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Ausgabe:

Januar/2002

Spalte:

24–27

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lehmann, Clayton Miles, and Kenneth G. Holum [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Greek and Latin Inscriptions of Caesarea Maritima.

Verlag:

Boston: The American Schools of Oriental Research 2000. XX, 292 S. m. 8 Abb., CLXXI S. m. 411 Photos. 4 = Joint Expedition to Caesarea Maritima. Excavation Reports, V. Geb. $ 84.95. ISBN 0-89757-028-6.

Rezensent:

Peter Pilhofer

Nach dem grundlegenden Sammelband zu Caesarea Maritima1, der den Ausgangspunkt für alle weitere Forschung zu dieser Stadt bildet, ist nun auch die Sammlung der griechischen und lateinischen Inschriften in einem vorzüglich ausgestatteten Band erschienen. Lehmann und Holum legen 411 Texte aus der Stadt selbst und ihrem Territorium vor, von denen nicht weniger als 204 bisher nicht publiziert waren - fast die Hälfte der Texte ist hier erstmals zugänglich.2

Rechtfertigte diese Tatsache allein schon den Kauf der vorliegenden Sammlung, so erweist sich diese Entscheidung bereits beim ersten Durchblättern als richtig: In einem umfangreichen Tafelteil von 171 Plates werden Abbildungen fast aller aufgenommenen Inschriften geboten (häufig sogar mehrere Photos ein und derselben Inschrift). So ist der Benutzer des Bandes beinahe durchweg in der Lage, die von den Verfassern vorgeschlagenen Lesungen anhand einer guten Abbildung zu überprüfen. Hoffnungslose Fälle gibt es freilich auch, so beispielsweise die Nummer 362 - der Stein ist zwar auf Pl. CLVIII abgebildet, aber über einige wenige Buchstaben kommt man beim Studium dieser Photographie nicht hinaus (was keine Kritik an Lehmann als Photographen ist: Am Stein selbst ginge es einem vermutlich nicht wesentlich besser).

Was den chronologischen Rahmen angeht, so unterscheiden die Vff. "römische" von "spätantiken" ("Late Antique") Texten. Die erste Gruppe reicht bis ungefähr 300 n. Chr., die zweite bis zur islamischen Eroberung der Stadt.3

Der Sammlung der 411 Inschriften ist eine Einleitung vorangestellt (1-32), die zusammenfassend über die Stadt Caesarea, ihre Rolle innerhalb der Provinz, die römische Armee in Palästina, die inschriftlich bezeugten Gebäude der Stadt, die religiösen und ethnischen Gegebenheiten, die Bevölkerung der Stadt sowie die Grabinschriften informiert. Schließlich werden "Language and Grammar" (27 f.), "Chronological Systems and Dating" (28 f.) und "Palaeography" (30-32) diskutiert. Unüberhörbar ist das caveat der Vff.: "Despite the city's size and distinction, the inscriptions in this volume are a modest corpus in both numbers and quality. The reasons for this relative poverty are clear enough. Excavation has exposed less than 10 % of ancient Caesarea's urban terrain, not including so far an adjacent necropolis rich in epitaphs" (1).4

"Nothing is known epigraphically of local rule at Caesarea under the Herodian dynasty" (6); erst mit der Gründung der Colonia Prima Flavia Augusta Caesarea bzw. Caesariensis durch Vespasian ändert sich das Bild. Für die Folgezeit sind die "Bürgermeister" (duumviri), der Stadtrat (decuriones) sowie Priester (pontifices), augures und Augustales bezeugt. Latein ist selbstverständlich Amtssprache der Kolonie, wie einige inschriftlich erhaltene Beschlüsse mit der Formel ex decreto decurionum zeigen (Nr. 3; 8; 10; 11); dies gilt noch im zweiten und dritten Jh. Im dritten Jh. allerdings tauchen auch griechische Inschriften offiziellen Charakters auf (z. B. Nr. 5 und 12), und das Lateinische gerät bald darauf ins Hintertreffen. "Further, there is no further word of the colony or its Latinate institutions after the third century ..., and when the inscriptions once again mention municipal institutions, in the fifth and sixth centuries, they are Greek and have put on a Late Antique dress" (8).5

In der von den Vff. so genannten römischen Phase der Stadt dominieren die lateinischen Inschriften klar: Von insgesamt 84 Texten sind 61 lateinisch und lediglich 23 griechisch (vgl. die Angaben 23 mit Anm. 162), ein Verhältnis von 2,5 zu 1. Eindrucksvoll gewiss, aber von einer durchgreifenden Romanisierung der Stadt seit der Gründung der Kolonie (wie etwa im Fall von Philippi6) kann beim heutigen Stand der epigraphischen Kenntnis keine Rede sein: Insbesondere die Zahl der privaten Inschriften in Latein ist sehr gering (lediglich acht Grabinschriften: Nr. 145; 146; 148; 160; 161; 162; 163; 164). Die Rede von der Kolonie "ehrenhalber" ("'honorary' Roman colony", 24) hat insofern ihre Berechtigung.

