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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1245–1247

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Floyd, Michael H.

Titel/Untertitel:

Minor Prophets, 2.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2000. XVIII, 651 S. gr.8 = The Forms of the Old Testament Literature, XXII. Kart. $ 49.-. ISBN 0-8028-4452-9.

Rezensent:

Klaus Koenen

Das umfangreiche Werk will, der Absicht der Reihe entsprechend, eine formkritische Analyse aller Texte der Prophetenbücher Nahum bis Maleachi bieten, und zwar nicht nur der kleinen Einheiten, sondern auch der Buchkompositionen. Die Analyse gliedert sich jeweils in folgende Abschnitte: Text (sofern für die Formkritik von Bedeutung), Gliederung, Gattung, Sitz, Intention und Bibliographie. Am Ende des Buches findet sich ein hilfreiches Glossar, das alle in den analysierten Prophetenbüchern vorkommenden Gattungen definiert. Band XXIII der Reihe soll die Definitionen aller Glossare der Einzelbände vereinen, in Band XXIV soll ein Register zu allen Bänden erstellt werden. Um F.s Ansatz vorzustellen, genügt es, auf seine Analyse der Buchkompositionen einzugehen. Für die Fülle der Beobachtungen, die an allen Einzeltexten gemacht und in ausführlicher Diskussion mit anderer Sekundärliteratur vorgetragen werden, muss ohnehin auf das Werk selbst verwiesen werden.

Die Aufbauanalyse des Nahumbuches zeigt das Ziel der Komposition: Der Leser soll sehen, dass die Zerstörung Ninives den in 1,12 f. und 1,14 zitierten prophetischen Ankündigungen entspricht sowie dass der angekündigte göttliche Eingriff paradigmatischen Charakter hat und damit für spätere Generationen von aktueller Relevanz ist. Während die alten Prophetenworte nach 701, aber vor der Zerstörung Ninives 612 anzusetzen sind, stammt das Buch erst aus der Zeit nach 612. Formkritisch handelt es sich bei ihm weder um eine eschatologische Vision noch um eine prophetische Liturgie oder Disputation, sondern gemäß der Überschrift um eine massa, womit die prophetische Interpretation eines älteren Prophetenwortes gemeint ist. Die Gattung besteht nach F.s Definition aus folgenden Elementen: 1) Bericht von einer göttlichen Ankündigung; 2) Beschreibung eines göttlichen Eingreifens; 3) Hinweise zur Beurteilung des Eingreifens bzw. zur Reaktion darauf. Im Fall des Nahumbuches besteht die massa aus zwei sog. prophetischen Geschichtsbeispielen (1,2-2,11; 2,12-3,19), einer Gattung, die Gottes vergangenes Handeln beschreibt, um über sein gegenwärtiges zu belehren. Ihren Sitz haben die beiden verwandten Gattungen in Krisensituationen. Das Nahumbuch, das mit dem Kult nichts zu tun hat, ist in einer Situation entstanden, in der ein Prophet aufgerufen war, die Gegenwart durch einen Rückblick in die Vergangenheit als Handeln Gottes zu deuten.

Auch das Habakukbuch betrachtet F. als massa. Das in der Mitte des 6. Jh.s verfasste Werk beginnt mit einer Klage, die in 1,5-11 ein altes, um 610 v. Chr. anzusetzendes Gotteswort zitiert, das die inzwischen geschehene babylonische Eroberung ankündigt, aber angesichts der Brutalität der Babylonier als problematisch empfunden wurde. Die Klage über die Erfüllung des Gotteswortes wird von der Wehe-Ruf-Komposition in Kap. 2 beantwortet, in der Gott sich gegen die Babylonier richtet und damit sein eingangs zitiertes Wort modifiziert. Kap. 3 zeigt, dass Gottes neue Ankündigung den Propheten, der für den Hörer als Modell fungiert, aus seiner stellvertretend für die Hörer gesprochenen Klage führt. Der Sieg Jahwes über die Chaosmächte wird als Paradigma herangezogen, um Hoffnung auf ein entsprechendes Handeln Gottes in der Gegenwart und auf einen Sieg über die Babylonier zu vermitteln. Auch wenn das Buch kultisch-liturgische Gattungen aufnimmt, ist es als ganzes betrachtet nicht als Liturgie anzusehen, sondern wir haben es wieder mit der prophetischen Interpretation eines älteren Prophetenwortes in einer neuen geschichtlichen Situation zu tun, also einer massa.

Das Zephanjabuch enthält ebenfalls ältere prophetische Worte, jedoch lassen sich diese nicht genau fassen. Sie stammen von Zephanja aus dem späten 7. Jh., einem Protagonisten der Josianischen Reform. Das Buch ist erst im frühen 6. Jh. in einer mantischen Weisheitsschule entstanden. Es spricht seine Leser wie ein Prophet an und stellt formkritisch eine prophetische Unterweisung dar. Diese Gattung reflektiert prophetische Überlieferungen, um deren Bedeutung für die Gegenwart aufzuzeigen. Das Zefanjabuch bietet eine Interpretation der historischen Entwicklung, die mit der Josianischen Reform begonnen hat. Dem Leser soll nahe gebracht werden, dass das Exil unausweichlich ist, dass aber in der Situation der Krise eine neue Heilszeit beginnt, wenn man zu Jahwe zurückkehrt und damit aus Gottes Gerichtshandeln, das letztlich der Erziehung dient, seine Lehre zieht. Hier wird ermahnt, und deswegen hat das Buch wie schon die Botschaft Zephanjas einen paränetischen Charakter.

