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Ausgabe: | Dezember/2001 |
Spalte: | 1267–1269 |
Kategorie: | Neues Testament |
Autor/Hrsg.: | Feneberg, Rupert |
Titel/Untertitel: | Der Jude Jesus und die Heiden. Biographie und Theologie Jesu im Markusevangelium. |
Verlag: | Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 2000. 385 S. gr.8 = Herders Biblische Studien, 24. Lw. DM 88,-. ISBN 3-451-27250-4. |
Rezensent: | Petr Pokorny |
Es handelt sich eigentlich um einen Kommentar zum Markusevangelium, dem nach kurzer Einleitung ein Kapitel über die Entstehung des Markusevangeliums vorausgeschickt ist. Der Kommentar soll die schon in der Einleitung formulierten und am Schluss rekapitulierten Thesen unterstützen.
F. arbeitet vor allem diachronisch und versucht, das Markusevangelium als literarisches Werk und als theologische Aussage historisch zu verorten. Nach ihm hat Markus das Bild der Tätigkeit Jesu und mit ihr das Grundschema der Gattung Evangelium aus der Tradition übernommen. Die Reich-Gottes-Verkündigung Jesu betrachtet er als einen bekannten Teil der jüdischen Tradition, sodass Markus in 1,14 f. ihren Inhalt nicht wiedergeben muss. Was die Gegner Jesu unter den damaligen jüdischen Führungsschichten irritierte, war die Heiden- bzw. Fremdenliebe Jesu. Da das Volk Gottes nach der Schrift für die "Welt der Heiden" mitverantwortlich ist, kann das kaum als ein absolut neues Motiv verstanden werden. Das Neue war die charismatische Vollmacht Jesu, mit der er das Reich Gottes (u. a. als Wundertäter) verkündigte. Es handelte sich bei Jesus um keine extensive Mission, denn schon die Erneuerung Israels war der erste Schritt zum Heil der Heiden.
Nach F. bietet das Markusevangelium dieses Erbe in der Zeit nach dem Fall Jerusalems in literarischer Bearbeitung an. Der Leser muss gleich zu Beginn erkennen, dass Gott seinen Bund mit Israel nicht gekündigt hat. Das Verhältnis der Christen zu Israel war also der (wohl indirekte) Grund zur Abfassung des Markusevangeliums. Es sollte vor allem die griechisch sprechenden und aus der Synagoge schon verstoßenen Judenchristen auf die Bewegung Jesu zu den Heiden (Heidenmission) und die Heidenchristen auf ihre jüdischen Wurzeln aufmerksam machen. Im Unterschied zu Paulus, der sich auf Kreuz und Auferstehung Jesu konzentrierte, nahm Markus auch die im Judentum verankerte Jesustradition auf, die nach Paulus für die Heidenchristen nicht aktuell war (48). Der Gestalt des Markusevangeliums (mit seinen zwei Hauptteilen 1,1-8,30 und 8,31-16,8) kann entnommen werden, dass die Entstehung der christlichen Kirche als eine neue Erwählung zu betrachten ist, die neben das Judentum tritt und den zweiten Weg zum Heil repräsentiert.
