Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

51–54

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sumney, Jerry L.

Titel/Untertitel:

'Servants of Satan', 'False Brothers' and Other Opponents of Paul.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1999. 355 S. gr.8 = Journal for the Study of the New Testament, Suppl. Series 188. Lw. £ 50.-. ISBN 1-84127-060-1.

Rezensent:

Andreas Lindemann

Die Frage nach den Gegnern des Paulus gehört zu den ausgesprochen spannenden Themen neutestamentlicher Forschung: Welche Position vertraten die vom Apostel oft polemisch Angegriffenen? Welchen Einfluss hatten sie in den Gemeinden? Gab es unter ihnen Verbindungen? Mit diesen Fragen ist ein grundsätzliches methodisches Problem verknüpft: Welche Möglichkeiten bestehen überhaupt, die Gegner zu identifizieren? Beschreibt Paulus, der ja unsere einzige Quelle ist, sie einigermaßen "objektiv"? Ist er überhaupt zutreffend über die Lage bei seinen Adressaten informiert, oder ist sein Wissen möglicherweise falsch bzw. zumindest unvollständig? J. L. Sumney hatte 1990 in seinem Buch Identifying Paul's Opponents diese Fragen anhand des 2Kor eingehend erörtert (Rez. Chr. Wolff, ThLZ 117, 1992, 42 f.); jetzt weitet er die Fragestellung auf sämtliche Paulusbriefe aus, einschließlich des Kol und der Pastoralbriefe (deren Verfasserfrage in diesem Zusammenhang offen bleiben könne, 31 f.), aber ohne Röm, Phlm und Eph, die eine direkte Auseinandersetzung mit Gegnern nicht erkennen ließen (für Röm mit dem nicht ganz überzeugenden Argument, dass "anti-Pauline activity is not as probable", da Paulus nicht in Rom gewesen sei, 31). Sein methodisches Vorgehen beschreibt S. als "minimalist in the sense that it seeks to establish what can be known with relative certainty" (30).

Das Buch umfasst zehn Kapitel, eine Bibliographie (323-341) sowie ein Stellen- (342-349) und ein Autorenregister (350-355). In der "Introduction" (13-32) legt S. noch einmal (s. o.) die Kriterien seines Vorgehens dar: Geboten seien die strikte Beschränkung auf die in den Texten tatsächlich erhebbare Auseinandersetzung mit Gegnern (23) und die Berücksichtigung der Zuverlässigkeit ("reliability") der Aussagen im Kontext (24-30, mit einer tabellarischen Übersicht S. 29). Fragwürdig sei die Methode des "mirror-reading", die paulinische Aussagen so zu "spiegeln" versuche, dass indirekt (angebliche) Gegnerpositionen sichtbar würden. Anschließend geht S. so vor, dass er die für das Thema relevanten Briefe (s. o.) in der kanonischen Abfolge sichtet. Im 1Kor (33-78) gebe es zwar keine wirklichen Gegner des Paulus, wohl aber werde seine apostolische Autorität in Frage gestellt.

Da das Vorgehen in den einzelnen Kapiteln stets gleich ist, soll es zum 1Kor etwas eingehender referiert werden. Die "explicit statements", zu denen S. (in der Reihenfolge der "certainty-of-reference") 1,10-12; 3,3-4; 3,21-22; 4,6-7; 4,18-19; 4,3 und 9,4-6 rechnet, zeigten, dass viele korinthische Christen sich auf andere Autoritäten als Paulus bezogen, ohne dessen apostolische Autorität grundsätzlich zu bezweifeln; Paulus könne aber annehmen, dass die Mehrzahl auf seiner Seite stehe (50 f.). Hinzukämen nun einige Anspielungen (vor allem in Kap. 1-4 und 9, aber auch 15,8-11), die zeigten, dass sich die Kritik an Paulus vor allem auf einen Mangel an "wise words" beziehe (70). Auf dieser Basis findet S. "affirmations", und zwar in 2,6-12; 1,26-31; 16,12.15-18, die bestätigten "that his antithesis between human and divine wisdom is a key element in his rejection of the Corinthians' practice of comparing leaders" (76). Als (nicht unbedingt neues) Ergebnis notiert S., von eigentlichen "opponents" in Korinth könne nicht gesprochen werden; die hinsichtlich der paulinischen Autorität gestellten Fragen kämen jedenfalls nicht "from any specific theological agenda" (77).