Was nun die Anordung des Materials angeht, so ist diese recht ungewöhnlich: "we have observed ... the following hierarchy: first, the general category of inscription and the type of monument, in the order listed in the Table of Contents; then religious orientation, pagan, Jewish, Samaritan, and Christian; then chronology and formulaic features; and finally degree of completeness" (33).7 - Besonderes Interesse darf die Gruppe der Inschriften aus der jüdischen Synagoge beanspruchen, die im 3. Jh. erbaut, im 5. Jh. umgestaltet wurde (19; es handelt sich um die Nummern 78-84).

Neutestamentlern seien neben der berühmten Pilatusinschrift (Nr. 43, 67-70) vor allem die Nummern 88 und 89 (100f. mit Abb. Pl. LXIV) empfohlen: Wo sonst in der Welt findet man den Rat des Paulus bezüglich der exousia (Röm 13,3b) als Mosaikinschrift? Als Ironie der Geschichte muss es erscheinen, dass es die exousia selbst ist, die sich den Rat des Paulus zu eigen macht: Beide Fußbodenmosaike befinden sich im "Imperial Revenue Office" (vgl. Plan 7 auf Seite 98) und illustrieren eindrucksvoll, was die Vff. so schön "rhetoric of persuasion" (8) nennen (ein Vergleich mit heutiger Finanzamt-Rhetorik liegt außerhalb des Rahmens dieser Rez.). Einzelne Chargen dieses "Finanzamts" kann man Nr. 90 entnehmen (chartoularioi sind für die Akten zuständig; daneben wird ein noumerarios genannt; in Nr. 91 begegnet der Vorsteher namens Marinos).

Interessant ist auch die hier erstmalig publizierte metrische Grabinschrift Nr. 156, die in Z. 9 die Pforten des Hades (pylai Aidou) erwähnt. Sollte es sich um einen christlichen Text handeln - das Christogramm am Anfang der Inschrift legt diese Annahme nahe -, so hätten wir hier eine Bezugnahme auf die berühmte Stelle Mt 16,18 (die die Vff. in ihrem Kommentar z. St. jedoch nicht diskutieren). Leider ist die Lesung der vorausgehenden acht Zeilen zu fragmentarisch, als dass man eine sichere Entscheidung treffen könnte.

Unklar bleiben die Kriterien für die Verwendung kleiner bzw. großer Buchstaben: In dem Fragment Nr. 344 beispielsweise finden sich über vier Zeilen jeweils zwei bis drei Buchstaben, alle klein, ohne dass sich auch nur eine einzige dieser Buchstabenfolgen zu einem sinnvollen Wort ergänzen ließe. Bei den folgenden Nummern 345-348 hingegen finden sich in den entsprechenden Zeilen (sinnvollerweise) ausschließlich Großbuchstaben.

Ungenügend ist die Druckqualität der "Fig. 2. Site Map with Excavation History" (3) - ohne Lupe kann man die Legende kaum lesen.8

Unbequem für den Benutzer ist die Einrichtung der Anmerkungen: Statt unten auf der jeweiligen Seite sind sie für das gesamte Buch gesammelt als Endnoten gedruckt (231-255). Defizitär sind leider die Indices: Das kolonia aus Nr. 12, Z. 5 sucht man sowohl 276 als auch 282 f. vergeblich, auch für eine Aufnahme der lateinischen Form colonia wäre man dankbar (doch vgl. immerhin 278, 6. s. v. Caesarea). Der Aides aus Nr. 156, Z. 9 ist lediglich s. v. pylai verzeichnet - da muss man ihn erst einmal suchen!

Völlig unzureichend ist die Bibliographie (257-266), da sie zahllose (insbesondere im Anmerkungsteil diskutierte) Titel nicht aufnimmt (selbst dann nicht, wenn diese ausdrücklich epigraphisches Material aus Caesarea diskutieren).9 Wer den vorliegenden Band also als "foundation for future research" (XI) nutzen will, sollte dies hinsichtlich der Bibliographie auf gar keinen Fall tun (man müsste sich allenfalls aus den verstreuten Angaben eine solche allererst anlegen).

Doch auch die Arbeit mit dem vorliegenden Werk selbst wird wegen des Fehlens einer vollständigen Bibliographie erschwert. So ist beispielsweise die legio X Fretensis für die Geschichte Caesareas wichtig (sie spielt in 10 der gebotenen Inschriften eine Rolle). Für das Studium dieser Einheit ist die Arbeit von Dabrowa nicht ohne Bedeutung.10 Doch weder in dem Abkürzungsverzeichnis (XVI-XX) noch in der Bibliographie (257-266) wird das Buch erwähnt. Der kursorische Leser wird daraus den Schluss ziehen, dass die Vff. Dabrowa nicht benutzt haben. Sicherheit freilich ließe sich nur gewinnen, wenn man den gesamten Text unter diesem Aspekt durchläse - ein etwas mühsames Unterfangen, wie der Rez. findet.

