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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

82–84

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Körtner, Ulrich H. J.

Titel/Untertitel:

Theologie des Wortes Gottes. Positionen - Probleme - Perspektiven.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001. 444 S. gr.8. Geb. ¬ 44,00. ISBN 3-525-56198-9.

Rezensent:

Jörg Lauster

Mit seiner bereits vierten Buchveröffentlichung im abgelaufenen Jahr belegt der in Wien lehrende Systematiker Ulrich H. J. Körtner hinreichend, dass einstmals kaiserlich-königlicher Charme dem Tatendrang des Protestantismus, des reformierten allzumal, nichts anzuhaben vermag. Unaufhaltsam stößt er mit seiner ,Theologie des Wortes Gottes' in das Herz desselben vor.

Vorwort und Einleitung erfrischen, indem sie eingespielte Erwartungshaltungen bei Freund und Feind aufschrecken. Auf beiden Seiten wird man gleichermaßen mit Erstaunen lesen, dass eine Theologie des Wortes Gottes eigentlich "unzeitgemäß" sei, da doch "Religion der Leitbegriff der theologischen Diskussion ist" (9). Die Bezeichnungen ,Wort Gottes' und ,Offenbarung', so erfährt man weiter, gehören zu den "abgenützten Begriffen der Theologie" (19). Wenn es also mit der Theologie des Wortes Gottes nicht ganz den Bach hinuntergehen soll - und das zu verhindern, ist aus naheliegenden Gründen das erklärte Ziel des Autors -, dann muss "[e]ine zur literarischen Hermeneutik und theologischen Ästhetik sich weitende hermeneutische Theologie" (9) entwickelt werden.

Dieses Ziel verfolgt K. in neun Schritten. Die einleitenden theologiegeschichtlichen Kapitel (25-71) verschaffen trotz unüblicher Chronologie einen ebenso zügigen wie informativen Überblick über die klassischen Positionen, die Fortführung nach 1945, die Kritik und die reformatorischen Grundlagen.

In der sich anschließenden systematischen Entfaltung unterscheidet K. guter Tradition folgend zwischen einer fundamental- und einer materialdogmatischen Dimension. Zunächst geht es darum, die Rede vom redenden Gott offenbarungstheologisch plausibel zu machen. Nach einer souveränen Einführung in die verschiedenen Theorien religiöser Sprache soll eine biblizistisch reduzierte Version des ontologischen Gottesbeweises belegen, dass für den Gottesbegriff "die Vorstellung vom Reden Gottes schlechthin konstitutiv [ist], weil man den vorgestellten Gott nicht sehen, sondern allenfalls hören kann" (110). Das überzeugt so wenig, dass er R. Bultmann zu Rate zieht. Dessen berühmtes Diktum ,Will man von Gott reden, so muss man offenbar von sich selbst reden' interpretiert er dann allerdings so, dass daraus die beeindruckendsten Passagen des Buches werden. Unter dem Begriff des Wortes Gottes versteht K. jetzt die "Medien oder Erfahrungen, die uns derart ,etwas zu sagen haben', dass man hierin Gott zu vernehmen glaubt" (112). Die Dimension der Lebensgeschichte tritt als Ort möglicher Gotteserfahrungen in den Blick. Das erhellt zugleich, warum religiösen Texten im besonderen Maße eine narrative Struktur eignet. Die biblischen Erzählungen sind in diesem Sinne "Ausdruck identitätsstiftender Gotteserfahrungen" (124), die ihrerseits für ihre Hörer und Leser Identifikationsangebote und Inszenierungsmöglichkeiten eigener Lebensformen bereitstellen. Nirgendwo sonst in diesem Buch wird von Seiten der Wort-Gottes-Theologie soweit die Hand ausgestreckt zu einer sich am Religionsbegriff orientierenden Theologie.

Doch dabei bleibt es leider nicht. Bereits mit seinen Erwägungen zu Bildhaftigkeit, Symbol und Metapher (125-150) wird das Wort Gottes, das für kurze Zeit geerdet war, wieder in den Himmel katapultiert. Man kann - und tut es gegenwärtig ja auch rege- darüber diskutieren, ob religiöse Rede über Gott notwendigerweise in absoluten Metaphern geschehen müsse. Nicht einzusehen ist aber, was gewonnen wird, wenn die Kategorie des ,Wortes Gottes' selbst als "theologisch zentrale absolute Metapher" (149) stilisiert wird. Nach fehlgeschlagener metaphysischer Deduktion und dem abgebrochenen Flirt mit dem Begriff der religiösen Erfahrung bleibt zur Begründung der Wort-Gottes-Theologie nichts als die bloße Behauptung, dass Gott redet. Die Stichhaltigkeit dieses Arguments verliert sich - das war schon immer so - in mythisch-supranaturalistischem Nebel.

