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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1252–1256

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Pfeiffer, Henrik

Titel/Untertitel:

Das Heiligtum von Bethel im Spiegel des Hoseabuches.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. 272 S. gr.8 = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 183. Lw. DM 128,-. ISBN 3-525-53867-7.

Rezensent:

Aaron Schart

Die von Matthias Köckert an der Humboldt-Universität betreute Dissertation widmet sich der jeweiligen Sicht des großen Nordreichsheiligtums in Bet-El in den verschiedenen literarischen Schichten der Hoseaschrift. Von der Erarbeitung der Konzeptionen der verschiedenen Kritikstadien am großen Antipoden des Heiligtums in Jerusalem darf man Aufschlüsse sowohl über die Religionsgeschichte als auch über die Literargeschichte Israels erwarten. Will man vor die deuteronomistische Konzeption zurückgreifen, so muss man sich in der Tat Hosea zuwenden. Die erste Schrift des Zwölfprophetenbuchs bietet allerdings für die Literarkritik ein ausgesprochen schwieriges Terrain. Nach einem religionsgeschichtlichen Teil über die wesentlichen Elemente des in Bet-El gepflegten Kults (26-64), folgt die Interpretation und literarkritische Analyse ausgewählter Textpassagen, die den eigentlichen Kern der Arbeit ausmachen (65-208). Der dritte und letzte Teil erstellt dann "ein literar- und theologiegeschichtlich differenziertes Gesamtbild" (209-231). Als willkommene Zugabe wird die ganze Arbeit noch in Gestalt von Thesen dargestellt, die leider nicht auf die Gliederung oder Seitenzählung des Haupttextes verweisen (267-272).

Der erste Teil trägt die wichtigsten "Aspekte der Theologie des israelitischen Reichskultes" zusammen (26-64). Es geht darum, hinter die bekannte deuteronomistische Polemik zurückzufragen, die in der Gründung des Tempels in Bet-El durch Jerobeam I. den entscheidenden Abfall des Nordreichs von YHWH sieht, den alle Herrscher des Nordreichs weitergeführt haben, bis zunächst die Assyrer und dann endgültig Joschija diesem gottwidrigen Unterfangen ein Ende bereitet haben. Unter Heranziehung altorientalischer Texte und palästinischer Ausgrabungsergebnisse versucht Pfeiffer, den in Bet-El vorauszusetzenden Staatskult in den wesentlichen Zügen zu rekonstruieren. Zunächst sei deutlich, dass Bet-El einen dezidierten Bezug auf das jeweils im Nordreich regierende Königshaus hat. Der in Bet-El verehrte YHWH wird als dessen offizieller Schutz-Gott in Anspruch genommen. Wie in der altorientalischen Umwelt üblich, bilde sodann das Kultbild den Kristallisationspunkt des Heiligtums. Das Stierbild sei ein geläufiges Symboltier für Wettergottheiten. Da YHWH in seiner Epiphanie mit den Begleitumständen eines Wettergotts auftrete (etwa Ri 5,4 f.; Ps 68,8 f.; Dtn 33,2 f.26-29; Hab 3,3), sei die Wahl dieses Tieres durchaus sachadäquat. Das Stierbild sei nicht bewusst von YHWH selbst unterschieden worden, etwa in dem Sinne, dass YHWH unsichtbar über dem Stierbild anwesend gedacht wurde (so Obbink u. a.), sondern als Präsenzsymbol: "Jahwe teilt sich der Kultgemeinde als hinter den Stierbildern stehende transzendente Wirklichkeit durch das Bild mit. Die Kultteilnehmer erfahren über dieses Symbol die Gottheit." (47) Die Kultbild-Konzeption von Bet-El unterscheide sich in dieser Hinsicht nicht von derjenigen der Nachbarreligionen. Schließlich habe die Heraufführungsformel "dein Gott, der dich aus Ägypten heraufgeführt hat" als Kultruf die Funktion gehabt, "die faktische Existenz Israels als eines politisch selbständigen Königreiches durch rituelle Wiederholung des grundlegenden heilsgeschichtlichen Urereignisses kultisch zu sichern." (41)

Diese drei Elemente kommen nun auch in der Hoseaschrift in prominenter Weise vor, und so werden die entsprechenden Passagen im 2. Teil der Arbeit untersucht (65-208). Pfeiffer beginnt mit den beiden Texten, die Bet-El explizit nennen.