Das Buch Haggai stellt keine Sammlung von Prophetenworten dar, um die man sekundär einen narrativen Rahmen gelegt hat, sondern wir haben es hier mit der Gattung "Prophetische Geschichtsschreibung" zu tun. Von Geschichtsschreibung spricht F., da der Verfasser des Buches eine Situation der Vergangenheit unter Auswertung alter Quellen, nämlich der Worte Haggais, darstellt und im Blick auf seine eigene Situation interpretiert. Prophetisch ist diese Geschichtsschreibung, da sie ein früheres Handeln Gottes beschreibt, um daraus auf Jahwes jetziges, analoges Handeln zu schließen, und da der Verfasser, indem er einen derartigen Schluss nahelegt, ein prophetisches Selbstbewusstsein zeigt. Der Leser soll demnach nicht nur etwas über die Rolle Haggais beim Wiederaufbau des Tempels erfahren, sondern auch etwas über den Willen Gottes in einer aktuellen vergleichbaren Situation. Ihren Sitz hat die Gattung in Schreibergruppen, die prophetische Überlieferungen tradierten und studierten. Da der Verfasser des Haggaibuchs ein besonderes Interesse am Tempel und seiner gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Bedeutung hat, gehörte er wohl zu einer Gruppe, die in nachexilischer Zeit politisches Gewicht hatte.

Das Sacharjabuch weist F. einer Gattung zu, die er "Prophetisches geschichtliches Beispiel" nennt. Sie beschreibt Gottes Handeln in der Vergangenheit, um über sein gegenwärtiges Handeln zu belehren, und kombiniert dazu folgende Elemente: 1) eine Aufforderung an die Hörer, aus der Vergangenheit zu lernen; 2) eine Erzählung vergangener Ereignisse; 3) einen Abschnitt über die Bedeutung des göttlichen Handelns in diesen Ereignissen für die Gegenwart. Ihren Sitz hat die auf Aktualisierung zielende Gattung in Schreiberschulen, die prophetische Überlieferungen tradiert haben. In Kap. 9-11 und 12-14 enthält das Buch zwei frühhellenistische Zusätze, die F. entsprechend den Überschriften jeweils als massa betrachtet, als Interpretation früherer Offenbarung. Sie beziehen Sacharjas Deutung der persischen Zeit auf ihre eigene Zeit, in der sie Gott in gleicher Weise handeln sehen wie Sacharja zu seiner Zeit. Damals wie heute will Jahwe sein Volk wiederherstellen, doch realisiert sich der Wille in den neuen politischen Verhältnissen ganz anders. Ging es früher um die Rückkehr aus dem Exil und den Wiederaufbau des Tempels, so jetzt, da internationale Konflikte Jerusalem bedrohen, um die Erschaffung einer neuen Welt, in der es keine internationalen politischen Konflikte mehr gibt.

Beim Maleachibuch handelt es sich nicht, wie man häufig annimmt, um eine Sammlung von Diskussionsworten, sondern um eine massa, und die Schlussverse 3,22.23 f. sind kein Anhang, sondern ein konstitutiver Teil, im Grunde sogar das Ziel des Buches. Die ältere Offenbarung, die die massa hier prophetisch aktualisiert, ist das Gesetz des Mose, eine Vorform des Pentateuchs. Priesterliche Lehre wird in prophetischem Stil vorgetragen und mahnt zur Beachtung des Gesetzes. Ihren Sitz hat eine derartige massa in einer Schule, die Priester auf die prophetische Seite ihres Amtes vorbereitet. Das Maleachibuch will zeigen, wie die Tora prophetisch so interpretiert werden kann, dass sie der gegenwärtigen Gemeinde in schwieriger Zeit hilft und neue Hoffnung vermittelt.

Die Idee zu einer groß angelegten Reihe mit formkritischen Analysen aller Texte des Alten Testaments ist zu einer Zeit geboren worden, als die Formkritik noch stark im Zentrum der Forschung stand. Inzwischen hat ihr die Redaktionsgeschichte längst den Rang abgelaufen, und man fragt sich, ob die Konzentration auf die Gattungsfrage nicht etwas veraltet ist, ja ob sie sinnvoll ist. F. ist sich des Problems bewusst. Die Stärke seiner gründlichen Arbeit besteht darin, dass er es bei aller Konzentration auf die Formkritik versteht, die Ergebnisse der neueren redaktionsgeschichtlichen Forschung, sofern sich diese auf buchinterne Bearbeitungen bezieht, aufzunehmen und den Prozess der Aktualisierung, der mit den Stichworten "Schriftgelehrte Prophetie" oder "Prophetische Prophetenauslegung" verbunden ist, von der Formkritik her neu in den Blick zu bekommen.

Dennoch bleibt die Frage, ob das Projekt mit seiner eingeschränkten Fragestellung in der kaum zu überbietenden Größe sinnvoll ist. Hätte man nicht gleich einen Kommentar schreiben können, der die Formkritik in gebührendem Maße berücksichtigt?