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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1250–1252

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lohfink, Norbert

Titel/Untertitel:

Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur, IV.

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 2000. 320 S. 8 = Stuttgarter Biblische Aufsatzbände, 31. Kart. DM 79,-. ISBN 3-460-06311-4.

Rezensent:

Lothar Perlitt

Der erste Beitrag, 1986 abgeschlossen und 1990 in der Festschrift für Lohfinks Lehrer W. L. Moran publiziert, ist der einzige, der nicht dem Dtn, sondern dem DtrG gewidmet ist: "Welches Orakel gab den Davididen Dauer? Ein Textproblem in 2Kön 8,19 und das Funktionieren der dynastischen Orakel im deuteronomistischen Geschichtswerk" (11-34).

2Kön 8,19 bezieht sich über 1Kön 15,4 auf 1Kön 11,36 zurück. Hier verfolgt L. eine Linie der Davididenverheißung, die nicht mehr von 2Sam 7 abhängt. "Daraus folgt ..., daß im Sinne von Dtr 1 die Natan-Verheißung, insofern sie Dynastie- und panisraelitische Herrschaftszusage für die Davididen war, mit dem Tod Salomos und der Spaltung des Reiches ihre Geschichtskraft verloren hat ... Deshalb gibt es auch nach Salomo in den Königsbüchern, soweit sie Dtr 1 zuzuteilen sind, keinen Rückverweis mehr auf 2 (sic. pro 1) Sam 7. Alles muß nach dem Abfall Salomos von JHWH neu geregelt werden. Das geschieht durch das Orakel Ahijas von Schilo an Jerobeam ben Nabat in 1Kön 11" (30 f.). Kern dieser Verheißung ist die "ryn-Zusage". Dieses Wort versteht L. nun nicht als Lampe oder Leuchte (ryni=rne), sondern von neuassyrisch "neru" (gemeint ist niru/neru) her (vgl. CAD N II 262 f.). Dieses Wort heißt "Joch", im übertragenen Sinne die wie ein Joch auferlegte (Fremd)Herrschaft. Weil diese Grundbedeutung aber für L.s ausführliche Textkritik zu 2Kön 8,19 wie auch für das Verständnis der Aussage eher sperrig ist, will er nir an den drei Stellen "abstrakt" mit "Macht, Herrschaft" übersetzen (12). Doch verbietet diese ,Abstraktion' den Bezug auf niru, denn in den dtr Versen wird gerade nicht gesagt, die Davididen sollten "herrschen über (andere Völker)".

Die folgenden Dtn-Aufsätze sind nicht nach Erscheinungsdaten geordnet, sondern L. ist "grob das Buch Dtn entlanggegangen" (7). Er beginnt mit einem Problem, das er seit seiner Dissertation über Dtn 5-11 (1963) unablässig traktiert, hier an Dtn 3,21 f.: dem des "Numeruswechsels" - hier gleich in Anführungszeichen (33-45). Das breit begründete, aber zu erwartende Resultat: "Die zunächst so seltsam erscheinenden Numerusphänomene in Dtn 3,21 f. scheinen mir schon bei synchroner Betrachung allein durch Analyse der vorausgesetzen narrativen Situation erklärbar zu sein" (45). Die Adjektive "synchron" und "narrativ" muss der Leser im Gedächtnis behalten, was ihm der Autor freilich nicht schwer macht.

Der nächste Aufsatz hat den geheimnisvollen Titel "Die Stimmen in Dtn 1" (47-74), weil es dort "eine besonders komplizierte Interaktion von ,Stimmen' " gibt (48). L. zeigt an den sog. "antiquarischen Notizen" von Dtn 2,10-12.20-23 auf, was er im Unterschied zur Forschung des letzten Jh.s denkt: "Die Moserede wird mehrfach unterbrochen. Eine andere Stimme schaltet sich ein und gibt historisch-geographische Zusatzinformationen ... Diese Unterbrechungen pflegt man diachron zu erklären. Es handle sich ... um späte Glossen, gelehrte Anmerkungen einer archivarischen Seele" (4). L. beruft sich hier wie öfter auf R. Polzin (Moses and the Deuteronomist, 1980) und konstatiert (im Blick auf mich zu Recht): "Die beiden neuesten Kommentare, der von Perlitt wie der von Weinfeld, schweigen darüber - ich würde sagen: ostentativ" (49). Polzins Buch ist zu L.s Freude "rein synchron", wobei dieses der Technik oder dem Film entnommene Wort nichts anderes heißt als: Verzicht auf die historisch-kritische Exegese des 19. und 20. Jh.s. So wird der Titel des Aufsatzes verständlich: "Das Buch Dtn ist nicht einfach ein Gesetzbuch. Es ist umfassend Erzählung. Die Stimme eines Bucherzählers erzählt. Er läßt allerdings lieber andere reden, vor allem Mose. So hören wir meist Moses Stimme. Aber auch Mose hat Spaß am Zitieren. Er zitiert sich selbst, Gott und andere. Selbst die Zitierten zitieren oft nochmals andere. So ist das Dtn ein in mindestens 4 Etappen gebautes System von hierarchisch einander zugeordneten ,Stimmen'" (49 f.). Ein raffinierter Erzähler - oder soll man sagen: "Stimmen"-Imitator?

