Kapitel II "Der Kommentar zum Römerbrief" verweist zurück auf die altkirchlichen Exegeten der antiochenischen und alexandrinischen Schule. Für die Ausleger des Mittelalters war die allegorische Methode üblich. Besondere Bedeutung kommt dem Römerbriefkommentar des Origenes zu, der den mittelalterlichen Autoren in der verkürzten lateinischen Bearbeitung des Rufin vorlag. Diesen Text zitiert Abaelard mehrfach. Als Textgrundlage nennt S. 21, Anm. 75: "Lateinischer Text mit deutscher Übersetzung: T. Heither, Commentarii in epistulam ad Romanos/Römerbriefkommentar (Fontes Christiani 2,1/ 6)". Freilich hat Teresa Heither bei ihrer Ausgabe den alten Text von Migne, PG 14, Sp.837-1292 zu Grunde gelegt. Fast gleichzeitig mit der Ausgabe in den Fontes Christiani entstand eine kritische Ausgabe, deren ersten Band P. in die Bibliographie (III, 915) aufgenommen hat: "Der Römerbriefkommentar des Origenes: Kritische Ausgabe der Übersetzung Rufins, Buch 1-3 (hrsg. von C. P. Hammond Bammel = AGLB 16), Freiburg 1990". Diese Ausgabe ist nach dem Tode von Caroline Hammond Bammel aus hinterlassenen Vorarbeiten in Beuron zum Abschluss geführt worden durch Hans Joachim Frede und Hubert Stanjek in der Reihe "Aus der Geschichte der lateinischen Bibel" (AGLB), Band 33 (1997) und 34 (1998).

Abaelards Römerbriefkommentar gründet P. auf die kritische Edition von Eligius M. Buytaert: Petri Abaelardi Opera theologica I = Corpus Christianorum, Continuatio mediaevalis 11, 1969, 3-340. Die Seitenzahlen sind jeweils am Rande vermerkt. Die von Buytaert verwendeten Handschriften werden aufgeführt (51). Aber P. ist an mehr als 450 Stellen von der Edition Buytards abgewichen und geht auf die Problematik im Detail ein (52-57). Zur Übersetzung heißt es, sie versuche, "den lateinischen Text Abaelards so genau wiederzugeben, wie das möglich ist, ohne daß darunter die Verständlichkeit im Deutschen allzu sehr leidet. Der Leser soll einen Eindruck von Abaelards elegantem, an klassischen Autoren und Augustinus geschulten Stil erhalten ... Der Leser sollte die Struktur des lateinischen Originals so weit wie möglich in der Übersetzung wiederfinden können!" (57). Dieses Ziel ist erreicht. Die schwere Lesbarkeit des Textes kann man nicht dem Übersetzer anlasten, sie ist primär in den Gedankengängen des Römerbriefes angelegt, die durch Abaelards Kommentar nicht einfacher werden.

