Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

33–36

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ska, Jean-Louis

Titel/Untertitel:

Introduction à la lecture du Pentateuque. Clés pour l'interprétation des cinq premiers livres de la Bible. Trad. de F. Vermorel.

Verlag:

Bruxelles: Ed. Lessius 2000. 391 S. 8 = Le livre et le rouleau, 5. ISBN 2-87299-081-X.

Rezensent:

Hans-Christoph Schmitt

Jean-Louis Ska, der Alttestamentler des Päpstlichen Bibelinstituts in Rom, sieht es nicht als Aufgabe seiner vorliegenden "Einführung in die Pentateuchexegese" an, mit einer weiteren Hypothese in die Schlacht der gegenwärtigen Pentateuchforschung zu ziehen. Vielmehr geht es ihm darum, angesichts einer unübersichtlichen Forschungssituation, in der verschiedene Kombattanten sich mit Siegesmeldungen zu übertrumpfen versuchen, dem Leser grundlegende Einsichten zu vermitteln, die eine kritische Orientierung im Streit der Pentateuchhypothesen ermöglichen (vgl. 6).

Daher setzt Ska nicht mit einer Darstellung der Geschichte der bisherigen Pentateuchforschung ein, sondern beschreibt in den ersten Kapiteln zunächst grundlegende Gegebenheiten der vorliegenden Struktur der fünf Mosebücher. Kap. 1 (11-30) behandelt dabei zunächst den Begriff "Pentateuch", grenzt ihn ab gegenüber Vorstellungen von einem "Hexateuch", einem "Tetrateuch" und einem "Enneateuch" und thematisiert die Stellung der Bücher des Mose im Rahmen des Kanons der Hebräischen Bibel. In Kap. 2 (31-62) folgt eine Darstellung der Struktur der fünf einzelnen Bücher des Pentateuch, wobei S. davon ausgeht, dass diese Bücher "sont clairement divisés par des signaux linguistiques et structuraux" (35).

Kap. 3-5 thematisieren des Weiteren die "literarischen Probleme des Pentateuch", wobei Kap. 3 (63-79) sich zunächst den legislativen Texten zuwendet. Nach S. zeigt sich hier das Vorliegen unterschiedlicher Pentateuchschichten an den unterschiedlichen Bestimmungen der Sklavengesetze (Bundesbuch: Ex 21,2-11; Deuteronomium: Dtn 15,12-18; Heiligkeitsgesetz: Lev 25,39-55), des Zinsverbotes (Ex 22,24; Dtn 23,20-21; Lev 25,35-36) und des Feindesliebegebotes (Ex 23,4-5; Dtn 22,1-4; Lev 19,17-18). Hingewiesen wird auch auf die zwei Fassungen des Dekalogs in Ex 20 und Dtn 5 und auf den sog. "kultischen Dekalog" von Ex 34,11-26. Als zentrale Probleme der narrativen Texte des Pentateuch behandelt Kap. 4 (81-111) zum einen die mehrfache Darstellung des gleichen Ereignisses (Gen 1,1-2,4a und 2,4b-3,24; Gen 12,10-20, 20,1-18 und Gen 26,1-11; Ex 17,1-7 und Num 20,1-13) und zum andern Dubletten innerhalb des gleichen Berichts (Gen 6-9; 37; Ex 14). Schließlich weist Kap. 5 (113-138) auf Pentateuchbefunde hin, die auf redaktionelle Eingriffe hindeuten (redaktionelle "Einfügungen": Ex 14,11-12; 24,3-8; "Wiederaufnahmen": Gen 6,22 und 7,5; 21,27b und 21,32a; 37,36 und 39,1; Ex 6,10-12 und 6,29-30; 6,13 und 6,26-28; Lev 26,46 und 27,34; Num 22,21b und 22,35 ; erläuternde Glossen: Gen 36,1.8.19; 14,2.3.7.8.17; Gen 13,13; 16,7; Ex 16,36; Num 13,22; Dtn 3,9; Gottesreden: Gen 22,15-18; Ex 3,15; Gen 16,9.10.11; 12,1-4a; 13,14-17; 28,13-15; Ex 19,3-8; Fürbitten Moses: Ex 32,7-14; Num 14,11b-23a).

Erst nach dieser Darstellung der zentralen literarischen Probleme des vorliegenden Pentateuchs gibt Kap. 6 (139-180) einen Überblick über die Geschichte der Pentateuchexegese von den Kirchenvätern bis zum Jahr 1970, wobei im Zentrum des Forschungsberichts die Entwicklung der Neueren Urkundenhypothese steht. Kap. 7 (181-234) geht schließlich auf die Entwicklungen seit 1970 ein und konzentriert sich auf die in den letzten Jahren geäußerte Kritik an der Urkundenhypothese. Aus der neueren Forschungsdiskussion übernimmt S. dabei die Ablehnung einer mehrere Pentateuchthemen übergreifenden "elohistischen" bzw. "jahwistischen" Schicht. Das Modell für die Pentateuchentstehung, das sich seiner Meinung nach gegenwärtig nahe legt, ist die "Fragmentenhypothese" (207).