Bei Dtn 2 ergibt sich hieraus konkret: "Mose redet Israel als Erzähler fast durchgehend pluralisch an. Nur viermal wechselt er kurz in den Singular: in 1,31a; 2,7.30b.37. Vermutlich lassen sich diese kleinen Numerusumsprünge vom rhetorischen Mosestil des Deuteronomiums her leicht verständlich machen ... Doch selbst wenn es sich um spätere ,singularische' Erweiterungen einer ursprünglich rein ,pluralischen' Erzählung handeln sollte, bleiben sie marginal. Meine ... Überlegungen würden von diachronen Sonderannahmen über diese vier Stellen nicht affiziert" (72) - beatus ille vir.

Das Exempel zeigt, was für L. im Laufe seines Forscherlebens offenbar immer wichtiger geworden ist und darum im "Vorwort" vom Februar 2000 grundsätzlich erklärt wird: "Der Band ist in erheblichem Ausmaß von der Frage nach den rechten Methoden ... bestimmt, und zwar unter diachronem wie synchronem Aspekt" (7). Mich macht das ein bißchen hilflos, denn im kollegialen Gespräch mit den Philologen und Historikern meiner Universität oder Akademie sind mir diese Ausdrücke nicht begegnet. Was hier diachron heißt, ist die historische und literarhistorische Forschung der Neuzeit. Was L. meint und will, lasse ich ihn lieber selbst sagen:

"Meine Beobachtungen führen mich zu einer immer größeren Zurückhaltung gegenüber den Kriterien und Modellvorstellungen, mit denen man ... die entstehungeschichtliche Schichtung des Deuteronomiums zu rekonstruieren versucht hat. Ich werde, gerade auch im Kollegengespräch, oft in dem Sinne mißverstanden, als lehne ich diachrone Hypothesenbildung ab. Demgegenüber möchte ich unterstreichen, daß dies nicht der Fall ist. Ich rechne durchaus mit einer Entstehungsgeschichte des Deuteronomiums, und zwar einer komplizierten. Aber ich zweifle am Erkenntniswert vieler vorgetragener Argumente und Theorien ... Als Krebsübel betrachte ich die logische Vorordnung von alttestamentlichen Globalhypothesen vor die Einzeluntersuchung" (7 f.). Wer wollte L. in dieser Diagnose nicht folgen?

Den Aufsatz "Geschichtstypologisch orientierte Textstrukturen in den Büchern Deuteronomium und Josua" (75-103) muss ich nicht referieren, da ich ihn schon anlässlich seines Erstdrucks (FS C. H. W. Brekelmans, 1997) besprochen habe (ThLZ 123, 1998, 1065-1068); die beiden nächsten Arbeiten will ich nicht referieren, denn sie sind ihrerseits Rezensionen (über E. Aurelius, Mose als Fürbitter, 1990; E. Reuter, Kultzentralisation und Deuteronomium, 1995). Dabei bietet L., was ich hier nicht bieten darf: echte Rezensionen (107-130 und 131-161), die den Wert wissenschaftlicher Auseinandersetzungen haben.

