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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

36–39

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Stordalen, Terje

Titel/Untertitel:

Echoes of Eden. Genesis 2-3 and Symbolism of the Eden Garden in Biblical Hebrew Literature.

Verlag:

Leuven: Peeters 2000. 582 S. gr.8 = Contributions to Biblical Exegesis & Theology, 25. Kart. bfr 45.-. ISBN 90-429-0854-8.

Rezensent:

Markus Witte

Entgegen einer in der Forschung häufig anzutreffenden Meinung, Gen 2-3 sei zwar innerhalb der jüdischen Literatur aus hellenistisch-römischer Zeit breit rezipiert worden, habe aber innerhalb des AT kaum Spuren hinterlassen, weist die vorliegende Studie überzeugend nach, dass zumindest die Eden- und die Gartensymbolik der biblischen Paradieserzählung (oder einer mit dieser vergleichbaren, nicht erhaltenen Eden-Erzählung) keineswegs von marginaler Bedeutung für die atl. Literatur- und Theologiegeschichte ist. Für diesen Nachweis betrachtet der Vf. Gen 2-3 aus einer "comprehensive perspective", wobei vor allem Elemente der semiotischen Analyse, der narrativen Exegese sowie der Motiv- und Traditionsgeschichte zur Anwendung kommen.

Das Buch wird mit einer ausführlichen methodologischen Grundlegung eröffnet (19-78), in welcher der Vf. semantische Kriterien für mögliche Vergleichstexte zu Gen 2-3 benennt (im Wesentlichen handelt es sich um den jeweils nachweisbaren Bestand an Begriffen aus der Pflanzenwelt) und sein Verständnis der für die vorgelegte Analyse zentralen Phänomene Symbol, Metapher, Gleichnis, Allegorie, Allusion, Intertextualität undBildfeld ausführlich begründet. Die genannten Phänomene werden als im Text selbst angelegte Konstitutiva einer kulturell vermittelten kommunikativen Kompetenz verstanden, die sowohl bei den zeitgenössischen Lesern als auch bei modernen Rezipienten die Voraussetzung zum Verstehen bilde. Dabei ist sich der Vf. durchaus der Problematik bewusst, Kriterien für den Nachweis von Intertextualität, die er im Gegensatz zur Allusion durch den Leser bedingt sieht, aufzustellen.

In einem zweiten Hauptteil (79-183) führt der Vf. durch die symbolischen Bedeutungen eines Gartens in die Kulturen des alten Vorderen Orients. Anhand einschlägiger vorderorientalischer und alttestamentlicher Texte, am Rande auch ausgewählter Beispiele aus der altorientalischen Bildwelt, werden die Symbolik von Gärten ("Segen") und Bäumen ("Vitalität"), die Vorstellung von Gärten als Räumen belebender und tötender Kräfte ("Liebe und Tod"), die Verbindung von Gärten mit dem Kult sowie die Topoi des königlichen Gartens und der "Vegetation als göttliches Geschenk" entfaltet. Bereits nach diesem Durchgang kommt der Vf. zu dem Ergebnis, dass sich sowohl Gen 2-3 als auch die anderen atl. Texte, in denen Bäume und Gärten eine Rolle spielen, bruchlos in "a biblical theological framework" einfügen (183).

Im dritten Teil seiner Studie (185-301) unterzieht der Vf. Gen 2-3 einer narrativen Exegese, deren Schwerpunkt auf den Aussagen zu Eden bzw. zum Garten (in) Eden liegt. Die Paradieserzählung wird dabei als eine literarisch einheitliche Urzeiterzählung angesehen. Auf der Basis altorientalischer Mythologeme und Symbole, vorgegebener Sprichwörter und Volksetymologien habe der Erzähler, der sich selbst als nicht nicht allwissend gebe, eine theaterähnliche Dichtung komponiert, die den Leser zu einer aktiven Zuschauerrolle einlade. Im Mittelpunkt dieser Erzählung stehe die Frage nach dem Verhältnis von Leben und Erkenntnis.

