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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

93–95

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Gunton, Colin E.

Titel/Untertitel:

Intellect and Action. Elucidations on Christian Theology and the Life of Faith.

Verlag:

Edinburgh: Clark 2000. IX, 197 S. 8. Geb. £ 23.95. ISBN 0-567-08735-2.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

Colin E. Gunton, Systematiker am King's College in London, ist gegenwärtig der wohl profilierteste Theologe der reformierten Tradition in England. Seine jüngste Aufsatzsammlung belegt erneut, dass das nicht ohne Grund ist. Souverän wie Wenige bewegt er sich in den theologischen Traditionen Europas und der angelsächsischen Welt. Souverän wählt er aus, was ihm zur Lösung gegenwärtiger Probleme wichtig erscheint, souverän lässt er auch beiseite, was er nicht für wichtig hält, und obgleich manches zu vertiefen, zu entfalten und zu ergänzen wäre - wie sollte es bei Gelegenheitsarbeiten auch anders sein -, wird man von der Pointiertheit seiner theologischen Problemanalysen und der theologischen Konsequenz seiner Rekonstruktionen nur profitieren können.

Die 10 Beiträge des Bandes, der vage Verlegenheitstitel deutet es an, haben kein einheitliches Thema, sondern dokumentieren die Bandbreite der Themen, die G. in den letzten Jahren aus verschiedenen Anlässen bearbeitet hat. Der Fokus der Arbeiten ist weder so bestimmt, wie der Titel es nahelegt, noch so unbestimmt, wie es der Untertitel suggeriert. Jedes Kapitel behandelt zwar eine andere Fragestellung, im Verlauf der Arbeiten werden aber gewisse Themen immer wieder aufgenommen und weitergedacht, so dass sich insgesamt die Konturen einer theologischen Position abzeichnen, deren Kennzeichen ist, das Leben des Glaubens in Gegenwart und Vergangenheit konsequent trinitätstheologisch zu reflektieren (Intellect) und die Trinitätslehre konsequent ökonomisch und lebensbezogen zu konkretisieren (Action).

Die erste Gruppe von drei Arbeiten hat programmatischen Charakter und präsentiert das Theologiekonzept G.s. Der erste Text beschäftigt sich mit dem Wesen von Dogma und Dogmatik (Dogma, the Church and the Task of Theology), der zweite mit den Aufgaben der Systematischen Theologie (A Rose by any other Name? From 'Christian Doctrine' to 'Systematic Theology'). Daran schließt sich eine Studie über den Charakter christlicher Wissensansprüche an ('I Know that My Redeemer lives': A Consideration of Christian Knowledge Claims), in der besonders der Frage nach der Toleranz(fähigkeit) bzw. Intoleranz(unvermeidlichkeit) eines Wissens nachgegangen wird, das sich auf die Inkarnation beruft, also inhaltlich bestimmt, unvermeidlich anstößig und nicht mit allem vereinbar und verträglich ist.

Eine zweite Gruppe von wiederum drei Arbeiten konzentriert sich im Anschluss daran auf ethische Probleme. Die erste Studie (A Systematic Triangle: Hegel, Kierkegaard, Barth and the Question of Ethics) geht im Gespräch mit den im Titel genannten Autoren wiederum eher programmatisch den Konsequenzen nach, die sich aus dem dargelegten Theologiekonzept für die theologische Ethik ergeben. Die beiden folgenden Arbeiten konkretisieren das an zwei exemplarischen Problemen. So werden einerseits der aus der biblischen Tradition stammende Begriff der Heiligkeit und seine ethischen Implikationen untersucht (Holiness, Difference and the Order of Creation), andererseits das aus der griechischen Tradition stammende und gegenwärtig viel diskutierte Konzept der Tugend (The Church as a School of Virtue? Human Formation in Trinitarian Framework). Unter je anderem Gesichtspunkt rückt dabei jeweils das Verhältnis von Sünde und Freiheit als Grundproblem theologischer Ethik in den Blick.