In der durchgehenden Kommentierung wird dieses Gesamtbild durch weitere Beobachtungen unterstützt. Z. B. wird das Verstockungszitat aus Mk 4,12 auf Grund des Wortes von der Sünde gegen den Heiligen Geist auf jeden Menschen bezogen. Die Hinwendung zu den Heiden widerspiegelt sich in dem ganzen markinischen Itinerar Jesu, die zweite Brotvermehrung ist für eine heidnische Menge bestimmt. Mk 11,17 ist das messianische Programm Jesu, das den Tempel den Heiden öffnet. Das ist allerdings gegenüber dem Alten Bund nichts radikal Neues, weil es schon in 1Kön 8,41-43 angekündigt wird. Den Konflikt mit den jüdischen Führungsschichten hat Jesus nach Mk 12,1-12 vorhergesehen. Der aufmerksame Leser des Gleichnisses von den bösen Winzern muss begreifen, dass im Unterschied zu Jes5 der Herr nicht gegen den Weinberg (Israel als Volk Gottes), sondern nur gegen die bösen Pächter vorgeht. Jesus hat nicht beabsichtigt, das Passafest abzuschaffen, wie es in Lk 22, 14-16 vorausgesetzt wird. Das messianische Bekenntnis Jesu aus 14,61 war keine Lästerung; nur die Hohenpriester haben es pathetisch hochgespielt. Jesu Kreuzigung wird als eine paradox dargestellte königliche Inthronisation interpretiert (15,26), und der Gekreuzigte betet Psalm 22, der in den Versen 28 und 29 die Aufnahme der Heiden in das Reich Gottes schildert. Das Bild rundet sich ab, die Grundthese wird bestätigt und "das Schiff der Markusforschung ... gewinnt wieder frischen Wind" (378).
Sympathisch ist die Studie durch die Konsequenz, mit welcher F. das theologische Anliegen verfolgt. Nützlich sind auch die einzelnen Beobachtungen, z. B. zu den beiden Speisungsgeschichten (171) und zur Nachfolge (214); interessant sind weiterhin die aus früheren Arbeiten des Autors bekannten Überlegungen zur Abendmahlsperikope.
Weniger überzeugend ist das Grundanliegen. Eine theologische Reflexion der Rolle der jüdischen Bibel (der Schrift) und des Verhältnisses der Kirche zu Israel ist im Markusevangelium weniger sichtbar als in den anderen Evangelien. Umso weniger wird dort das Problem der gegenwärtigen Rolle der Juden diskutiert. Das Markusevangelium ist als ein synthetisches Werk entstanden, das den biographischen Rahmen als Rückkopplung des Osterglaubens (des Evangeliums) benutzt, aber die Frage der Erwählung Israels wird dort nicht thematisiert.
Die von F. vertretene innerjüdische Deutung der Lehre Jesu, die der Auffassung von E. P. Sanders ähnelt, ist ebenfalls strittig. Z. B. sind praktisch alle biblischen Erwartungen der Völkerwanderung nach Zion israelzentrisch aufgefasst, d. h. es handelt sich eher um die Unterwerfung der Völker unter Israel. In dieser Hinsicht repräsentieren die Aussagen wie Q 12,28-30 doch etwas erheblich Neues.
Zu begrüßen ist das Bemühen, die in der christlichen Kirche jahrhundertelang verbreitete Vorstellung von einer negativen heilsgeschichtlichen Stellung der Juden als falsch zu überführen, weil sie die tragische Geschichte des jüdischen Volkes bis zum Holocaust mitbeeinflusst hat. Doch führt der Weg durch die Konstruktion einer ständigen positiven heilsgeschichtlichen Stellung der Juden neben der christlichen Kirche, der psychologisch gut verständlich ist, nicht zum Ziel und kann nur weitere Spannungen hervorrufen. Die einflussreiche und in mehreren Schichten der Bibel vom deuteronomistischen Geschichtswerk bis zu Paulus vertretene Vorstellung von der Diskontinuität der irdischen Träger der Erwählung Gottes, die die Kontinuität der Gnade Gottes nur unterstreicht, führt in der systematischen Reflexion zur Universalisierung der Vorstellungen von der Erwählung und zur Säkularisierung der Grenzen zwischen den religiös definierten Menschengruppen. Falls unsere Beziehung zu den Juden durch das ernst genommene Gebot der Nächstenliebe nicht humanisiert wird, kann das durch keine heilsgeschichtliche Spekulation aufgewogen werden. - Das sind Überlegungen, die den Rahmen einer Besprechung sprengen, die allerdings angesichts der gesellschaftlichen Wirkung der Exegese nicht überflüssig sind. Wir sind F. dankbar, dass er eine solche Auseinandersetung mindestens indirekt veranlasst hat.