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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

78–80

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Kunst und Liturgie im Mittelalter. Akten des internationalen Kongresses der Bibliotheca Hertziana und des Nederlands Instituut te Rome, Rom 28.-30. September 1997. Hrsg. von N. Bock, S. de Blaauw, Ch. L. Frommel, u. H. Kessler.

Verlag:

München: Hirmer 2000. 248 S. m. zahlr. Abb. 4 = Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana, Beiheft zu Bd. 33, 1999/ 2000. Geb. ¬ 95,00. ISBN 3-7774-8630-2.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Die Bibliotheca Hertziana zu Rom hat im September 1997 gemeinsam mit dem Nederlands Instituut te Rome einen internationalen Kongress "Arte e Liturgia nel Medioevo" veranstaltet.

Erklärend sei vorausgeschickt: Die Bibliotheca Hertziana wurde 1913 als Institut der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründet - heute ein Max-Planck-Institut - und widmet sich der Erforschung der italienischen Kunst der Nachantike, insbesondere der des Mittelalters, der Renaissance und des Barock. Die Gründung des Nederlands Instituut te Rome wurde 1904 veranlasst durch die Öffnung der vatikanischen Archive, durch die der Wunsch entstand, Einsicht in Dokumente zu nehmen, die die niederländische Geschichte betreffen. Es wird auch geforscht zur Kunstgeschichte und zum römischen Altertum.

Ein Anliegen des Kongresses war es, Kunsthistoriker mit Vertretern ihrer Nachbardisziplinen - hier insbesondere mit Liturgiewissenschaftlern - in Kontakt zu bringen. Über den Grund dafür gibt das Vorwort Auskunft: "Liturgie bedeutet für den Kunsthistoriker von heute mehr Funktion als persönliches Erlebnis. Die wachsende Distanz zur Tradition der kirchlichen Praxis zwingt ihn in steigendem Maße, sich die liturgische Dimension seiner Forschungsobjekte bewusst vor Augen zu führen, und dies um so mehr, als die funktionalen Zusammenhänge der Kunstwerke in den letzten Jahrzehnten immer mehr ins Blickfeld getreten sind. ... Da nun aber die Mehrzahl vor allem der mittelalterlichen Kunstwerke einem religiösen Kontext entstammt, ist ein Verständnis der Liturgie und der historischen Realität, in der die Objekte eingesetzt waren, unentbehrlich, der Realität nämlich eines himmlischen Festes auf Erden." (7) Aus diesen Sätzen können verschiedene Problembereiche herausgehört werden: Da gibt es Kunsthistoriker, die als Christen am Gottesdienst ihrer Kirche teilnehmen (der Kongress wurde mit einer lateinischen Messe in San Clemente beschlossen), und andere, die in ihrem Leben kaum einen Bezug dazu gefunden haben; sodann stellt sich für beide wiederum unterschiedlich die Frage - da die Gestalt des heute gefeierten Gottesdienstes mit dem des Mittelalters nicht gleichzusetzen ist-, wie Religiosität im Mittelalter gelebt und empfunden wurde, damit der Wissenschaftler unter Berücksichtigung der ihm wie auch immer fremden Wirklichkeit seinem Forschungsobjekt gerecht werden kann. Insbesondere für Kunstwerke, die eindeutig liturgische Funktionen innehatten oder z. T. noch haben, ist dies erkenntnisrelevant, so dass zumindest zwei Voraussetzungen Bedeutung beanspruchen: Zum einen sollte der Kunsthistoriker darüber Bescheid wissen, was Religion ist und wie Liturgie gefeiert wird, und zum anderen sollte er die heutige Form der Liturgie von der des Mittelalters zu unterscheiden wissen. So zeigt sich der an den Beiträgen in erfreulicher Weise ablesbare Versuch, die sich in Kirchen befindenden Kunstwerke nicht "an sich" und losgelöst von ihren liturgischem Kontext, sondern vielmehr mitten in ihm zu deuten. In dem einen oder anderen Beitrag scheint der Kunsthistoriker auch zu bedenken, welchem Bedeutungswandel sein Forschungsobjekt unterliegt, sofern es sich noch in einem Kirchenraum befindet und somit zur Messfeier in einen anderen, neuzeitlichen liturgischen Kontext gerät. Das zu beleuchten aber war nicht das Bestreben der Initiatoren, denn es sollte ja um "Kunst und Liturgie im Mittelalter" gehen.

