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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1307–1309

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Osterkorn, Martin

Titel/Untertitel:

"Deinem Wink, HERR, gehorchen die Elemente". Andeutungen zur Frage nach dem Verhältnis des christlichen Vorsehungsglaubens zum ,naturwissenschaftlich gebildeten Bewußtsein'.

Verlag:

Passau-München: Providentia 2000. 381 S. 8 = Nova Studia Philosophico-Theologica. Kart. DM 78,00. ISBN 3-935123-99-X.

Rezensent:

Hans Schwarz

Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine im Wintersemester 1999/2000 bei der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Passau vorgelegte Dissertation. Martin Osterkorn greift mit diesem Thema "ein Herzstück des christlichen Glaubens" auf, das für viele Menschen entscheidend ist, um beim Glauben zu bleiben oder dem christlichen Glauben den Abschied zu geben. Er möchte die Problematik des Vorsehungsglaubens am Bittgebet aufzeigen, denn am Gebet zeigt sich am deutlichsten das Verhältnis eines Menschen zu Gott. O. sieht das Gebet in die Volksfrömmigkeit eingebunden, denn "in den Bittprozessionen und im Wettersegen artikuliert sich gewissermaßen jenes Vorsehungsverständnis, das dem ,naturwissenschaftlich gebildeten Verstand' und dem weitverbreiteten Verständnis von dem, was möglich sei und was nicht, zu widersprechen scheint" (27).

Der Vf. bietet zunächst einen Überblick über das Vorsehungsverständnis, von der griechischen Philosophie (den Vorsokratikern, Sokrates und der Stoa) über das Alte und das Neue Testament bis hin zu den Kirchenvätern, besonders Augustin, und schließlich zur mittelalterlichen Theologie (vor allem Thomas von Aquin). Bei Thomas, so der Vf., könne das Verhältnis zwischen causa prima und den causae secundae letztendlich nicht beantwortet werden (vgl. 119). Doch sind in der jeweiligen Wirkung Erst- und Zweitursachen nicht geschieden, sondern geheimnisvoll miteinander verschränkt. Da Erst- und Zweitursachen völlig verschiedenen Ebenen oder Ordnungen angehören, kommt die ganze Wirkung "sowohl der göttlichen als auch den geschöpflichen Ursachen zu und doch sind beide Ursachen zugleich notwendig" (121). Als Ergebnis hält der Vf. fest: "Die Wahrheit von der göttlichen Vorsehung meint zunächst, dass GOTT, der HERR (auch) Vater der Natur ist, daß sie in seinen Plan einbezogen ist, daß dieser auf Vollendung zielt, dass GOTT diesen Plan verwirklicht und dass er für uns im einzelnen nicht durchsichtig ist" (133).

Nachdem geklärt ist, was man aus der kirchlichen Tradition und der Schrift unter Vorsehung erheben kann, befasst sich der Vf. in einem zweiten Teil mit dem "naturwissenschaftlich gebildeten Bewußtsein". Dabei beschränkt sich O. weitgehend auf den Determinismus. Für das naturwissenschaftlich gebildete Bewusstsein scheint die Natur autonom und in sich abgeschlossen zu sein, gleichsam ein geschlossenes Kontinuum, "bei dem sich jeder Zustand zwingend aufgrund bestimmter Naturgesetze aus den vorhergehenden ergibt" (153).

Im nächsten längeren Abschnitt wird zunächst das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften sachkundig dargestellt, wobei O. besonders den methodischen Atheismus der Naturwissenschaften abweist, da in ihm Gott als die alles bestimmende Macht unberücksichtigt bleibt. O. weist dann die Vorstellung zurück, Gott sei nicht tätig, solange die Natur in gewohnter Ordnung verläuft. Mit Bezug auf Wolfhart Pannenberg betont er, dass die Theologie den Versuch machen muss, ihre Aussagen über die Welt als Schöpfung und über die Angewiesenheit der Geschöpfe auf Gottes erhaltendes Wirken auf die naturwissenschaftliche Weltbeschreibung zu beziehen (194).