K.s offenbarungstheologische Ausführungen (150-194) laufen daher auf die These hinaus, dass "letztlich alles Handeln Gottes als Wortgeschehen verstanden werden [kann]" (167). Unter den verschiedenen biblischen Offenbarungsoptionen erhält einseitig der Verheißungsbegriff den Zuschlag und die Kategorie des Wortgeschehens wird dann auf die Offenbarung Gottes in Person und Lebensgeschichte Jesu, die Anrede durch die Schöpfung, die geistgewirkte Kommunikation, lebensgeschichtliche Begebenheiten, ja sogar auf das Schweigen Gottes selbst ausgeweitet; alles ist Wortgeschehen. Was K. gegen die Dialektische Theologie an Bedenken erhebt, kehrt sich gegen ihn selbst: Offensichtlich gehört es unaustilgbar zum Wesen der Wort-Gottes-Theologie, beim Begriff des Wortes Gottes mit unüberschaubar vielen Äquivokationen operieren zu müssen. Sollten die Theologinnen und Theologen des Wortes Gottes kürzere Bücher schreiben wollen, so wäre ein guter Anfang gemacht, wenn sie darüber schrieben, was nicht Wort Gottes ist.

Nach der inhaltlichen Entfaltung der Offenbarung in Gesetz und Evangelium wendet sich K. mit dem Kapitel "Wort und Glaube" (235-295) den materialdogmatischen Implikationen zu. In der Entfaltung seines hermeneutischen Ansatzes schlägt er noch einmal die Brücke zur Erfahrung. Aus dem unaufgebbaren Zusammenhang von Menschenwort und Gotteswort stellt sich die Aufgabe "einer theologischen Theorie ästhetischer Erfahrung, weil die als Wort Gottes bezeichnete Erfahrung existentiellen Angesprochenseins stets sinnlich vermittelt ist" (247). Es verdient - das sei am Rande bemerkt - Beachtung, was K. hier als Kriteriologie einer theologischen Ästhetik entwickelt, die sich von dem allgemeinen Zug zur Ästhetisierung abhebt. Gleichwohl bleibt die konkrete Durchführung, in der z. B. das Gebet, die Predigt, die prophetische Rede und das Bekenntnis behandelt werden, mit einem schwerwiegenden Manko behaftet. Die stark vereinfachte Umformung der von der Sprechakttheorie entwickelten Idee der performativen Rede führt K. zu der Annahme, in der Verkündigung werde nahezu automatisch vollzogen, was Inhalt der Verheißung ist. Damit weicht die ästhetische Betrachtung der sinnlichen Erscheinungsform des Gotteswortes im Menschenwort entgegen der Absichtserklärung einer magisch-religiös überfrachteten Sprechakttheorie.

Das Herzstück von K.s materialdogmatischer Wort-Gottes-Lehre ist die Schriftlehre (296-346). Die Aufnahme der Rezeptionsästhetik, um die K. und andere sich seit bald einem Jahrzehnt bemühen, zählt gegenwärtig zu den innovativsten Leistungen der deutschsprachigen Schriftlehre. Im Anschluss an Eco hebt K. für das Verstehen der Texte "die Mitarbeit des Lesers" (323) hervor. Diese vom ästhetischen Charakter der Texte angeregte Sinnproduktion wird nun theologisch zum Einfallstor eines Inspirationsgeschehens. Mit Hilfe der Rezeptionsästhetik verlagert sich damit die Inspiration vom Autor zum inspirierten Leser. Diese Einsicht ist - wie K. zu Recht betont - nicht neu, die Rezeptionsästhetik stellt allerdings ein beachtliches begriffliches Instrumentarium zur Verfügung, um plausibel zu machen, wie die biblischen Texte noch heute als "Medium gegenwärtiger Gotteserfahrung" (326) gelten können. Offen ist, ob K. hier alle Möglichkeiten der Leseakttheorie ausschöpft - sie versteht sich ja W. Iser zu Folge ausdrücklich als eine Theorie ästhetischer Wirkung.

K. beschließt den materialen Teil mit knappen Bemerkungen zu Wort und Sakrament (347-363). Das Sakramentsverständnis steht dabei ganz im Zeichen seiner eigenwilligen Interpretation der Sprechakttheorie. Es zeigt sich hier besonders, was schon in der Behandlung der Kunst und der Musik auffällt: Trotz der von K. intendierten Öffnung - es gereicht ihm ja zur Ehre, dass er diese Themen überhaupt anspricht -, hat die Wort-Gottes-Theologie zu den Grenzen sprachlicher Wirklichkeitserschließung nicht viel zu sagen. Die abschließende Frage nach dem Zusammenhang von Wort und Wahrheit (363-378) kulminiert nach der Erörterung verschiedener Wahrheitstheorien in einem eschatologisch-gnadenhaft grundierten Begriff von Wahrhaftigkeit.

K. ist zweifelsohne eine informative und didaktisch übersichtliche Einführung in Positionen und Probleme der Wort-Gottes-Theologie gelungen. Was die Perspektiven anbelangt, so trifft man allerdings über weite Strecken bis in den Sprachduktus hinein auf die kernig-rustikale Wort-Gottes-Theologie üblicher Prägung. Weit hilfreicher für die gegenwärtige Gesprächslage dürften da doch eher die zwar noch etwas zaghaften, aber immerhin vorhandenen Ansätze sein, die zwischen dem vermeintlich unversöhnlichen Gegensatz von Wort Gottes und Religionsbegriff zu vermitteln suchen.