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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1330 f

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gittins, Anthony J. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Life and Death Matters. The Practice of Inculturation in Africa.

Verlag:

Nettetal: Steyler 2000. 175 S. gr.8 = Studia Instituti Missiologici Societatis Verbi Divini, 71. Kart. DM 29,00. ISBN 3-8050-0443-5.

Rezensent:

Erhard Kamphausen

Inkulturation ist ein Zentralbegriff, der den Diskurs in der katholischen Missionstheologie nach dem 2. Vatikanischen Konzil maßgeblich prägte und gerade imBlick auf die Entwicklung einer eigenständigen, einheimischen und kontextuellen Theologie noch immer bestimmt. Es geht dabei um die "Lebensfrage", wie sich christlicher Glaube entfalten und christliches Selbstverständnis entstehen kann, ohne dass eine Entwurzelung und Entfremdung der Konvertiten von ihrer autochthonen Kultur erfolgt. Die missionarische Erfahrung hatte gezeigt, dass eine paternalistische Haltung und die von den Missionaren oft unbewusst vorgenommene Synthese von westlicher Kultur und christlicher Predigt in einem Dilemma mündete: Zwar übernahmen die afrikanischen Gläubigen die äußeren Formen des europäischen Christentums; doch tief in ihrem Herzen blieben sie ihrer alten Lebensweise treu. Bis heute beklagen schwarze Theologen den "Amphibiencharakter" christlicher Existenz in Afrika. Die Christen sind nicht mehr Teil des kulturellen Paganismus, andererseits ist es ihnen nicht möglich, die europäisch-westliche Lebensweise und Weltanschauung voll zu übernehmen. Die Frage, die im wahrsten Sinne über Leben und Tod entscheidet, stellt sich für den Afrikaner so: Wie kann ich Christ werden und sein, ohne mein Afrikanersein aufgeben zu müssen?

Seit den 60er Jahren hat die sog. "Afrikanische Theologie" zahlreiche Modelle kontextueller Theologie in Afrika hervorgebracht; die Literatur ist inzwischen unüberschaubar geworden. Allerdings ist kritisch festzustellen, dass die in den theologischen Fakultäten entwickelten Theorien in vielen Fällen nicht die Gemeindeebene erreicht haben. Kontextualität "von unten" hat sich meist entgegen den pastoralen Zielen der kirchlichen Hierarchien in charismatischen und pentekostalen Gruppen und Zirkeln herausgebildet. Es handelt sich dabei um ekstatische und mirakulöse Erscheinungsformen einer spirituellen Volksreligion, die sich der Kontrolle der kirchenleitenden Gremien weitgehend entzieht.

Die 1999 im nordghanaischen Tamale gelegenen Institute of Cross Cultural Studies stattfindende Konsultation, an der über 20 ethnologisch ausgebildete Missionare teilnahmen, ist beredtes Zeichen dafür, welche Anstrengungen die katholische Kirche Afrikas unternimmt, dass missionarische Modell der Inkulturation von der Theorie in die Praxis zu überführen.

Die auf dieser Konsultation von Anthony J. Gittins, Adrian C. Edwards, Edward B. Tengan, Ireneo Barreto, Laurenti Magesa, Jon P. Kirby, Piet Korse, Kofi Ron Lange, Xavier Plissart und Joan Burke gehaltenen Vorträge werden in dem vorliegenden Sammelband vorgestellt. Konzipiert wurde das Buch für den praktischen Gebrauch von kirchlichen Mitarbeitern, die sich in ihrer missionarischen Praxis hautnah mit dem Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen befassen müssen. Als Textbuch richtet es sich an Theologiestudenten und ist so aufgebaut, dass jedes Kapitel mit einem Katalog von fünf Fragen endet, die dem Studierenden Hinweise geben, wie die vorgestellten Fallbeispiele im Blick auf das Inkulturationsparadigma interpretiert werden können.

Folgende Fallbeispiele werden in dem vom Herausgeber Gittins vorgegebenen hermeneutischen Referenzrahmen analysiert: Agapefeier bei den Tiv in Nigeria; Familie, Clan, Blutsverwandtschaft in der Sprache der Dagara in Ghana; Traditionelle Religion und christliche Inkulturation unter den Tswana von Botswana; Begräbnisriten der Luo und lebendiger Glaube am Beispiel der "Small Christian Communities" in Bukoma, Tansania; Populäre Problemlösungsversuche durch Christen und Muslime als Herausforderung an die Inkulturation bei den Dagbon in Ghana; Komparative Methoden zum Verständnis ritueller Waschungen und der Taufe: ein Fallbeispiel aus dem Kongo; Bedeutung von traditionellen Sprichwörtern für den christlichen Diskurs bei den Dagbani in Ghana; Qual und Tränen: Trauergesänge angesichts der Erfahrungen von Völkermord in Ruanda; Rolle von Gelübden in Frauenorden der Igbo in Nigeria.

Jedes einzelne Fallbeispiel ist Ausdruck dafür, welche Anstrengungen die katholische Kirche unternimmt, Theologie, Liturgie, christliche Unterweisung und Seelsorge im Boden Afrikas zu verwurzeln. Neben gelungenen und nachahmenswerten Beispielen macht der Band aber auch klar, dass dem gezielten Inkulturationsprozess enge Grenzen gesetzt sind. Dennoch scheint es sowohl für die Zukunft der katholischen Weltkirche in Afrika als auch für die der protestantischen Denominationen keine Alternative zu einer umfassenden Inkulturation zu geben. Der vorliegende Sammelband ist ein Steinbruch gelungener Versuche, diesem Ziel näher zu kommen und ist jedem Praktiker zur Lektüre zu empfehlen.