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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

62–64

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Gerber, Simon

Titel/Untertitel:

Theodor von Mopsuestia und das Nicänum. Studien zu den katechetischen Homilien.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2000. IX, 322 S. gr.8 = Supplements to Vigiliae Christianae, 51. Lw. ¬ 94,00. ISBN 9-04-11521-8.

Rezensent:

Volker Henning Drecoll

Manchmal ist es eben so: Jahrzehnte lang bleibt ein Thema fast unbearbeitet, und dann setzen sich fast zeitgleich zwei Wissenschaftler an dasselbe Thema. Simon Gerbers Dissertation ist nach Peter Bruns' Habilitationsschrift "Den Menschen mit dem Himmel verbinden" (CSCO 549, Löwen 1995) innerhalb weniger Jahre die zweite Arbeit zu Theodors Katechetischen Homilien. Trotzdem ist G.s Dissertation nicht einfach eine Doublette zu Bruns, sondern bietet einen eigenen Ansatz. Denn G. beleuchtet den historischen Hintergrund von Theodors Symbol wesentlich genauer als Bruns. Er verfolgt dabei den Ansatz, das Taufsymbol Theodors von seinem "Sitz im Leben" (nämlich dem Katechumenenunterricht) aus zu verstehen und interpretiert umgekehrt die Katechetischen Homilien nicht als systematische Theologie, sondern als Unterweisung (vgl. 28 f.; einen ähnlichen Zugriff hatte G.s akademischer Lehrer Staats für das Nicaeno-Constantinopolitanum vorgelegt: Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel. Historische und theologische Grundlagen, Darmstadt 1996).

Die Arbeit ist klar strukturiert. Nach einer 30seitigen Einleitung folgen vier Hauptteile: 1. "Theodor von Mopsuestia als Katechet" (31-107), 2. "Das Taufsymbol Theodors von Mopsuestia" (108-158), 3. "Zur Theologie Theodors von Mopsuestia anhand seiner Katechese" (159-265), 4. "Das Nicänum in der Theodosianischen Reichskirche" (267-289). Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf den Teilen 2 und 3.

Die Inhaltsangaben der Homilien in Teil 1 wären angesichts einer modernen deutschen Übersetzung (durch Peter Bruns 1994/95 als Band 17 der "Fontes Christiani") verzichtbar gewesen (die wenigen Kritikpunkte, die G. auf S.17 f. gegen Bruns Übersetzung geltend macht, setzen den Wert dieser Übersetzung kaum herab). Das Geschmacksurteil, dass Theodors Stil "über weite Strecken langatmig und redundant" (63) wirke, ist genausowenig hilfreich wie die Feststellung, dass er trotzdem "eine große Dichte und Geschlossenheit" (71) erreiche, weil seine "theologische Konzeption das Ganze beherrscht und überall präsent" (ebd.) sei. Der Durchgang durch die verschiedenen Strömungen, mit denen sich Theodor auseinandersetzt (76-90), und die Beobachtungen zum Gebrauch des Nizänums als Tauf- und Glaubenssymbol (97-107) hätten etwas deutlicher am jeweiligen Forschungsstand ausgerichtet werden können.

Die eigentliche Stärke von G.s Arbeit liegt im 2. Teil. Hier rekonstruiert G. gründlich wie keiner vor ihm den Text von Theodors Symbol (und zwar den syrischen wie den griechischen Text, 108-119), vergleicht dann Theodors Symbol mit dem Antiochenum und dem Nestorianum (Ergebnis: nicht identisch; 119-123) und geht dann ausführlich auf die historische Rekonstruktion der Vorgänge ein, in die ihm zufolge Theodors Symbol zu verorten ist (124-158). Als diesen historischen Ort bestimmt G. die Synode von Antiochia 379, auf der eine Einigung des Westens mit dem östlichen Episkopat greifbar wurde. Luise Abramowski hat in ihrem Aufsatz "Was hat das Nicaeno-Constantinopolitanum (C) mit dem Konzil von Konstantinopel zu tun?", Theologie und Philosophie 67, 1992, 481-513, die Hypothese aufgestellt, dass in dem Schreiben der westlichen Gesandtschaft eine bearbeitete Fassung des Nizänums enthalten sei, das von ihr postulierte und als "Nicaeno-Romanum" bezeichnete Symbol, das die Grundlage des Nicaeno-Constantinopolitanums geworden sei. G. modifiziert diese These und sieht in Theodors Symbol die Bearbeitung des Nizänums durch die Synode von Antiochia, das dann die Grundlage für das 381 verabschiedete Symbol sei.

