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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1304 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Brinkschmidt, Egon

Titel/Untertitel:

Martin Buber und Karl Barth. Theologie zwischen Dialogik und Dialektik.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2000. 173 S. 8. Kart. DM 48,-. ISBN 3-7887-1792-0.

Rezensent:

Martin Leiner

"Auch wenn der Personalismus als Bewegung stirbt, so bleibt doch sein Denken lebendig". Dieser Satz von P. Ricoeur bestätigt sich in letzter Zeit durch ein erneutes Interesse an den personalistischen Denkern. Zeichen dieses neuen Interesses sind u. a.: die Gründung der Martin-Buber-Gesellschaft im November 2000 in Heidelberg, das Kolloquium in Cérisy zum 50. Todestag des französischen Personalisten Emmanuel Mounier im Jahr 2000 und die erstaunliche Rezeption, die Ferdinand Ebner seit einigen Jahren in Italien erlebt. In dieser Situation erscheint das Buch von Brinkschmidt, Professor für Systematische Theologie an der Universität Tartu (Dorpat), zum rechten Zeitpunkt.

B. wählt fast denselben Titel wie die 1986 erschienene Dissertation von Dieter Becker, Karl Barth und Martin Buber - Denker in dialogischer Nachbarschaft? Trotz desselben Gegenstandes sind beide Bücher aber recht unterschiedlich. Becker suchte - auch aus bisher unveröffentlichten Quellen - intertextuelle Bezugnahmen zu rekonstruieren und kam zu dem Ergebnis, dass ein (angebliches) Selbstmissverständnis Barths vorliege: Barth sei in seiner Anthropologie - entgegen seinen eigenen Behauptungen - von Buber abhängig. Dass der Mensch ein dialogisches Wesen ist, habe Barth nicht unmittelbar an Christus abgelesen, sondern es von Martin Buber übernommen.

B.s Interesse ist demgegenüber ein anderes. Ihm geht es nicht so sehr um theologiegeschichtliche Rekonstruktion, sondern um die systematisch-theologischen Fragen, wie die Bubersche Dialogik mit den Denkformen der Dialektik und der Analogie bei Barth zusammenhängen. Die andere Fragestellung erlaubt es B. dann auch, zu einer positiveren Würdigung der christologischen Begründung der personalistischen Anthropologie Barths zu gelangen.

Nach methodischen Erwägungen zu den Grenzen der Möglichkeit, Buber und Barth zu vergleichen, entwickelt B. im ersten Hauptteil ein allgemeines (und dann auch Bubers spezielles) Verständnis von Dialog und Dialogik. Auf der Linie der Theunissenschen Buberinterpretation macht B. das Problem der Vermittlung zwischen Ich und Du als das Hauptproblem der Dialogik namhaft. Wenn das Du unmittelbar (und nicht etwa im Zusammenhang mit verweisenden Zeichen) gegeben ist, dann lässt es sich schlichtweg überhaupt nicht näher inhaltlich bestimmen. Es sei deshalb nur konsequent, wenn Buber sich inhaltlicher Aussagen über das Du Gottes enthält und somit auch keine Theologie entwickelt. Hier führe nun die Dialektische Theologie weiter. Zunächst verschärfe sie allerdings die Problemlage: Zwar biete die Dialektik möglicherweise eine Denkform, um das dialogische Geschehen näher zu beschreiben (55f.); dennoch betonte aber gerade die Dialektische Theologie, dass infolge des unendlichen qualitativen Unterschieds zwischen Gott und Mensch von einem "Verhältnis" zwischen Gott und Mensch gar nicht die Rede sein könne (63). Nach B. sei darum das Hauptproblem der Vermittlung nicht im Rahmen der Dialektischen Theologie der 20er Jahre zu lösen. Das gelte für den Dialektikbegriff Barths genauso wie für Bultmann, Brunner und Gogarten, deren Dialektikverständnis B. jeweils kürzere Abschnitte widmet (59-74). Nach B. lässt sich das Problem der Vermittlung nur im Bereich des Analogiedenkens lösen. B. revidiert so die Themenstellung seines Buches: "Es zeigt sich somit, dass eine Auseinandersetzung zwischen Buber und Barth nicht eigentlich im Bereich des Dialektischen (Dialog/Dialektik) stattfindet, sondern vielmehr dort geschieht, wo der Dialogiker Buber mit dem Barth der Entsprechung zusammenkommt ... Im Kontext der Entsprechung kommt bei Barth mehr als das Dialektische, mehr als dessen Kontracharakter, das Dialogische zur Wirkung: Der Dialog ist es, in dem Gott und Mensch ... einander entsprechend, sich begegnen" (117). - Im Rahmen des Analogiedenkens löse Barth das Problem der Vermittlung. Das Zwischen sei nicht wie bei Buber unbestimmt, sondern es finde seine Bestimmtheit durch die Christologie. Kontext dieser christologischen Bestimmtheit sei die Schöpfungslehre, da bei Barth der (dialogische) Bund der innere Grund der Schöpfung ist.

Zur Erläuterung beschreibt B. dann, wie nach der Kirchlichen Dogmatik zuallererst der trinitarische Gott in sich selbst Beziehung und Dialog ist, wie darauf die Beziehungsfähigkeit über das Verhältnis zwischen Gott und Jesus Christus und zwischen Christus und dem Geist auf den Menschen und auf das Verhältnis zwischen Menschen untereinander übergeht: Für den an sich nicht beziehungs- und nicht bündnisfähigen Menschen ist der trinitarische Gott der Ermöglichungsgrund zu einem Gott entsprechenden Leben des Dialogs (130-148). Dieses habe seinerseits zeitliche Struktur in der Ausrichtung auf den kommenden Gott (149-160).

Barths Analogia relationis erscheint so als sinnvolle Weiterentwicklung des Buberschen Denkens. Obwohl B. mit Urteilen vorsichtig ist, kommt er zu dem Schluss: "Martin Buber denkt und lebt ohne das Christologische. Daß es fehlt, wirkt sich bei ihm auf das Theologische aus ... Theologie ... ist ohne Sinn" (163; präziser wäre hier zu sagen, dass Buber selbst keine theologische Lehre hat, eine solche aber nicht an und für sich für sinnlos erklärt). Anthropologisch stellt sich die Frage, ob der Mensch bei Buber nicht eine brüchige Existenz "inselhaft im Ich-Du-Verhältnis auf sich selbst gestellt" (164) führen muss, die als tragisch zu kennzeichnen sei.

Das Buch stellt so einen anregenden Beitrag zur christlichen Rezeption Martin Bubers dar. Dass Buber selbst eine andere Lösung für das Problem der Vermittlung entwickelt hat, nämlich dass bei ihm die Beziehung selbst nicht unbestimmte Leere, sondern Fülle und Quelle aller Bestimmtheit ist, die sich als solche dann auch in Übergangsformen von der Ich-Du zur Ich-Es-Beziehung zeigt, bleibt in dem Buch unberücksichtigt.