Bei dem Versuch einer Verhältnisbestimmung zwischen dem Betenden und dem Gegenstand des Gebets geht O. von drei Möglichkeiten aus: 1. Im Naturverlauf ist das Gebet schon berücksichtigt. 2. Die Bitte wird durch ein Wunder erfüllt. 3. Der Naturverlauf ist offen. Im ersten Fall bleiben die Naturgesetze in ihrer Unverbrüchlichkeit unangetastet. Doch weicht solch ein Vorsehungsglaube vom christlichen im Wesentlichen ab, da die Freiheit des Menschen (und Gottes) völlig unberücksichtigt bleibt. Auch die zweite Möglichkeit, die Erfüllung einer Gebetsbitte durch ein Wunder ist problematisch. Durch die von Gott hervorgerufene Wirkung wird zwar die Leistungsfähigkeit der natürlichen Ursachen übertroffen. Doch bleibt die allumfassende mechanische Kausalität für den Menschen weiterhin bestehen, so dass er in seiner Freiheit äußerst eingeschränkt ist. Somit bewegt sich nach O. alles auf die dritte Möglichkeit hin, dass der Naturverlauf offen ist. Hier greift der Vf. besonders Anregungen von William Pollard auf, der zeigt, dass es bei den meisten Naturvorgängen zumindest zwei "alternative Reaktionen gibt, zu denen das in den jeweiligen Vorgang verwickelte System fähig ist" (231).

Wenn man die Natur in ihrer Geschichtlichkeit als Prozess versteht, ist man immer wieder mit Zufällen konfrontiert, wobei das Zusammentreffen mehrerer Ereignisketten erst zu einer gemeinsamen Geschichtswirksamkeit führt. O. schreibt: "Pollard ist fest davon überzeugt, dass die Wissenschaft nach der Entdeckung des Zufalls nicht über den Aufweis einer bestimmten Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Ereignisses hinauskommen kann" (237).

Der Vf. lenkt nun den Blick auf die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, wobei er ausführlich auf den Indeterminismus der Quantenmechanik eingeht. Er weist besonders auf Einstein hin, der eine indeterministische Interpretation der Quantenmechanik nicht zugestehen wollte. Schließlich kommt der Vf. zur Chaostheorie, die die Begrenzung menschlicher Erkenntnis unzweideutig aufzeigt (273). Doch warnt O. davor, "die Umbrüche und Entwicklungen ... in ihrer bleibenden Bedeutung zu überschätzen" (274). Nachdem der Naturverlauf nicht determiniert ist, kann der Vf. Peter Hägele zustimmen: "Daß Gott mit seiner Schöpfung handelt, ist für den Christen offenbar. Wie er das tut, wissen wir streng genommen nicht. Wir können lediglich Denkmöglichkeiten im Rahmen unseres jeweils gültigen Naturbildes aufzeigen, um so Denkbarrieren abzubauen" (278). So kann der Vf. ohne sacrificium intellectus festhalten, dass Gott Gebete wirklich erhört, auch solche, die sich auf die materielle Welt beziehen. Wie Gott das allerdings tut und wodurch, können uns weder Glaube noch Wissenschaft genau sagen (287).

Die Arbeit von O. ist flüssig geschrieben und lässt sich leicht und verständlich lesen. Aus dem Literaturverzeichnis (90 Seiten) und den reichhaltigen Anmerkungen, die die Meinung der zitierten Autoren noch weiter illustrieren, kann man feststellen, dass der Autor in der gegenwärtigen Diskussion und in der geschichtlichen Entwicklung des Themas zu Hause ist. Die Diskussion auf dem in einem Buch zur Verfügung stehenden Raum geführt zu haben, ist sicherlich verdienstvoll. Fraglich ist allerdings, ob man einen solch ausführlichen Anmerkungsteil, wie ihn der Vf. vorlegt, einer Veröffentlichung beifügen muss. Es führt praktisch dazu, dass man das Buch zweimal lesen muss, einmal den Textteil und dann die darunter stehenden Anmerkungen, die oft an Länge dem Text gleichkommen, wenn nicht überragen. "Wissenschaftlich" ist das sicherlich, ob auch sinnvoll, wird vom Rez. bezweifelt.