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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1325–1327

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Seiferlein, Alfred

Titel/Untertitel:

Ethikunterricht. Religionspädagogische Studien zum außerordentlichen Schulfach.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. 366 S. gr.8 = Arbeiten zur Religionspädagogik, 18. Kart. DM 92,-. ISBN 3-525-61468-3.

Rezensent:

Heinz Schmidt

"Eine konzeptionelle Verhältnisbestimmung zwischen dem konfessionellen Religions- und dem Ethikunterricht" (5) vor dem Hintergrund des Bildungsauftrags der Schule strebt diese Hallenser Habilitationsschrift an. Dazu werden zunächst die philosophischen und pädagogischen Wurzeln des "außerordentlichen Schulfachs" - eine Bezeichnung, die die Verbundenheit und die Gleichwertigkeit mit dem "ordentlichen Lehrfach" RU unterstreichen soll - beginnend mit J. J. Rousseau bis zu den Diskussionen nach der Wiedervereinigung sowie die konkreten Entwicklungen, die zu einer bundesweiten Einrichtung des Ethikunterrichts führten, in zwei Kapiteln dargestellt. Hier ist erstmalig eine komplexe Entwicklung detailliert und differenziert nachgezeichnet, die meist nur selektiv und interessengeleitet wahrgenommen wird. Ernsthafte Forschung und Argumentation wird sich von jetzt an mit dieser Darstellung auseinandersetzen müssen. Auch den folgenden Kapiteln kann man bescheinigen, dass sie die Fülle der Argumente und Veröffentlichungen - mit Einschränkungen bei der Didaktik und den Unterrichtswerken - erfasst haben und angemessen würdigen. Im Einzelnen werden behandelt:

- die Fachbezeichnung Ethik und das damit intendierte Verhältnis zur philosophischen und theologischen Ethik (3. Kapitel);

- die Rolle von Christentum und Religion in gesellschaftlich-kulturellen und bildungstheoretischen Zusammenhängen (4. Kapitel);

- das Verhältnis von Religions- und Ethikunterricht aus rechtlicher, bildungstheoretischer, didaktischer und unterrichtspraktischer Perspektive (5. Kapitel);

- das Problem der Werteerziehung unter den Bedingungen des gesellschaftlichen Wandels und in staatlicher Verantwortung (6. Kapitel);

- didaktische Fragestellungen, die mit der besonderen Situation des Unterrichts und der Lehrenden zusammenhängen (7. Kapitel);

- die Diskussion um die zukünftige Gestaltung des religiös-weltanschaulichen Unterrichts in der Schule, besonders am Beispiel des brandenburgischen Fachs "Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde" (8. Kapitel);

- die vom Ethikunterricht ausgehenden Herausforderungen für die Schule und den Religionsunterricht (9. Kapitel).

Dieser Überblick macht deutlich, dass die vorliegende Arbeit in der Tat in "die grundsätzliche Diskussion um die Zukunft der religiös-ethischen Bildung" (5) umfassend einführt. Ob sie freilich diese Diskussion "inspirieren" kann, wie der Vf. an gleicher Stelle hofft, bleibt abzuwarten.

Drei Eigenheiten mindern die inspirierende Wirkung. Erstens finden sich in den verschiedenen Kapiteln häufiger ähnliche Argumentationen. So wird bereits in Kap. 2 im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grundlagen in hinreichender Ausführlichkeit auf den Stellenwert der christlichen Tradition verwiesen, worauf in Kap. 3 mehrfach Bezug genommen wird; diese Grundlagen werden dann in Kap. 4.3 noch einmal ausführlich behandelt und kommen in Kap. 5.2 erneut mehrfach zur Sprache, woran dann in den Kapiteln 7, 8 und 9 immer wieder angeknüpft wird. Da dies auch für andere Argumentationskomplexe gilt (z. B. konzeptionelle und didaktische Fragen in Kap. 3.5 und 7; Verhältnis EU/RU in Kap. 3, 5, 8 ,9), wird die Geduld der Leserinnen und Leser arg strapaziert.

Zweitens hat der Vf. wenig Verständnis für die Argumente und Befürchtungen der Ethiklehrerinnen und Pädagogen, die der christlichen Tradition und ihren Denkmodellen im Ethikunterricht einen geringeren Raum einräumen oder sie gar eliminieren wollen. Gewiss kann er sich in dieser Hinsicht auf die Mehrheit der Verfassungsrechtler stützen. Fraglich ist jedoch, ob das dezidierte Festhalten an der konservativen Position allein dem kulturellen Wandel, den der Vf. selbst durchaus reflektiert, gerecht wird, ganz zu schweigen von dem Umstand, dass areligiöse oder skeptische Ethiklehrer für das christliche Gedankengut erst einmal gewonnen werden müssen. Sie sollten zumindest erfahren, dass ihre eigenen humanistischen oder atheistischen Überzeugungen einen erzieherischen Wert haben und im Unterricht entsprechend zum Zuge kommen. Auch Religionspädagogen sollten heute über den religions- und ethikdidaktischen Stellenwert solcher Überzeugungen neu nachdenken.

Drittens bemüht sich der Vf. nicht um eine Weiterführung der konzeptionellen Grundlagendiskussion und der Didaktik des Ethikunterrichts, sondern er belässt es bei einem Referat der vorliegenden Typisierungen (z. B. von Treml und Martens), deren eigene konzeptionelle Voraussetzungen nicht hinreichend deutlich werden. Die in Unterrichtswerken, besonders Lehrerhandbüchern explizierten oder impliziten konzeptionellen und didaktischen Vorstellungen sind nicht erörtert. Mit Ausnahme der Hessischen Rahmenrichtlinien, die im Übrigen an verschiedenen Stellen des Buchs unterschiedlich beurteilt werden, sind die Lehrpläne zwar genannt, aber nicht wirklich analysiert. Die neuerdings verstärkten Bemühungen einer elementaren philosophischen Didaktik werden kaum gewürdigt, jedoch standespolitisch erklärt. Schließlich ergibt sich aus der Komplexität und Mehrperspektivität des Bildungsauftrags des Fachs, dessen Namen - Ethik oder Werte und Normen oder (praktische) Philosophie usw. - immer wieder zu unangemessenen Reduktionen verleiten, die Aufgabe, eine integrative konzeptionelle Perspektive zu entwickeln, mit deren Hilfe philosophische, theologische, religionswissenschaftliche und auch psychologisch-therapeutische Elemente selektiert und verbunden werden können. Dass gerade im "außerordentlichen Schulfach" die Didaktik den Bezugswissenschaften die einschlägigen Strukturen vorgeben muss und nicht aus ihnen gewinnen kann, ist auch nach der Lektüre des Buchs offensichtlich, bleibt aber eine noch zu bewältigende Aufgabe.

Alfred Seiferlein hat die erste Studie zum Ethikunterricht vorgelegt, die aus religionspädagogischer Sicht alle einschlägigen Diskussionen und Probleme beleuchtet. Auch wer sich diese Sicht weniger konservativ wünscht, wird nicht umhin können, den hohen Informationsgehalt und die Stringenz der Argumentationen rückhaltlos anzuerkennen. Der Preis von DM 92,00 wird die Verbreitung des Buchs freilich nicht fördern.