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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1320–1322

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Möller, Rainer

Titel/Untertitel:

Die religionspädagogische Ausbildung von Erzieherinnen. Bestandsaufnahme - Geschichte - Perspektiven.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2000. 352 S. gr.8. Kart. DM 59,65. ISBN 3-17-015980-1.

Rezensent:

Friedhelm Kraft

Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um den Stellenwert von Bildung in einer "Wissensgesellschaft" gerät auch der Kindergarten als "Bildungseinrichtung" verstärkt in das Blickfeld der erziehungs- und bildungstheoretischen Diskussion. Veröffentlichungen der jüngsten Zeit zeigen aus verschiedenen Perspektiven praxisorientierte Ansätze einer Reform und Neuorientierung der Kindergartenpädagogik (vgl. "Die Praxisreihe zum Situationsansatz", hrsg. von Jürgen Zimmer, Ravensburg 1998 [12 Bände] und die Reihe "Kinder brauchen Hoffnung" hrsg. von Christoph Th. Scheilke und Friedrich Schweitzer, Gütersloh 1999/2000, 3 Bände). In diese Phase der Neuorientierung lässt sich auch die Arbeit von Rainer Möller einordnen, der vor dem Hintergrund des allgemeinen Bedeutungszuwachses von Ausbildungsfragen die Frage nach einer "spezifischen religionspädagogischen Didaktik für die Erzieherinnenausbildung" (12) stellt.

Der Vf. ist Dozent an einer evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik und Fortbildner von Lehrerinnen und Lehrern und war als Kommissionsvorsitzender an der Erarbeitung des im Schuljahr 1997/98 in Kraft getretenen baden-württembergischen Lehrplans für das Fach Religionslehre/Religionspädagogik an Fachschulen für Sozialpädagogik beteiligt. Die Arbeit ist demzufolge aus einem "praktischen Interesse" heraus entstanden.

Das erste Kapitel stellt einen spannenden Exkurs zur Geschichte des Kindergartens dar. Es werden drei Typen öffentlicher Kleinkindererziehung - die "Kinderbewahranstalt", die "christliche Kleinkinderschule" und der Fröbelsche Kindergarten - markiert und anhand von Lehrbüchern sowie Lehrplänen vier unterschiedliche didaktische Ansätze religionspädagogischer Ausbildung herausgearbeitet.

Als Ergebnis der historischen Analyse bestimmt der Vf. mit den Stichworten "methodisch-didaktische Kompetenzen", "Person der künftigen Erzieherin", "Rolle der christlichen Tradition", "Gesamtstruktur der Ausbildung" ein "Geflecht" von vier Aufgaben und Problemstellungen heutiger Erzieherinnenausbildung. Im nächsten Schritt werden Ziele, Inhalte und didaktische Orientierungen religionspädagogischer Ausbildung an den gegenwärtigen Fachschulen/Fachakademien für Sozialpädagogik bestimmt.

Als Ergebnis der Bestandsaufnahme arbeitet der Vf. drei Fragestellungen heraus, die den weiteren Untersuchungsverlauf bestimmen. Einmal geht es um die Studierenden, die lebensweltlich und lebensgeschichtlich "stärker als bisher zum Gegenstand didaktischer Reflektion" werden sollen, um die Frage, "welche Anforderungen an die Qualifikation der Erzieherin die Praxis der religiösen Erziehung in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe stellt", und um die Frage, inwieweit "das Fach Religionslehre/Religionspädagogik besser als bisher in das gesamte Ausbildungscurriculum der Fachschule zu integrieren" ist (139). In der Perspektive dieser Fragestellungen entwirft der Vf. in den folgenden Kapiteln sein Konzept einer didaktischen Neuorientierung der religionspädagogischen Erzieherinnenausbildung.