Die Darstellung des 2 Kor (79-130) ist unmittelbar an S.s erwähntem Buch orientiert (79), ergänzt durch Hinweise auf neuere Literatur. 2Kor 1-7(-9) und 10-13 seien eigene Briefe (Kap. 8 und 9 freilich für das Thema unergiebig, 80). Die in 2,17; 3,1b; 5,12 explizit angegriffenen Gegner lassen sich bezahlen und verfügen, anders als Paulus, über Empfehlungsbriefe (85); weitere Anspielungen sind erkennbar, jedoch nicht in 3,7-18 (98). Als (wiederum nicht neues) Ergebnis notiert S.: "The entire debate between Paul and his opponents centers on the proper manifestation of divine power in apostles' lives" (101). Weitgehend bestätigt werde das Bild durch den Brief 2Kor 10-13 (128-130, mit einem ausdrücklichen Vergleich zwischen beiden Briefen, 130-133, aber ohne den Versuch, eine Entwicklung in der korinthischen Korrespondenz zu beschreiben); jedenfalls seien die Gegner keine Gnostiker und auch keine Judaisten, sondern eher seien sie Rivalen im Blick auf die Frage des Vorbilds apostolischer Existenz (133).

Im Gal (134-159) findet S. Hinweise darauf, dass die Gegner annahmen, ihre Lehre stimme mit der des Paulus überein (157-159; Indizien seien 6,12 f. sowie 5,2-6.11); ihre Forderung der Gesetzeserfüllung beschränke sich allein auf die Beschneidung und auf das Halten von Festtagen: "They do not know that they are Paul's opponents until this letter arrives" (159); Paulus habe lediglich auf Grund seiner Erfahrungen in Antiochia so scharf reagiert. Im Phil, den S. als literarische Einheit sieht (160 f.), findet S. drei Typen von Gegnern, nämlich judenchristliche Missionare (3,1-3a), persönliche Gegner am derzeitigen Aufenthaltsort des Paulus (1,15-18) und Nichtchristen, von denen die Philipper verfolgt werden (1,28); die erstgenannte Gruppe sei nahezu erfolglos, die letztgenannten seien gar keine "Gegner" (175 f.). Die allgemein gehaltene Polemik in 3,18 f. sei nicht näher zuzuordnen (170-173), und eine Bestimmung der Gegner des Phil im Verhältnis zu denen des 2Kor und des Gal sei nicht möglich (187).

Zum Kol (188-213) stellt S. fest, dass die Gegner "were perhaps familiar with apocalyptic Judaism", wobei "for example asceticism and attention to worship seen in visions" wichtig sei; doch gebe es solches Denken auch in anderen Gruppen. Im Grunde sei allein "the demand that all Christians adhere to their regulations which the author rejects most strongly" (213). 1Thess (214-228) lasse nicht erkennen, dass es Paulus überhaupt mit Gegnern zu tun hat; wer anderes annehme "must use unreliable methods, including using unsupported mirror reading in hortatory and didactic sections", was viel zu unsicher sei (228). Im 2Thess (229-252) wende sich der Autor gegen Leute, die unter Berufung auf Paulus eine "overrealized eschatology" vertreten und die deshalb als ataktoi leben (2,2 sei allerdings kein Zitat, sondern eigenes Referat des Autors, 232 f.); mit dem Denken der Gnosis oder mit Libertinismus habe dies nichts zu tun (251).

Die Pastoralbriefe (253-302) werden von S. ausdrücklich als einzelne Briefe gelesen. 1Tim (254-278) wende sich gegen Gegner, die ursprünglich zur paulinischen Gemeinde gehört hätten: "The opponents call the community to obey the Law as they interpret it, which is different from the way 1 Timothy interprets it" (277); Gnostiker oder Libertinisten seien sie jedenfalls nicht. Auch die Gegner des 2Tim, denen im Allgemeinen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt werde, vertreten eine "overrealized eschatology"; zwar erfahre man wenig über sie, doch dürften sie jedenfalls nicht mit den Gegnern der anderen Past gleichgesetzt werden (289 f.). Die Gegner des Tit (290-301) sind judenchristliche Lehrer, oder zumindest "their teaching is rooted in their interpretation of the Law and their origin was among Jewish Christians" (296); sie sind zwar eher ein "local phenomenon", aber nicht ohne Erfolg (301). Die Beobachtungen zeigten, dass die Past wirklich einzelne Briefe sind, die mit unterschiedlichen Gegnern und unterschiedlichen Gemeindesituationen zu tun haben (301 f.).