Mögliche literarische Vorstufen von Gen 2-3 werden vom Vf. nicht prinzipiell negiert, aber doch etwas voreilig als nicht relevant für das Verständnis der vorliegenden Erzählung angesehen. Die Abweisung redaktionsgeschichtlicher Modelle geschieht bezeichnenderweise in Auseinandersetzung mit dem Genesis-Kommentar von C. Westermann (1974), nicht aber mit neueren Analysen der Paradieserzählung von C. Dohmen (1988), J. Vermeylen (1990), L. Ruppert (1992), C. Levin (1993) oder M. Witte (1998), deren Studien - wenn überhaupt - nur in den Anmerkungen erwähnt werden.

Entscheidend für die vorgeführte Interpretation sind das Verständnis des Namens Eden in einem nichtlokalen, vielmehr symbolischen Sinn für "Segen", und die temporale Bestim-mung von mqdm (Gen 2,8) als einer Angabe für die mythische Urzeit, nicht für einen fernen Ort "im Osten" ("ostwärts" o. ä.). Wie nicht zuletzt die symbolisch zu deutende "Paradiesgeographie" in Gen 2,10-14 zeige, handele es sich beim Garten Eden nicht um eine irdische Größe, sondern um eine kosmische, näherhin um die Grenze zwischen der göttlichen Welt und der Welt der Menschen. Insofern zeige die Eden-Erzählung eine ferne Welt. Andererseits reiche die Erzählung nicht nur mittels ihrer Ätiologien, sondern auch mittels ihrer Symbole in die Welt der zeitgenössischen Leser. Aus dem stark weisheitlich geprägten Charakter von Gen 2-3, aus analogen Einschätzungen der menschlichen Existenz und der Begrenztheit menschlicher Erkenntnis in Ps 73, Hiob und Kohelet sowie aus dem Wortschatz schließt der Vf. auf eine frühperserzeitliche Abfassung der Paradieserzählung.

In einem ausführlichem Durchgang (303-454) durch alt- und zwischentestamentliche Texte, die nach den in Teil 1 entwickelten Maßstäben eine mit Gen 2-3 vergleichbare Gartensymbolik aufweisen, erschließt der Vf. die mehrdimensionale, leserorientierte Bild- und Symbolwelt der Paradieserzählung, so wie sie sich für ein gebildetes jüdisches Auditorium der frühen Perserzeit dargestellt haben mag.

Wie der Vf. sich dieses Auditorium im Einzelnen vorstellt und wo er dieses sozialgeschichtlich verortet, erfährt der Leser nicht. Hingegen erhält er Kurzexegesen von Gen 13,10; Num 24,5-7; Jes 14,4-20; 51,1; 65,17-25; Ez 28,11-19; 31; 36,35; 47,1-12; Joel 2,3; Sach 14,8-11; Ps 19,8-15; Hi 15,7 f.; Prov 3,13-18; Koh 2,1-11; Sir 24,25-27; 40,27 u. v. a. Neben zahlreichen, bedenkenswerten Detailbeobachtungen, die im Einzelnen aber teilweise zu wenig begründet sind, kann der Vf., auch wenn es nicht im Mittelpunkt seines Interesses steht, gelegentlich literargeschichtliche Beziehungen zwischen den besprochenen Texten wahrscheinlich machen. Sachgemäß wird zwischen direkten und indirekten Bezugnahmen auf Gen 2-3 unterschieden. Zu Ersteren zählt der Vf. z. B. Jes 51,3; Ez 36,5 und Joel 2,3. Zutreffend weist er auf die literaturgeschichtliche Nähe der entsprechenden Vergleichstexte hin, die alle erst aus der exilischen und nachexilischen Zeit stammen.

