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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

56–58

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Trobisch, David

Titel/Untertitel:

Die Endredaktion des Neuen Testaments. Eine Untersuchung zur Entstehung der christlichen Bibel.

Verlag:

Fribourg: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996. 185 S. gr.8 = Novum Testamentum et Orbis Antiquus, 31. Lw. ¬ 34,20. ISBN 3-7278-1075-0 u. 3-525-53933-9.

Rezensent:

Alexander Maurer

Nachdem D. Trobisch bereits im Rahmen seiner Dissertation Die Entstehung der Paulusbriefsammlung. Studien zu den Anfängen christlicher Publizistik, NTOA 10, 1989 (vgl. dazu ThLZ 115, 1990, 682 f. sowie ders., Die Paulusbriefe und die Anfänge der christlichen Publizistik, 1994) ein Stück der Kanongeschichte behandelt hat, ist das Ziel seiner knappen Habilitationsschrift (Heidelberg 1994), die Entstehung der christlichen Bibel insgesamt zu erhellen. Dabei zielt Trobisch auf eine sog. "Kanonische Ausgabe" als erste archetypische Zusammenstellung des christlichen Alten Testaments mit den 27 neutestamentlichen Schriften, wie sie von einem Endredaktor "zum ersten Mal als Sammelwerk veröffentlicht" wurde (5), ein Buch, "das von einem konkreten Herausgeberkreis an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt herausgegeben wurde" (11).

Nach einer Einleitung zur Methodenproblematik, vor allem zur Quellenfrage, sowie einer knappen Zusammenfassung der These der Untersuchung (5-12) widmet sich der erste Hauptteil dem Nachweis einer einheitlichen Endredaktion des Neuen Testaments bzw. der christlichen Bibel überhaupt über deren textexterne Elemente (13-70): die Verwendung der nomina sacra, die Kodexform, die feste Reihenfolge und der feste Umfang des Korpus, die einheitliche Gestaltung der Titel der Einzeltexte. Nach einer knappen Diskussion von Erklärungen für diese Phänomene kommt Trobisch jeweils zu dem Ergebnis, dass sie sich am ehesten als bewusste Entscheidungen eines Herausgeberkreises verstehen lassen.

Der zweite Hauptteil (71-124) erhebt das literarische Konzept dieser Endredaktion: Die Betonung der "persönlichen Garantiefunktion der Verfasser für den Inhalt ihrer Schriften" (72) über implizite Verfasserangaben und dementsprechende Textverweise sowie die Betonung der Harmonie zwischen den Jerusalemern und Paulus. Der Titel "Neues Testament" verweise auf die Gleichwertigkeit mit dem Alten Testament (vgl. 2Kor 3,14). Während Paulus noch das Tetragramm verwendete, habe die Endredaktion mittels Ersetzung durch ÎÚÈÔ vermitteln wollen: JHWH und Jesus sind Synonyme. Nomina sacra und die Kodexform hätten der Abgrenzung von anderen Textausgaben (des Alten Testaments) gedient.

Der dritte Hauptteil (125-154) beschäftigt sich mit den Stellen des Neuen Testaments, die der Endredaktion nahestehen (Apg, 2Tim, 2Petr, die sich um eine Entschärfung des Konflikts Paulus - Jerusalem bemühen) bzw. an denen sich die Herausgeber direkt an die Leser wenden (vgl. 151: Das "ich" aus Joh 21,15 bedeute, die Editoren seien bei den Lesern bekannt, keineswegs spiele dieses bloß auf eine anonyme Persönlichkeit an). Ein "Ausblick" (155-160) auf praktische Konsequenzen für heutige Ausgaben des Neuen Testaments sowie auf die Leser der Kanonischen Ausgabe beschließt die Untersuchung. Es folgen noch das Literaturverzeichnis (161-177), ein Bibelstellen-, Quellen- und Handschriftenregister (178-183).