Im Mittelpunkt steht die Forderung nach "grundsätzlichem Perspektivenwechsel", insofern die Ausbildung der Erzieherinnen "sich nicht mehr primär an den zu vermittelnden Fachinhalten, sondern konsequent an den Studierenden als Subjekten ihres je eigenen Bildungsganges orientieren" (179) muss. Vor dem Hintergrund jugend- und religionssoziologischer Analysen zum Wandel des Jugendalters und der Religion Jugendlicher entwickelt der Vf. in Aufnahme entwicklungspsychologischer sowie theologischer Perspektiven den Begründungsansatz einer "Biographieorientierung der Religionspädagogik", deren Anschlussfähigkeit an Entwürfen einer sozialpädagogischen Ausbildungsdidaktik diskutiert wird. Im nächsten Schritt untersucht der Vf. die Frage der "beruflichen Qualifikationsanforderungen für religionspädagogisches Handeln" (229) am Beispiel des Praxisfeldes Kindergarten. Überzeugend wird eine "zeitgemäße" Konzeption religiöser Elementarerziehung entwickelt und von daher Merkmale religionspädagogischer Handlungskompetenz abgeleitet, die vorrangig als "personenbezogene Schlüsselqualifikationen" (261) bestimmt werden.

Im Schlusskapitel bündelt der Vf. seine schrittweise entwickelten Überlegungen zur didaktischen Neuorientierung der religionspädagogischen Ausbildung von Erzieherinnen im sogenannten "Modell der situativen Verschränkung". Grundlage dieses Modells ist die Überwindung des Gegensatzes von Identitäts- und Qualifikationsorientierung, insofern "in didaktisch organisierten Prozessen religiöser Identitätsvergewisserung ... sich zugleich berufliche Qualifikation für religiöse Erziehung entwickel[n]" (270) soll. Konkret soll es darum gehen, dass der Unterricht sich an "Schlüsselsituationen" orientieren soll, die einerseits lebensweltlich an Situationen der Studierenden anknüpfen, andererseits aber mit "exemplarischen Kindersituationen" verschränkt werden. Ziel dieser "Didaktik situativer Verschränkung" ist ein "spiralförmiger" Lernprozess in der wechselseitigen Verknüpfung der Koordinaten "Reflektion des eigenen Lebens und seiner Geschichte" und "Lebenswirklichkeit von Kindern" (274).

Auch wenn der Vf. mit seinem Ansatz einer "lebensgeschichtlich orientierten Religionsdidaktik" die in der Religionspädagogik unter dem Stichwort "Hermeneutik der Aneignung" postulierte Orientierung am "Lernsubjekt" kenntnisreich und plausibel begründen kann, ist der von ihm formulierte Gegensatz von Themen- und Lebensweltorientierung nur bedingt nachvollziehbar: "Nicht aus der Theologie bzw. Religionspädagogik abgeleitete Themen strukturieren den Unterricht, sondern sein Ausgangspunkt liegt in der Lebenswelt der Studierenden." (296) Kann dieser scheinbare Gegensatz nicht dazu führen, dass wieder einmal biblische Traditionsstoffe nur funktional auf gegenwärtige Situationen bezogen werden? Der Baustein 6 des vorgestellten Unterrichtsmodells "Hilft der Glaube beim Neubeginn? Das Beispiel Abraham" (303 f.) erinnert an längst überwundene Verkürzungen eines problemorientierten Religionsunterrichts. In der Logik seines Modells plädiert der Vf. für eine Lehrplanarbeit, die sich konsequent an der Beschreibung von "Qualifikationen" und nicht an "Themen" zu orientieren hat. Auch an dieser Stelle besteht m. E. die Gefahr einer falschen Polarisierung. Kann die "objektiv-allgemeine Inhaltlichkeit" (Wolfgang Klafki) von Bildungsprozessen bei der Erarbeitung eines Lehrplanes wirklich ausgeblendet bleiben?

Mit diesen eher skeptischen Anmerkungen gegenüber einer nur an der Beschreibung von Qualifikation orientieren Lehrplanarbeit soll der insgesamt innovative Ertrag der Arbeit nicht geschmälert werden. Der Vf. hat sowohl mit seiner Bestandsaufnahme als auch den formulierten Perspektiven religionspädagogischer Ausbildung von Erzieherinnen einen Beitrag zur Neuorientierung der Bildungsaufgabe des Kindergartens geleistet.