Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

74 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Weigel, Valentin

Titel/Untertitel:

Gebetbuch (Büchlein vom Gebet). Vom Gebet, Vom Beten und Nichtbeten. Hrsg. u. eingel. von H. Pfefferl.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann 1999. LXXII, 242 S. m. 6 Abb. gr.8 = Valentin Weigel - Sämtliche Schriften. Neue Ed. Bd. 4. Lw. ¬ 214,00. ISBN 3-7728-1839-0.

Rezensent:

Ernst Koch

Von den Bänden der neuen Edition der Schriften Valentin Weigels liegt drei Jahre nach Erscheinen von Bd. 3 und zwei Jahre nach Erscheinen von Bd. 8 nun ein weiterer Band vor. Er bietet mit "Ein schön Gebetbüchlein" eins der Werke Weigels, die zu denen mit der breitesten Nachwirkung gehören, die in diesem Falle nicht zuletzt über Johann Arndt gelaufen ist. Im Anhang sind zwei weitere Schriften ediert, die in der Sache eng mit dem "Gebetbüchlein" zusammengehören: "Vom Gebet" und "Vom Beten und Nichtbeten". Beide sind bisher lediglich in je einer einzigen Abschrift (Wolfenbüttel und Halle/Saale) bekannt geworden. Für beide hat der Herausgeber bisher keine verwertbaren Anhaltspunkte zur Bestimmung der Identität ihrer Verfasser gefunden. Wohl aber sollten die Monogrammbuchstaben SMVS in der Handschrift des erstgenannten Textes (vgl. XXII) im Auge behalten werden, unter denen sich nach Meinung von H. Pfefferl wohl der Name des Schreibers verbirgt. Der an zweiter Stelle genannte bisher unbekannte Text ist nur handschriftlich überlieferter Teil eines als Anhang zu Weigels "Gebetbüchlein" bekannten Textes (dort "Appendix vom Gebet" genannt).

Die Einleitung des Bandes bewegt sich auf dem von den bereits vorliegenden Bänden der Edition her gewohnten hohen Niveau und hält sich von Hypothesen wohltuend fern. Dies ist angesichts mancher Tendenzen zu bemerken, die sich auf einem Gebiet gern von Wunschvorstellungen leiten lassen, auf das sich auch Interessen abseits von historischer Forschung richten. Der Hg. selbst korrigiert auf Grund neuer, durch die Forschung inzwischen nahe gelegter Einsichten eine eigene quellenkritische Hypothese zum "Gebetbüchlein", die mit der Existenz eines lediglich rekonstruierten "Büchleins vom Gebet" rechnete. Dennoch braucht nach seiner Überzeugung auf den Aufweis weiterhin bestehender Bruchstellen im Konzept des "Gebetbüchleins" nicht verzichtet zu werden (XXXVI-XXXIX). Damit sind weiterhin bestehende Probleme der Authenzität offen gehalten.

Als "sehr wichtiges und zugleich überraschendes Ergebnis der editorischen Bearbeitung" bezeichnet der Hg. die Entdeckung einer über manche Textpartien des "Gebetbüchleins" hin nachweisbaren engen Abhängigkeit von Martin Luther (XL f.). Sie betreffen Texte Luthers aus der Zeit zwischen 1517 und 1535 einschließlich von Liedern Luthers und sind im Anmerkungsapparat ausführlich dokumentiert. Nach wie vor offen bleibt der Nachweis, worauf konkret sich Weigels Auseinandersetzung mit der "reformatorischen" Lehre von der Gnadenwahl bezieht- handelt es sich um die Prädestinationslehre Genfer Provenienz oder (auch?) um die Wittenberger Erwählungslehre (XLV und 18, 18-27 mit Apparat)?

Für die Arndt-Forschung zu beachten sind die Partien der Einleitung, die sich mit Arndts Rezeption des "Gebetbüchleins" befassen (XLVIII f.).

Im Text "Vom Gebet" werden Abhängigkeiten von Weigel-Schriften aus der Zeit zwischen 1570 und 1578, in Buch I vor allem vom "Gebetbüchlein" festgestellt, in Buch II und III vor allem von Predigten Taulers und (Pseudo-)Eckharts. Die Abhängigkeiten dieses Textes von Sebastian Fanck unterscheiden sich dagegen deutlich von denen des "Gebetbüchleins". Sebastian Franck spielt in "Vom Gebet" im Vergleich zum "Gebetbüchlein" kaum eine Rolle als Vorlage. Damit muss in diesem Falle der Einfluss Francks als deutlich geringer beurteilt werden. Auch fällt die scharfe antirömische Polemik in "Vom Gebet" im Vergleich zum "Gebetbüchlein" auf. Noch stärker scheint "Vom Beten und Nichtbeten" sich von zweifelsfrei echten Weigel-Schriften zu unterscheiden.

Alle diese differenzierenden Beobachtungen sind für die künftige Beschäftigung mit Weigel und seinem Umkreis wie auch mit der Rezeption von (Pseudo-)Weigel-Texten wichtig. Ob es hinreicht, ihren Erfolg lediglich auf "die verbreitete Sehnsucht nach einer Rückbesinnung auf eine persönlich erfahrbare Frömmigkeit und nach einer Erneuerung des religiösen Lebens" um die Wende zum 17. Jh. zurückzuführen (LVI), ist eine Frage, die die Textedition allein nicht beantworten kann, für deren Beantwortung sie aber Voraussetzungen aufbereitet. Der Hg. der neuen Weigel-Edition kann sich des Dankes und der Hochachtung auch angesichts dieses Bandes gewiss sein.