Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1242–1244

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kröger, Detlef [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religionsfriede als Voraussetzung für den Weltfrieden. Weltkonferenz der Religionen für den Frieden (WCRP), Regionalgruppe Osnabrück.

Verlag:

Osnabrück: Rasch 2000. 283 S. gr.8. Kart. DM 58,-. ISBN 3-934005-27-6.

Rezensent:

Hermann Brandt

Titel und Inhalt dieses Sammelbands bündeln die dreifache Perspektive eines Symposiums, dessen Vorträge 1998 gehalten wurden. Der Obertitel ist in Anlehnung an die bekannte Maxime von Hans Küng formuliert. Der Untertitel verweist zum einen auf die Weltkonferenz der Religionen für den Frieden, deren Intentionen durch ihren Vorsitzenden Franz Brendle und das Vorwort des Herausgebers vorgestellt werden, zum anderen auf die Stadt Osnabrück und damit auf das 350. Jubiläumsjahr des Westfälischen Friedens. Repräsentiert waren in Gestalt der Vortragenden der Hinduismus, das Judentum, der Buddhismus, das Christentum, der Islam und die Bahai; an Disziplinen waren vertreten u. a. Theologie, Rechtswissenschaft, Erziehungs- und Kulturwissenschaften. Ich nenne im Folgenden die Namen der Referentin und der Referenten und die Titel ihrer Vorträge; die Reihenfolge entspricht der Anordnung des Herausgebers.

Franz Brendle, Weltkonferenz der Religionen für den Frieden (WCRP); Bassam Tibi, Friede im Nahen Osten im Lichte einer Vergegenwärtigung des Westfälischen Friedens; Uri Avnery, Friede unter den Religionen - das Beispiel Jerusalem; Martin Brecht, Der Westfälische Friede - ein Modell für den Religionsfrieden?; Albert Friedlander, Der Friedensgedanke der Religionen - eine Chance für alle?; Karl-Josef Kuschel, Weltethos - zur Grundlegung einer Kultur des Friedens unter den Religionen und Zivilisationen; Horst-Georg Pöhlmann, Gibt es ein gemeinsames Ethos der Weltreligionen?; Albrecht Weber, Religionsfreiheit in der westlichen Welt; Henry G. Schermers, Freedom of Religion as Universal Human Right; Peter Graf, Offene Räume des Dialogs mit Muslimen in Europa; Hans-Hermann Tiemann, Frieden durch Erkenntnis und Lebensführung im Hinduismus - Begegnung mit dem Guru Narayana Subramaniam aus Bangalore; Klaus Künkel, Mystik und Meditation als Grundelemente in der Begegnung der Religionen; Ahmed Omar Hashim, Islam und Frieden; 'Abla'Muhammad Al-Kahlawi, Erläuterung der Werte des Islam und seiner Toleranz gegenüber Nichtmuslimen; Dagmar Doko Waskönig, Religionsfriede heute - Ein Statement zur Gesprächsrunde aus buddhistischer Sicht; Erwin Dirschel, Religionsfriede heute - Grundlagen für den interreligiösen Dialog; Salim Abdullah, Fragen an die Friedensfähigkeit der abrahamitischen Religionen; Udo Schaefer, Universaler Friede? - Perspektiven aus der Botschaft Bahau'llahs; Osman Bilen, Ethics of Religious Tolerance - A Muslim Perspective; Osnabrücker Erklärung: Weltfrieden braucht Religionsfrieden.

Diese Beiträge sind in formaler und stilistischer Hinsicht von großer Vielfalt. Sowohl die kürzesten (Hashim, Waskönig: je 4 S.) wie die längsten (Tiemann: 42 S., Al-Kahlawi: 30 S.) dienen der Selbstdarstellung der je eigenen Religion. Manche Texte beschränken sich ganz auf die Darlegung der eigenen Lehre, andere bemühen sich um den Aufweis interreligiöser Beziehungen. Historische und begriffliche Analysen stehen neben ethischen Appellen, Plädoyers und Konfessionen neben distanzierten Beschreibungen. Eine Mischung von Fremd- und Selbstdarstellung ist der Beitrag von Tiemann, der die Anschauungen des Guru Subramaniam wortreich und jüngerhaft erläutert. Ärgerlich sind die Druckfehler, die sich besonders im Text von Friedlander häufen.

