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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

46–48

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Metzner, Rainer

Titel/Untertitel:

Das Verständnis der Sünde im Johannesevangelium.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. XIII, 406 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 122. Lw. ¬ 89,00. ISBN 3-16-147288-8.

Rezensent:

Thomas Knöppler

Nach der 1989 erschienenen Arbeit von M. Hasitschka und verschiedenen kleineren Beiträgen des vergangenen Jahrzehnts ist nun wieder eine Monographie zur Sündenthematik im Joh erschienen. Die 1998 an der Humboldt-Universität zu Berlin eingereichte Habilitationsschrift vermeidet die dogmatischen Vorgaben Hasitschkas und stellt zugleich den gegenwärtigen Stand der Forschung zu diesem grundlegenden Thema der joh Soteriologie dar.

In der Einleitung (1-29) bietet Metzner nach kurzer hermeneutischer Besinnung zunächst einen Forschungsüberblick. Aus dem sprachlichen Befund ergibt sich die Zuordnung der Belege zum pharisäischen Sündenverständnis einerseits und zum Rechtsstreit des Offenbarers mit der Welt andererseits. Aus dem zweiten Belegbereich hebt er 1,29; 20,23 hervor, insofern beide Belege den Vorgang der Sündenbeseitigung bzw. -vergebung zur Sprache bringen.

Die Sündenthematik ist im gesamten Evangelium präsent (30-33). Schon 1,29 spricht von der in Jesus sich ereignenden Konfrontation von Gott und Welt. Ohne expliziten Bezug zur Sündenthematik ist der hamartiologische Sachverhalt aber bereits im Prolog vorhanden.

Die Wundergeschichten in Kap. 5 und 9 (34-114) sind auf der Ebene der vorjoh Tradition durch eine jüdisch-pharisäische Orientierung am Gesetz bestimmt. Deren Sündenbegriff nimmt der Evangelist in 5,14 auf; der Geheilte offenbart sich letztlich "als Repräsentant des Unglaubens" (61). Und in 9,39-41 stellt der Evangelist das Wesen der Sünde anhand des Motivs vom Rechtsstreit fest: Sie ist Blindheit bzw. Unglaube gegenüber dem von Gott gesandten Offenbarer. In beiden Wundergeschichten fehlt eine Aussage über die Sündenvergebung. - Auch die Aussage in 1,29.36 über das Gotteslamm (115-158), das M. auf das Passalamm deutet, gehört in den Rahmen des Rechtsstreits Jesu mit der Welt: Der Täufer bezeugt die definitive Beseitigung ihrer Sünde. Auf Grund mehrfacher Bezüge zur joh Passionserzählung wertet M. diese Aussage als "programmatische Leitthese" (137; im Original kursiv) der joh Christologie. Entscheidend ist der Bezug der Konfrontation von Gott und Welt auf den Kreuzestod, der "stellvertretende Sühne" (158) bewirkt.

Die Sündenaussagen in 8,12-59 (159-204) sind ebenfalls auf dem Hintergrund des Rechtsstreits Jesu als des Offenbarers mit der durch die "Juden" repräsentierten ungläubigen Welt zu verstehen. In 8,21-24 erscheint die umfassend gedachte Sünde (im Singular und im Plural) als im Unglauben bestehendes Unverständnis gegenüber dem Gesandten Gottes und als Verdrängung der Wahrheit des eigenen Sündentodes. In 8,31-36 begegnet die Sünde unter dem Bild der Knechtschaft. In 8,37-59 werden Abrahams- bzw. Gotteskindschaft und Teufelskindschaft einander gegenübergestellt, und die Sündlosigkeit Jesu erweist sich als ein Moment des Heilshandelns Gottes, durch das seine Wahrheit offenbart wird.

