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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

107–110

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Lang, Bernhard

Titel/Untertitel:

Heiliges Spiel. Eine Geschichte des christli-chen Gottesdienstes.

Verlag:

München: Beck 1998. 575 S. m. 60 Abb. gr.8. Lw. ¬ 39,90. ISBN 3-406-44075-4.

Rezensent:

Karl-Heinrich Bieritz

Titel wie Untertitel des Buches trügen. Dies ist keine Geschichte des christlichen Gottesdienstes. Und es trägt auch - trotz gelegentlicher Bezüge auf Johan Huizinga und Romano Guardini - wenig dazu bei, christlichen Gottesdienst von der Kategorie des Spiels her zu erhellen. Nirgends erfährt man, was der Vf. denn eigentlich unter einem Spiel versteht. Und schon gar nicht wird deutlich, in welcher Hinsicht christlicher Gottesdienst als Heiliges Spiel prädiziert werden kann. Dass der Begriff dazu herhalten muss, den umfänglichen Stoff zu gliedern - der Vf. kündigt in Vorwort und Einleitung an, sechs heilige Spiele zu untersuchen -, macht die Sache nicht besser. Gewiss: In den sechs Kapiteln des Buches - Lobpreis, Gebet, Predigt, Opfer, Sakrament, Ekstase - geht es um religiöse Phänomene, die im christlichen Gottesdienst auf vielfältige, auch vieldeutige Weise präsent sind. Aber unter welcher Perspektive diese "Grundgestalten" religiösen Verhaltens als "heilige Spiele" aufgefasst werden können, bleibt letztlich unerklärt.

Es handelt sich um eine religionsgeschichtliche, streckenweise auch religionspsychologische Studie, die auf biblische Stoffe, auf Stoffe der allgemeinen Religionsgeschichte, der christlichen Frömmigkeitsgeschichte und eben auch der Liturgiegeschichte zugreift, um die letzten Endes sehr schlichte, eingängige These zu untermauern: Religiöses - und damit auch kultisches - Verhalten bleibt in seinen grundlegenden Motiven und Strukturen durch alle Zeiten, Religionen, Kulturen hindurch im Wesentlichen gleich. Christen folgen, wenn sie ihre Gottesbilder und Gottesdienste formen, den gleichen Mustern, wie sie schon für antike Religionen Gültigkeit besaßen und auch in nichtchristlichen Religionen wirksam sind. Diese Muster wiederum lassen sich zu großen Teilen in binären Modellen erfassen, durch die alles religiöse Verhalten gewissermaßen gegensätzlichen Polen zugeordnet werden kann. Da steht zum Beispiel (vgl. 461-488) "göttliche Milde" gegen "göttliche Majestät", treten "Hochgott und persönlicher Gott" in Konkurrenz zueinander und produzieren unterschiedliche Frömmigkeits- und Gottesdienststile: Auf der einen Seite haben wir dann - als Ausfluss eines "distanzierenden Byzantinismus"- den "theozentrischen Kult", ganz durchdrungen von der Erfahrung des fremden, erhabenen, schrecklichen Gottes. Dem steht auf der anderen Seite der "zutiefst menschliche", anthropozentrische, volkstümliche, demokratisierte, entsakralisierte Gottesdienst gegenüber, der aus der "Vertrautheit mit dem Göttlichen" lebt. Nicht zufällig wird in diesem Zusammenhang laufend Rudolf Otto zitiert - und hartnäckig fehlinterpretiert: Wusste der doch von jener "seltsamen Kontrastharmonie" zu reden, zu der sich tremendum und fascinans im religiösen Erleben des Einzelnen wie der Gemeinde verbinden. Hier aber wird er ganz einseitig dem "theozentrischen", "klerikalisierten" Gottes- und Kultverständnis zugeordnet.

Hat man sich erst einmal Schubladen gezimmert, muss man auch versuchen, die Vielfalt der Erscheinungen darin unterzubringen. Und so kommen dann - bunt durcheinander - im Fach des "menschlichen Gottesdienstes" Martin Luther und Luise Rinser neben allerhand Mystikern, geistbesessenen Hindus, pfingstbewegten Charismatikern und katholischem Kunstgewerbe zu liegen; denn selbstverständlich liebt der menschliche, volkstümliche Kult den Kitsch und die Ekstase. In der anderen, theozentrischen und klerikalen Schublade residieren derweilen neben Rudolf Otto auch Johannes Chrysostomus, Franz von Sales und Karl Barth; letzterem wird freilich vergönnt, in seinen späten Jahren das Fach zu wechseln.