Hos 4,15, wo Bet-El in der verballhornten Form "Bet-Awen" begegnet, wird einer Redaktion zugewiesen, die Hosea- und Amosschrift miteinander verbinden wollte (so schon Jeremias, Hosea, 71). Innerhalb von Hos 12 werden als älteste literarische Schicht die Verse 3-5.7.11.13-14 isoliert. Gegen den Mainstream (etwa Jeremias*, Hosea, 152, der auf das zerstörte Wortspiel mit V. 4b verweist) rekonstruiert P. in 12,3 kein ursprüngliches "Israel" für das im Masoretischen Text stehende "Juda". Dann muss er konsequenterweise auch einen judäischen (!) Kult in Bet-El in der Exilszeit annehmen.

Anspielungen auf das Stierbild finden sich in Hos 10,1-8; 8,1-14 und 13,1-3. In Hos 10,1-8 werden die Verse 5-6a* zum prophetischen Spruchgut gerechnet. In den wenigen unanschaulichen Worten, deren situativer Kontext kaum mehr auszumachen ist, findet P. eine grundsätzliche Bestreitung des Staatskults. Hos 10,8 wird auf Grund der Wendung "bamot awen" einer dtr oder gar erst nach-dtr Schicht zugeordnet. In Hos 8,1-14 findet P. auf die ersten Hosea-Tradenten zurückgehende Spuren in V. 1a.2-3.4a.5aa. b.7-10a. Die Polemik gegen das Stierbild in 5aa.6b sei jedoch erst auf zweiter Ebene eingefügt. In Hos 13 werde tatsächlich der Vorwurf des Menschenopfers erhoben (anders Jeremias*), was als späte Polemik eingestuft werden müsse.

Die Herausführung Israels aus Ägypten wird in Hos als selbstverständliche Voraussetzung schon im ältesten Spruchgut zitiert. An zwei Textstellen wird aber dieser heilsgeschichtlichen Grundtatsache eine schlimme Zukunft für Israel gegenübergestellt. In Hos 13,4-5 hält P. den Versteil 4b für sekundär (172), was die These zur Folge hat, dass dem hoseanischen Spruchgut der sich im 1. Gebot aussprechende Ausschließlichkeitsanspruch noch fremd gewesen sei. Hos 12,10 wird als "versprengtes Einzelwort" (176) aufgefasst, das denselben Grundgedanken wie 13,4a.5 enthalte: der Zuordnung Jahwes zu Israel von Ägypten her werde eine stark geminderte Zukunftsperspektive gegenübergestellt. Damit solle der Anspruch von Bet-El, die Präsenz des Exodusgottes verbürge die politische Freiheit und den Wohlstand des Landes, destruiert werden.

An zwei weiteren Stellen wird sogar die Rücknahme des Exodus angekündigt: Israel müsse "zurück nach Ägypten" (Hos 9,3b-4a; 13b,). Das bedeute die Exilierung und das Ende des kultischen Verhältnisses zwsichen YHWH und Volk.

Noch einmal anders seien die knappen Erwähnungen Ägyptens in Hos 11,1.11 und Hos 2,16 einzustufen. In Hos 11,1 wird der Ausdruck "aus Ägypten" als Nachtrag beurteilt. Die Redaktion, die diese Anspielung auf den Exodus eingefügt hat, habe kaum noch etwas mit der im Kult von Bet-El beheimateten Konzeption zu tun, sondern gehöre zusammen mit der "dtr Konzeption der Gottesliebe" (201). Hos 11,10 vertrete die Konzeption eines neuen Exodus, die nicht auf Hosea, sondern auf nachexilische Schriftgelehrsamkeit zurückgehe (200). Die Vorstellung von einer "umfassenden Restitution der Frau" in Hos 2,16 rufe ebenfalls den Exodus nur noch illustrierend wach, der Exodus habe keine das Gottesverhältnis Israels begründende Funktion mehr (206-207).

