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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

66–69

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

(1) Plutarch (2) Dion von Prusa

Titel/Untertitel:

(1) EI KALOS EIRETAI TO LATHE BIOSAS. Ist "Lebe im Verborgenen" eine gute Lebensregel? Eingel., übers. und mit interpretierenden Essays versehen von U. Berner, R. Feldmeier, B. Heininger u. R. Hirsch-Luipold.

(2) OLYMPIKOS E PERI TES PROTES TOU THEOU ENNOIAS. Olympische Rede oder Über die erste Erkenntnis Gottes. Eingel., übers. u. interpretiert von H.-J. Klauck. Mit einem archäologischen Beitrag von B. Bäbler.

Verlag:

(1) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000. 176 S. 8 = Sapere, 1. Geb. ¬ 25,60. ISBN 3-534-14944-0.

(2) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000. 250 S. 8 = Sapere, 2. Geb. ¬ 25,60. ISBN 3-534-14947-5.

Rezensent:

Hans Dieter Betz

Mit den vorliegenden Bänden führt sich eine neue, SAPERE (Scripta Antiquitatis Posterioris ad Ethicam Religionemque Pertinentia) genannte Monographienreihe ein, in der in Einzeldarstellungen griechische und lateinische Texte aus dem späteren Altertum (1.-4. Jh. n. Chr.) erscheinen sollen. Ausgewählt werden sollen solche Texte, die auch für die heutige Diskussion auf den Gebieten der Ethik, Religionswissenschaft und Theologie von Wichtigkeit sind. Um den Zugang zu diesen Texten zu erleichtern, enthalten die Ausgaben nicht nur die griechischen bzw. lateinischen Texte mit neuer Übersetzung, sondern auch ausführliche Einleitungen, Anmerkungen und sachbezogene Aufsätze sowie Bibliographien und Register. Im Ansatz ein notwendiges und lobenswertes Unternehmen, kann doch nichts die Kenntnis von Originaltexten ersetzen.

Band I der Reihe ist Plutarchs Auseinandersetzung mit der bekannten Maxime des Epikur gewidmet. Am Anfang leiten R. Hirsch-Luipold und R. Feldmeier in Plutarchs Leben und Schrift ein. Auf den Text und die Übersetzung mit den Anmerkungen von B. Heininger folgen dann "Interpretationen" einzelner Themen betr. Anthropologie, Metaphorik, Philosophie und Eschatologie, die zum weiteren Eindringen in Text und Sache anregen sollen. R. Feldmeiers Betrachtung "Der Mensch als Wesen der Öffentlichkeit" ist dem geistesgeschichtlichen Hintergrund der Auseinandersetzung um "das gelingende Leben" gewidmet, in der Plutarch der epikureischen Maxime seine eigene entgegensetzt: Gnostheti ("Laß dich erkennen!"). Ein Anhang versucht, Plutarch mit biblischen Vorstellungen zu vergleichen, kommt aber nicht über Allgemeinheiten hinaus. R. Hirsch-Luipold referiert unter dem Titel "Gedeihen im Licht - Verderben im Dunkel" über Plutarchs Polemik mit Hilfe von suggestiven Bildern. U. Berner skizziert das Verhältnis von "Plutarch und Epikur" im weiteren Rahmen des Antiepikureismus, in dem Plutarch die Rolle eines "heidnischen Kirchenvaters" einnimmt. Schließlich analysiert B. Heininger den speziellen Begriff "Ort der Frommen" (choros eusebon) im Blick auf seine Vorgeschichte und Rezeption bei Plutarch und im 1. Klemensbrief.

Im Ganzen ist zu sagen, dass die Vff. einen gut eingeleiteten und anregenden Band vorgelegt haben, dass aber Grenzen nicht zu übersehen sind. Gewiss gehört die Schrift des Plutarch in dessen antiepikureische Polemik hinein, aber es wäre für den Leser anregend gewesen, wenn diese Polemik schärfer unter die Lupe genommen worden wäre, da sie doch der philosophischen Lehre des Epikur nicht gerecht wird. Dass sich der Hellenismus, einschließlich von Christentum und Judentum, überwiegend diese antiepikureische Propaganda zu eigen macht, ist noch kein Beweis philosophischer Überlegenheit. Die Maxime Epikurs, deren Wurzel Fritz Wehrli in seiner Habilitationsschrift (LATE BIOSAS. Studien zur ältesten Ethik bei den Griechen. Leipzig & Berlin: Teubner, 1931) in der älteren griechischen Weisheit gefunden hat, ist ihrerseits kritisch, skeptisch und polemisch, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Konfrontiert mit der Frage, ob sich der Philosoph politisch betätigen soll oder ob er seine Lebensziele in der Privatsphäre zu verwirklichen suchen soll, entscheidet Epikur sich für die Privatsphäre. Dass er hierbei einerseits die Misserfolge Platons und Aristoteles' und andererseits die politische Lehre der Stoiker im Blick hatte, ist nicht zu bezweifeln. Seine Entscheidung entsprang aber nicht einfach der Resignation, wofür es an Anlässen nicht gefehlt hätte, sondern sie entsprach der älteren Weisheitstradition im Gegensatz zu den Versprechungen der Sophistik. Tatsache ist doch, dass bis heute jeder Philosoph mit diesem Dilemma konfrontiert wird. Ebenso bezeugt die Maxime Epikurs die Entdeckung der bis heute für jeden Denker unverzichtbaren Privatsphäre. Die Polemik Plutarchs dagegen gehört in eine andere Zeit, in der es nicht nur notwendig, sondern auch aussichtsreich war, mit den Römern politisch zu verhandeln. Plutarchs begrenztes politisches Engagement mit dem Ziel der Bewahrung der griechischen Kultur wäre dagegen durchaus mit einer epikureischen Haltung vereinbar. Gegen was für einen Epikureismus ist dann aber die Polemik des Plutarch gerichtet?

