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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1248–1250

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gomes de Araújo, Reginaldo

Titel/Untertitel:

Theologie der Wüste im Deuteronomium.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1999. XVI, 376 S. gr.8 = Österreichische Biblische Studien, 17. Kart. DM 98,-. ISBN 3-631-34353-1.

Rezensent:

Karin Finsterbusch

Das vorliegende Buch ist eine von N. Lohfink betreute und 1998 von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a. M. angenommene Dissertation; für die Veröffentlichung wurde sie gestrafft. In seiner Einführung betont Gomes, dass das Deuteronomium eine eigene Sichtweise der Wüstenzeit Israels biete: "Die Wüstenerzählungen des Deuteronomiums wirken schon bei einer ersten Begegnung weniger aggressiv und weniger widersprüchlich als die in Exodus und Numeri. Dazu sind sie mit den anderen Themen des Buches viel enger verknüpft als die oft fast unverbunden nebeneinander und im gesamten Erzählzusammenhang stehenden Wüstenerzählungen in den vorangehenden Büchern. Das führt sofort zur Frage, ob spezifisch deuteronomische und deuteronomistische theologische Sichten nicht auch die Wüstenerzählungen des Deuteronomiums auf eine besondere Weise gefärbt haben" (1).

Das Thema wurde laut Autor bislang noch nicht eingehend untersucht, so sei in der 1994 erschienenen Dissertation von T. L. Burden "The Kerygma of the Wilderness Traditions in the Hebrew Bible" dem Deuteronomium nur ein kürzeres Kapitel gewidmet, entstehungsgeschichtliche Fragen seien in dieser Untersuchung ausgeblendet worden. G. schließt mit seiner solide gearbeiteten Studie also eine Lücke. Er untersucht sein Thema in drei Abschnitten: "Die Wüste in Deuteronomium 1-3" (45-113), "Die Wüste in Deuteronomium 8 und seinem Umfeld" (115-271), "Die Wüste in Deuteronomium 29,1-8" (273-324). In Bezug auf seine Methode hält er fest, dass nach "philologischer Texterstellung" der Text jeweils "synchron - vor allem auf seine Struktur - und diachron - vor allem literarkritisch" zu analysieren sei, natürlich unter besonderer Berücksichtigung der Verse, die sich direkt auf die Wüstenwanderung beziehen (21). Weiter sei nach Datierung und Schichtenzugehörigkeit zu fragen.

Nun in der gebotenen Kürze zu den wichtigsten Ergebnissen seiner Analysen: In Bezug auf die "joschijanische Grundschicht" von Dtn 1-3 (Zusätze sind nach Gomes "in der Wüste" in 1,1b, ferner 1,31a. 33; 2,7) konstatiert er eine rein negative Sicht der Wüste: Sie sei nur der Raum, der vom Horeb nach Kadesch Barnea durchquert werden musste, und in den Israel dann auf Grund seiner Sünde für 38 Jahre zurück musste, um "neu" zu werden. Anders als in Exodus und Numeri sei die Wüste "nicht mehr ein Topos, wo man Einzelgeschichten addierte, sondern eine Größe, über die man als solche Aussagen ... machte" (326); auch scheine sie schon in joschijanischer Zeit "typologische Dimensionen" angenommen zu haben: "Was Mose seinen Zuhörern in Moab über die Wüste erzählte, konnten die joschijanischen Leser des Textes auf das Israel bis zu ihrer eigenen Zeit transponieren, in der wieder in das Land als ganzes einzuziehen war" (326).

Dtn 8 schreibt G. im Anschluss an N. Lohfink dem spätdeuteronomistischen Redaktor DtrÜ (Ü für "Überarbeiter") zu, der für die Gestaltung von Dtn 7-10 insgesamt verantwortlich sei (169-176). Charakteristisch für die Theologie dieses DtrÜ sind nach G. in Bezug auf die Wüste folgende Aussagen: Die Wüste, zu der jetzt auch der Horeb und Kadesch Barnea rechneten, sei Ort der ständigen Sünde Israels (9,1-24, 190 ff.). Dennoch werde Israel nicht bestraft, sondern JHWH verzeihe ihm wie ein Vater und überhäufe es mit helfenden Wundern (8,2-6.15 f., 145-149.219). Das Anliegen des DtrÜ scheine nach G. dadurch bestimmt zu sein, dass er das Anliegen von DtrN (N für "Nomist", dessen Hand G. im Anschluss an Lohfink u. a. in 6,18 f., 11,8.22-25 findet, 170 f.) aufnimmt und abwandelnd weiterführt (267). DtrN sei der Ansicht gewesen, Gott erwarte als Bedingung für das Kommen ins Land und dessen Inbesitznahme die Beobachtung des Gesetzes noch vor Eintritt in das Land. DtrÜ stimme dem, wie 8,1 ausweise, zu, doch zugleich entwickle er eine Rechtfertigungslehre, "die bis in die Begrifflichkeit schon der paulinischen vorausläuft" (267): "Die Wüste war eine Zeit reiner Sünde, und insofern hat Israel gar keine Rechtstitel dafür, daß Gott es ins Land führt. Doch Gott tut es trotzdem, einerseits wegen seiner Verheißung an die Erzväter, andererseits bewegt durch die Fürbitte Moses, die ihn an die Erzväter und die schon geschehene Herausführung aus Ägypten erinnert" (269). Für die "typologische Lektüre, die natürlich angezielt ist, gehört alles in die ,Wüste', was bis ins Exil hinein in der Geschichte Israels geschah" (327). Sollten die Exulanten ins Land zurückkehren, "so geschähe das aus reiner Treue Gottes zu seinen alten Verheißungen, ohne irgendein Recht, das Israel für diesen Vorgang sich durch sein Verhalten erworben hätte" (328).