Im Versuch einer Synthese (303-322) stellt S. nochmals seine Ergebnisse zusammen: 1 und 2Kor, Gal und Phil zeigen, dass es antipaulinische Bewegungen gab, die "Super-Apostel" in Korinth und die "Hunde" in Philippi, bei denen es möglicherweise eine Verbindung nach Galatien gab; von einem antipaulinischen "Judenchristentum" wie von einer festen Größe könne nicht gesprochen werden, keine der Gegnergruppen lasse eine Verbindung mit Jerusalem erkennen (309-311). Weder in den echten Paulusbriefen noch im Kol, im 2Thess oder in den Pastoralbriefen gebe es größere Debatten über Probleme der Christologie, etwa über das Verhältnis zwischen dem irdischen Jesus und dem himmlischen Christus; es gebe auch keine Auseinandersetzungen über den Geist oder das Wesen Gottes (ohne äußeren Anlass deute Paulus in 1Kor 8,7-10 an "that he is willing to accept henotheism [sic!] for those not yet convinced that there is only one God", 313). Selbstverständlich sei über alle diese Themen nachgedacht worden, doch habe es hier zwischen Paulus und den Gegnern keine Konflikte gegeben; es gelte aber: "Paul does argue with his opponents about the extent to which the eschatological age has broken into the world and what that means for Christian existence in the present" (314).

S. schließt mit einer "application" seiner Ergebnisse auf die (vor allem amerikanische) Gegenwart: Heute gebe es nicht selten ein Bemühen, "attraktive" Pfarrerinnen und Pfarrer zu haben, und dies erinnere mehr an die Position der im 2Kor bekämpften Gegner als an Paulus (319 f.); die Kritik des 2Thess und des 2Tim an der "overrealized eschatology" könne sich auch gegen Christen richten, die sich auf "höhere" Erfahrungen berufen, auch gegen einen Triumphalismus, wie er bei "television evangelists" wahrgenommen werden könne (320). Aus Kol, Gal, 1Tim und Tit könne man lernen, dass Christen einander nicht ihre Glaubens- und Lebenspraxis auferlegen dürften, sondern dass Offenheit geboten sei (321 f.).

So sehr man gerade diesen Buchschluss als sympathisch empfindet, so sehr hinterlässt die Studie in ihrem historisch-exegetischen Vorgehen Fragen: Kann eine Analyse und Rekonstruktion der Gegner des Paulus wirklich von einzelnen Textstellen, geradezu von isolierten Sätzen innerhalb der Briefe ausgehen? Muss nicht zumindest der Versuch gemacht werden, vom Ganzen der jeweiligen Briefe her zu plausiblen Rekonstruktionen der jeweils gegebenen Situation zu gelangen? S.s Buch enthält einerseits Ergebnisse, die längst Bekanntes nur bestätigen (Kor, Phil); andererseits aber wird vor allem zum Gal eine sehr ungewöhnliche These vertreten, die einer sehr viel breiteren Absicherung durch eine Auslegung des Briefes im Ganzen bedürfte. Gewiss ist die chronologische Abfolge der Briefe umstritten; aber die Orientierung einfach an der kanonischen Reihenfolge - sogar in der abschließenden Zusammenfassung - führt zu einem letztlich abstrakten Bild von den Auseinandersetzungen des Paulus mit seinen Gegnern. Schließlich vermag auch die scheinbar "objektive" Entscheidung, die Verfasserfrage beim Kol, 2Thess und den Pastoralbriefen offen zu lassen, nicht wirklich zu befriedigen; denn es ist doch ein erheblicher Unterschied, ob in diesen Texten Paulus selber sich mit Gegnern auseinandersetzt, oder ob ein anderer Verfasser unter Pseudonym einen von ihm als "paulinisch" dargestellten Konflikt durchspielt. So lässt das Buch, bei aller Anerkennung des Versuchs, zu einer Gesamtdarstellung der Problematik zu kommen, mehr Fragen offen als es Antworten gibt.