Im 3. Teil (209-231) werden die im Rahmen der literarkritischen Analyse der einzelnen Texte gewonnenen Erkenntnisse zu einem Schichtungsmodell zusammengeführt. Demnach habe man in Bezug auf die mit dem Kult in Bet-El zusammenhängenden Themen mit folgenden sechs Schichten zu rechnen:

Zum prophetischen Spruchgut, das P. - etwas zögerlich - mit dem historischen Propheten in Zusammenhang bringt, gehören 8,5aa.6b und 10,5-6a*. Es handle sich um Gerichtsworte, die sich weder aus "einer exklusiven Jahwe-Monolatrie noch aus einer anikonischen Kultkonzeption" herleiten (209). In einem langen Exkurs "Zum Alter der ,Jahwe-allein-Theologie' im Hoseabuch" (210-226) wird versucht, die theologische Konzeption dieser ältesten Gerichtsworte, die dem Staatskult in Bet-El das Ende ansagen, zu erheben. Im überraschend engen Anschluss an Wellhausen (224-225) sieht P. die Lage so, dass Hosea vorhergesehen habe, dass die assyrische Expansion schließlich auch Israel überrollen werde. In dieser Entwicklung sah er aber kein blindes Verhängnis, sondern Jahwe selbst am Werk. Da der offizielle Staatskult in Bet-El - von Blindheit geschlagen- weiterfeierte, als ob das auf Jahwes Geschichtshandeln sich zurückführende Staatswesen nicht gefährdet werden könne, sage Hosea ihm den Untergang an. Weder der historische Hosea selbst noch seine ersten Tradenten könnten also als Vorläufer für das 1. und 2. Gebot namhaft gemacht werden.

Die vor-dtr Hoseatradenten greifen erstmals direkt das Stierbild an (Zusätze in Hos 10,5), weil sich in ihm die "Vorstellung einer im Kultbild verbürgten Gottesnähe" (226) konzentriere. Auch "die Königsinvestitur vor dem Stierbild" (227) inspiriere diese Kritik am Bild (Hos 8,5aa.6b). Nach wie vor werde dem Kult in Bet-El aber weder ein Abfall vom "Jahwe-allein"-Prinzip noch von einer eigentlich jahwegemäßen Bildlosigkeit vorgeworfen. Immer noch sei bestimmend, dass der Staatskult vor der - inzwischen eingetretenen - von Jahwe verfügten assyrischen Eroberung des Nordreichs blind gewesen sei.

Erst die deuteronomistisch beeinflusste Redaktionsschicht (Spuren in Hos 2,4-15; 4,1-19; 5,1-8; 8,1b; 9,1b und 11) habe Bet-El als den Inbegriff des Abfalls zu den Fremdgöttern begriffen und das Kultbild in diesem Zusammenhang kritisiert. In dieser Schicht sei erstmals die Forderung nach der Verehrung Jahwes allein zum Prinzip erhoben worden.

Obwohl sich die dtr Sicht Bet-Els in vielen Literaturwerken des AT, insbesondere im deuteronomistischen Geschichtswerk, durchgesetzt hat, muss man nach P. für die Exilszeit mit einem judäischen (!) Kult in Bet-El rechnen, der freilich durch die prophetische Kritik hindurchgegangen war: Das Stierbild spielte keine Rolle mehr, stattdessen standen die Jakobüberlieferungen im Vordergrund. Auf Jahwes Heilszusagen an ihn gründete sich die Hoffnung auf eine Wende der durch die babylonische Eroberung eingetretenen Lage. Die Redaktoren von Hos 12 hätten aber, obwohl sie im Grundsatz Bet-El - temporär - als legitimes YHWH-Heiligtum anerkannten, in diesem Konzept den gleichen "Heilsautomatismus" erkannt und angegriffen, den auch schon das ältere Spruchgut verurteilt hat.

