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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

60–62

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Conring, Barbara

Titel/Untertitel:

Hieronymus als Briefschreiber. Ein Beitrag zur spätantiken Epistolographie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2001. X, 273 S. gr.8 = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 8. Kart. ¬ 49,00. ISBN 3-16-147502-X.

Rezensent:

Gert Haendler

Die von Christoph Markschies betreute Dissertation lag 1999 der Theologischen Fakultät Jena vor. Sie untersucht "einen Verfasser und seine Briefe exemplarisch für den Umgang mit literarischer Tradition in der Spätantike". Dafür eignet sich Hieronymus, "der eine fundierte Schulausbildung genossen hat und daher über die Bildungsvoraussetzungen verfügt, um die literarische und theoretische Tradition zu rezipieren" (1). Es geht um den Brief in der Antike und um neuere "brieftheoretische Forschung" (3). Die primär formale Zielsetzung bringt erwartungsgemäß auch inhaltliche Ergebnisse zum Wirken des Hieronymus. Kapitel 1 "Der Brief" verweist auf Briefsammlungen der römischen Antike, "Cicero hat zum Beispiel die Herausgabe zahlreicher seiner Briefe selbst veranlaßt" (6). Er und Seneca äußerten sich über Sinn und Zweck von Briefen. Deißmanns Unterscheidung zwischen Privatbrief und literarischem Brief wird kritisch referiert (17-23). Briefe dienen nicht nur der Information, im Briefwechsel realisiert sich Freundschaft. "Der Brief wird als Hälfte eines Gesprächs aufgefaßt und hat daher eine starke Nähe zu mündlicher Kommunikation" (35). Spätantike Briefe sind "stark von einem tradierten topischen Arsenal geprägt" (36). Kapitel 2 "Leben und Briefwerk des Hieronymus" stellt heraus, dass Zeugnisse von einer antiken posthumen Herausgabe des hieronymianischen Briefcorpus fehlen - anders als bei der Herausgabe der Briefe des Cyprian durch Pontius oder des Augustinus durch Possidius (41).

Kapitel 3 "Der Brief bei Hieronymus" gilt der briefbezogenen Topik und fragt "nach dem Umgang mit dieser Topik, nach ihrer jeweiligen Funktionalisierung" (47). Das Kapitel berührt nur in marginaler Weise die Inhalte der Briefe und Abfassungshintergründe, "zumal die theologischen Streitigkeiten im Hintergrund" (47). Immer wieder hat Hieronymus brevitas der Briefe gefordert, an die er sich freilich selten hielt (48-62). Hieronymus griff gelegentlich ein Wort Ciceros auf, der Inhalt eines Briefes sei weniger wichtig als die Tatsache, "daß er überhaupt geschrieben und versendet werde" (70). Die Funktion eines Briefwechsels kann man als Kompilation von ,Freundschaft' und ,Begegnung' bezeichnen (98). Abschnitt 3,3 erörtert die Briefsituation: Hieronymus schrieb oft, er müsse zu nächtlicher Zeit oder in Eile schreiben. Diese Angaben sind aber nur bedingt eine reale Information, - eher ein Topos, "den Hieronymus auf unterschiedliche Weise funktionalisiert" (111). Mitunter schreibt er selbst, "daß er einige Briefe nicht nur für den unmittelbaren Adressaten bestimmt hat" (121). Viele Detailangaben führen zu dem Urteil: "Die Topik in Bezug auf die Rede von Freundschaft, Begegnung, brevitas und Eile, tritt nicht nur in den Briefen auf, sondern prägt auch Struktur und Inhalte entscheidend". Hieronymus war in jungen Jahren stärker an literarischen Bildungsgütern orientiert; später sind mehr und mehr die Kürze und die Eile entscheidend (124).

Kapitel 4 "Exemplarische Analysen" nennt zunächst Briefsammlungen von Seneca, Cicero und Plinius sowie neuere Literatur. Die neue Edition der Ambrosiusbriefe im CSEL von Michaela Zelzer fehlt leider ganz - selbst im Literaturverzeichnis. Die Begrenzung des Themas wird unterstrichen: Es geht um Briefe innerhalb einer literarischen Gattung. "Die Inhalte der Briefe hingegen, Exegese, Dogmatik, Lebensführung und Kirchenpolitik, sind nicht Gegenstand der Fragestellung". Freilich führen die Ergebnisse doch weiter. Man erfährt etwas vom Charakter des Hieronymus, wenn man "die Frage danach stellt, wie der Kirchenvater sich selbst sieht und wie er gesehen werden will" (136). Vier ausgewählte Briefe sollen ein breites Spektrum abdecken und "möglichst alltägliche Produkte des Kirchenvaters" bieten (141).

