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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

80–82

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Nordhofen, Eckhard [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Bilderverbot: Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2001. 190 S. gr.8 m. zahlr. Abb. = Ikon Bild und Theologie. Kart. ¬ 25,20. ISBN 3-506-73784-8.

Rezensent:

Wolfgang Erich Müller

Während Papst Paul VI. noch 1975 den "Bruch zwischen Evangelium und Kultur" als "Drama unserer Epoche" (9) bezeichnen konnte, gibt es in der Gegenwart viele Aktivitäten im Schnittfeld von Kunst und Kirchen. Angestrebt ist in dieser Publikation - gegen jegliche religionspädagogische Symbol- und Bilddidaktik - eine katholische Kunsttheologie, die sich gegen jegliche Funktionalisierung von Kunst wendet, aber auch gegen eine reformatorisch geprägt verbalistische Ausrichtung der Kunst. Dabei soll Kunst nicht nur diachron - gemäß der Kunstgeschichte - betrachtet werden, sondern auch synchron als Teilnahme an einer Tradition. Diesem Vorhaben entsprechen die hier publizierten neun Beiträge.

Der Herausgeber des Bandes, Nordhofen, sucht - in Aufnahme der Theorie der symbolischen Formen Ernst Cassirers - das Bewusstsein nicht allein in der Sprache der Wörter objektiviert zu begreifen, sondern auch in der der anderen Kulturformen wie Architektur, Technik, Musik, Kunst oder Religion. Damit können die nichtsprachlichen Symbolwelten in ihrem Verhältnis zueinander reflektiert werden, wobei hier die Symbolwelt der Religion in ihrem Verhältnis zu Bild und Text im Mittelpunkt steht. Die als jüdische Aufklärung apostrophierte Kritik am Polytheismus spricht von "Gott als dem Schöpfer der Welt" (16) und fasst die Kritik an selbstgemachten Göttern im zweiten Gebot des Dekalogs zusammen, im Bilderverbot. Die Gottespräsenz in Bildern ist als Projektion menschlicher Ideen durchschaut. Gott offenbart sich allein im Text. Da sich diese Repräsentation auf kein Ding in der Welt bezieht, sondern auf Gott, der anders als die Welt ist, ist "seine Anwesenheit immer eine Anwesenheit in der Verhüllung" (17). D. h., Gott in seiner Abscondität kann nicht eindeutig definiert oder sprachlich abgebildet werden. Diese Vorstellung ist schon für das frühe Christentum belegt, das sich in seiner Bildsprache vom antiken Mimesisideal abkehrt und als eigenes ästhetisches Paradigma das "Ikonenparadigma" (21) etabliert. Diese spezifisch monotheistisch geprägte Bildsprache markiert die Alterität des Abgebildeten und erlaubt - in Aufnahme des 2. Konzils von Nicäa - die Differenzierung zwischen einer Verehrung der Bilder und der Gottes. Mit dem Begriff der Alteritätsmarkierung benennt N. einen Sachverhalt, der die Abkehr von der mimetischen Tradition und zugleich "das Spezifikum des ursprünglichen Monotheismus erfasst" (21), also geeignet ist, nichtmimetische Kunst und monotheistische Theologie zusammenzudenken.

Dass aber diese Auffassung nicht allgemeiner Konsens für den Umgang der Kirchen mit der Kunst ist, belegt der Kunsthistoriker Hans Belting. Er zeigt auf, dass heute die Religion wandert, sich individualisiert, ja Sinnfragen gleichsam marktförmig befriedigt werden. Für die Reflexion der Bilder in ihrem Verhältnis zur Institution Kirche bedeutet diese Feststellung des Deus absconditus: "Die Kirche, die einmal die Bilder instrumentalisierte, müsste eigentlich heute ... die Bildlosigkeit, die Transzendenz des Bildes ..., die Unsichtbarkeit und Undarstellbarkeit der großen Themen des Menschen, der Religion schützen und propagieren" (36). Gleichzeitig aber besteht - am Beispiel der Medientheoretiker Marshal McLuhan und Derrick de Kerckhove aufgezeigt - der Vorschlag an die Kirchen, sich von den Bildern wieder mehr zu erhoffen. Damit stellt Belting die Frage nach den Bildern als Frage an das Selbstverständnis von Kirche: ob sie den Glauben als Warenangebot betrachtet oder bildlos sein will.

