Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1301–1304

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Außermair, Josef

Titel/Untertitel:

Konkretion und Gestalt. "Leiblichkeit" als wesentliches Element eines sakramentalen Kirchenverständnisses am Beispiel der ekklesiologischen Ansätze Paul Tillichs, Dietrich Bonhoeffers und Hans Asmussens unter ökumenischem Gesichtspunkt.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 1997. 451 S. gr.8 = Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien, 67. Lw. DM 158,-. ISBN 3-87088-875-X.

Rezensent:

Otto Hermann Pesch

Die ökumenische Theologie lebt also, allen modischen Todesanzeigen zum Trotz - und findet neue Fachleute. Der Vf., Jahrgang 1948, seit 1996 Universitätsdozent an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Salzburg, legt hier seine Habilitationsschrift (1996) vor.

Den Inhalt der außerordentlich materialreichen Arbeit kann man nicht zusammenfassen. Überraschend ist schon die Auswahl der drei Autoren. Paul Tillich und Dietrich Bonhoeffer gegeneinander zu profilieren ist verständlich - beide haben sich ausführlich genug zur Ekklesiologie geäußert. Aber der fast vergessene Hans Asmussen, über den es demgemäß auch wenig Sekundärliteratur gibt? Die Begründung der Auswahl durch den Vf. ist aber einleuchtend: Wie bei den beiden anderen, so ist gerade bei Asmussen die Ekklesiologie "von der Gleichzeitigkeit einer starken Durchbildung des Reformatorischen und einer auffallenden Affinität zum ,Katholischen' gezeichnet" (15). Damit ist zugleich der Leitgesichtspunkt der Arbeit angesprochen: die sakramental-leibliche Struktur der Kirche. Anhand dieser eingestandenermaßen katholisch motivierten und also (zunächst) von außen herangetragenen Fragestellung will der Vf. die Ekklesiologie der drei Theologen untersuchen - in ökumenischer Absicht und in dem Wissen, dass im ökumenischen Gespräch um die Kirche dieser Gesichtspunkt nicht ausgelassen werden kann. Die Amtsfrage wird dabei ausgeklammert (16) - aus Gründen der Umfangsbeschränkung unvermeidlich, wie nach der Lektüre nur weniger Abschnitte unschwer einleuchtet.

Die von außen herangetragene Fragestellung erweist sich bald als keineswegs äußerlich, sondern erschließt bei den untersuchten Autoren die innere Struktur ihres ekklesiologischen Denkens, um nicht zu sagen: dessen offene innere Spannung. Die Ekklesiologie wird jeweils in das Ganze der Theologie eingeordnet - so bietet der Vf. im Nebeneffekt auch jeweils einen Abriss des theologischen Gesamtentwurfs.

So wird die Ekklesiologie Tillichs mit den Schwerpunkten "Wesen der Kirche als Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe", "Strukturen der Kirche" (hier die klassischen "Eigenschaften" der Heiligkeit, Einheit, Universalität), "Funktionen der Kirche" sowie "Reich Gottes und Kirche" (53-73) rückgebunden an die Kirche als "Geistgemeinschaft", die wiederum ihre christologische Wurzel im "Neuen Sein" der Gott-Mensch-Einheit hat (32-52) und in die bekannte, typisch Tillich'sche Frage nach der "protestantischen Gestaltung" und nach der Spannung zwischen latenter und manifester Kirche führt (67-100). - Ähnlich wird bei Bonhoeffer die "ekklesiologische Gesamtkonzeption" verortet im "theologischen Orientierungsrahmen" seines Denkens, das geprägt ist durch die Auseinandersetzung mit Albrecht Ritschl, Reinhold Seeberg und Karl Holl (125-144), bevor der ekklesiologische Ansatz in "Sanctorum Communio" und das Wesen der Kirche als Koinzidenz von Kontingenz und Kontinuität der Offenbarung in Christus entfaltet wird (170-220). Mit großer Sorgfalt werden sodann Fortbildung und Kontinuität in Bonhoeffers Ekklesiologie unter den Bedingungen der Nazi-Zeit und in den zeitgleichen Schriften Bonhoeffers (vor allem "Nachfolge", "Ethik", Gefangenschaftsbriefe) untersucht (221-269), bevor zusammenfassend die "ekklesiale Leiblichkeit" bei Bonhoeffer zur Sprache kommt (270-295).