Im Anschluss an frühere Vorschläge, einzelne Symbole von Gen 2-3 vor dem Hintergrund der Jerusalemer Tempeltheologie zu deuten (vgl. G. J. Wenham [1985], J. Vermeylen [1990], M. Witte [1998]), arbeitet der Vf. klar die gegenseitigen symbolischen Bezüge heraus, die zwischen "Eden", "Lebensbaum", "Zion", "Gichon", "Tora" und "Weisheit" bestehen.

Schließlich überführt der Vf. seine Ergebnisse bezüglich der generellen Bedeutung von Gärten im Alten Orient, der konventionellen Eden-Topik im AT und der narrativen Exegese von Gen 2-3 in die Interpretation der auf die ursprünglichen Leser zielenden und deren "Allusionskompetenz" voraussetzenden "Bedeutung" der Paradieserzählung (455-474). Als weisheitlich und kultisch orientierter Diskurs über Lebensideale warne Gen 2-3 vor menschlicher Selbstüberschätzung und beschreibe die Ambivalenz des Wesens und der geistigen Fähigkeiten des Menschen. In narrativer Form unterstreiche die Eden-Erzählung die Angewiesenheit des Menschen auf Weisheit und Tora.

Der sehr gründlich gearbeiteten Studie, die auf einer 1998 der Norwegian Lutheran School of Theology (Oslo) vorgelegten und von Reidar Hvalvik betreuten Dissertation basiert, in ihren Anfängen aber schon auf Beschäftigungen des Vf.s mit dem Eden-Stoff 1989 bei Magne Sæbø zurückgeht, sind Strukturanalysen zu Gen 2-3 und Ez 28,11-19, sechzehn Nachzeichnungen von Garten- und Pflanzenmotiven aus der vorderorientalischen Ikonographik (in der Mehrzahl nach O. Keel), umfangreiche Register sowie eine 68 Seiten umfassende Bibliographie beigegeben. Das auch forschungsgeschichtlich sehr materialreiche Buch wird durch Summarien, die den fünf Hauptteilen vorangestellt sind, durch Zusammenfassungen am Ende eines jeden Kapitels sowie durch zahlreiche Querverweise gut erschlossen. Es erweist sich sowohl in methodologischer Hinsicht als auch im Blick auf die traditions- und religionsgeschichtlichen Ausführungen als eine sehr anregende Untersuchung, die den Leser, ganz der auf Gen 2-3 angewandten semiotischen Theorie entsprechend, in den Prozess eines "creative reading" hineinnimmt, ohne historisch-kritische Analysen auszublenden. Am Ende der Lektüre des angezeigten Werks mag sich der nun umfassend über die atl. Eden-Symbolik informierte Leser, auch wenn er manche traditions- und redaktionsgeschichtlichen Phänomene anders beurteilt, herausgefordert fühlen, seinerseits Bezüge der Eden-Erzählung in der biblischen (und nachbiblischen) Literatur zu entdecken - denn dies betont auch der Vf. selbst: "Echoes of Eden" lassen sich selbst auf 582 Seiten nicht vollständig zum Klingen bringen.

Literatur, die in der Rezension erwähnt wird:

Dohmen, C.: Schöpfung und Tod: Die Entfaltung theologischer und anthropologischer Konzeptionen in Gen 2/3, SBS 17, 1988.

Keel, O.: Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, 1972

Levin, C.: Der Jahwist, FRLANT 157, 1993.

Ruppert, L.: Genesis. 1. Teilbd. Gen 1,1-11,26. Ein kritischer und theologischer Kommentar, 1992.

Vermeylen, J.: Au Commencement. Une lecture de Genèse 1-11, 1990.

Wenham, G. J.: Sanctuary Symbolism in the Garden of Eden Story, in: PWCJS 9, 1985, 19-25.

Westermann, C.: Genesis, BK I/1, 1974.

Witte, M.: Die biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1-11,26, BZAW 265, 1998.