In den späteren nachexilischen Zusätzen (in Hos 13,2; 8,6a) führt die Vorstellung von der Transzendenz Gottes, wie sie namentlich in Dtn 4,12 zum Ausdruck kommt, zu einer Bilderkritik, die die Kultbilder als "reine Handwerkerarbeit" (230) lächerlich macht.

Zum Schluss kommt P. noch auf die polemische Bezeichnung Bet-Els als "Bet-Awen" (Hos 4,15) zu sprechen. Obwohl sich über die Konzeption, die diese Verballhornung des Namens inspiriert habe, nichts Genaues ausmachen lasse, gehöre sie wohl zu einer Bearbeitung, die auch in der Amosschrift gewirkt habe, und am ehesten in "dtr Zeit" (230) zu datieren sei.

Nachdem die literarkritische Arbeit der letzten Jahrzehnte sowohl im Bereich der erzählenden als auch im Bereich der prophetischen Werke des AT neue Schichtungsfolgen und Datierungen vorgeschlagen hat, ist die erneute Durcharbeitung der Bet-El-Texte in der Tat angebracht. Die Arbeit zeichnet aus, dass nicht nur die Hoseapassagen eingehend literarkritisch analysiert, sondern auch die Verschränkung mit vielen anderen Bet-El-Texten des AT gesucht wird. Ebenfalls hervorzuheben ist, dass es P. nicht um den bloßen Namen "Bet-El", sondern um das theologische Konzept dieses israelitischen Staatsheiligtums geht, das den Ort, das Kultbild, die Heilstradition des Exodus und die Verheißungen an den Erzvater Jakob umfasst. P. scheut sich nie, von herkömmlichen Einschätzungen entschlossen Abschied zu nehmen. Dabei schießt er freilich an vielen Stellen über das Ziel hinaus. Durchgehend fehlt ein Gespür dafür, welche besonderen Schwierigkeiten der Hos-Text der grammatischen und formkritischen Analyse bietet. Nirgends wird erkennbar, dass P. poetische Feinheiten, gebrochene Metaphern, den Leser irritierende Numerus- und Perspektivenwechsel und ähnliche Phänomene als poetisches Raffinement zu schätzen versteht. Wenn man die Kohärenzprüfung von Hoseatexten danach vornimmt, ob sich das Muster von Schuldaufweis und Strafansage möglichst rein finden lässt oder ob sich ein bestimmtes Metrum gleichförmig durchhält, kann man diesen Texten nicht gerecht werden. Dadurch wirkt die Literarkritik oft mechanisch, kleinlich und im Ergebnis, das dem Leser oft auch noch unübersichtlich dargeboten wird, unvorstellbar kompliziert. Die Arbeit prüft mit Recht jede Textschicht daraufhin, wie sie sich zu der terminologisch verfestigten exilisch/nachexilischen Bet-El- und Bilderpolemik verhält. Wie immer gesehen wurde, findet auch P. vielfache verbale und konzeptionelle Parallelen zwischen Formulierungen in Hos und in anerkannt dtr oder exilischen Texten. Nirgends gewinnt man allerdings den Eindruck, es würde ernsthaft geprüft, ob die späten Texte von Hos abhängen.

Insofern ist das Unterfangen, die literarische Vorgeschichte der literarischen Hauptschicht in Hos (also alles, was im Kommentar von Jeremias fett gedruckt ist) weiter zu erhellen, auf's Ganze gesehen gescheitert. Hier und da gibt es freilich auch Beobachtungen, die weiterführend sind. So etwa die These, wonach Hos 10,4b und 8,4b in ihrem Kontext sekundär seien, sowie P.s Ansätze, das Zwölfprophetenbuch als redaktionelle Großeinheit in den Blick zu nehmen (z. B. 142-147; 230-231).

Fussnoten:

*) Jeremias, Jörg: Der Prophet Hosea. Das Alte Testament Deutsch. Neues Göttinger Bibelwerk 24,1. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1983.