Allerdings hält S. an der Hypothese einer "priesterschriftlichen" Urkunde fest, wobei er im Anschluss an Lothar Perlitt (ZAW 100 Suppl.,1988, 65-88) mit einem Ende der Priesterschrift in Num 27 rechnet (215). Er datiert sie auf Grund der Bezüge von Num 14,9 zu Esr 3,3; 4,4 ("Volk des Landes") in die Zeit vor Beginn des Tempelbaus im Jahre 520 v. Chr., in der die in Juda zurückgebliebene Bevölkerung sich einer Rückkehr der babylonischen Exulanten widersetzte. Deutlich abzuheben von der Priesterschrift ist nach S. das nachexilisch zu datierende Heiligkeitsgesetz Lev 17-26, bei dem bereits eine Synthese von priesterschriftlicher und deuteronomischer Theologie zu beobachten ist.

Von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung der neueren Entwürfe der Pentateuchforschung sind die Feststellungen, die Kap. 8 (235-261) über "fundamentale Charakteristika der antiken Literatur" macht: Nach S. sind vor allem 4 Gesetzmäßigkeiten zu beachten: 1. Antike Literatur betont die Bedeutung des hohen Alters der von ihr wiedergegebenen Überlieferungen; 2. Sie versucht, vorliegende schriftliche Überlieferung möglichst zu konservieren; 3. Gleichzeitig geht es ihr jedoch um Gegenwartsbedeutung und Aktualität der tradierten Überlieferung; 4. Schließlich ist jedoch angesichts der Kostspieligkeit der Verschriftung auch ein sehr sparsamer Umgang mit schriftlichen Dokumenten anzunehmen: Es ist daher nur mit relativ wenigen Gelegenheiten zu rechnen, in denen vorliegende Schriften modifiziert bzw. in größerem Stile erweitert werden konnten, zumal die Ränder der Schriftrollen meist nur wenig Platz für Einfügungen ließen. Auch ist nicht an eine große Zahl von Manuskripten der alttestamentlichen Schriftwerke zu denken. S. weist in diesem Zusammenhang zurecht darauf hin, dass es angesichts dieser Gegebenheiten eher unwahrscheinlich ist, in Pentateuchtexten mit sieben bis acht Redaktionsschichten zu rechnen (251). Bestätigt werden diese Überlegungen durch eine Untersuchung der Entstehung des Gilgamesch-Epos, wie sie J. H. Tigay vorgelegt hat (vgl. besonders Empirical Models for Biblical Criticism, Philadelphia 1985, 21-52).

Auf dem Hintergrund dieser Beobachtungen entwickelt Kap. 9 (263-307) folgende für die Pentateuchforschung grundlegenden Basisannahmen: 1. Die Grundstruktur des Pentateuch geht erst auf die nachexilische Zeit zurück. 2. Für die Annahme literarischer Schichten ist von den Beobachtungen der Kap. 3-5 auszugehen, nach denen im Pentateuch drei Rechtskodizes (Bb, D, H) und drei unterschiedliche Theologien (die deuteronomistische, die der Priesterschrift und die des Heiligkeitsgesetzes) vorliegen. Das Bundesbuch ist dabei nach S. als vorexilisch, das deuteronomische Gesetz als spätvorexilisch und die deuteronomistische Theologie als spätvorexilisch-exilisch zu beurteilen, während die Priesterschrift in die Zeit vor dem Wiederaufbau des Tempels und das Heiligkeitsgesetz in die Periode des zweiten Tempels zu datieren ist. In den Zusammenhang der Theologie des Heiligkeitsgesetzes setzt S. auch die Endredaktion des Pentateuch an mit ihrer Synthese von priesterschriftlicher und von deuteronomistischer Theologie. 3. Mit einer vorexilischen Pentateuchquelle, die gleichzeitig Väter- und Moseüberlieferung umfasste, ist nicht zu rechnen. 4. An vorexilischen Materialien sind nur relativ kurze Überlieferungsstücke anzunehmen (u. a. ein eigenständiger Jakobszyklus, eine eigenständige Josefsgeschichte, ein eigenständiges Bundesbuch etc.).

Besonders beachtenswert sind schließlich die Ausführungen von S. zur Funktion der Endgestalt des Pentateuch in Kap. 10 (309-325). S. fasst hier überzeugend die Argumente zusammen, die gegen eine Reichsautorisation des Pentateuch durch die persische Verwaltung sprechen, und zeigt, dass es nicht außenpolitischer Druck war, der zur Zusammenstellung der unterschiedlichen Vorlagen des Pentateuch führte. Vielmehr kann er im Anschluss an die Hypothese von J. P. Weinberg (vgl. u. a. The Citizen-Temple Community, Sheffield 1992) wahrscheinlich machen, dass die vorliegende Struktur des Pentateuch auf die inneren Probleme der Jerusalemer Bürger-Tempel-Gemeinde Bezug nimmt: Einerseits klären die Genealogien und Erzählungen der Genesis die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinde, andererseits liefern die "legislativen Bücher" (Ex, Lev, Num, Dtn) ihre Rechtsbasis.