Nicht genug damit. Auch bei Besichtigung der Bibel erweist sich das Schema als hilfreich; kontrastieren doch im Alten Testament die "Erfahrung eines Hochgottes, der als Schöpfer und Herrscher des Alls gesehen wird", mit der "polytheistischen Erfahrung des persönlichen Gottes, der jedem einzelnen Menschen als Helfer und Schutzgeist zugeordnet ist" (471). Der eine heißt, so erfahren wir weiter, Jahwe, der andere Elohim: "So verwendeten die Hebräer zwei Namen für die verschiedenen Seiten des einen Gottes" (472). Dass sich solcher Dualismus im Neuen Testament und im Christentum fortsetzt - Christus als "naher Gott", unterschieden "vom fernen, himmlischen Vater" (473) -, ist klar.

Solche Spannung rührt natürlich - Überraschung! - aus frühkindlichen Erfahrungen her. Im Bild des fernen, unnahbaren Gottes erscheint der "außerhalb der Wohnung arbeitende und oft abwesende Vater" (475). Im Gegensatz dazu wird "der wohlwollende Gott, der vergibt, liebt und zur ewigen Seligkeit vorherbestimmt", durch die Mutter repräsentiert. In dieses Widerspiel lässt sich auch das Abendmahl gut einbinden: Wird doch in der Kommunion das "Schreien des Säuglings und dessen anschließendes Stillen ... gleichsam nachgespielt" (476). Nun doch: ein Spiel ...

Nicht immer und überall lassen sich die "Grundgestalten" des religiösen Lebens auf ein solches binäres Muster zurückführen. Im Kapitel über den Lobpreis - "Singen und Zeugnisgeben als dankende Verkündigung von Gottes Taten" - entscheidet sich der Vf. für ein dreigliedriges Schema: da steht die "hymnische Anbetung", wie sie "im reinen, himmlischen, allem Irdischen enthobenen Gotteslob zum Ausdruck kommt" (77), neben dem "heilsgeschichtlichen Gotteslob", das "die heilsgeschichtlichen Ereignisse in Prosa, Hymnus und Lied" feiert, und dem "pragmatischen, von eigener Erfahrung geprägten Lobpreis".

Wieder sind es "verschiedene Mentalitäten", die diesen "drei verschiedenen Philosophien des Gotteslobes" zu Grunde liegen (75). Über ihren frühkindlichen Ursprung erfahren wir diesmal nichts, leider kommen jedoch auch die jeweiligen psychosozialen Kontexte, denen sie möglicherweise zuzuordnen sind, zu kurz. Das freikirchlich-charismatische "Zeugnisgeben", das der Vf. dem pragmatischen Lobpreis zurechnet, ist doch wohl eher ein neuzeitliches Phänomen. Und ob sich in hymnischem und heilsgeschichtlichem Lobpreis wirklich zwei unterschiedliche "Philosophien" gegenüberstehen, bedürfte noch eingehenderer Prüfung.

Beim Gebet (genauer: Bittgebet) bewährt sich dann wieder der binäre Code. Denn hier stehen sich seit den Anfängen des Christentums "zwei Arten von Gebet" gegenüber, nämlich - Überraschung auch diesmal - das Vaterunser auf der einen und "christliches Gebet" auf der anderen Seite (154).

Das Vaterunser, so erfahren wir, ist gar kein christliches Gebet, wird von den Christen nicht verstanden und kann von ihnen auch gar nicht verstanden werden. Als ein "rein jüdisches", "für den öffentlichen Gottesdienst der Synagoge bestimmtes Gebet" bittet es um die Befreiung Israels von seinen Feinden und die Wiederherstellung des jüdischen Staates. Es enthält nichts spezifisch Christliches (93 f.). Autor ist auch nicht Jesus, sondern Johannes der Täufer. Während dem Vaterunser "bedingungslose Erfüllung" verheißen ist, bleibt "christliches Gebet" ohne eine solche Zusage. Sein Erfolg hängt außer vom Willen Gottes auch vom Glauben des Beters ab, der in magischer Absicht den "Namen Jesu" einsetzt, um solche Wirkung zu erzielen. Zudem hat es - wiederum im Unterschied zum Vaterunser, das "ein konkretes, nachprüfbares Tun Gottes" erwartet - am "liturgischen Narzißmus" des christlichen Gottesdienstes teil, der mehr auf "geistige Güter" aus ist und "das Flehen um dramatische Formen göttlichen Eingreifens tunlichst vermeidet" (156 f.).

