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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

64–66

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Heiliger Johannes vom Sinai: Klimax oder die Himmelsleiter. Übers. von Mönch Georgios Makedos m. 24 Miniaturen u. einem Vorwort des Erzbischofs des Sinai. Hrsg. von der Berg-Sinai-Stiftung.

Verlag:

Athen: Berg-Sinai-Stiftung; Würzburg: Der christliche Osten 2000. 379 S. 8. Kart. ¬ 20,00. ISBN 3-927894-26-5.

Rezensent:

Martin Illert

Seit dem 4. Jh. leben christliche Asketen zu Füßen des Sinaiberges. Kaiser Justinian (527-565) stiftete an diesem Ort das später nach Katharina von Alexandria benannte Kloster. Für viele Jahrhunderte war das Sinaikloster eines der bedeutendsten spirituellen Zentren des christlichen Ostens, wie die ungefähr viertausend christlich-orientalischen, kirchenslawischen und griechischen Handschriften der Klosterbibliothek und die einzigartige Ikonensammlung bis heute belegen. Um die Erhaltung des Klosters und seiner Schätze bemüht sich in besonderer Weise die Berg-Sinai-Stiftung, der sich gemeinsam mit dem Ostkirchlichen Institut Würzburg auch die Herausgabe der neuen deutschen Übersetzung des Johannes Klimakos verdankt.

Johannes Klimakos war Abt des Sinaiklosters und ein Zeitgenosse Papst Gregors des Großen (590-604). Wie sein Biograph, der Mönch Daniel von Raitho, in der Vita des Johannes feststellt, fehlen uns alle Informationen über die Herkunft und Jugend des Heiligen. Daher besitzt die im Vorwort von Erzbischof Damian geäußerte Feststellung, Johannes stamme wahrscheinlich aus Konstantinopel, nicht mehr als einen hypothetischen Wert. Johannes könnte nämlich ebenso gut in jeder anderen Großstadt des Oströmischen Reiches ausgebildet worden sein.

Seinen Beinamen "Klimakos" erhielt Johannes nach seinem Hauptwerk, der "Himmelsleiter" ("klimax tou paradeisou"). Diese klassische Schrift der ostkirchlichen Literatur wird in den Handschriften gemeinsam mit der Johannesvita des Daniel von Raitho, sowie einer von Johannes verfassten Lehrschrift "an den Hirten" (d. h. Abt) und dem Briefwechsel des Johannes Klimakos mit dem Abt Johannes von Raitho überliefert. Das Corpus Climacum wurde in die Sprachen des christlichen Orients, in das Kirchenslawische und seit dem ausgehenden Mittelalter auch in das Lateinische und in die romanischen Sprachen übertragen. Eine erste deutsche Übersetzung durch F. Handwercher erschien 1834 in erster Auflage zu Landshut. In seiner jetzt vorliegenden Neuübersetzung präsentiert Georgios Makedos diese wichtigen Schriften in einem sehr gut lesbaren, zeitgemäßen Deutsch.

Es ist zu bedauern, dass noch keine kritische Edition vorliegt, auf die der Übersetzer hätte zurückgreifen können. Da die handschriftliche Überlieferung des Textes bis heute nicht vollständig erforscht ist, bietet weder der Erstdruck des deutschen Jesuiten Matthäus Rader aus dem Jahr 1630, den Abbé Migne für Band 88 seiner Patrologia Graeca unverändert übernahm, noch die 1978 vom Parakletoskloster Attiki edierte Fassung, auf der die vorliegende Übersetzung basiert und die vom Text Raders in nicht wenigen Fällen abweicht, einen kritischen Text.

In der Vita heißt es, Johannes Klimakos habe einmal ein ganzes Jahr lang geschwiegen, um den Vorwurf der Geschwätzigkeit zu entkräften, den ihm seine Neider gemacht hatten. Tatsächlich setzt sich die "Himmelsleiter" aus einzelnen Worten von äußerster Kürze zusammen. Erzbischof Damian äußert im Vorwort die ansprechende Vermutung, Johannes habe seine Gedanken zunächst "provisorisch auf einem Schreibmaterial der da-maligen Zeit in Form geistlicher Bemerkungen, theologischer und asketischer Gedanken, anthropologischer und psychologischer Beobachtungen" festgehalten. In der "Klimax" werden diese Sentenzen zu Spruchketten aufgereiht und sodann dem Aufstiegsschema der allegorisch gedeuteten Himmelsleiter aus Gen 28,10 eingefügt, deren dreißig Kapitel oder "Stufen" den dreißig Lebensjahren Christi entsprechen. Freilich wird das Aufstiegsschema nicht an allen Stellen der Schrift durchgehalten, so dass zu manchen Kapiteln besser der Name "geistliche Tafeln" passen mag, der dem Werk seit seiner Entstehungszeit neben seinem gängigen Namen zugelegt wird.