Was die Bildlosigkeit für das Verständnis von Bildern impliziert, legt Gottfried Boehm in seiner Interpretation der Bilder von Barnett Newman als "Epiphanie der Leere" (39) dar. Sie können - ohne direkt in der Tradition des biblischen Bilderverbotes zu stehen - von diesem aus verstanden werden. Die Bilder bedeuten jetzt nicht mehr, sondern sollen die Betrachter konfrontieren: "Die Kunst erfüllt sich nicht in ästhetischer Immanenz, sie erfüllt sich anthropologisch, im Lebenskontext" (52).

In seinem reich illustrierten Beitrag zeigt Thomas Sternberg die Folgen einer historisch gegenläufigen Bewegung auf, nämlich die Wiederaneignung des mimetischen Paradigmas in Spätgotik und Renaissance: Gott der Vater tritt jetzt als eigene Figur auf. Allerdings gibt es in der gegenwärtigen Kunst keine entsprechenden anthropomorphen Darstellungen: "Das Nichtdarstellbare als solches, nämlich als Nicht-darstellbares im Bild darzustellen, das ist eher das Thema einer heutigen Kunst der Verweigerung, Übermalung oder der Paradoxie" (112). Alex Stock reflektiert die heutige Herausforderung der Theologie durch die der vagabundierenden Religiosität verbundenen Kunst dahingehend, dass Theologie ihrerseits in Entsprechung jede doktrinale Engführung verlassen muss. Damit ist die Ausrichtung auf eine poetische Theologie angedeutet. "Sie kann und sollte die Vielfalt religiösen Bildergebrauchs nicht nur für eine abgeschlossene Vergangenheit, sondern gleicherweise für eine in Gang befindliche Gegenwart kritisch wahrnehmen" (128).

Theologisch rezipierbare Bildbeispiele für die hier vertretenen Thesen gibt der Künstler Reimer Jochims anhand vorgestellter eigener Werke. - Reinhard Hoeps fragt nach der theologischen Möglichkeit von Skulpturen in der Zeit nach der Vernichtung des Goldenen Kalbs und bestätigt am Beispiel der Skulpturen Richard Serras die enge Relation gegenwärtiger Kunst zur Tradition des Bilderverbots.

Dem Beitrag von Willi Oelmüller ist es vorbehalten, das Bilderverbot aus der philosophischen Perspektive einer negativen Theologie zu reflektieren. "Auch beim Vorstellen und Darstellen von Gott ... aus der Perspektive des Bilderverbots und der negativen Theologie verwenden Menschen Bilder und Metaphern, Symbole, Gleichnisse, Geschichten" (171), die Oelmüller jedoch radikal von der gegenwärtigen Mythenfreundlichkeit unterscheidet und mit Levinas für einen strengen Monotheismus und damit für den Bruch mit jeglicher Mythologie plädiert. Dies führt N. zu der Schlussfolgerung, die Tradition sakramentaler Zeichensysteme der katholischen Kirche als Alteritätsmarkierung zu verstehen: "Bilder und das performative Zeichenhandeln der Liturgie als die genuin ästhetische Praxis der Kirche zu deuten und eben nicht in der Tradition einer protestantischen Kritik, in der der Kult als magischer ,Afterdienst' (Kant) betrachtet wird" (25). Im letzten Beitrag fasst Gerhard Larcher die Wechselbezüge von Spätantike und Moderne noch einmal mit positivem Blickwinkel auf die Moderne zusammen: "Man müßte vielmehr die Vielheit zeitgenössischer Kunst mit ihrer Offenheit für Räume und Rezeptionsweisen als Chance zu einer innovativen und erweiterten Bildlichkeit der christlichen Glaubensinhalte über manche allzu standardisierten Formen hinaus wahrnehmen" (185).

Es ist bedauerlich, dass der Protestantismus in diesem Band nur im Sinn einer pauschalen Abgrenzungsposition erwähnt wird, ohne etwa die Bedeutung des reformierten Bilderverbots oder Luthers Auffassung vom Deus absconditus für die Relation von Kunst und Kirchen zu reflektieren, wobei in diesem Zusammenhang der Musik als protestantischer Kunstsprache eine besondere Bedeutung zukäme.