L. bleibt in allen Beiträgen bei seinen Methoden-Problemen, auf die schon der nächste Titel zielt: "Fortschreibung? Zur Technik von Rechtsrevisionen im deuteronomischen Bereich, erörtert an Deuteronomium 12, Ex [warum hier nicht ebenso umständlich "Exodus"?] 21, 2-11 und Deuteronomium 15,12-18" (163-203). Er beendet hier einen großen Aufwand an Scharfsinn mit der Gewissheit, "für diesen empirisch nachprüfbaren Fall das Fortschreibungsmodell falsifiziert" zu haben (198). Natürlich muss er sich in der gegenwärtigen Forschungslage nicht zuletzt mit Eckart Otto auseinandersetzen, von dem er zwar zwölf Titel in der Literaturliste nennt, dessen Namen er aber hartnäckig "Eckard" schreibt. L. sucht auch hier die ganze Wahrheit: "Meine folgenden Ausführungen haben ... das Ziel, im Bereich der Kriterien- und Modellfragen einige Nebel wegzufegen" (165). Dafür hält er fast der gesamten Forschung zu Dtn 12 vor, "daß eine genauere synchrone Analyse des Endtextes und seiner Struktur offenbar für überflüssig gehalten wurde" (167, A. 17).

Die nächsten drei Beiträge, zuerst 1993-1995 publiziert, werden durch das Stichwort "Fabel" zusammengehalten: "Moab oder Sichem - wo wurde Dtn 28 nach der Fabel des Deuteronomiums proklamiert?" (205-218), "Zur Fabel in Dtn 31-32" (219-245), "Zur Fabel des Deuteronomiums" (247-263). L. macht sich selbst ernsthafte Gedanken darüber, ob dieser an ganz anderen Literaturen erprobte wissenschaftliche Begriff (vgl. 247, A.1) nicht deplaciert sei:

"Darf man im Buch Dtn nach der Fabel fragen? Dagegen spricht: Das Dtn hatte eine lange und komplizierte Entstehungsgeschichte. Es ist aus Stücken verschiedener Herkunft zusammengefügt und immer wieder ,fortgeschrieben' worden. Dazu ist es in der Hauptsache ein Gesetzbuch. Kommt da dem Handlungsablauf noch Relevanz zu? Haben sich letzte Redaktoren noch solchen Sorgen hingegeben - daß ihr Text so sein müsse, daß er eine Fabel besitze?" (219) Ich würde diese Frage mit einem schlichten Nein beantworten, aber L. ist entschlossen, für die Anwendbarkeit des Begriffs fast alles in Kauf zu nehmen: "Natürlich darf man die Frage nach der Fabel, stellt man sie an den Endtext, auch nicht mit falschen Erwartungen beladen. Selbst aus einem einzigen Wurf stammende Erzählungen können Lücken, Leerstellen, Unbestimmtheiten in der Fabel aufweisen. Vorläufige Lücken der Fabel können strategische Leserführung sein. Definitive Unbestimmtheiten können die interpretative Freiheit des Lesers herausfordern wollen" (219).

Nach diesen kommoden Kriterien würde ich auch aus dem Kursbuch eine Fabel herauslesen - und in entsprechender Lage ist L.: "Wichtig ist mir vor allem, daß die Frage nach der Fabel für das trotz aller gehaltenen Reden durchaus auch narrative Dtn überhaupt einmal in [str. das zweite "in"] den Blick und in die Diskussion kommt" (236). Ach, wie schön, wie einfach und klar war alles, als L. vor beinahe 40 Jahren auf der ersten Seite seiner Diss. schrieb: "Im Gegensatz zu den vorangehenden Teilen des Pentateuchs versteht sich [sic.] das Dtn also nicht als Erzählung, sondern als eine Sammlung von Reden ... " (3). Sieht man auf die vier Aufsatzbände zurück, so zeigt sich der Autor mehr und mehr von einem Verstehenswillen besessen, der (obschon das Gegenteil unablässig beschworen wird) die Texte nicht weniger programmatisch behandelt als manche Literarkritiker. Die ,Erzähler' dieser dtn ,Fabel' hätten wohl nur gestaunt über die ihnen zugeschriebene narrative Potenz. Aber L. hält eben "die ganze Frage nach der Fabel, die früher kein Mensch gestellt hat, für sehr wichtig, und die Diskussion kann noch interessant werden" (10).

Aus Platzmangel werden die beiden letzten Aufsätze lediglich genannt: "Die Ältesten Israels und der Bund" (265-283) und "Bund als Vertrag im Dtn" (285-309). Zu ihnen gebe ich dem Autor das letzte Wort, das den Lesern neue Freuden verheißt: "Hier kommen weitere Betrachtungsweisen der neueren Literaturanalyse zum Zug, vor allem die Unterscheidung von ,Bericht' und ,Darstellung' ... und die Anwendung der Sprechakttheorie auf erzählende Texte" (10).