Beigegeben sind dem Werk eine ausführliche Bibliographie und Autoren-, Bibelstellen- und Sachregister, die die Erschließung des Buches erheblich erleichtern. Seine besondere Bedeutung besteht darin, dass es in den Kapiteln 3-5 und 8 grundlegende Beobachtungen am Pentateuch und an der antiken Literatur zusammenstellt, die Prüfsteine für jedes Modell der Pentateuchentstehung bilden. Wie sorgfältig diese Grundbeobachtungen formuliert sind, zeigt sich daran, dass von ihnen her auch kritische Anfragen an das in Kap. 9 entwickelte eigene Modell des Verfassers gerichtet werden können.

So kann man fragen, ob die von S. vertretene Ablehnung eines neben der Priesterschrift existierenden durchgängigen "jahwistischen" Erzählfadens wirklich dem in Kap. 4 dargestellten Befund gerecht wird, dass in der Ur-, der Väter- und der Exodusgeschichte durchgängig Doppelüberlieferungen und Dubletten zu beobachten sind. Dass diese "jahwistischen" Texte nicht die gleiche stilistische Einheitlichkeit aufweisen wie die der Priesterschrift, ist m. E. noch kein hinreichendes Gegenargument. Dass ein Großteil der traditionell dem "Jahwisten" zugewiesenen Texte inhaltlich durch die Themen "Ungehorsam gegen Jahwe - Strafe" und "Gehorsam gegen Jahwe - Segen" (und zwar auch "Segen für die Völkerwelt") miteinander verbunden sind, weist auf die von S. nicht hinreichend gewürdigte Möglichkeit hin, dass diesen Texten ein zusammenhängender jahwistischer Faden aus exilisch-frühnachexilischer Zeit zu Grunde liegt.

In gleicher Weise werden auch die Befunde, die für eine zusammenhängende Schicht der mit "Elohim" formulierten Texte sprechen könnten (S. selbst weist auf S. 88 für Gen 20 auf die Besonderheit des Gebrauchs der Gottesbezeichnung "Elohim" hin), kaum berücksichtigt. Eine vorurteilsfreie Prüfung der Annahme einer "elohistischen" Pentateuchschicht, wie sie S. eigentlich beabsichtigt hat, hätte sich intensiver mit dem Befund auseinander setzen müssen, dass in einem Großteil dieser "elohistischen" Texte das weisheitliche Stichwort "Gottesfurcht" von zentraler Bedeutung ist und dass durch dieses Thema ein Zusammenhang zwischen Väter-, Exodus- und Gottesbergüberlieferung (von Gen 20 über Ex 1 zu Ex 20) hergestellt wird. Auch spricht die Parallelisierung von Jakob und Mose in Hos 12 nicht dagegen, dass eine Jakob und Mose gleichzeitig umfassende Darstellung der Anfangsgeschichte Israels bereits in spätvorexilischer Zeit denkbar ist, zumal nach S. auch schon mit einer vorexilischen Verschriftung von Bundesbuch und Urdeuteronomium gerechnet werden kann.

An der Urkundenhypothese festgehalten hat S. zu Recht bei der Behandlung der priesterlichen Schicht. Gegenüber den neueren Tendenzen, die Priesterschrift am Sinai enden zu lassen, weist er außerdem zutreffend auf die zentrale Bedeutung der Landthematik bei P hin, die es notwendig macht, mit einer Fortsetzung der Priesterschrift im Numeribuch zu rechnen. Des Weiteren arbeitet er überzeugend die theologische Sonderstellung des Heiligkeitsgesetzes gegenüber P heraus. Zu Recht zeigt er schließlich, dass ebenso wie hinter dem Heiligkeitsgesetz auch hinter der Endredaktion des Pentateuch eine Theologie steht, die priesterliches Denken mit deuteronomisch-deuteronomistischen Grundauffassungen verbindet. Nicht hinreichend thematisiert wird bei S. allerdings die Frage, ob sich entsprechende theologische Passagen nicht auch in den Büchern Josua, Richter und Könige finden, so dass hier mit einer nachexilischen Redaktion zu rechnen ist, die einen Enneateuch im Auge hat. Auch hier hätten von S. übergreifende Zusammenhänge stärker berücksichtigt werden können.

Es spricht für die Bedeutung des vorliegenden Werkes, dass diese Anfragen auf der Basis der vom Vf. dargestellten Grundbefunde des Pentateuch zu formulieren sind. Die Differenzierung zwischen mehr oder weniger hypothetischen Pentateuchmodellen und den Grundbefunden der Pentateuchforschung, auf die die Pentateuchmodelle kritisch zu beziehen sind, stellt m. E. einen wesentlichen Forschungsfortschritt dar. So ist zu hoffen, dass der Ansatz des vorliegenden Werkes für die künftige Pentateuchexegese grundlegende Bedeutung gewinnt.