Abaelards Kommentar zum Römerbrief ist in den Jahren 1133 und 1137 entstanden, er hat seinen ersten Entwurf aber wohl mehrfach redigiert. Abaelard bot keinen Text für Vorlesungen, er wendete sich an Leser (23). Seine Methode ist die Glossierung, er versah "erläuterungsbedürftige Stellen mit kurzen Erklärungen" (24). Das war damals allgemein üblich. Charakteristisch für ihn waren "die zahlreichen in den Text eingestreuten Exkurse. Kein Autor vor ihm hat Quaestionen in solcher Zahl und vor allem in solchem Umfang innerhalb eines Kommentars behandelt" (25). An mehreren Stellen wendet er "Erkenntnisse aus der Logik zur Klärung theologischer Probleme an" (25). Dabei hat Aristoteles (in der Vermittlung durch Boethius) eine wichtige Rolle gespielt (26). Die Antike spielte für mittelalterliche Theologen eine erhebliche Rolle. Als ein Beispiel sei Abaelards Auslegung zu Röm 1,20 geboten, dem oft zitierten Vers über die allgemeine Offenbarung: Abaelard kommentiert: "Es wird daher insbesondere gerade aus der gesamten Weltschöpfung, die so wunderbar gemacht, so passend geschmückt ist, klar, von welch großer Macht, von welch großer Weisheit, von welch großer Güte ihr Schöpfer ist, der ein solch großes derartiges Werk aus dem Nichts erschaffen konnte und wollte und alles so kunstvoll und vernünftig eingerichtet hat, daß im einzelnen nichts mehr oder weniger, als nötig war, getan worden ist. Daher hat auch Plato selbst, als er von der Erschaffung der Welt handelte, die Güte der göttlichen Macht und Weisheit in einem solchen Maße hervorgehoben, daß er behauptete, Gott habe keinesfalls eine bessere Welt schaffen können, als er getan habe" (151). Nach Plato hat Cicero gezeigt, "daß die Welt selbst durch Vorsehung, nicht durch Zufall geleitet gelenkt werde: als er nämlich behauptete, daß das, was mit Plan und Vorsehung geleitet werde, besser vorankomme und geleitet werde als anderes, und sogleich hinzunahm, es werde nichts besser und ordentlicher gelenkt oder geordnet als gerade die Welt ..." (153).

Mitunter geht Abaelard ins Detail. Er hinterfragt z. B. Zitate des Paulus aus dem Alten Testament. Zu Röm 3,10 "Da ist keiner, der gerecht sei, auch nicht einer" schrieb Abaelard: Diese Verse "liest man im Hebräischen nach dem Zeugnis des Origenes oder Hieronymus nicht so fortlaufend". Daher sagt Origenes in der Auslegung dieses Briefes: "In einigen lateinischen Exemplaren finden sich die folgenden Zitate im 13. Psalm in der richtigen Reihenfolge; in fast allen griechischen Handschriften jedoch geht der Text des 13. Psalms nur bis zu dem Vers: ,Keiner ist da, der Gutes tut, auch nicht ein einziger' (Ps 14,1.3: Vg. Ps 13, 1.3). Doch auch das Zitat des Apostels: ,Wie es in der Schrift heißt: Es gibt keinen, der gerecht ist, es gibt keinen Verständigen, keinen, der Gott, sucht' findet sich ebenfalls nicht wortwörtlich im Psalm, sondern es steht also geschrieben: ,Der Herr blickt vom Himmel herab auf die Menschenkinder, um zu sehen, ob ein Verständiger da ist, der Gott sucht' (Ps 14, 2; Vg. Ps 13,2). Auch die Aussage: ,Es gibt keinen, der gerecht ist' (Röm 3,10), hat er vermutlich abgeleitet aus dem Wort: ,Keiner tut Gutes, auch nicht ein einziger' (Ps 14,1-3.: Vg. Ps 13,2) (247/49).

In Kapitel 16 hatte Paulus der Gemeinde in Rom die Christin Phöbe aus Korinth empfohlen: "Daß ihr sie aufnehmt in Gastfreundschaft im Herrn, das heißt aus Liebe zu Gott, und sie so ehrenvoll und gütig aufnehmt, wie es für Heilige würdig und passend ist, eine Heilige aufzunehmen, und daß ihr ihr beisteht, das heißt sie unterstützt. Denn: Dies wird ihr nämlich geschuldet aufgrund ihrer vielen vorausgegangenen Verdienste, so daß ihr dies nicht so sehr gespendet als vielmehr vergolten wird". Danach zitiert Abaelard wieder einmal die Auslegung des Origenes: "Mit apostolischer Autorität lehrt er, daß auch Frauen zum Dienst in der Kirche bestellt werden. Diese Phöbe, die ein Amt in der Gemeinde von Kenchreä hat, erwähnt Paulus mit großem Lob und empfiehlt sie. Sie hat ihm in seinen Notlagen und in den Mühen, die er als Apostel auf sich nahm, beigestanden. Diese Stelle lehrt zweierlei: daß es auch Frauen als Dienerinnen in der Gemeinde gab und daß solche in den Dienst aufgenommen werden sollten, die vielen beigestanden hatten und durch ihre guten Dienste dahin gelangt waren, daß der Apostel sie lobte" (Origenes, comm. in Röm. 10,27, s. 865).

