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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1285–1287

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Grünzinger, Gertraud, u. Carsten Nicolaisen

Titel/Untertitel:

Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches. IV: 1937-1939. Vom Wahlerlaß Hitlers bis zur Bildung des Geistlichen Vertrauensrates (Februar 1937-August 1939).

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2000. XXV, 476 S. gr.8. Kart. DM 68,-. ISBN 3-579-01866-3.

Rezensent:

Christoph Strohm

Der Untertitel des Werkes ist nicht dahingehend zu verstehen, dass nur die Kirchenpolitik gegenüber der evangelischen Kirche dokumentiert wird. Wie in den vorangegangenen Bänden der "Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches" werden ebenso die Maßnahmen gegen die katholische Kirche berücksichtigt. Klarer als hier, wo man sich einer als feindlich eingestuften, international gesteuerten Organisation gegenüberstehend sah, zeigt sich am Umgang mit der evangelischen Kirche die mangelnde Koordination und zugleich Doppelgesichtigkeit nationalsozialistischer Kirchenpolitik. Reichskirchenminister Kerrl verfolgte auch nach dem Scheitern der Versuche, die evangelische Kirche durch die Bildung von Kirchenausschüssen zu dominieren, sein Ziel einer Integration der evangelischen Kirche in den nationalsozialistischen Weltanschauungsstaat. Dafür fand er jedoch weder in der Kirche noch in Partei und Staat ausreichende Zustimmung. Vielmehr gewannen die Vertreter einer konsequenten Zurückdrängung jeglichen christlichen Einflusses im nationalsozialistischen Staat weiter an Boden. Das war eine Folge nicht nur des Scheiterns der bisherigen Integrationspolitik, sondern auch der mangelnden Machtbasis Kerrls in der Partei. Hier bestimmte Martin Bormann als Reichsleiter der NSDAP und Stabsleiter im Amt des Stellvertreters des Führers in wachsendem Maße die Politik. Mit der Annexion Österreichs und des Sudetenlandes im Jahre 1938, der Eingliederung des Memelgebiets, der Zerschlagung der Tschechoslowakei und der Errichtung des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren eröffneten sich den "weltanschaulichen Distanzierungskräften" um Bormann, Rudolf Heß, Heinrich Himmler und Alfred Rosenberg noch vor Kriegsbeginn neue Möglichkeiten der Umsetzung ihrer Ziele. Aus Platzgründen werden die betreffenden Dokumente in dem Band zwar nicht wiedergegeben, aber schon die Beschränkung der Kompetenzen des Kirchenministers auf das "Altreich" und die neuen Möglichkeiten, in den hinzugewonnenen Territorien eine von rechtlichen Bindungen weitgehend ungehemmte Unterdrückung des kirchlichen Lebens umzusetzen, zeigten die veränderte Situation. Zur Erfolglosigkeit der Kirchenpolitik Kerrls trug schließlich auch die mangelnde Unterstützung des "Führers" bei, der in der Kirchenfrage mehr lavierte als führte. Einerseits suchte er die große Konfrontation mit den Kirchen zu vermeiden und verhinderte zum Beispiel Bormanns Pläne, mittels eines Privatschulgesetzes die Ordens- und Klosterschulen zu beseitigen (Nr. 108), andererseits billigte er jedoch zahlreiche Maßnahmen, die der "völligen Entkonfessionalisierung des gesamten öffentlichen Lebens" dienten. Symptomatisch für Hitlers nicht zuletzt von außenpolitischen Rücksichten bestimmtes Lavieren in der Kirchenpolitik war die am 15. Februar 1937 ergangene und letztlich folgenlos gebliebene Aufforderung an den Reichskirchenminister, die Durchführung der Wahl einer Generalsynode der Deutschen Evangelischen Kirche vorzubereiten (Nr. 1). Bis November 1937 bemühte sich Kerrl wider die eigene Überzeugung, diesen Erlass durchzuführen, scheiterte aber gerade auch an Hitlers bald erfolgender Obstruktion des Ganzen.