Dazu ist vorauszusetzen: a) Das Nicaeno-Constantinopolitanum (= NC) ist eher von Theodors Symbol abhängig als umgekehrt Theodors Symbol eine Bearbeitung des NC ist, b) in Hom. 9 meint Theodor durchgängig die Synode von Antiochia, auch dort, wo er davon spricht, dass Bischöfe sich aus der ganzen Schöpfung versammelt hätten, c) in dem schwer zu interpretierenden Aktenbündel des Tomus Damasi gehören can. 1-8 der Synode Antiochia, can. 9 dagegen ebenso wie can. 10-24 in die Zeit nach 381. Die Symbolforschung wird diese drei Hauptargumente diskutieren müssen. M. E. hat G. hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Theodors Symbol und dem NC Recht. Das wirft angesichts des Datums der Homilien (sicher: nach 381) Probleme auf. Es bedeutet aber nicht unbedingt, dass Theodors Symbol in die Zeit vor 381 gehört, denn es könnte eben auch heißen, dass der Wortlaut des in Chalkedon belegten Symbols nicht dem entspricht, was 381 als Erweiterung des Nizänums verabschiedet wurde. Dass das Zeugnis der Akten von Chalkedon "kaum anzuzweifeln" (147) sei, wird nicht näher begründet (diese Möglichkeit scheidet G. zufolge "gleich aus", ebd.) und ist daher kein Argument. Punkt b) bleibt mit erheblichen Unsicherheiten belastet, denn wenn Theodor auf wichtige Ereignisse der jüngeren Vergangenheit anspielt, die allen Hörern präsent sind, braucht es keine explizite Überleitung in Hom 9,14 zu dem Gedanken, dass es sich um eine andere Synode als in Hom. 9,1 handelt. Zu Punkt c): Dass can.1-8 des Tomus Damasi in die Vorgeschichte des Konzils von 381 gehören, lässt sich nur vermuten. Ob es sich dabei wesentlich um die Punkte handelt, die für die Ergänzung des 3. Artikels maßgeblich wurden, ist m. E. zweifelhaft. Ein Einfluss westlicher Symbolterminologie ist wahrscheinlich, doch haben die Ergänzungen des NC hinsichtlich der Pneumatologie einen sehr starken Rückhalt in der Theologie des Basilius, also in östlicher Theologie.

Die Darstellung von Theodors Theologie in Teil 3 ist stark systematisierend. Hier wird G. seinem Ansatz, die Katechesen als Taufunterricht zu verstehen, nicht ganz gerecht. Auf den syrischen Wortlaut geht G. nur selten ein, griechische Parallelbegriffe werden ab und zu angeführt. Auch ein detaillierter Vergleich mit den vor der Mingana-Edition bekannten Fragmenten (über das 21 f. Gesagte hinaus) wäre hier wünschenswert gewesen. In Teil 4 bespricht G. die Bezugnahmen auf das Nizänum bzw. veränderte Nizänumsformen bis zum Konzil von Chalkedon. Wertvoll sind die Korrekturen zu der Ausgabe der Homilien durch Tonneau/Devreesse auf S. 293 f. Die Register sind hilfreich, allerdings für die Bibelstellen bei den Inhaltsangaben der Homilien unvollständig.

Alles in allem handelt es sich bei G.s Dissertation um ein wichtiges Buch, das nicht nur für den "Theodor-Spezialisten" von Belang ist, sondern auch wichtige Impulse für die Symbolforschung liefert und dabei eine eigene Hypothese für den Hintergrund des Nicaeno-Constantinopolitanums aufstellt.