Formal ähnlich wird auch für Asmussen zuerst der "theologische Grundduktus" skizziert (296-305). Dem folgen die für Asmussen charakteristischen, "katholisch" klingenden, aber konsequent lutherisch interpretierten Stichworte von der "Kirche als Mysterium", von der "Apriorität kirchlicher Einheit", von der "Rehabilitierung von Wort und Sakrament", von den "eschatologische[n] Aspekte[n] einer kommenden Einheit der Kirchen", von "Einheit und Vielfalt" und von der "Korrelation von Kirche und Welt" (305-364). Die Einzeldarstellung zeigt übrigens ein weiteres "katholisches" Motiv des Interesses an Asmussen: seine Rehabilitation des ontologischen Denkens auch und gerade im Bereich der Ekklesiologie, sein Widerstand gegen eine rein aktualistische Fassung von Offenbarung und Kirche.

Die Untersuchung schließt mit einem kurzen dritten Teil, der die drei Theologen im Hinblick auf den Leitgesichtspunkt auf Konvergenz und Differenz befragt und im Hinblick auf ein Verständnis von der Sakramentalität der Kirche auszuwerten sucht (371-387). Dem folgt noch ein überraschender Anhang, der die Aufnahme von Ansätzen Bonhoeffers und Asmussens in dem ökumenischen Dokument "Kirche und Rechtfertigung" (1994) aufweist (388-403).

Das Buch ist eine Habilitationsschrift - es bewegt sich darum naturgemäß auf höchstem Niveau der Diskussion des Forschungsstandes und der Reflexion. So selbstverständlich dabei das Vertrautsein mit den Quellentexten ist, so staunenswert ist es trotzdem. Die größte Nähe zu katholischen Denkmustern - in Zustimmung und Einspruch - sieht der Vf. gewiss bei Asmussen. Aber die Vorliebe gehört offenkundig Bonhoeffer (150 Seiten gegen 100 zu Tillich und 75 zu Asmussen!). Hier zieht der Vf. auch noch bloße Entwürfe, Seminararbeiten und Mitschriften des Studenten Bonhoeffer heran. Die unterschiedlichen Sympathien des Vf.s zeigen sich auch in den Resümes: bei Tillich "theologisch-kritische Anfragen" (101-124), bei Bonhoeffer schlicht "Bonhoeffers ekklesiale Leiblichkeit" (270-295), bei Asmussen "eine ,holistische Ekklesialität' im Spannungsfeld von Rechtfertigung und Heiligung" (365-370).

Das alles ist nicht immer leicht zu lesen, weniger wegen der Sprache als wegen der Sache. Die Arbeit ist sehr zitatenreich, oft an der Grenze zur Anthologie mit verbindenden Sätzen. Ängstlichkeit, nicht ausreichend dokumentiert zu haben? Unter den Bedingungen heutigen "Wettbewerbs" um die knappen akademischen Stellen mag das hier wie auch anderswo mitspielen. Doch ist es zumindest auch ein Erfordernis auf einem bisher wenig gründlich untersuchten Problemfeld. Wer bisher wenig vertraut ist mit den behandelten Autoren, wird jedenfalls wie in einer guten Gesamtdarstellung vorteilhaft und jederzeit überprüfbar informiert. Ich sehe daher keinen Grund, dem Vf. hier einen Vorwurf zu machen - zumal auch in den "quasi-anthologischen" Partien die gedankliche Struktur durchsichtig gemacht wird (charakteristisch etwa: 270 ff.). Es geht immer um den Kerngedanken, aus dem sich in der Sicht des Vf.s alles andere logisch ergibt.

Gelegentlich begegnen allerdings auch nicht ganz klare Formulierungen (Beispiele u. a.: 32 oben erster Abschnitt; 43 oben erster Satz; 56, letzter Satz von 4.1.; 66 vorletzter Absatz; 130, 6 v. o.: "ontologische Verankerung" - wessen, der Person oder des Verständnisses von Person?; 270, 4 v. o.: "Imponderabilium"?; 258, Mitte: "... Unmöglichkeit einer Polarität von Kirche"; 282 unten, letzter Satz; 366, Anm. 1618: wenn diese Anmerkung stimmt, warum dann der Anhang?).

Und um sogleich einige kleine Rückfragen anzuschließen: Der heute bis hinein in die "Theologie der Befreiung" (Leonardo Boff!) so beliebte Gedanke von der "Sakramentalität der Welt" findet sich also schon bei Tillich (48-52)! Was dieser damit im Rahmen seiner Symbol-Theorie meint, wird klar herausgearbeitet, nicht zuletzt der Gedanke der Zweideutigkeit aller symbolischen Repräsentation. Aber ist sich der katholische Beurteiler auch hinreichend der Problematik solcher Ausweitung des Sakramentsbegriffs und erst einmal des Abstands zur katholischen und reformatorischen Tradition bewusst? Das sakramentale Symbol ist ja demnach gerade nicht zweideutig, sondern durch das Wort objektiv eindeutig bestimmt und unantastbar verlässlich. - Darum ist die 273, Anm. 1227 gestellte Frage, "inwieweit innerhalb einer reformatorischen Theologie überhaupt von einer expliziten Sakramententheologie gesprochen werden kann", nicht "berechtigt", sondern mit einem eindeutigen Ja zu beantworten. Hier darf man nicht reformatorische Theologie mit gewissen antisakramentalen Tendenzen in der deutschen lutherischen Theologie des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jh.s verwechseln.