Die vier letzten Beiträge folgen diesem Leitfaden und gehen Problemen nach, die sich im Verhältnis von göttlichem und menschlichem Handeln, göttlicher Aktion und menschlicher Reaktion stellen. Dabei werden - etwas schematisch - dogmatische Theologie als intellektuelle Antwort auf Gottes Offenbarung, theologische Ethik als intellektuelle Antwort auf Gottes Erwählung und Versöhnung interpretiert. Es überrascht nicht, dass sich die folgenden Arbeiten zentral mit Calvin und Themen der calvinistischen Tradition auseinandersetzen. Das gilt für die Studie über das Heilsverständnis (Aspects of Salvation: Some Unscholastic Themes from Calvin's Institutes) ebenso wie für die Auseinandersetzung mit dem Erwählungsthema (Election and Ecclesiology in the Post-Constantinian Church). Calvins Theologie wird mit deutlicher Sympathie dargestellt und gegen Missverständisse verteidigt. G. macht keinen Hehl daraus, dass er in Calvin "one of the great minds of the tradition" sieht "hugely underestimated almost everywhere for all kinds of bad reasons" (VIII).

Calvin ist auch in den beiden letzten Arbeiten Gesprächspartner, die sich mit dem Thema der Freiheit, dem Zentralproblem der Moderne, auseinandersetzen (Soli Deo Gloria? Divine Sovereignty and Christian Freedom in the 'Age of Autonomy', sowie: God, Grace and Freedom). G. vertritt dabei zwei, in den vorangehenden Arbeiten vorbereitete Argumentationslinien. Einerseits legt er dar, dass und inwiefern das unzulängliche traditionelle Gnadenverständnis der Kirche einer der Hauptgründe für die neuzeitliche Ablehnung des Evangeliums im Namen der Autonomie des Menschen war. Andererseits sucht er zu zeigen, dass die Doktrin des modernen Liberalismus, Freiheit sei erst dann wahrhaft als Autonomie begriffen, wenn sie als Freiheit von Gott und vom Nächsten gedacht und gelebt werde, die Menschen der Neuzeit in weit größere Abhängigkeiten geführt habe als sie in der christlichen Vorneuzeit jemals gewesen seien. Das Argument wird mit Vorsicht und den notwendigen theologischen Qualifikationen vorgetragen (102 ff.156 ff.).

G.s (nicht neue, aber übersichtlich dargelegte und theologisch begründete) Pointe ist, dass die Moderne Gott und die Situation des Menschen gründlich missverstanden habe. Einerseits sei zu kritisieren, dass "modern liberalism fundamentally misconstrues the human condition, in both its createdness and its fallenness, confusing freedom and sin" (167). Andererseits lasse sich zeigen, dass sich die atheologische Emphase und antitheologischen Einwände der Moderne einem (auch wenn G. es nicht so sagt) theistischen und eben nicht trinitarischen Gottesverständnis verdanken.

Wo Gott trinitarisch verstanden werde, gebe es keinen Grund und keinen Anlass, die souveräne Freiheit Gottes in einen unversöhnlichen Gegensatz zur freien Souveränität des Menschen zu setzen. Solange die Freiheit Gottes als die Freiheit des absolut Anderen verstanden wird, sei der Gegensatz kaum zu vermeiden. Doch würden die Attribute Gottes trinitarisch gedacht, könnten sie ,entsubstantialisiert' als "a function of divine action in relation to the world, rather than as something thinglike" verstanden werden (184 f.). Gnade wäre dann z. B. als "the liberating action of the Spirit" bzw. genauer als "the gracious action towards the creature of God the Father, mediated by the Spirit through the Son" zu denken (185), also als eine Freiheit, die den Menschen zur Freiheit befreit und menschliche Freiheit nicht beschränkt und aufhebt (188 ff.). Denn einerseits gelte: "to be free is to be set free" (118), aber andererseits sei frei auch nur, wer tatsächlich frei lebt und handelt: "Freedom may need to be given, but it is given to be exercised" (ebd.). Im Sinn dieser göttlichen Befreiung des Menschen zur Praxis eigener Freiheit markiert der Untertitel des sechsten Beitrags das Grundprogramm der theologischen Ethik G. s: "Human Formation in Trinitarian Framework" (101).

Es sind keine ganz neuen Gedanken, die G. vorträgt, aber er trägt sie so vor, dass sie für die derzeitigen theologischen und ethischen Debatten fruchtbar werden können. Fortschritte in der Theologie bestehen nicht darin, sich zum Echo des Zeitgeists zu machen und damit immer zu spät zu kommen, sondern die eigenen Einsichten in Erinnerung zu halten und in das Gespräch der Gegenwart einzubringen. Das ist G. in theologisch verantwortlicher und lesenswerter Weise gelungen. Die Grundlinien seiner theologischen Auseinandersetzung mit der Moderne hat er vorgelegt. Man wird gespannt sein dürfen, wie er sie künftig konkretisieren wird.