Die eigentliche Methode Abaelards, die in "sic et non" zunächst verschiedene Meinungen aufführt, die dann miteinander harmonisiert werden, tritt am deutlichsten im Prolog hervor. Es geht um eine "Einleitungsfrage": Wer hat jenen Christen in Rom, an die Paulus den Römerbrief schrieb, zuerst den christlichen Glauben verkündigt? Die überwiegende Meinung war, dass Petrus als erster Missionar in Rom gewirkt habe. Euseb, Hieronymus und Gregor von Tours lehrten dies. Es gab aber auch die Meinung, dass unbekannte gläubige Juden nach Rom gekommen seien und dort als erste Christen missionarisch gewirkt hätten. Abaelards Kommentar zitiert die 3 Zeugen, die für Petrus als ersten Missionar eintraten, mit längeren Abschnitten. Danach kommt aber auch die andere Meinung (Pseudo-Haymos) zu Worte. Abaelard kommt etwas überraschend zu dem Ergebnis, "daß es keinen Widerspruch zwischen den oben genannten Lehrern und Haymo gibt". Zur Begründung erklärt Abaelard, "daß Petrus als erster von allen Aposteln, nicht von allen Lehrern, den Römern gepredigt hat. Auch wenn Hieronymus sagt, die Römer hätten von Petrus den Glauben empfangen oder besäßen ihn, steht dem nichts entgegen, da dies möglicherweise durch Schüler des Petrus, die von Jerusalem kamen, nicht durch Petrus persönlich geschehen konnte" (Prolog, 75). Man ist von dieser Beweisführung nicht gleich überzeugt, aber kann der Art, in der Abaelard verschiedene Meinungen nebeneinander bestehen lässt, einen gewissen Respekt kaum versagen. Von weitem könnte man sich bei der Formel von der "versöhnten Vielfalt" im konfessionellen Dialog heute an die Verfahrensweise Abaelards erinnert fühlen.

Fussnoten:

1) Irenäus von Lyon: Adversus haereses. Gegen die Häresien. 5. Teilbd. Übers. u. eingel. von N. Brox. Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 2001. 310 S. 8 = Fontes Christiani, 8/5. Kart. c 28,50. ISBN 3-451-22129-2.

2) Dorotheus von Gaza: Doctrinae Diversae. Die geistliche Lehre. I u. II. Übers. u. eingel. von J. Pauli. Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 2000. 565 S. 8 = Fontes Christiani, 37, 1 u. 2. Kart. c 23,50 u. c 26,00. ISBN 3-451-23820-9 u. 3-451-23835-7.

3) Beda Venerabilis: In epistulam Iacobi expositio. Kommentar zum Jakobusbrief. Übers. u. eingel. von M. Karsten. Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 2000. 224 S. 8 = Fontes Christiani, 40. Geb. c 28,50. ISBN 3-451-27408-6.

4) Rupert von Deutz: Liber de Divinis officiis. Der Gottesdienst der Kirche. III u. IV. Auf der Textgrundlage der Edition von H. Haacke. Neu hrsg., übers. u. eingel. von H. u. I. Deutz. Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 1999. XX, XX, S. 774-1641 8 = Fontes Christiani, 33/3 u. 4. Kart. c 39,00. u. c 34,00. ISBN 3-451-23663-X u. ISBN 3-451-23664-8.

5) Abaelard: Expositio in epistolam ad Romanos. Römerbriefkommentar. 1.-3. Teilbd. Übers. u. eingel. von R. Peppermüller. Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 2000. 257 S., 597 S. u. 364 S. 8 = Fontes Christiani 26/1-3. Kart. c 23,50, c 30,00 u. c 31,00. ISBN 3-451-23808-X, 3-451-23809-8 u. 3-451-23851-9.