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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

99–101

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Pawlas, Andreas

Titel/Untertitel:

Die lutherische Berufs- und Wirtschaftsethik. Eine Einführung.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2000. VII, 286 S. 8. Kart. ¬ 24,90. ISBN 3-7887-1789-0.

Rezensent:

Martin Honecker

Das Buch von A. Pawlas verfolgt eine doppelte Absicht. Zum einen vermittelt es einen breit angelegten Überblick über Luthers wirtschaftsethische Aussagen, zum anderen soll es einen Beitrag zur aktuellen wirtschaftsethischen Diskussion leisten. Luthers Äußerungen zu wirtschaftlichen Fragen sind immer wieder dargestellt und z. T. auch kontrovers diskutiert worden. Hans-Jürgen Prien, Luthers Wirtschaftsethik, Göttingen 1992, hat zuletzt in vergleichbarer Weise die von P. behandelten Fragestellungen und Themen untersucht. P. steht also auf den Schultern von manchen Vorgängern, wie auch die vielen Literaturnachweise zur Genüge belegen.

Das Buch besteht aus 6 Teilen. Eine Einleitung "A. Zu den konzeptionellen Möglichkeiten und Grenzen einer lutherischen Berufs- und Wirtschaftsethik" (1-13) bezieht sich auf die aktuelle Diskussion um das Verhältnis von Ökonomie und Ethik, von Wirtschaft und Kirche und setzt sich mit dem Theorem der Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft auseinander. Der sehr kurze Schlussteil "F. Versagen und Schuld in Beruf und Wirtschaft" (265-267) ist charakteristisch für die eigene Sichtweise des Autors.

Die vier umfangreichen Kapitel zwischen Einleitung und Ausblick sind im Grunde jeweils selbständige Studien. "B. Anfänge Lutherischer Wirtschaftsethik als Arbeits- und Berufsethik" (15 ff.) stellt an den Anfang das Spezifikum lutherischer Ethik, das Arbeits- und Berufsethos. Methodisch setzt P. allerdings ein beim biblischen Zeugnis und den kirchengeschichtlichen Voraussetzungen und entfaltet danach breit Luthers Aussagen. "C. Theologische und ökonomische Grundlagen einer lutherischen Berufs- und Wirtschaftsethik" (85 ff.) befasst sich zunächst, zu Recht, mit den theologischen Grundlagen (Rechtfertigungslehre, Gesetz und Evangelium, Zwei-Reiche-Lehre), danach mit dem ökonomischen Umfeld Luthers (101 ff.) und geht erst dann ein auf die Konsequenzen für das wirtschaftsethische Denken und Handeln. Der Sermon von den guten Werken wird zur Veranschaulichung referierend herangezogen (112-128). Der Abschnitt über den zeitgeschichtlichen ökonomischen Kontext Luthers ist allerdings sehr kurz geraten. "D. Lutherische Berufs- und Wirtschaftsethik im Gesichtskreis betrieblicher Entscheidungen" (129 ff.) verbindet zwei an sich verschiedene Themen, nämlich Luthers Aussagen zum Kaufmannsstand und Menschenführung im Betrieb (151 ff.). Die Brücke bildet dazu das Menschenbild. Angesprochen werden als aktuelle Themen u. a. Strategien der Motivation der Mitarbeiter, die Anwendung psychologischer Methoden (unter dem Stichwort Mitbestimmung!), die Sinnkrise im Beruf und die New-Age-Bewegung (164 f.) und anderes mehr. Anfragen an Geld- und Kreditwesen verknüpfen lose Luthers Aussagen mit heutigen Interpretationen von "Wesen" und Funktion des Geldes. Eingeschoben ist ein längerer Exkurs zu Simmel (176-183) und ein kürzerer zu Ablass und Simonie (188-190). Beim Zinsnehmen überschneiden sich die Ausführungen (129 ff. mit 196ff.). Die Aktualisierung (212 ff.) kann nicht voll überzeugen. Disparat wirken auch die Erörterungen in "E. Berufs- und wirtschaftsethische Verantwortung in Staat und Gesellschaft" (217 ff.): Leitfaden ist in diesem Kapitel das Menschenbild. Darunter subsumiert werden: Menschenwürde nach dem Grundgesetz, invocatio dei (221), die Gerechtigkeitsfrage (233ff.) - im historischen Rückblick auf Aristoteles, Thomas von Aquin, A.Smith - und schließlich die Eigentumsfrage (249ff.), mit einem knappen Blick auf Luther (257 ff.), nach Darstellung der kirchengeschichtlichen Vorgaben. In der Gedankenführung zeigen sich Sprünge (z. B. 246, 257). Wünschenswert wäre eine Zusammenfassung der Ergebnisse. Ein zentrales Anliegen von P. ist es, den Kaufmannsstand und damit wirtschaftliche Tätigkeit gegen theologische Fundamentalkritik, die sich auf den Reformator berufen hat, in Schutz zu nehmen. Darin ist ihm zuzustimmen. Nützlich ist auch die Wiedergabe vieler in der Forschung gewonnener Einsichten und von Luthers eigenen Worten.