An dieser Stelle sind nach Auffassung der Rezn. zwei Punkte kritisch anzumerken: Folgt man der Argumentation von G. bezüglich der Rechtfertigungslehre des DtrÜ, so ist nicht nachvollziehbar, weshalb dennoch von Israel gefordert werden sollte, die dtn Gebote außerhalb des Landes als Bedingung für den Eintritt zu halten. Auch soll nach 9,1 (ein Text, der nach G. DtrÜ zuzurechnen ist) Israel "heute" über den Jordan ziehen. Zeit für die Beobachtung des Gesetzes wird also nicht eingeräumt. Diese Schwierigkeit ließe sich freilich lösen, wenn man Dtn 8,1 anders interpretierte, nämlich als Forderung, die Gesetze im Land als Bedingung für die vollständige Inbesitznahme des Landes zu tun. Doch damit ist der zweite Kritikpunkt nicht entkräftet, denn der Begriff "Rechtfertigungslehre" ist sicher problematisch: Israel wird laut Dtn 9,1-6(7) nicht "gerechtfertigt", sondern JHWH führt das Volk trotz Ungerechtigkeit ins Land - verbunden mit der ausdrücklichen Auflage, sich zu ändern (10, 12ff.) und das Gesetz im Land zu halten, will es nicht vernichtet werden (8,19 f.; 11,13-21).

Zu ergänzen ist noch, dass G. die Hand des DtrÜ auch in 1,31a und in 2,7 erkennt (225) und sie in 1,1b (in Bezug auf den Zusatz "in der Wüste") und in 6,16 nicht ausschließt (183 f. 226). Die Rede von der Bestrafung Israels in der Wüste in den DtrÜ zeitlich vorausliegenden Texten Dtn 1-3 und 11,1-6 konnte DtrÜ nach G. mit seiner Theologie vereinbaren, insofern dem Verzeihen und der Zuwendung JHWHs in der Wüste eine Bestrafung einer Generation von Sündern bzw. von einzelnen Sündern wie Datan und Abiram (11,6) nicht widersprechen musste (207.219).

In 29,1-8 wird nach G. auf der Ebene der Pentateuchredaktion die Wüstenzeit zu einem Hinweg auf den Bundesschluss in Moab, der erst die eigentliche und volle Gestalt der Horeb-Bundesverpflichtung Israels darstelle: In diesem speziellen Augenblick des Hintritts zum Bundesschluss werde "die Wüste von jenem kultisch-initiatorischen Bewußtsein her charakterisiert, das für eine solche Situation vorauszusetzen ist. Da verblassen Sünde und ergangene Strafen, nur die wunderbare Führung durch Jahwe auf diesen Punkt hin steht vor Augen. Alles, was die Zeit der Wüste füllte, war gottgelenkte und gottgetragene Vorgeschichte, noch ohne eigentliche Begegnung mit Gott, hin auf diesen Augenblick, wo Israel seinen Gott Jahwe erkennen wird" (338).

Ohne Zweifel hat G. in methodischer und inhaltlicher Hinsicht einen interessanten und wichtigen Beitrag zur Erhellung der Theologie der Wüste im Deuteronomium geleistet. Die weitere Diskussion wird an dieser instruktiven Studie nicht vorbei- gehen können.

Abschließend sei der Rezn. noch eine kritische Bemerkung zur Deutung von Dtn 8,16 durch G. gestattet: Dtn 8,16b ist nach G. ein Kurzresümee von 8,2-5 und wird dahingehend interpretiert, dass JHWHs Erniedrigung und Versuchung Israels in der Wüste sich auf Dürsten und Hungern, das gute Ende sich auf die Gaben von Wasser und Manna beziehen (148). Diese Interpretation ist m. E. fragwürdig. Die finalen Konjunktionen in V. 16ba können nur an das Partizip in V. 15a anschließen ("der dich in der Wüste führt", vgl. auch 8,2). Dann ergibt sich, dass die gesamte Wüstenführung einschließlich der Gaben von Wasser und Manna als Erniedrigung und Versuchung zu deuten sind; V. 16bb ("um dir zuletzt Gutes zu tun") bezieht sich folglich auf die Gabe des guten Landes im Anschluss an die Wüstenzeit. Für Letzteres spricht auch, dass das Lexem "gut" im Kontext mit dem Land verbunden ist (V. 7.10, vgl. auch V. 12a). Es ist also m. E. zu bezweifeln, dass das - (Israel und) den Vätern unbekannte! - Manna tatsächlich, wie von G. unkritisch vorausgesetzt, in Dtn 8 "wunderbare Speise" (145) ist und dass JHWH Israel "mit Wohltaten überhäuft" hat (219).