Brief 34 an Marcella betrifft einen Psalm. Hieronymus schätzt die Empfängerin "als ebenbürtiges Gegenüber hinsichtlich sprachlicher Souveränität" (168). Aber er spielt "die übergeordnete Rolle" (169). Die Autorin sieht eine "Dekadenzlinie": "Sind die ersten Argumentationen noch logisch stringent aufgebaut und formal sorgfältig gestaltet, so läßt diese Sorgfalt nach" (169). Zu Beginn des Briefes hat er Marcella im Blick, sie wird "am Ende des Briefes nicht einmal mehr erwähnt" (170). In Brief 54 an Furia, eine adlige Witwe und hochgebildete Römerin, legt Hieronymus die Vorzüge des Witwenstandes dar. Er setzt offenbar als Leser auch römische Männer voraus (179). Formal ist es ein Brief, doch im Hauptteil überwiegt "der Charakter des Mahnschreibens den des Briefes, es ist kein expliziter Bezug auf die Adressatin mehr erkennbar" (195). Wieder gibt es eine "Dekadenzlinie", der Bezug zum "Duktus des Textes pflegt regelmäßig abzunehmen" (197). Brief 15 an Papst Damasus zeigt Damasus als Fragenden und Hieronymus als Erläuternden (199). Aber hat Damasus die ihm zugeschriebenen Anfragen wirklich gestellt? "Damasus fragt genau das, was Hieronymus in seinen exegetischen Briefen zu schreiben pflegt". Summarisch heißt es: "Hieronymus erweist seine Orthodoxie vordergründig, indem er sich bereit erklärt, die Position der cathedra Petri, des Hortes der rechten Lehre, zu übernehmen. Die Einzelanalyse sollte allerdings gezeigt haben, daß es jedoch dem Kirchenvater hintergründig darum geht, seine eigene Position zu erklären und als die eigentlich orthodoxe zu erweisen". Wohl respektiert Hieronymus den Papst, aber er nimmt doch "selbst die Rolle des dogmatischen Ratgebers ein" (215). Zuletzt kommt Brief 109 an den spanischen Presbyter Riparius in den Blick: Hieronymus bekämpft Kritik an der Märtyrerverehrung (215-222).

Unter den charakteristischen Zügen des Briefschreibers Hieronymus steht seine Vorliebe für die Exegese am Anfang: Es gibt "kaum einen Brief, der ganz ohne exegetische Passagen auskommt" (225). Hieronymus tritt "als Briefschreiber gegenüber seinen Adressaten in erster Linie als Lehrer" auf (227). Viele Formulierungen sind jedoch topisch. Nochmals wird auf die "Dekadenzlinie" verwiesen (228). Hieronymus denkt oft an breitere Leserkreise, doch kann man seine Briefe für "echte Briefe" halten (229).

Kap. 5 "Hieronymus zwischen Christentum und paganer Bildung" geht auf seinen in Brief 22 überlieferten anticiceronischen Traum ein, dessen Realität offen bleibt (233-236). Ob und wie intensiv Hieronymus in seinen Briefen auf pagane Literatur und Bildung rekurriert, hängt davon ab, "an welchen Adressaten sie sich richten " (237). Er kann gegen heidnische Bildung polemisieren und an Tertullian erinnern (241). Grundsätzlich gilt jedoch die Formel ,alte Form - neuer Inhalt' (242). Er kann einen antiken Brieftopos direkt mit einem biblischen Zitat koppeln, reibungslos findet dann bei Hieronymus die pagane Topik Eingang in den christlichen Brief. "In einigen Fällen kann man von Verschmelzung der paganen Topik mit christlicher Motivik sprechen" (244). Überwiegend hat Hieronymus jedoch die pagane briefbezogene Topik unverändert übernommen. In formaler Hinsicht bleibt er insofern "ein paganer Briefschreiber" (247).

Die Form nutzt Hieronymus für neue Ziele: "Wissenschaftliche, exegetische Abhandlungen, dogmatische und kirchenpolitische Streitschriften werden an einen Adressaten gerichtet und mit einem brieflichen Schluß versehen - so gelten sie als Briefe, können von der Freiheit der Gattung profitieren und problemlos verbreitet werden" (249). Seine Briefe haben oft einen breiteren Leserkreis im Blick. Er ist stets der Überlegene, der Belehrung erteilt. Er verwendet darin altes, topisches Material, wenn er seine Briefe immer wieder damit begründet, dass er um Auskunft gebeten worden sei. Ein "christlicher Briefschreiber" war Hieronymus insofern, weil er entsprechende Themen behandelt, "es geht um exegetische, dogmatische und ethische Fragen". Nur an wenigen Punkten jedoch "prägt sein Christsein auch die Übernahme topischer Elemente, die mit christlichen Floskeln erweitert oder durch solche ersetzt werden. Aber in formaler Hinsicht orientiert er sich keineswegs an Briefcorpora christlicher Autoren, schon gar nicht an dem des Paulus". Hieronymus bleibt bei der paganen epistolographischen Tradition (251). Noch deutlicher formuliert die Autorin: "Die Spezifika, die Hieronymus als Briefschreiber charakterisieren, sind unabhängig von seinem Christsein oder von den Themen seiner Briefe, sie haben ihren Grund vielmehr in Biographie und Bildung, Persönlichkeit und Umfeld des Kirchenvaters". Er schreibt mit den Mitteln, die die Tradition ihm vorgab, er bringt sich dabei "aber prägend ein, sowohl mit seiner ausgeprägten Persönlichkeit als auch mit seinem Christsein" (252).

Wir erkennen Hieronymus in seiner Eigenart als Briefschreiber deutlicher als vorher. Die erstrebte Beschränkung nur auf die Briefform war sinnvoll. Aber natürlich ist die Arbeit auch immer wieder auf inhaltliche Fragen der Briefe eingegangen und bringt daher einen durchaus gelungenen Beitrag zu jener Epoche der Kirchengeschichte in ihrer ganzen Breite.