Ob Luthers Äußerungen freilich direkt auf die gegenwärtige wirtschaftsethische Diskussion zu übertragen sind, ist zu fragen. Hermeneutische Erwägungen dazu finden sich nicht. Luthers Beitrag wird vornehmlich in einer Gesinnungsethik gesehen, wie bereits der Ansatz bei seinem Arbeits- und Berufsethos anzeigt. Wie sich diese anthropologische Grundentscheidung in ökonomisches Handeln unter heutigen Rahmenbedingungen umsetzen lässt, wird nicht explizit reflektiert und konkret veranschaulicht. Im Blick auf die Themen heutiger Wirtschaftsethik seien nur Stichworte aufgezählt: die politischen Voraussetzungen der Marktwirtschaft; Marktwirtschaft und staatliche Intervention; Sozialstaat; die Rolle der Verbände (Arbeitgeber, Gewerkschaften); Funktion des Wettbewerbs in einer Marktwirtschaft und Wettbewerbsordnung; Korruption; Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit; Wirtschaft und Umwelt(belastung); Auswirkungen von Industrialisierung und Technik; Weltmarkt, Globalisierung, der europäische Markt; internationale Schuldenkrise und Weltwährungssystem usw. Was hat dazu das Luthertum eigentlich von Luther her Eigenständiges und Besonderes zu sagen? Und haben sich nicht ebenfalls die anthropologischen Grundüberzeugungen seit der Aufklärung radikal verändert? Wie steht es denn um die Einsicht in Luthers Sündenverständnis (und damit in den Rechtfertigungsglauben)? Die Einführung der Dimension der Schuld durch P. (266) ganz am Schluss kommt nicht nur überraschend und abrupt, sondern ist auch in der Perspektive verkürzt: Was sind denn die Ursachen von Schuld und Versagen in der Wirtschaft? Sind es bloß individuelles Fehlverhalten, ist es ein Strukturfehler im System, sind es falsche wirtschaftliche Ziele, und wie kann man mit solchen Fehlern in der Wirklichkeit umgehen? Der Hinweis auf Vergebung bleibt rhetorisch, solange nicht sorgfältige Analysen vorausgehen.

Das Werk von P. hinterlässt insofern einen zwiespältigen Eindruck, nicht zuletzt bedingt durch die doppelte Intention: Nützlich und gelungen sind seine Skizzen und Referate, in denen er Luthers Standpunkt und Urteile in Erinnerung ruft und mit vielen Zitaten belegt und begründet. Die Antwort auf die prinzipielle Frage freilich, welche Bedeutung diese Aussagen für die gegenwärtige wirtschaftsethische Diskussion haben, bleibt weitgehend unbeantwortet und offen.