Zum Inhalt seien die folgenden Beobachtungen und Anmerkungen gemacht.

1. Abgesehen von der Leitfrage nach dem Verhältnis zwischen Religionsfrieden und Weltfrieden sind in dem Sammelband zwei Positionen präsent, auf die sich verschiedene Autoren in Zustimmung und Zurückweisung beziehen: Einmal Huntingtons These vom "Clash of Civilizations", sodann die von Hick und anderen vertretene pluralistische Religionstheologie (hierzu positiv: Bilen, 274; ähnlich auch Künkel, der drei Phasen in der Religionsgeschichte unterscheidet, nämlich 1. lebendige, mystische Gotteserfahrung, 2. Traditionsbildungen, 3. Institutionalisierung mit dem erst hier entstehenden Absolutheitsanspruch, 170-174; kritisch hingegen Pöhlmann, 81).

2. Nichtchristliche Referenten beziehen sich gelegentlich explizit auf Anschauungen von Korreferenten. So stellt Frau Waskönig der von den Bahai (vgl. Schaefer, 245 ff.) vertretenen Strategie zur Erreichung des Ziels einer geeinten Menschheit und des immerwährenden Völkerfriedens ihre buddhistische Skepsis entgegen (219): Dem Buddha zufolge gehe es nicht um die Erreichung utopischer Ziele, sondern um die Schulung des Geistes konkreter Einzelpersonen. Umgekehrt wird seitens des Hinduismus die "falsche Auffassung" der Buddhisten zurückgewiesen: Ihr intellektualistisches Mönchsideal sei Ursache ihres Misserfolgs in Indien (Subramaniam bei Tiemann, 133).

3. Der historische Nachweis, dass der Westfälische Friede "als Modell für den Religionsfrieden" gelten könne (Brecht, 46), wird mehrfach aufgegriffen, z. B. von Tibi: "Vom Westfälischen Frieden können wir Muslime sowie die Juden lernen, daß der Nahostkonflikt nur bei einer Abkoppelung der Religion von der Politik zu lösen ist" (18). Diese Abkoppelung ist für Abdullah, der der hannafitischen Rechtsschule des sunnitischen Islam angehört, so konstitutiv, dass er auf die Diaspora als den Ort verweist, wo heute Muslime "wirklich nach dem Koran leben": Eine Religion, "die durch Staaten vertreten wird", hat "keine eigene Stimme" (241). - Wenn die Friedensfähigkeit der Religionen an der Trennung von Religion und Politik hängt, so fragt sich allerdings, ob der Impuls zum Frieden den Religionen ursprünglich eigen ist (was viele Beiträge sagen), oder ob er erst durch die Friedenspolitik säkularer Staaten ausgelöst wurde. Auch diese Anschauung wird vertreten, etwa von Friedlander: Viele Religionen hätten "jetzt das Glück, außerhalb der Macht zu stehen"; die säkularen Bemühungen, den Frieden für alle zu sichern, seien ein "Vorbild für die Religionen" (34). So gesehen beruht also der Friede unter den Religionen auf der Trennung von Staat und Religion (vgl. die juristischen Beiträge von Weber und Schermers).