Der III. Teil bietet eine durchsichtige Zusammenfassung - aber man vermisst wenigstens eine Problemanzeige möglicher Konsequenzen für aktuelle Kontroversen - etwa und gerade für die Fragestellung des "Anhangs" über das Dokument "Kirche und Rechtfertigung". - Und trotz aller einleuchtenden Notwendigkeiten der Umfangsbegrenzung erweist sich die Ausklammerung der Themen "Kirchenstruktur" und "Amt" denn doch als bedauerlich. Die "Konkretion" und "Leiblichkeit" der Kirche, nach der der Vf. fragt, wird dadurch ekklesiologisch einen leisen ,platonischen' Unterton nicht los. Und wenn ein solcher vor allem Tillich, aber auch dem antispiritualistischen Bonhoeffer (vgl. 280-295!) vorzuhalten wäre, müsste der Vf. dann nicht gerade darauf und auf seine möglichen Hintergründe deutlich aufmerksam machen? Ist denn nicht dies das Problem bei Bonhoeffer (in der Sicht des Vf.s): Die Liebe zu Gott und dem Nächsten als Wesensgrund der Kirche wird so von allen weltlichen Konstituenten und Motivationen abgegrenzt, dass sie konkret als nicht lebbar erscheint (254-257); wenn die gebrauchten Begriffe (z. B. Liebe ohne Selbstliebe) aber doch gemäß ihrem alltäglichen Sinn angewendet werden, dann ergibt sich, weil nicht "jenseits aller menschlichen Möglichkeiten" (256!), der kontradiktorische Widerspruch zum Wesen der Kirche?

Und um auch das Schlimmste nicht ganz zu unterlassen, was ein Rez. einem Autor antun kann: In dem beeindruckenden Literaturverzeichnis vermisse ich den einen und anderen Titel. Zu Tillich habe ich sie andernorts verzeichnet.1 Zu Bonhoeffer wäre ich neugierig auf eine Stellungnahme zu der gleichermaßen anregenden wie provozierenden Studie von Klaus-M. Kodalle, Dietrich Bonhoeffer. Zur Kritik seiner Theologie, Gütersloh 1991.

Genug der Beckmessereien! Es gibt ausgesprochene Höhepunkte der Untersuchung. Um nur einige zu nennen und Neugier aufs Lesen zu wecken: Die Herausarbeitung der "Sakramentalität" des "neuen Seins" - mit Christus als "Ursakrament"- bei Tillich (48-52) ist eben auch in ihrem Abstand von katholischen Denkmustern ein nachdenklich machender Hinweis auf eben deren Engführungen. - Trotz des erwähnten latenten ,ekklesiologischen Platonismus' ist es höchst bedeutsam, wie Bonhoeffer die "Vermittlungsfunktion" der Kirche aus dem Geiste Luthers wiederentdeckt - und das auch noch unter dem Einfluss von Ritschl, Holl und besonders Reinhold Seeberg (130-169)! Da hätte die aktuelle kontroverstheologische Diskussion um die Kirche tatsächlich etwas zu lernen. Es wird hier verständlich, dass eine Ekklesiologie, die so wenig von der "Fundamentalunterscheidung" zwischen Christus und der Kirche (Gerhard Ebeling) ausgeht, nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst nicht im Zentrum der Bonhoeffer-Rezeption stand (vgl. 272-286).

Summa summarum: Wir haben in Josef Außermair einen ausgewiesenen Systematiker vor uns: in der Mitte der gegenwärtigen katholischen Theologie verankert, ökumenisch problembewusst und spezialisiert, in der Breite des Fachs zu Hause. Man kann ihm und der Systematischen Theologie nur wünschen, dass sich das angesammelte theologische Kapital auch bald in einer für Kirche und theologische Ausbildung dienlichen institutionellen Form verzinst.

Fussnoten:

1) Vgl. Otto Hermann Pesch, "Principiis obsta!". Paul Tillichs "protestantisches Prinzip" in einer katholischen Betrachtung, in: Arnulf von Scheliha/Markus Schröder [Hrsg.], Das protestantische Prinzip. Historische und systematische Studien zum Protestantismusbegriff (FS Hermann Fischer), Stuttgart 1998, 299-316: 302, Anm. 13.