So führt Andreas Odenthal (Priester, Liturgiewissenschaftler und Kunsthistoriker) anhand von liturgischen Quellen in die Messfeier und Messfrömmigkeit des Mittelalters ein und setzt gleichsam den Rahmen für die liturgische Verwendung der heutigen Forschungsobjekte. Dabei geht es nicht allein darum, literarische Texte zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch darum zu sehen, dass sich Kunstwerke von Quellentexten her verstehen lassen. Andreas Speer zeigt auf, dass die Kirchweihliturgie und Baubeschreibung bei Abt Suger von Saint-Denis eine besondere gegenseitige Abhängigkeit aufweist. So kann die Baubeschreibung der Abteikirche erst unter Berücksichtigung ihrer liturgischen Funktion angemessen gewürdigt werden, denn in Sugers Schrift "De consecratione" finden sich regelrechte Choreographien für liturgische Prozessionen. Literarische Quellentexte stellen Bernhard Schimmelpfennig für die Kirchweihe von S. Maria in Trastevere und Renate Kroos für Glasfenster und Marienstatuen des Regensburger Doms vor.

Die darauf folgenden Beiträge nehmen den Altar und seinen Raum in den Blick. Ulrich Sinn beschreibt, dass griechische Tempel als Kulisse für den Altar dienten, an dem nun das christliche Heil inszeniert wurde. Werner Jacobson zeigt für das in oder unter dem Altarbereich befindliche Heiligengrab auf, wie seine Verortung liturgisches Geschehen beeinflusst hat, und Ursula Nilgen legt dar, wie die Bilder auf dem Triumph- oder Apsisbogen über dem Altar Bezüge zur Liturgie herstellen und diese ihrerseits zu interpretieren vermögen. Yves Christe schlägt die Verbindung zur Buchmalerei und macht deutlich, dass Lesefehler und Fehlverständnisse zu falschen Darstellungen geführt haben, die dann ihrerseits wieder "gebildet" haben. Clemens Kosch nimmt das der Apsis gegenüberliegende Westwerk am Beispiel von St. Pantaleon in Köln zum Gegenstand, um über bauliche Veränderungen und damit auch veränderte Funktionen zu berichten und Einblick zu geben in die lebhaft darüber geführte Diskussion innerhalb der Architekturforschung.

Zwei weitere Beiträge widmen sich der Ausstattung von gotischen Kathedralen - Willibald Sauerländer über Reliquien, Altäre und Portale und Madeline H. Caviness über Glasfenster-, wobei gezeigt werden kann, wie sie den Besuchern den Weg innerhalb der Kathedrale gewiesen hat.

Vier Beiträge haben das Totengedenken zum Gegenstand: Joanna Cannon geht der Frage nach, wie lokale Heilige, wenn schon nicht in der offiziellen Liturgie, so doch in der lokalen vermittels Kunst verehrt wurden. Wolfgang Schmid legt dar, wie in Trier Reliquien oder ein Heiliges Grab testamentarisch gestiftet wurden, und Barbara Wenzel beschreibt, wie ein Abendmahlsretabel liturgische Dienste der Sakramentsbruderschaft in der St. Pieterskerk zu Löwen aufzeigt. Gudrun Sporbeck und Gottfried Stracke berichten über liturgische Gewänder kölnischer Bischöfe dieser Epoche sowie anhand einer eindrucksvollen Quelle über die Erhebung des Erzbischofs Pilgrim (1021-1036) in St. Aposteln, dessen Grab 1643 gefunden wurde. Sie beschreiben die Behandlung der Grabbeigaben bis auf den heutigen Tag. Birgit Franke schlägt den Bogen zu den Textilien des nichtliturgischen Gebrauchs wie z. B. Teppichserien, die bei höfischen Festen aufgehängt wurden. Jos Koldeweij zeigt sowohl die Historie des Servatius-Büstenreliquiars auf als auch dessen liturgische Nutzung: Es wurde am Servatius- und Fronleichnamstag, aber auch zu besonderen Bitttagen in Prozessionen mitgeführt. Dabei konnte ein Zeigeritual durchgeführt werden: Die Büste hatte eine nach vorne klappbare Mitra, so dass der bloße Schädel gezeigt werden konnte. Johannes Tripps beschreibt, dass u. a. Altarfiguren "handeln" konnten, da sie durch Züge und drehbare Postamente beweglich waren und den Verlauf der Messe oder besonderer Heiligenfeste durch Bewegungen begleiten und bildhaft machen konnten. In diesen Zusammenhang gehört, dass an Himmelfahrt eine Christusfigur ins Gewölbe hoch - und durch den im Joch befindlichen Schlussring gezogen wurde - bezeichnenderweise erhielt dieser Schlussring den Namen "Himmelsloch".

Fast alle Beiträge - außer die von Schimmelpfennig und Kroos über Kirchweihtexte - sind reich bebildert (schwarz-weiß) und bieten Skizzen z. T. von Grundrissen, so dass sich beim Lesen auch ein Eindruck der Objekte einstellt, die nicht öffentlich zugänglich sind. Die Beiträge liegen entweder in deutscher, englischer oder französischer Sprache vor und geben vermittels zahlreicher Fußnoten Einblick in den entsprechenden Stand der kunstgeschichtlichen Forschung. Dieser Band gibt als Beiheft zum Römischen Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana aus vielerlei einzelnen Perspektiven Einblick in das kirchliche Mittelalter, das auf seine Weise hoch lebendig und entsprechend volksnah gewesen ist.