4. Interessant ist aber nun, wie das Thema "Religionsfriede" von der säkularen Religionsfreiheit her in den Blick genommen wird: "Religionsfreiheit als Voraussetzung für den Dialog" (Schaefer, 267-269). Die Religionsfreiheit ist aber auch, wie gerade die Selbstdarstellungen belegen, Voraussetzung für die Mission! Die christliche Welt wird "eingeladen, sich in das Mosaik der Religionen zu integrieren, das von der hinduistischen Philosophie überwölbt wird" (Tiemann, 145). Der Beitrag von Al-Kahlawi verwendet nicht nur den Begriff der Mission vorbehaltlos (Islam als Mission zu Gott, der Prophet und seine Mission, die islamische Missionstätigkeit usw., vgl. 191, 195, 211), sondern stellt mit dem Nachweis der Toleranz des Islam und ihrer Auswirkungen (freiwillige Übertritte!, 198) selbst ein Dokument der attraktiven "toleranten Mission" (212) des Islam dar. Was sich in diesem und anderen Beiträgen - in Abweichung von dem von den Veranstaltern vorgegebenen Thema des Symposiums - zeigt, ist die Ermöglichung der Mission der Religionen, ihrer werbenden Selbstdarstellungen, ihres "Lehrens", ihrer "Ausstrahlung" durch die Religionsfreiheit - sei es, dass diese als Kennzeichen der vertretenen Religion selbst oder als Säkularisierungsprodukt angesehen wird. Aus der Forderung nach einem gemeinsamen Einsatz der Religionen für den Weltfrieden ist unter den Bedingungen der Religionsfreiheit die Werbung für die eigene friedliche Religion geworden.

5. Der Band dokumentiert die Herausbildung von Allianzen. Einerseits (im Gefolge von Hick) die Allianz der Religionen gegenüber der Säkularisierung (vgl. Waskönig, 221) bzw. "areligiösem Denken" (die Religionen werden erst Frieden stiften können, "wenn sie erkennen, wieviel sie ungeachtet aller Divergenzen im Vergleich mit areligiösem Denken gemeinsam haben"; Schaefer, 263). Andererseits auch - innerreligiös - die Allianz und gegenseitige Unterstützung der "liberalen Gruppierungen" mit dem Ziel, gemeinsam "den Fundamentalismus zurückzudrängen" (Dirscherl, 226). - Diese beiden Allianzen belegen eine komplexe und konfliktfrei kaum auflösbare Spannung, die im Sammelband nicht reflektiert wird: Die erstgenannte Allianz plädiert für die Integration der Religionen um den Preis ihrer Abkoppelung von der säkularen Welt, in der sie Religionsfreiheit genießen, die zweite spaltet die Einheit der einzelnen Religionen und gefährdet so den inneren Religionsfrieden.

6. In seinem Vorwort schreibt der Hg., "eine der wichtigsten Aussagen" des vorgelegten Bandes betreffe den göttlichen Ursprung aller großen Religionen: "Alle Weltreligionen haben im wesentlichen gleiche Grundaussagen." Nur in einzelnen Lehraussagen unterschieden sie sich: "Dies mag historische, kulturelle oder uns verborgene Gründe haben" (8). Die Lektüre des Bandes macht jedoch deutlich: Mit diesem Raster lassen sich die einzelnen Beiträge in ihrer Eigenart schwerlich erfassen. Während nichtchristliche Religionen gerade unter den Bedingungen der Religionsfreiheit ihre Grundaussagen darstellen und mit ihrem eigenen Friedenspotential werben, wird auf christlicher Seite eine Trennung zwischen religiöser Urerfahrung und späterer kirchlicher Lehre vollzogen (vgl. Künkel, 169 f. unter Verweis auf Joh 14,6). Hier erscheint die Friedensfähigkeit als ausstehend und erst durch eine Revision der Lehre erwerbbar. Etwas pauschal gesagt: Nichtchristliche Religionen erfahren unter den Bedingungen der Religionsfreiheit eine Revitalisierung; Christen erscheinen angesichts der Forderung "Religionsfriede als Voraussetzung für den Weltfrieden" eher religiös verunsichert. Die einen nutzen die Religionsfreiheit für ihre Friedensbotschaft, die anderen bemühen sich um den interreligiösen Dialog als Voraussetzung für den Weltfrieden - in dieser uneinheitlichen Praxis mag einer jener "verborgenen Gründe" für die Unterschiede liegen, die in diesem Sammelband dennoch offen zutage treten.