Band II behandelt die Preisrede des Dion von Prusa auf die Zeusstatue des Pheidias in Olympia. Dieser Text ist gleichermaßen wichtig für die hellenistische Philosophie, die Religionsgeschichte und die Kunstgeschichte. Die vorliegende Bearbeitung, im Hauptteil aus der Feder von H.-J. Klauck und mit einem archäologisch-kunsthistorischen Beitrag von B. Bäbler, ist ein mustergültiges Beispiel für das, was die neue Reihe zu bieten vermag. Als Auftakt wird der Leser kundig eingeführt in Dions Leben und Schrifttum, speziell seine Olympische Rede, gehalten um 100 n. Chr. vor dem Zeustempel in Olympia. Auf die Einleitung folgen eine umfassende Bibliographie, der griechische Text, eine neue Übersetzung und ausführliche Anmerkungen, die zum Verständnis des Textes beitragen.

Die "Interpretationen" genannten Teile enthalten zunächst eine sorgfältige und detaillierte Analyse der rhetorischen und literarischen Gestalt: das Genus der ganzen Rede und der Bestandteile (Prolalia, Synkrisis, Prosopopoiie, Zitate, Elocutio). Obwohl der Vf. sich auf die ungedruckte Wiener Dissertation von M. Mortenthaler (1979) stützen konnte, stellt diese Analyse einen eigenständigen Beitrag dar. Dem literarischen Genus des Prosahymnus zugehörig, führt dessen detaillierte Analyse die sehr komplexe Struktur der Rede vor Augen, die auch beratende und apologetische Elemente aufweist. Eine vorgeschaltete Prolalia ( 1-15) mit einer ironischen ornithologischen Gegenüberstellung von Eule und Pfau führt gegen allen Anschein nicht vom Thema ab, sondern zum Thema hin. Im Exordium ( 16-20) stellt sich der Philosoph, wiederum ironisch, als zerlumpter Rückkehrer aus dem Exil vor, der vor kurzem noch im Heerlager der Geten und Myser Gelegenheit hatte, als "friedlicher Betrachter des Krieges" dem menschlichen Treiben zuzuschauen. Die Narratio ( 21-26) kommt sodann auf den Anlass des Götterhymnus zu sprechen: den Anblick des Tempels mit der Zeusstatue des Pheidias. Die Argumentatio (27-83) legt den Grund für die Begegnung mit der Zeusstatue durch eine philosophische Erörterung der Frage nach den Quellen der Gotteserkenntnis. Der ganze Abschnitt referiert die stoische Lehre, wahrscheinlich beruhend auf Poseidonios, die aber in einer interessanten Weise ausgebaut wird. Zu den drei traditionellen Quellen (angeborene Gottesidee, erworbene Ideen durch Dichtung und Gesetz) treten die bildende Kunst und die Philosophie. Darauf folgt eine fiktive Anklagerede gegen Pheidias, er habe durch sein Werk nicht nur ungeheuer viel Geld verschwendet, sondern auch durch krassen Anthropomorphismus der wahren Frömmigkeit geschadet. Dagegen verteidigt sich Pheidias, indem er nicht nur sein Werk rechtfertigt, sondern darüber hinaus eine religionsphilosophische Kunstlehre über die Funktion von Götterbildern im Rahmen religiös-ethischer Paideia vorlegt. Die Peroratio ( 84-85) enthält eine Zusammenfassung der Argumentation sowie ein bedenkliches "Schlußwort" aus dem Munde des Zeus selbst an die Eleer und alle Griechen.

Die nunmehr beim Leser geweckte Frage nach den Realien der Zeusstatue wird kundig beantwortet von B. Bäbler im letzten Teil, "Der Zeus von Olympia". Auf einen knappen Bericht über den ausgegrabenen Tempel und die Werkstatt des Pheidias folgt die Beschreibung der Statue und ihres späteren Schicksals in Konstantinopel, wo sie im Jahre 475 zusammen mit einer Kunstsammlung einem Brand zum Opfer fiel, jedoch nicht ohne vorher das byzantinische Bild des Christos Pantokrator beeinflusst zu haben (Apsismosaik in der Hagia Sophia).