Trotz des zuweilen nur losen Zusammenhanges zwischen den einzelnen Worten des Johannes besitzt die "Himmelsleiter" eine klare inhaltliche Struktur. Im Zentrum der Schrift steht der Kampf des Asketen gegen die drei "leiblichen" Laster (Völlerei, Fleischeslust, Geldliebe) und die fünf "geistigen" Laster (Nachtragendsein, Überdruss, Gefühllosigkeit, Eitelkeit, Zorn). Die Kapitel zum Kampf gegen die Laster werden von Passagen über das Streben nach den vier "Grundtugenden" (Gehorsam, Buße, Gedenken an den Tod, Trauer) und den drei "krönenden" Tugenden (Einfachheit, Demut, Unterscheidungsgabe) eingerahmt. Den Eingangsabschnitt der "Himmelsleiter" bilden die Kapitel über den Bruch mit der Welt, während der Schlussteil der "Klimax" die Vereinigung des Asketen mit Gott beschreibt, so dass die "Himmelsleiter" in ihrem Aufbau den klassisch mystischen Dreischritt von Reinigung, Aufstieg und Einigung nachzeichnet.

In seiner Bußlehre steht der Sinait ganz in alter monastischer Tradition und folgt nicht selten den Gedanken des Evagrios Pontikos (345-399). Mit seiner Terminologie beschreitet Johannes aber zum Teil neue Wege. So findet sich beim Sinaiten erstmals in der griechischen Literatur das Paradoxon "Traurigkeitsfreude" (griechisch: "harmolype", 128). Eine erklärende Anmerkung zu diesem Schlüsselbegriff der Bußlehre des Klimakos wäre für den nicht mit der orthodoxen Spiritualität vertrauten Leser gewinnbringend gewesen. Dies gilt um so mehr, als es das erklärte Ziel der Herausgeber ist, den Text Lesern zugänglich zu machen, "die zum größten Teil aus dem westlichen, philosophisch und theologisch vom Rationalismus beherrschten Raum stammen". Ein anderer Zentralbegriff der Spiritualität des Klimakos, der Begriff "Ruhe" (griechisch: "hesychia"), wird ohne ersichtlichen Grund teils griechisch, teils in deutscher Übersetzung widergegeben, wobei diese Übersetzung zwischen "Ruhe" und "Übung der Ruhe" schwankt (vgl. 308). Hier wäre entweder eine Vereinheitlichung oder eine erklärende Anmerkung hilfreich gewesen.

Die "Himmelsleiter" entfaltet eine auf den ersten Blick zeitlos erscheinende Mystik. Nach Reflexen der tiefgreifenden historischen Umbrüche des siebenten Jahrhunderts, des Perser- und des Arabersturms, oder nach einer Stellungnahme des Autors zu der bedeutendsten dogmatischen Kontroverse des siebenten Jahrhunderts, dem Streit um den Monotheletismus, sucht der Leser der "Himmelsleiter" vergebens. Allerdings begegnet mit der in beinahe jedem Kapitel vorgenommenen Beschreibung des Kaisers und seines Hofes ein Motivkomplex, dessen Inventar sich der Beobachtung des zeitgenössischen Lebens verdankt. Dieser Umstand wird jedoch in der Übersetzung nur unzureichend berücksichtigt, insofern der Titel "basileus", also die seit Heraklios (610-641) alleinige offizielle Bezeichnung des oströmischen Herrschers, hier anachronistisch mit "König" übersetzt wird.

Mehrfach stellten sich byzantinische Miniaturmaler der schwierigen Aufgabe, die abstrakten Gedankengänge des Textes zu veranschaulichen. Dies gelang ihnen oft in überzeugender Weise, wie die dem Buch beigefügten vierundzwanzig Miniaturen aus der sinaitischen "Klimax"-Handschrift Cod. 418 des 12.Jh.s belegen. Die Qualität der Illustrationen macht zugleich wahrscheinlich, dass die Klimax nicht ausschließlich im monastischen Milieu gelesen wurde, sondern in mittelbyzantinischer Zeit auch eine höfische Leserschaft besaß.

Vergleicht man die hochmittelalterlichen Miniaturen mit dem ihnen zu Grunde liegenden Text, tritt freilich eine theologische Akzentverschiebung zu Tage. Weder die in der Miniatur zu Kapitel fünf abgebildete Gottesmutter, noch die zu Beginn des achtundzwanzigsten Kapitels dargestellten Ikonen finden im Text der "Himmelsleiter" Erwähnung. Vielmehr konzentriert sich die "Klimax" völlig auf die mystisch-hesychastische Tradition der östlichen Kirche. Die Betonung der verinnerlichten Frömmigkeit durch den Sinaiten dürfte gewiss auch eine Rezeption dieses nun endlich auch für deutsche Leser leicht zugänglichen, großen mystischen Werkes im Kontext nicht-orthodoxer Spiritualität erleichtern.