Die Dokumente, die zum größten Teil erstmals veröffentlicht werden, machen keine grundlegenden Revisionen des bislang bekannten Bildes der nationalsozialistischen Kirchenpolitik in den Jahren 1937 bis 1939 notwendig. Jedoch zeigt die Dokumentensammlung in eindrücklicher und so noch nicht bekannter Weise die Vielzahl der an der Kirchenpolitik beteiligten Instanzen der Partei und des Staates und die damit verbundenen Kompetenzkonflikte. Von der NSDAP-Führung über die Reichskanzlei, das Kirchen-, Erziehungs- und Propagandaministerium bis hin zu Gestapo, SS und Sicherheitsdienst verfolgten die jeweiligen Akteure ihre Interessen, und Hitler stützte einmal die radikale, an der endgültigen Beseitigung des Christentums aus dem öffentlichen Leben interessierten Kreise, das andere Mal die gemäßigte Richtung um den Reichskirchenminister. Dieser wiederum begründete sein Interesse an einer Befriedung der evangelischen Kirche nicht zuletzt damit, dass eine "wieder wahrhaft protestierende Evangelische Kirche" den Kampf gegen die katholische Kirche besser als Staat und Partei führen könne (Nr. 118).

Inhaltliche Schwerpunkte der Kirchenpolitik in den Jahren 1937 bis 1939 waren neben den Versuchen, eine einigermaßen konsensfähige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche zu etablieren, der geplante Abbau der theologischen Fakultäten (Nr. 122), die Disziplinierung von Pfarrern und anderen Repräsentanten der Kirchen wegen missliebiger politischer Äußerungen (Nr. 18, 45, 53, 76, 108), die Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses auf das Erziehungswesen (Nr. 108, 143) sowie die Ausdünnung und Beschränkung der kirchlichen Presse (Nr. 12, 26, 142). Der Reichtum der Sammlung kann hier nur angedeutet werden. Die Würze liegt vielfach im Konkreten, wenn zum Beispiel die Reichsgemeinde der Deutschen Christen (Nationalkirchliche Bewegung) z. Hd. Oberregierungsrat Leffler drei Tage vor Heiligabend 1937 ein Schreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes (gez. Heydrich) erhält, in dem dringend die Befolgung des bereits im April 1937 ausgesprochenen Verbots einer Verwendung des Hakenkreuzes in Verbindung mit dem Christenkreuz angemahnt wird. Auch ein Schreiben des mecklenburgischen Landesbischofs Schultz an Hitler und die folgende Rückfrage des Chefs der Reichskanzlei beim Reichsführer SS konnte nicht verhindern, dass der Reichskirchenminister dieser seine treuesten Verbündeten wohl ins Mark treffenden Maßnahme zustimmte (Nr. 69).

Das abgedruckte Material stammt zum größten Teil aus den nun zusammengeführten Beständen des Bundesarchivs Koblenz und des Zentralen Staatsarchivs der DDR in Potsdam. Darüber hinaus wurden mit den Akten des SD-Hauptamtes (Bestand ZB I) auch bislang noch nicht ausgewertete Archivbestände herangezogen. Diese waren nach 1945 von sowjetischen Organen beschlagnahmt, in den fünfziger Jahren an die DDR gegeben und bis 1989 im NS-Archiv der Staatssicherheit verwahrt worden. Sie geben nicht nur Einblick in die Arbeitsweise des Sicherheitsdienstes, sondern zeigen zum Beispiel auch, dass selbst der Reichskirchenminister bespitzelt und überwacht wurde (vgl. Nr. 61, 144).

Die einzelnen Dokumente sind zumeist nicht mit Einleitungen versehen und nur sparsam kommentiert. Das kommt der Übersichtlichkeit der Sammlung zu Gute. Zugleich werden die Quellen in einer informativen Gesamteinleitung im Überblick vorgestellt. Die notwendigen Informationen findet man über die Kommentierung hinaus großenteils in einer umfassenden Auflistung von Biogrammen am Ende des Bandes. Beigegeben sind ferner ein Sachregister und eine chronologische Auflistung aller abgedruckten, zitierten und erwähnten Dokumente zur nationalsozialistischen Kirchenpolitik. Wie die bisher erschienenen - leider teilweise vergriffenen - Bände des Gesamtwerkes stellt dieser Band ein unverzichtbares Hilfsmittel für alle weiteren Arbeiten zur Erforschung des Themas "Nationalsozialismus und Kirchen" dar.