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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1278 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

DeSilva, David A.

Titel/Untertitel:

Perseverance in Gratitude. A Socio-Rhetorical Commentary on the Epistle "to the Hebrews".

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Erdmans 2000. XIX, 560 S. gr.8. $ 40.-. ISBN 0-8028-4188-0.

Rezensent:

Claus-Peter März

Der von DeSilva vorgelegte Kommentar zum Hebräerbrief weiß sich durchaus der bisherigen Auslegungstradition verpflichtet, sucht aber zugleich durch einen neuen methodischen Ansatz den Interpretationsrahmen zu erweitern. Er nimmt dabei den Text entsprechend dem von V. K. Robbins entwickelten Analysemodell ("socio-rhetorical interpratation") von unterschiedlichen Perspektiven her auf - "from the perspectives of rhetorical analysis, social-scientific criticism, cultural-anthropological perspectives, and ideological criticism" (XI) - und sucht diese unterschiedlichen Sichtweisen miteinander ins Gespräch zu bringen. Dieses klare methodische Konzept legt die Auslegung von vornherein sowohl auf deutliche und jederzeit verifizierbare Vorgehensweisen als auch auf interdisziplinäre Weite der Wahrnehmung fest. Der Kommentar ist dabei insgesamt klar und übersichtlich strukturiert: Die "Introduction" erörtert vier entscheidende und für die Auslegung bedeutsame Aspekte: 1. "the recipients of the letter 'to the Hebrews'", 2. "the Autor", 3. "the rhetorical goal and socio-rhetorical strategy of Hebrews", 4. "outline". Bei der Auslegung werden die einzelnen Abschnitte jeweils mit einer Darstellung des Gedankengangs ("overview") eingeleitet, auf die die eigentliche Kommentierung ("com- mentary") mit einer pointierten Zusammenfassung ("summary") folgt, die - wo es nötig erscheint - durch exkursartige Vertiefungen zu speziellen Problemen ("a closer look") vertieft und durch hermeneutische Überlegungen ("bridging the horizons") beschlossen wird.

S. entwickelt folgendes Verständnis des Hebr: Der auctor ad Hebraeos ist "a member of the Pauline mission whose task it is to nurture and preserve the work started by the apostolic leader."(39) Seine Autorität beruht auf der Kenntnis der christlichen Tradition, besonders der Schrift und ihrer Auslegung wie der Vertrautheit mit der Botschaft Jesu. Das Schreiben, das seiner Meinung nach vor 70 p. Chr. n. abgefasst worden ist, richtet sich an eine Gruppe von "Diaspora Jewish Christians and Gentile Christians" (7), die durch ihre Bekehrung (2,1-4) zwar zu einer neuen Sozialisation in einer christlichen Gemeinde (bzw. in einer Teilgemeinde) gefunden haben (5,11-6,20), zugleich aber wegen dieses Schrittes in Konflikte mit ihrem vormaligen gesellschaftlichen Umfeld gekommen sind. Sie erfahren Zurückweisung und Marginalisierung, verlieren bis dahin innegehabte Reputation und erleiden in Einzelfällen massive Minderungen ihres Sozialstatus (10,32-34). Der Hebräerbrief versucht der aus diesen Erfahrungen resultierenden Verunsicherung mittels klarer rhetorischer Strategien entgegenzuwirken: 1. Er sucht die Adressaten zu der Erkenntnis zurückzuführen ("repositioning the deliberations"), dass sie an den eigentlichen und ewigen Gütern Anteil erhalten haben. Er verdeutlicht den neuen, durch die Umkehr gewonnenen Status der Adressaten als unzerstörbare Identität und höhere Ehre, weil er nicht in der "erschütterbaren" vorläufigen, sondern in der "unerschütterlichen" ewigen Wirklichkeit begründet ist. 2. Er ermahnt sie, sich entsprechend dem "social code of reciprocity" dem göttlichen Wohltäter gegenüber als dankbar zu erweisen ("respondig to the divine benefactor"). Dabei bedient er sich zur Verdeutlichung des antiken Rollenspiels zwischen Patron und Klient: "The relationship between human und divine beings ... was expressed in terms of the closest analogy in the world of social interaction, namely, patronage."(62) 3. Zugleich versucht er die Adressaten gegen den gesellschaftlichen Druck zu immunisieren ("insulating the community from society's pressure"), indem er entsprechend der üblichen Strategie von Minderheiten herausstellt, dass die christliche Gemeinde verankert und legitimiert ist "by a higher court of reputation, whose judgments are of greater importance ... as the opinion of disapproving majority or the dominant culture." (65) 4. Wichtig ist ihm auch die Stärkung der Interaktionen innerhalb der Gruppe ("Nurturing a supportive community"). Er betont die Bedeutung der Gemeindeversammlung, das Miteinander innerhalb der Gemeinde als "Herantreten" zur himmlischen Wirklichkeit. 5. Insbesondere vermittelt das Schreiben durch die kulttheologische Hohepriestertypologie die Vorstellung einer "Glaubenswanderschaft", in der die Gemeinde aufbricht zum Ziel der Vollendung ("the ritual journey of priest and people"). In diesem Horizont erfährt die konkrete Ausgrenzung aus der Gesellschaft eine Deutung: "The journey out from worldly society into marginality is the 'new and living way', which Jesus has opened up and inaugurated." (71) Der Kommentar, der vor allem auch S.s bisherige Arbeit zur Problematik von Akzeptanz, Status und Identität in der Antike aufnimmt, vermag durchaus einige der in der Hebr-Forschung kontrovers diskutierten Probleme in ein neues Licht zu stellen und namentlich durch die Verortung in der soziologischen Betrachtungsweise manche theologische Engführung aufzubrechen (vgl. etwa die Ausführungen zur Unmöglichkeit der zweiten Bekehrung). Er ist in einem breiten Gespräch mit der Forschung, vornehmlich freilich mit der englischsprachigen (eine der wichtigsten deutschsprachigen Auslegungen, der Kommentar von E. Gräßer findet ebensowenig Erwähnung wie die Auslegungen von H. Hegermann, H. Braun etc).

Der Kommentar von deSilva bringt ohne Zweifel neue Betrachtungsweisen ins Spiel, ohne die in der bisherigen Forschung erarbeiteten Ansätze aus dem Blick zu verlieren. Er präsentiert sich aufs Ganze gesehen als ansprechender und gelungener Versuch, den Hebr in einem integrierten methodischen Zugriff von unterschiedlichen Blickpunkten und Horizonten her zu befragen und in seiner theologischen Bedeutung zu erschließen. Hervorzuheben ist auch, dass S. durchaus mit Erfolg versucht, den wissenschaftlichen Apparat auf das Notwendige zu beschränken und ein Buch zu schreiben, das zwar den methodischen Ansprüchen an einen wissenschaftlichen Kommentar Genüge tut, aber auch für den nicht der exegetischen Zunft zugehörigen Interessierten lesbar bleibt.