Auch für den in den Abschiedsreden vorliegenden Sündenbegriff (205-247) ist die Vorstellung von einem Rechtsstreit leitend. Nach 15,22-25 besteht die Sünde in dem gegen Jesus und seine Gemeinde gerichteten Hass der Welt. Nach 15,19 wird sie als Eigenliebe und -ehre der Welt verstanden, die sich in sich selbst verkrümmt dem Ziehen von Vater und Sohn entzieht und so die Gottesherrlichkeit verliert. Und in 16,8-11 geht es um die am Kreuz geschehende Offenbarung und Überführung der im Unglauben bestehenden Sünde der Welt. Die in 19,11 begegnende Rede von einer "größeren Sünde" (248-261) bezieht M. auf die "Juden". Diese Sünde kulminiert in der Absicht der Hinrichtung Jesu als extremem Ausdruck des Unglaubens gegenüber dem Offenbarer.

Schließlich ist auch für den Sündenbegriff des Vollmachtswortes in 20,23 (262-282) der sich im Streit von Gemeinde und Welt fortsetzende Rechtsstreit Jesu mit der Welt bestimmend. Die Gemeinde wendet einerseits das durch Jesu Sühnetod am Kreuz erworbene Heil zu und bekräftigt andererseits das in diesem Tod über die sündige Welt definitiv ergangene Gericht.

Die Ergebnisse dieser Einzeluntersuchungen erlauben die Feststellung von Kongruenzen mit dem Sündenbegriff im 1Joh und bei Paulus (283-350). Das in beiden joh Schriften für die Sündenthematik verwendete Vokabular weist auf ähnliche Bezugspunkte zu Christologie und Soteriologie hin; von Joh abweichende Momente sind im 1Joh durch die unterschiedliche Adressatensituation motiviert. Bis auf die Gesetzesproblematik hat Joh die Grundintentionen des paulinischen Sündenbegriffs rezipiert und an ihnen festgehalten; die Funktion des Gesetzes fällt im Joh Christus selbst zu, der wie bei Paulus von der Macht der Sünde befreit.

Die Monographie schließt mit einer Zusammenfassung (351-358), einem Literaturverzeichnis (359-386), einem Stellenregister (387-401) und einem Namen- und Sachregister (402-406).

M. hat das joh Sündenverständnis sehr gründlich und überzeugend bearbeitet. Die wissenschaftliche Darstellung dieses soteriologischen Themas ist ihm ausgesprochen gut gelungen. Das Fehlen einer begrifflichen Abgrenzung von Sünde, Vergehen und Schuld (vgl. das Register) ist dagegen zu bemängeln. Des Weiteren vermisst man, von wenigen Andeutungen abgesehen (140), eine Reflexion über die terminologische Differenz zwischen Sündenbeseitigung und Sühne.

Darüber hinaus ist zu beanstanden, dass M. zur Beschreibung der Heilsvermittlung begriffliche Vorstellungen verwendet, die nicht unbedingt als joh anzusehen sind. So spricht er etwa vom "Angebot" (61.102.114.275 u. ö.) bzw. einer "Möglichkeit" (276. 277) des Heils oder von einer "auf die willentliche Annahme" (61) Jesu abhebenden Bestimmung des Glaubens. Umgekehrt bezeichnet er Sünde u. a. als ein "Sich-Entziehen" (230) des Menschen gegenüber der Liebe Gottes, obwohl im Joh nur positiv von einem heilvollen "Ziehen" (6,44; 12,32) Gottes oder Jesu die Rede ist. Dass schließlich die Erwählung der Jünger "der entsprechenden Bewährung bedarf" (178), ist eine Konditionierung, die sich durch den Verweis auf 15,16 f. nicht belegen lässt; die Bewahrung in der Erwählung ist nach 6,37-40; 10,27-29 dagegen das Werk des Gottessohnes.

Unter den Druckfehlern gibt es zwei, die sich wiederholen: in den Anmerkungen auf S. 217-237 ist gelegentlich der Name eines Autors ausgefallen (jeweils: C. K. Barrett), und auf S. 297.300 verweisen Stellenangaben irrtümlich auf das Evangelium (Joh) statt auf den Brief (1Joh). Auf S. 65.67. 108.110.121.238.249 f.263.267 f. leidet die Lesbarkeit, da mehr oder weniger umfangreiche Verweise im Haupttext stehen.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen verspricht die Lektüre des Buches wegen ihrer gründlichen und theologisch profilierten Darstellung großen Gewinn.