Die zuletzt vorgebrachten kritischen Anmerkungen sollen in keiner Weise darüber hinwegtäuschen, dass Lehmann und Holum eine hervorragende Sammlung der Inschriften von Caesarea Maritima vorgelegt haben. Sie wird von Historikern, Epigraphikern und Theologen mit Freude aufgenommen werden und für zahlreiche weiterführende Studien Ausgangspunkt und Anregung sein.

Fussnoten:

1) Avner Raban and Kenneth G. Holum: Caesarea Maritima. A Retrospective after two Millennia (1996), vgl. meine Rezension in ThLZ 123, 1998, 1195-1198.

2) Freilich konnten auch Lehmann und Holum nicht alles unpublizierte Material aufnehmen - so einfach liegen die Dinge auch in Caesarea Maritima nicht. Die letzten berücksichtigten Funde stammen aus dem Jahr 1992; die seitherige Grabungstätigkeit "has yielded a wealth of new inscriptions", die hier "perforce" unberücksichtigt bleiben mussten, wie es im Preface (XI) heißt. Dem deutschen Leser bleibt es überlassen, ob er "perforce" als "notwendigerweise" versteht oder eher ein "notgedrungen" heraushört ...

Sehr versteckt (243, Anm. 162) findet sich die folgende Statistik: "Our files contain 122 Latin texts and 539 Greek ones", alles in allem also 661 Nummern - die vorliegende Sammlung bietet jedoch nur 411.

3) Einen Katalog der arabischen Inschriften der Stadt enthält der in Anm. 1 genannte Sammelband (Moshe Sharon: Arabic Inscriptions from Caesarea Maritima: A Publication of the Corpus Inscriptionum Arabicarum Palaestinae, dort 401-440).

Die Zahl der hebräischen Inschriften ist verschwindend gering (vgl. 1, Anm. 2 sowie 19 mit Anm. 127 und 26 mit Anm. 178), doch enthalten einige der hier aufgenommenen griechischen Texte hebräische Einsprengsel.

Epigraphisches Material aus der vorrömischen Epoche ist bisher nicht zu Tage gekommen. Der chronologische Rahmen reicht also vom Anfang des 1. Jh.s bis zum Anfang des 7. Jh.s (vgl. 1).

4) In der Tat sind die gebotenen Grabinschriften zumeist wenig aussagekräftig.

Ein entscheidender Grund, auf den die Vff. in diesem Zusammenhang allerdings nicht eingehen, ist die Tatsache, dass das Material aus Caesarea erst im 1. Jh. n. Chr. einsetzt (anders als etwa in den "paulinischen" Städten Makedoniens, Philippi, Thessaloniki und Beroia).

5) Auch in manch anderer Hinsicht sind die Befunde überaus mager, so wird etwa die tribus Quirina, der die Bürger der Stadt angehörten, nur in drei (!) Inschriften erwähnt (Nr. 15; 18; 23?, vgl. die Ausführungen auf Seite 22).

6) Vgl. Peter Pilhofer: Philippi, Band II: Katalog der Inschriften von Philippi, WUNT 119, Tübingen 2000 sowie ders.: Antioch and Philippi: Two Roman Colonies on Paul's Road to Spain (erscheint in den Akten des 2nd International Symposium on Pisidian Antioch), wo die einschlägigen Befunde aus Philippi zusammengestellt sind.

7) Irreführend ist die gleich folgende Bemerkung bezüglich der Datierung: "We specify the date as precisely as possible, but in most cases the range will be several centuries. Unless specified as B. C. E., 'Before the Common Era,' all dates are C. E., or 'Common Era'" (ebd.), denn Texte aus der vorchristlichen Zeit ("Before the Common Era") werden in der vorliegenden Sammlung überhaupt nicht geboten!

8) Vergleicht man den Druck derselben Karte im Anm. 1 genannten Sammelband (dort Karte 1), erkennt man, wie schlecht die Qualität im Inschriftenband ist.

9) Vgl. etwa die Studien von Holum und Lehmann selbst aus dem oben Anm. 1 genannten Sammelband, die beispielsweise auf S. 231 in Anm. 3 und 4 genannt werden, in der Bibliographie jedoch fehlen.

10) Edward Dabrowa: Legio X Fretensis. A Prosopographical Study of its Officers (I-III c. A.D.), Historia Einzelschriften 66, Stuttgart 1993 (dass Dabrowa Caesarea Maritima sehr stiefmütterlich behandelt - er hat, wenn ich recht sehe, das einschlägige Material durchweg ignoriert -, steht auf einem andern Blatt).