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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

95 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Hengsbach, Friedhelm

Titel/Untertitel:

Die andern im Blick. Christliche Gesellschaftsethik in den Zeiten der Globalisierung.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2001. VI, 198 S. 8. Kart. ¬ 25,90. ISBN 3-534-11897-9.

Rezensent:

Wolfgang Erich Müller

Mit dem Titel des vorzustellenden Buches betont Hengsbach, katholischer Ethiker in Frankfurt, "dass die eigene Identität im Blick auf die andern gewonnen wird" (VI), sich also alle Mitglieder einer pluralen Gesellschaft gegenseitig das Beteiligungsrecht am allgemeinen Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess zusprechen. Dieser sozialethische Ansatz ist letztlich auf die Weltgesellschaft ausgerichtet, wobei die Gesellschaft als "Handlungszusammenhang" von "Funktions- und Strukturregeln" (5) bestimmt wird, innerhalb dessen die Akteure handeln.

Diese Vorgegebenheit der Gesellschaft und der ihr innewohnenden Problemfelder - wie die der Politik, Wirtschaft, Umwelt oder Medizin - führen dazu, so H., dass christliche Ethik heute weitgehend ohne "konfessionelle Sperrzonen" (21) auskommt, also ökumenisch ausgerichtet ist. Die Voraussetzung der gesellschaftlichen Pluralität führt H. folgerichtig dazu, den moralischen Gesichtspunkt so zu entwickeln, dass er von allen sich als moralisch verstehenden Personen nachvollzogen werden kann. Die Moral stützt sich nicht mehr - vormodern - auf die Autorität eines außenstehenden Gesetzgebers, sondern beruht auf der "Selbstgesetzgebung autonomer Subjekte, die einen kommunikativen Lebenszusammenhang bilden" (65). Damit ist die Diskursethik Habermas' erkennbares philosophisches Fundament dieses Ansatzes. Es entspricht dem Ausgangspunkt bei einer gesellschaftlichen Pluralität, dass die Beiträge, die religiöse Bezüge zur Ethik leisten, erst nach der philosophischen Grundlegung bedacht werden können und zudem in ihrer eigenen Partikularität gesehen werden müssen. Auch hier wird, analog dem Verständnis menschlicher Autonomie, der Glaubenspunkt nicht durch die Autorität des göttlichen Normgebers, sondern von einem tugendethischen Ansatz bezeichnet. Dieser ist dadurch charakterisiert, dass die moralischen Subjekte christlicher Gesellschaftsethik "als Angehörige partikulärer Milieus die Orientierungen des guten Lebens kreativ auslegen und sich aneignen, um darin ihre Identität zu finden" (92). Hierbei wählt H. einen theozentrischen Ansatz, demnach sich Christen "als Adressaten eines schöpferischen, heilsamen Handelns ,bestimmten', das von Gott ausgeht und sie ermächtigt, moralisch zu handeln" (99), wobei sich der Bezug auf Jesus von Nazareth im Wesentlichen auf dessen markinisch erhaltene Botschaft von der nahen Gottesherrschaft reduziert. Eine kirchliche Pluralisierung liegt in der Konsequenz dieses Ansatzes: "Die dogmatisch unterstellte Totalität ,Kirche' wird in eine Vielzahl soziologisch erkennbarer kirchlicher Gruppen und Vereinigungen pluralisiert und nachträglich zu einem Netzwerk von Initiativen, Verbänden und Einrichtungen verknüpft" (108).

Diesem theoretischen Ansatz schließen sich Reflexionen der Handlungsfelder Arbeit - soziale Sicherung - Rechte der Frauen - Weltgesellschaft an und illustrieren so das theoretisch Erarbeitete. H. hat mit diesem Buch einen bedenkenswerten Ansatz vorgelegt, der zu Recht bei der Pluralität der Gesellschaft einsetzt und ein vermeintliches christliches Besserwissen bei Fragen der Ethik zurückweist.