Bei der Predigt begegnen dann wieder drei Typen: die Lehrpredigt (exemplarisch: Origenes und Karl Barth), die Moralpredigt - mit der Variante der therapeutischen Predigt - und die Glaubenspredigt (Martin Luther), die auch in Gestalt der Erweckungs- und Bekehrungspredigt (John Wesley, Billy Graham) in Erscheinung tritt (15). Die drei Typen entsprechen den drei Stufen des mystischen Heilsweges: die Moralpredigt zielt auf die Läuterung, die Lehrpredigt auf die Erleuchtung, die Glaubenspredigt schließlich auf die mystische Begegnung und Vereinigung der Glaubenden mit Gott (224). Eine Entsprechung besteht auch zu drei unterschiedlichen Typen von Autorität: Während Lehrpredigt und Glaubenspredigt auf traditionaler bzw. charismatischer Autorität (Max Weber) fußen, nimmt die moderne Moralpredigt rationale Autorität für sich in Anspruch (226-229).

Im Kapitel über das Opfer läuft alles erneut auf "zwei Theologien" hinaus, die hier miteinander konkurrieren (306-310): Nach der einen, von Cyprian, Augustin und anderen vertretenen Auffassung bietet das Messopfer den Gläubigen die Möglichkeit, "sich der Hingabe Christi an den Vater anzuschließen" (16). Nach der zweiten Auffassung, für die exemplarisch auf Eusebius von Cäsarea, Gregor den Großen und Gabriel Biel verwiesen wird, dient das Messopfer ausschließlich dazu, von Gott eine Gegengabe - eben die segensreichen "Früchte" des Opfers- zu erlangen (263-280). Im Blick auf Gregor spricht der Vf. geradezu von der "Erfindung der Opferfabrik" (267).

Die These, es habe ursprünglich - als Zeuge wird Irenäus von Lyon aufgerufen - zwei ganz verschiedene Opfer in der Eucharistie gegeben, nämlich eine Darbringung von Naturalgaben und, davon getrennt, die Darbringung des Opfers Christi, seines Leibes und Blutes (258 f.), verfehlt m. E. den geschichtlichen wie sachlichen Zusammenhang zwischen der Darbringung der Gaben durch die Gläubigen, dem danksagenden, vergegenwärtigenden Gedächtnis des Christusheils und der Bitte um die Geistsegnung der Gaben durch Gott, wie er sich zum Beispiel bei Hippolyt sehr deutlich aufweisen lässt. Noch abenteuerlicher ist freilich die These, mit der der Vf. den Ursprung des Abendmahls erklärt: Danach hat Jesus zunächst versucht, den Jerusalemer Tempelkult zu reformieren. Als dies misslang, hat er damit begonnen, "einen unblutigen Opferritus außerhalb des Tempels zu praktizieren", bei dem "Brot und Wein Gott als Ersatz für den Leib und das Blut des Opfertieres angeboten" wurden (15). Die Deuteworte über Brot und Wein bezieht Jesus danach gar nicht auf sich selbst, sondern auf das hier symbolisch geopferte Tier. Zu lesen ist demnach: "Das ist mein (Tier-)Blut- Das ist mein (Tier-)Leib" (306).

Im Kapitel über das Sakrament wird diese abstruse Geschichte fortgeschrieben. Nach dem Tode Jesu, so heißt es, glichen einige Anhänger Jesu den "unblutigen Opferritus" des Abendmahls "seinem magischen Handeln an" und verwandelten ihn so in ein theurgisches Mahl mit magischer Wirkung (392). Denn Jesus, so erfahren wir, war nichts anderes als ein wandernder jüdischer Magier (322), mit den thaumaturgischen und theurgischen Künsten seiner Zeit wohlvertraut, der seine Jünger "in mysterienartigen Weihehandlungen" mit der himmlischen Welt in Berührung brachte (323). Was Wunder, dass seine Anhänger bald schon dazu übergingen, "ihre eigene magische Liturgie" zu entwickeln und bei solchem Tun das "magische Mahl" erfanden (322).

Wer's nicht glaubt, dem sei empfohlen: tolle lege. Wie begeisterte Rezensionen insbesondere evangelischer Theologen zeigen, passt das Buch im übrigen ausgezeichnet in die spätmoderne theologische Landschaft. Denn hier gilt schon lange: anything goes.