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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

87–89

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ruster, Thomas

Titel/Untertitel:

Der verwechselbare Gott. Theologie nach der Entflechtung von Christentum und Religion.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2000. 225 S. 8 = Quaestiones disputatae,181. Kart. ¬ 21,50. ISBN 3-451-02181-1.

Rezensent:

Christian Danz

Die Frage nach der Identität des Christentums gehört seit den Anfängen christlicher Theologie zu deren zentralen Themen. Unter den Bedingungen pluralistischer Gesellschaften haben sich die Anforderungen an eine theologische Selbstreflexion des Christentums freilich erheblich erschwert. Das Christentum kam nicht nur selbst als eine komplexe historische Erscheinung in den Blick, sondern auch die Gesellschaft hat sich in eine Vielzahl von Subsystemen differenziert. Dies führte bekanntlich dazu, dass die reflexive Selbstdeutung des Christentums nur noch in Gestalt einer Pluralität von Theologien wahrgenommen werden konnte. Auf dem Hintergrund des angedeuteten Problemhorizonts geht der in Dortmund lehrende katholische Theologe Thomas Ruster im vorliegenden Buch der Frage nach der Bestimmtheit des Christentums unter den Bedingungen der Moderne nach. Die Grundthese, die R. in den sechs Teilen seines Buches zu erhärten versucht, besteht darin, dass die Bestimmtheit des Christentums nur durch Differenz zu haben ist. Expliziert wird diese Grundüberzeugung am christlichen Gottesgedanken in Form einer "kritischen Relecture" (25) der Theologiegeschichte.

Aufbau und Gliederung ergeben sich aus der Beobachtung einer "Doppel-Kodierung" des biblischen Gottesgedankens. Dieser sei, so R., "ein Gott der Religion und ein Gott, der Religion radikal in Frage stellt" (33). Mit dieser Doppel-Kodierung des biblischen Gottesgedankens ist die Möglichkeit eines doppelten Anschlusses gegeben, nämlich der eines unmittelbar religiösen und der eines selbstreflexiven, der die unmittelbare religiöse Rezeption selbst wieder negiert. Beide Linien der Rezeption des biblischen Gottesverständnisses werden von R. an exemplarischen Gestalten der Theologiegeschichte nachgezeichnet. Die Linie der unmittelbar religiösen Rezeption des biblischen Gottesverständnisses wird an Justin (43-52), Anselm von Canterbury (52-62), Thomas von Aquin (62-69), Carl Schmitt (104-123) sowie an den Kapitalismusdeutungen von Walter Benjamin (126-142) und John Maynard Keynes (142-154) dargestellt und die selbstreflexive Rezeptionslinie an dem 1. Petrusbrief (37-43), Blaise Pascal (69-85), der Marcion-Deutung von Adolf von Harnack (87-104) sowie an Martin Luther (154-165).

Das Resultat dieser kritischen Relecture der Theologiegeschichte besteht darin, dass eine religiöse Rezeption des biblischen Gottesverständnisses, so sehr sie es auch war, die den Siegeszug des Christentums in der Geschichte ermöglichte (30; 140), in der von der Geldwirtschaft bestimmten Moderne nicht mehr möglich sei. Den Grund hierfür sieht R. im Religionsbegriff. Zwar ist er sich der mit dem Religionsbegriff verbundenen Schwierigkeiten bewusst (8 f.), meint aber dennoch, Religion im Sinne einer Minimalbestimmung als "Beziehung auf eine letztlich bestimmende, dem menschlichen Verfügen entzogene, also unbedingte und unverfügbare Wirklichkeit" (9) bestimmen zu können. Da nun in der Moderne das Geld zu der alles bestimmenden Wirklichkeit geworden sei, kann das biblische Gottesverständnis nicht mehr religiös im Sinne einer alles bestimmenden Wirklichkeit interpretiert werden (7; 13; 140). Mit diesem diagnostizierten Befund verbindet R. die Forderung nach einer Entflechtung von Christentum und Religion, die sich als "Unterscheidung im Gottesverständnis" (24) auslegt.

Das Programm einer Unterscheidung im Gottesverständnis (vgl. 193, Anm. 2) hat einen bestimmtheitstheoretischen Status. Liest man es begrifflich kategorial, dann führt es auf den Umstand, dass Bestimmtheit eine doppelsinnige Reflexion einschließt. Bestimmt ist etwas nur im unterscheidenden Bezug auf anderes. Die These von der Unterscheidung im Gottesverständnis wird jedoch von R. nicht als Bestimmtheitsrelation auf einer kategorialen Ebene expliziert, sondern eher als eine Reformulierung der Unterscheidung von wahrer und falscher Religion, die in der Selbstanwendung auf das Christentum als Unterscheidung von Christentum und Religion bzw. als Unterscheidung von biblischem Gottesgedanken und Religion oder von Gott und Götze (166 ff.) durchgeführt wird. Diese Grunddifferenz identifiziert R. mit der lebensweltlich-phänomenologischen Unterscheidung von Vertrautheit und Fremdheit. Die Ausblendung begrifflich kategorialer Reflexionen auf den Status von Bestimmtheit zieht jedoch tendenziell die Schwierigkeit nach sich, dass die Grunddifferenz von Christentum und Religion bzw. von Vertrautheit und Fremdheit als abstrakter Gegensatz erscheint. Zwar geht R. davon aus, dass die Doppelheit von Vertrautheit und Fremdheit für das biblische Gottesverständnis konstitutiv sei. Die These von der Doppel-Kodierung des biblischen Gottesverständnisses impliziert, dass der biblische Gott zu seiner Bestimmtheit nur in der aktualen Unterscheidung von seinem anderen, dem religiös interpretierten Gott kommt (162). Die Religion als das andere des Christentums ist somit konstitutiv für dieses selbst. Eine Entflechtung von Christentum und Religion kann dann jedoch kein sinnvoller Zielgedanke mehr sein. Aber R.s Programm einer Unterscheidung im Gottesverständnis ist in der Durchführung nicht an der Doppel-Kodierung des biblischen Gottesverständnisses orientiert, sondern an einer in Aussicht gestellten Eindeutigkeit (25; 186). Mit dieser Eindeutigkeitsthese wird die These der Doppel-Kodierung tendenziell revoziert. Eine Entflechtung von Christentum und Religion würde dann auf einen abstrakten Gottesbegriff hinauslaufen (vgl. 178 ff.), dessen Konkretheit allein aus der Negation dessen resultiert, was dieser Gottesbegriff los werden will. Eine auf diese Weise gewonnene Bestimmtheit des Christentums wäre, des Rückgriffs auf die biblischen Vorstellungen ungeachtet, nichts anderes als eine abstrakte Identität.