Nur schwer ist dem Buch gerecht zu werden, denn seine an formalen Beobachtungen des Textes orientierte Hypothese hat kaum Anhaltspunkte jenseits der Phantasie ihres Erfinders. Und so führt die Lektüre durch ein Wechselbad und bietet einen Strauß. - Mithin Anregendes: Die Untersuchung betont zu Recht, dass es wichtig ist, sich bei der Exegese und der Kanonfrage den Handschriftenbefunden selbst zuzuwenden, was sich dann in der Tat auswirken sollte bis in unsere modernen Druckausgaben: Dass selbst die Editio Critica Maior des Novum Testamentum Graecum ohne Verzeichnung der nomina sacra auskommen will, zählt sicher zu den Grundübeln der Editionsgeschichte der Bibel - ebenso wie die Wiedergabe einer sekundären Anordnung ihrer Briefteile.

Zugleich Fragwürdiges: T. umgeht eine Auseinandersetzung mit den Zeugnissen des 2. und 3. Jh.s. Methodisch problematisch scheint, dass sich die Untersuchung wesentlich auf die großen späteren Kodizes Sinaiticus, Alexandrinus und Vaticanus stützt und die frühen Papyri nur heranziehen kann zur Feststellung, ob sie dem Befund widersprechen. Einen positiven Beleg geben sie wegen ihres fragmentarischen Zustands nur ausnahmsweise ab. Und wenn sich der Vf. so viele Gedanken über die Zusammenstellung der acht Verfasser der neutestamentlichen Texte macht, hätte er dann nicht ein paar Gedanken an Barnabas verschwenden müssen, der gerade bei der Verbindung Paulus-Jerusalem eine so wichtige Rolle spielt und deshalb mehr Berücksichtigung in der von T. insinuierten Ausgabe verdient hätte? Sollte er nur wegen Gal 2,13 ohne angesehene Tradition geblieben sein? Daran schließt sich die Frage an, wie sich T. die Auswahl der Texte durch die Endredaktion vorstellt - was lag dieser konkret an Texten vor, was schied sie aus?

Schließlich Unzulängliches: Reihenweise fehlen Blindproben, etwa: Wie sieht es mit den von T. verfolgten Formalien - nomina sacra, Titel, Umfang und Reihe - im Falle extrakanonischer, zugleich aber doch in Bibelhandschriften enthaltener Texte aus? Und wie verhält sich die Annahme einer Kanonischen Ausgabe zur Vielfalt früher Textformen bis in die Übersetzungen hinein, die T. außen vorlässt (58)? Sicher kennt die frühe Überlieferung keinen unantastbaren "heiligen" Text, aber muss man nicht bei einer derartigen editio princeps eine frühere Vereinheitlichung des Textes aus praktischen Gründen erwarten (trotz der lapidaren Bemerkung auf S. 13: "Der Wortlaut dieser Schriften ist für die Anerkennung nicht konstitutiv.")? Kaum hinnehmbar ist, dass der Vf. die Datierung und Lokalisierung der Kanonischen Ausgabe nicht zum Gegenstand seiner Untersuchung macht (vgl. 12), muss man doch bei einer derart präzisen Hypothese erwarten dürfen, dass T. Ort und Zeit nennt: Wann und wo situiert T. die hinter der Ausgabe stehenden Verleger und Buchhändler? Wem sollte deren Hauptanliegen, die Harmonisierung von paulinischer und Jerusalemer Tradition, dienen? Wer hätte sich schließlich eine solche kostspielige Ausgabe irgendwann im 2. Jh. leisten können, wo doch offensichtlich die umfangreiche Bibelproduktion erst im vierten Jahrhundert einsetzt (119)? Fragen über Fragen ohne Antwort.

Dass sich in den Quellen zur frühen Kirchengeschichte keine Hinweise auf das vom Vf. insinuierte Unternehmen finden, schwächt die These. Dass der Vf. darüber hinaus nicht imstande ist, Ross und Reiter zu nennen, macht die Arbeit problematisch.